25.11.08
VVN-BdA begrüßt die Schaffung der
Anti-Nazi-Koordinationsstelle
"Koordinationsstelle für
Vielfalt, Demokratie und Toleranz - gegen Neonazismus, Rassismus und
Antisemitismus" ist im Dortmunder Rathaus eingerichtet worden
Eine "Koordinationsstelle für Vielfalt, Demokratie und
Toleranz - gegen Neonazismus, Rassismus und Antisemitismus" ist
im Dortmunder Rathaus eingerichtet worden. Dazu nahm Ula Richter
(VVN-BdA und Linkes Bündnis) Stellung: Die Koordinationsstelle hat
sich zur Aufgabe gemacht, die verschiedenen antifaschistischen
Kräfte in der Stadt zu bündeln und so die Gegenwehr wirksamer zu
machen. Sie zieht damit die Lehre aus der Geschichte, dass nur
gemeinsamer Widerstand stark ist. Wir wünschen der
Koordinierungsstelle, dass sie an diesem Bemühen fest hält. Wir
werden nach Kräften daran mitarbeiten. – Die Koordinationsstelle
hat ein Büro im Rathaus und ein Jahresetat von 100.000 Euro.
Ula Richter nahm dazu in einer Gedenkveranstaltung Stellung:
Ula Richter, Rede am 18. Oktober 08 auf dem Nordmarkt Dortmund
Wir erinnern heute an den "Blutsonntag" in der
Nordstadt vor 76 Jahren
Dortmund im Herbst 1932 - drei Monate vor dem Machtantritt der
Nazis war Dortmund noch die "rote" Arbeiterstadt. Und
besonders der Dortmunder Norden war rot. Trotz massenhafter
Verelendung - im Sommer 32 waren 78.000 Dortmunder/innen ohne
Arbeit, wurde hier noch mehrheitlich gegen die Hitlerpartei
gestimmt. (Aber auch hier war der Stimmenanteil der Nazipartei auf
27% angewachsen, landesweit lag er da allerdings bereits bei 44%.)
Der Terror der SA aber wuchs auch auf Dortmunds Straßen, mehrere
kommunistische Arbeiter fielen 1932 den Mordbanden der Nazis zum
Opfer. Nur in den Dortmunder Norden trauten sie sich noch nicht
hinein. Sie mussten mit dem entschlossenen Widerstand der
Anwohnerschaft rechnen. Deshalb wagten die Nazis auch am 16. Oktober
nur unter massivem Polizeischutz einen Propagandamarsch um den
Republikplatz, so hieß damals der Nordmarkt.
Was sich dann abspielte, ist als" Blutsonntag" in die
Dortmunder Geschichte eingegangen: die Gegenwehr und der Widerstand
der Arbeiter und ihrer Familien wurde schließlich mit Polizeikugeln
beantwortet. Zwei Menschen starben, Martha Gregarek und Ernst Reberg,
14 weitere wurden zum Teil schwer verletzt.
Diesen Widerstand zu ehren und der Opfer zu gedenken, haben wir
uns hier versammelt. Meine Rede soll vom Widerstand damals und vom
Widerstehen heute handeln. Auch wenn sie unterschiedliches Gewicht
und unterschiedliche Tragweite hatten und haben, sind sie doch
Zeugen für ihre jeweilige Zeit und die Notwendigkeit, politisch zu
handeln.
Ich werde also vom Widerstand damals in den Betrieben, auf der
Straße, im Wohngebiet, von jung und alt, von Frauen und Männern,
von Kommunisten und Sozialdemokraten, von Arbeitern und Künstlern
berichten und von ihren unterschiedlichen Aktionsformen. Das
Erinnern weist uns darauf hin, in welcher Tradition wir stehen, soll
Ansporn und Ermutigung sein. Für die Vielen werde ich
stellvertretend Einige in unser Gedächtnis rufen.
"Wer Hitler wählt, wählt den Krieg!" Das war die
Erkenntnis der klassenbewussten Arbeiter Paul Mainusch und Willi
Beutel. Dagegen nahmen sie den Kampf auf der Westfalenhütte auf.
"Wer Hitler wählt, wählt den Krieg", das wusste auch
der Generaldirektor von Hoesch, Friedrich Springorum. Deshalb
setzten er und die anderen Großindustriellen von Rhein und Ruhr auf
Hitler, unterstützten die Nazipartei mit Millionenspenden und
verhalfen ihr dazu, die Macht zu übernehmen. Kapital und Arbeit
standen sich unversöhnlich gegenüber.
Paul Mainusch war in den 20er Jahren Hochofenarbeiter, Anfang
1933 wurde er als KPD-Funktionär verhaftet und über Brauweiler in
das KZ Papenburg verschleppt. Ab 1937 arbeitete er wieder bei
Hoesch. Er schloss sich dem Widerstandskreis um August Kanwischer
und Willi Beutel an. Noch im Februar 45 wurde er zur Wehrmacht
eingezogen, ein paar Tage später von der Gestapo verhaftet und im
Rombergpark ermordet.
Wilhelm Beutel trat Ende der 20er Jahre der KPD bei, 1933 wurde
er das erste mal verhaftet und in die Steinwache gebracht. Von 12
Jahren Naziherrschaft verbrachte er 8 Jahre in Zuchthäusern, sobald
er frei war, nahm er die Widerstandsarbeit wieder auf. Von 1942 bis
1945 arbeitete er als Maschinist auf der Westfalenhütte und nahm an
den konspirativen Treffen in der Gartenlaube von August Kanwischer
teil. Im Februar 45 wurden er und seine Frau von der Gestapo
verhaftet. Seine Leiche wird später unter den Opfern in der
Bittermark gefunden.
Auch außerhalb der Betriebe war der Widerstand lebendig und
sichtbar. So berichtet Heinz Junge: "Als politischer Leiter des
KJVD leitete ich Aktionen zum 1. August 33, dem
"Antikriegstag". In der Nacht davor waren fast 20
Jungkommunisten und Sozialdemokraten tätig gewesen. Am frühen
Morgen flatterten an mehreren Gebäuden rote Fahnen mit Hammer und
Sichel. Losungen wie "Nieder mit dem Blut-Kanzler Hitler"
und "Hitler, das ist der Krieg!" konnten viele Arbeiter
schon um 5 Uhr früh auf dem Weg zur Arbeit lesen. Von der Eisenbahn
aus konnte man: "Nieder mit Hitler" lesen. In Kruckel
über den alten Zechengebäuden und an einem Hochspannungsmast waren
rote Fahnen so angebracht, dass sie nur unter größter Gefahr
herunter geholt werden konnten."
Nach dieser Aktion wurde Heinz Junge verhaftet und bis 1935 unter
anderem im Börgermoor inhaftiert. Nach der Freilassung war er
sofort wieder im Widerstand aktiv, 1936 musste er nach Holland
emigrieren. Von dort aus arbeitete er mit den Dortmunder
Widerstandskreisen eng zusammen. 1939 wurde er in Holland
festgenommen und erst in das KZ Sachsenhausen, dann in das KZ
Mauthausen verschleppt. 1945 wurde er befreit und war bis an sein
Lebensende aktiv in der antifaschistischen Arbeit.
Hier auf dem heutigen Nordmarkt saß im Frühherbst 1934
"Opa Wille", standfester Sozialdemokrat, ehemaliger
Schießmeister auf der Zeche "Minister Stein" mit anderen
Invaliden auf der Bank. Ein Trupp SA mit einer Hakenkreuzfahne zog
vorüber. Als Opa Wille die Hakenkreuzfahne nicht grüßte,
wiederholten sie ihren Vorbeimarsch , wieder kein Gruß. Bei einem
dritten erfolglosen Versuch, wurde er gefragt, warum er den
Hoheitszeichen des 3. Reiches seine Ehrerbietung verweigere,
erwiderte Wille: " Putzlappen habe ich noch nie
gegrüßt". Darauf wurde er von den SA Schlägern derartig
brutal verprügelt, dass er noch am gleichen Tag im Krankenhaus
starb.
Und auch das war Widerstand: Auf der Münsterstraße gibt es noch
heute das Café Lüchtemeier. Damals war es ein Treffpunkt von
Widerstandskämpfern. Die Besitzer Ella und Karl Lüchtemeier
verbaten sich jede Art von Nazi-Propaganda in ihrem Café, obwohl
ihnen klar war, dass dadurch eine Hetzkampagne gegen die Wirtsleute
in Gang gesetzt wurde.
Grete Junge, die Mutter von Heinz, die ebenfalls verfolgt wurde
und 9 Monate in der Steinwache gesessen hatte, verband ihren
Widerstand mit klugem Mutterwitz und mit Ironie: Sie nähte die
Fahne der Hombrucher KPD in ein Kissen ein. Bei Hausdurchsuchungen
legte sie das Kissen auf den Stuhl, auf den sich der Gestapo Mann zu
setzen pflegte. Besser konnte sie die Fahne nicht schützen.
Auch mit Worten, Bildern und Kabarett wurde in Dortmund gegen
Hitler gekämpft. Die Gruppe "Henkelmann "gastierte mit
ihrem Antikriegs- und Antinazi-Programm in Wirtshaus-Sälen in den
Arbeiterstadtteilen. Zur Gruppe "Henkelmann" gehörten
unter anderem Charlotte und Bernd Temming und Paul Polte. Auch sie
wurden verfolgt und erniedrigt:
Der Grafiker Bernd Temming erhielt Berufsverbot, er wurde
bedrängt, sich von seiner jüdischen Frau, der Dichterin Charlotte
Temming scheiden zu lassen. Sie hat die Nazizeit nur überlebt, weil
sie immer wieder von Antifaschisten versteckt wurde. So hat sie auch
Unterschlupf bei Magda Gillessen gefunden, die später auch zu den
Opfern der Rombergpark-Morde gehörte.
Eines der Gedichte, die Charlotte Temming 1932 im
"Henkelmann" vortrug, hieß KRIEGSHETZER:
Seht sie Euch an,
Die zum Kriege hetzen,
Seht sie Euch an,
Die von Heldentum schwätzen,
Sind es nicht die, die, als die Schlachten geschlagen,
Noch als Babys im Körbchen lagen,
Die den Krieg nur vom Hörensagen kennen,
Und heute auf Heldentaten brennen,
Von völkischen Phrasen die Hirne verkleistert,
Von falscher Heldenromantik begeistert?
Seht sie Euch an, ……:
Generäle mit hohen Pensionen,
Schieber, Parasiten und Drohnen,
Die man in der Etappe getroffen,
Wo sie geschlemmt, geprasst und gesoffen,
Während die von ihnen Verführten
Inzwischen im Kugelhagel krepierten.
Seht sie Euch an, …..:
Kriegslieferanten, Giftgasfabrikanten,
Und … fanatische Greise, patriotische Tanten,
Die vom Leben im Schützengraben
Keine Ahnung haben!
Denn wer den Krieg an der Front verbracht hat,
Oder … wer daheim Granaten gemacht hat,
Wer Kohldampf geschoben und Kartoffeln geklaut hat
Und heute den ganzen Schwindel durchschaut hat,
Der lässt sich für Profitinteressen
Nicht wieder in die Uniform pressen.
Dem ging die Kriegsbegeisterung flöten,
Der marschiert in der Einheitsfront der Proleten
GEGEN DEN IMPERIALISTISCHEN KRIEG!
Auch Paul Polte wurde in die Steinwache geschleppt. Seine
Gefängnishaft hat er 1933 im Gedicht Steinwache/Zelle 21
verarbeitet:
Du bist so schmal
dafür bist Du nicht breit
und auch nicht hoch
du Menschenkäfig voller Leid
du Käfig, angefüllt von leerer Zeit
du dunkles Loch.
Kein Strick
kein Nagel in der Wand
und nur die leere blanke Hand
um sie sich um den Hals zu krallen -
vergeht die Zeit
die Tage fallen.
Wie kurz, wie lang?
Das Leben rinnt
das Herz schlägt bang
in Stunden, die nie alle sind.
Kein Bild
kein Tuch
kein Stückchen Land
so, ganz mit mir allein
fällt nur mein Schatten an die kahle Wand:
Wie leer kann eine Zelle sein!
Wie leer doch eine Zelle ist
und wie man sie doch bald vergisst.
Nur manchmal, in der Stunden Stille
da drängt sich der Gesichter Fülle
aus tiefem Meere wieder auf
Es dränget sich ein bunter Hauf
Gefangene durch meine Brust.
Im Kreise mitmarschierend zittert mein Gewissen
um euch, Kameraden dort im Ungewissen.
Ich atme voll der Freiheit vage Lust.
Und nun ein großer Zeitsprung - Dortmund im Herbst 2008:
Zum vierten Mal in Folge konnten Neonazis ihre von ihnen so
genannte "Antikriegs-Demonstration" in Dortmund
durchführen - eine Verhöhnung der Opfer von Krieg und Faschismus,
eine Provokation aller Demokraten und Antifaschisten in unserer
Stadt. Zum vierten Mal wurden ganze Stadtteile zu
"demokratiefreien Zonen", in denen die Bürgerrechte der
Anwohner für einen Tag ausgesetzt wurden, damit Neonazis
marschieren konnten. Zum vierten Mal erlaubte der Dortmunder
Polizeipräsident diesen faschistischen Spuk und ließ seine Polizei
den unerträglichen Aufmarsch schützen. Diesem Treiben wurde auch
dann noch kein Ende bereitet, als der braune Mob Polizisten tätlich
angriff und mehrere von ihnen verletzte.
Dagegen wollte die Polizeileitung dem Mahngang der
Antifaschist/innen in der "Aktion 65 plus", die die
Stolpersteine für die Opfer des Hitlerfaschismus am Aufmarschweg
der Neonazis vor deren Stiefeln schützen wollten, von Anfang an
beenden. Der Gang zu den Stolpersteinen und die dortigen Mahnwachen
wurden verboten.
Auch hier war Widerstand gefordert, sich diesem unsinnigen Verbot
zu widersetzen - gewiss ein kleiner Widerstand und ein kleiner Mut
im Verhältnis zum vorher berichteten. Und dennoch: dass sich 700
Menschen dem Polizeiverbot widersetzten und sich auf den Weg zu den
Stolpersteinen machten, ist ein Stück Widerständigkeit, das es so
in den letzten Jahren nicht gegeben hat. Neben der
antifaschistischen Jugend, die immer schon zivilen Ungehorsam auf
ihre Weise erprobte, ist hier ein breites Spektrum älterer
Bürgerinnen und Bürger aktiv geworden.
Diese ermutigende Erfahrung: "Man kann sich wehren",
wird die Erkenntnis fördern: "Man muss sich wehren" -
"Wo Unrecht zu Recht wird, ist Widerstand Pflicht!" Ich
denke, solchen Widerstand weiter zu entwickeln, ist nicht nur im
Kampf gegen den offen auftretenden Neofaschismus und seine Duldung
durch Politik, Polizei und Justiz geboten. Auch die in vielen
Bereichen weiter zunehmende Entdemokratisierung und Militarisierung
von Politik und Gesellschaft werden ihn noch notwendiger machen. So
zum Beispiel bei der geplanten Änderung der Verfassung, mit der der
Einsatz der Bundeswehr im Inneren möglich gemacht werden soll.
Die "Koordinationsstelle für Vielfalt, Demokratie und
Toleranz - gegen Neonazismus, Rassismus und Antisemitismus",
die im Rathaus eingerichtet ist, hat sich zur Aufgabe gemacht, die
verschiedenen antifaschistischen Kräfte in unserer Stadt zu
bündeln und so die Gegenwehr wirksamer zu machen. Sie zieht damit
die Lehre aus der Geschichte, dass nur gemeinsamer Widerstand stark
ist. Wir wünschen der Koordinierungsstelle, dass sie an diesem
Bemühen fest hält. Wir werden nach Kräften daran mitarbeiten.
Wir werden in unsere antifaschistische Arbeit verstärkt all die
großen und kleinen Gedenkstätten mit einbeziehen - so wie diese
Stele zur Erinnerung an den Widerstand in der Nordstadt, so wie die
Stolpersteine zur Erinnerung an die Opfer der Nazis in der Stadt und
alle anderen Erinnerungsorte. Bauen wir sie zu einem
"Bollwerk" gegen den Neonazismus aus!
Literatur: Stadt Dortmund, Stadtarchiv (Hrsg.): Widerstand und
Verfolgung in Dortmund 1933 - 1945, Dortmund 1981
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