04.10.08
Jedes menschliche Gefühl erstickt
Flick ging über Leichen
Johannes Bähr, Axel Drecoll, Bernhard Gotto, Kim
Christian Priemel und Harald Wixforth: “Der Flick-Konzern im
Dritten Reich”, Hrsg. durch das Institut für Zeitgeschichte
München-Berlin im Auftrag der Stiftung preußischer
Kulturbesitz. Oldenbourg Verlag, München 2008, 1.018 Seiten, 60
Abb., 20 Graf., Leinen, 64,80 €.
Als die VVN-BdA von Nordrhein-Westfalen Anfang 2008 die Aktion
„Spurensuche ’Verbrechen der Wirtschaft 1933-1945’“
startete, um eine Publikation und eine Ausstellung über ein bisher
unbeackertes Feld der Geschichtsarbeit vorzubereiten, da schrieb sie
einen Brief an den Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers aus dem
Land an Rhein und Ruhr, das wohl die meiste Veranlassung zu einem
solchen Tun hat. Es wurden Mittel für die Spurensuche erbeten und
die Notwendigkeit einer solchen Aktion auch mit der
Bürgerinitiative „Flick-ist-kein-Vorbild“ begründet, die von
ehemaligen Schülern des Friedrich-Flick-Gymnasiums in Kreuztal/
Siegerland geschaffen werden musste, um endlich die Schule vom Namen
eines „ruchlosen Kriegsverbrechers“, so die Formulierung auf
einer erregten Bürgerversammlung, zu befreien.
Der Ministerpräsident ließ durch die Landeszentrale für
politische Bildung antworten, deren Dr. Hans Wupper-Tewes darauf
hinwies, es sei eine Unterstellung zu behaupten, „dass die
Wirtschaft bislang nichts unternommen habe, ihre Geschichte während
der NS-Zeit aufzuarbeiten“, denn „eine Reihe von Unternehmen
unterschiedlicher Größenordnung haben in den letzten 20 Jahren
selbst Studien zu Fragen, wie dem Umgang mit Zwangsarbeitern im
eigenen Unternehmen, in Auftrag gegeben.“ Dies ist unbestritten
richtig. Falsch sind aber die Warnungen der Landeszentrale vor einer
„Pauschalisierung der Fragestellung, wie sie Ihr Projekttitel nahe
legt“. Es gibt die betrieblichen Studien, von denen Wupper-Tewes
spricht, aber sie können nicht darüber hinwegtäuschen, dass „die
Wirtschaft“ eben nichts zustande gebracht hat, was etwa den
Bemühungen der Berufsgruppen von den Ärzten bis zu den Juristen
ähneln würde. Ganz abgesehen von der Geschichtsschreibung der
kleinen Leute aus den sechziger Jahren, da die VVN-BdA die
Geschichte des Widerstands, auch des Arbeiterwiderstandes für die
BRD schrieb und dann erst professionelle Historiker
einstiegen.
Nun liegt wieder eine Einzelstudie vor. Zunächst galt Friedrich
Flick (geb. 1883 Kreuztal-Ernsdorf, gest. 1972 Konstanz) neben Krupp
von Bohlen und Halbach als der ökonomische Kriegsverbrecher
schlechthin, quasi der das Verbrechen der Wirtschaft in seiner
Gesamtheit verkörpernde Unternehmer. So wurde er in Nürnberg vor
Gericht gestellt – und als solcher empfing er die Solidarität
seiner Klasse, die ganz froh war, dass er pars pro toto genommen
wurde. Seine Klassenbrüder, erleichtert nicht vor Gericht gestellt
zu werden, setzten sich dann auch für ihn ein, nannten ihn einen
unschuldig Verfolgten, und er stellte schon in der Haft seine
Kontakte wieder her, um nach seiner Karriere in der Weimarer
Republik und der Nazizeit nun einen dritten Aufstieg unter Adenauer
zu organisieren.
So fühlten sich denn auch seine Erben überhaupt nicht
zuständig, als im Jahr 2000 die wichtigsten Konzerne Geld einzahlen
mussten, um einen Zwangsarbeiterentschädigungsfonds zu speisen. Es
waren nur noch diese Enkel da, und die kauften vom Blutgeld
Gemäldesammlungen und besaßen ein gewaltiges Anlagevermögen. Die
Gemälde stellten sie großzügig als Dauerleihgaben zur Verfügung,
bis der Protest gegen eine solche, auch noch vom Bundeskanzler
Gerhard Schröder geförderte Haltung zu groß wurde. Da zahlten die
Enkel noch immer nichts ein in die Stiftung „Erinnerung
Verantwortung Zukunft“, aber sie gründeten eine eigene „F. C.
Flick Stiftung gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Intoleranz“,
Sitz Potsdam, und sie rüsteten sie mit 10 Millionen Mark aus. Davon
wurde nun einiges für die Herausgabe des Buches “Der
Flick-Konzern im Dritten Reich” bereitgestellt, das in diesem Jahr
das Licht der Welt erblickte.
Es unterscheidet sich, das sei vorausgeschickt, sehr von den
übrigen Betriebs- und Konzernstudien. Jeder Anflug von Reinwaschung
des Konzerns von Schuld unterbleibt. Andere Studien waren zu einer
Zeit erschienen, da es noch ratsam war, vor allem in der
Zwangsarbeiterfrage den Eindruck zu erwecken, die Sklavenarbeit sei
dem Unternehmer sehr fremd gewesen, sie seien sogar Opfer einer
NS-Wirtschaftspolitik geworden, die ihnen Sollzahlen und damit die
„Fremdarbeiter“ aufzwang.
In dieser Studie wird nun schonungslos mit all den Mythen und
Lügen abgerechnet, die Friedrich Flick über sich in die Welt
setzen ließ. Allerdings entsteht ein Bild des Einzeltäters; auch
diese Studie stellt sich nicht in den Dienst einer Aufarbeitung der
Verbrechen der Klasse, sondern gerade Flicks ausgeprägter eiskalter
Egoismus, sein verbrecherisches Handeln auch gegen andere Konzerne
und Konkurrenten lassen ihn als Ausnahme von der Regel erscheinen.
Da ist nichts mehr von pars pro toto.
Friedrich Flick hat wie kein anderer Mythen um sich verbreitet,
bis hin zur Behauptung er sei Opfer des NS-Systems und guter Chef
der ihm zugewiesenen Zwangsarbeiter gewesen. Nun wurden neue Quellen
erschlossen. Kaum einer war 1933-45 so erfolgreich wie Flick. Dabei
war er 1932/33 pleite und beinahe vom Sockel gestürzt. Der Staat
– der untergehende von Weimar und der aufstrebende der Nazis –
rettete ihn. Als Friedrich Flick – kein Mitglied etwa der „Ruhrlade“
der großen Herren von Rhein und Ruhr – im Jahre 1932 seine
wertlos gewordenen Gelsenbergaktien, und damit seine Aktienmehrheit
an den Vereinigten Stahlwerken weit überteuert an das Reich, an die
Regierung Brüning, verkaufte und die „Ruhrlade“ darin eine
Bevorzugung Flicks durch die Regierung Brüning und ein Stück „Sozialisierung“
sah, da konnte Flick auf die Zustimmung Görings und dann auch
Hitlers verweisen, weil sonst ein deutsches Werk unter Umständen in
polnische oder französische Hände geraten wäre. Flick bekam den
Nennwert von 99 Millionen, obwohl der Börsenwert nur 24 Millionen
betrug. Flick hatte sich abgesichert, er hatte seinen Vertrauten
Otto Steinbrinck in den NSDAP-nahen Keppler-Kreis von
Nazi-freundlichen Unternehmern gesandt. Steinbrinck stand schon seit
den 20er Jahren mit Göring und den Generalen in Verbindung.
Zweifellos wollte Flick den Krieg. Er drängte „ab Frühjahr
1933 in das Rüstungsgeschäft. Er gehörte schon bald zu den
Unternehmern, die besonders resolut und hartnäckig um
Rüstungsaufträge warben,“ schreibt Johannes Bähr. Im Herbst
1933 startete Flick eine erfolgreiche „Informationskampagne“.
Sein Konzern füge sich besser in die rüstungswirtschaftlichen
Planungen als die Ruhrindustrie, gab er den neuen Herren zu
verstehen und verwies darauf, dass er Kohle- und Erzbergbau und
Stahlproduktion betreibe, nicht auf Rohstoffimporte angewiesen sei.
Ab 1933 stieg die Zahl der Beschäftigten. Und des Profits: Von 1933
225 Mio auf 1 Mrd. Reichsmark.
Flicks Arisierungspolitik gehörte neben der Kriegstreiberei zu
weiteren großen Verbrechenskomplexen, die Ausbeutung von
Zwangsarbeitern und die Ausplünderung besetzter Gebiete sollten
folgen. Für die Arisierung der Petschek-Konzerne lässt er ein
Gesetz entwerfen, das dann von Göring am 3. Dezember 1938 in der
Verordnung über den Einsatz jüdischen Vermögens befolgt wird.
Flick hatte argumentiert: Der Ignaz-Petschek-Konzern dürfe nur
solchen Unternehmen zufallen, „deren Interesse aus
nationalsozialistischen Gesichtspunkten zu begründen ist.“ Aus
dieser Formulierung machte Flick später einen NS-Auftrag an ihn,
dem er sich nicht entziehen konnte; er habe unter Druck gehandelt,
wäre so etwas wie ein NS-Opfer. Jedoch: “Von den Arisierungen,“
so Axel Drecoll, „profitierte der Konzern quantitativ wie kein
anderes privates Unternehmen.“
Zu den Mythen um Flick gehört die Behauptung von seinem
unternehmerischen Geschick. CDU-Kreise in Südwestfalen halten an
der Gymnasiumsbenennung fest, weil doch Friedrich Flick so ein
vorbildlicher heimatverbundener Unternehmer war. Doch das bis zu
80-prozentige Wachstum seines Konzerns in der NS-Zeit war nicht
durch unternehmerisches Geschick erreicht worden, sondern durch
staatliche Wirtschaftspolitik der Nazis ermöglicht. Das Wachstum
übertraf bei weitem das vieler Konkurrenten. Seine Entscheidung,
unter dem brutalen deutschen Besatzungsregime in Lothringen eine
Firma zu leiten, schreibt Johannes Bähr, machte ihn „zum
Komplizen dieser Politik“
Allerdings gab es auch konzerninterne Instrumente, die nur Flick
besaß und seinen „Erfolg“ mit begründeten: Da war Flicks
dezentrale und zentrale Macht sein Holdingprinzip. Er musste auf
keine Aktionäre Rücksicht nehmen. Er war „autark“. Zur
Montanindustrie des Flick kam der Ausbau des Maschinenbaus - und der
Rüstungsproduktion. Vor allem: Flick herrschte über alles selbst
– wie Krupp. Er hatte ein System der Informationsbeschaffung und
Informationsverbreitung aufgebaut wie kein zweiter. So schrieb er
indirekt mit am Vierjahresplan 1936. Hatte beste Kontakte zu
Göring, er hat ihn bestochen.
Harald Wixforth wies die Flick-Freunde in einem Streitgespräch
in Kreuztal zurück: Der Nationalsozialismus bot gute
Rahmenbedingungen für Flick, – er war nicht einfach „tüchtig“
und „erfolgreich“, sondern er war erfolgreich in der Diktatur
und wegen der Diktatur.
Wixforth wies auf einen wenig erforschten Teil der Geschichte
hin, den er den NS-Antikapitalismus nannte. Die staatlichen
Reichswerke Hermann Göring, erwiesen sich als Gegenspieler der
Ruhrindustrie – und dann auch Flicks. Im Krieg ging Flick
bisweilen leer aus; anders die Banken und die Chemie – sie
profitieren extrem im Osten, wenngleich auch Flick in der Ukraine
auf Erfolge verweisen konnte. Im Westen klappte es besser, so in
Lothringen.
Zeitweilig waren 50 Prozent der bei Flick Beschäftigten
Zwangsarbeiter. In einzelnen Flick- Betrieben lag der Anteil der
Zwangsarbeiter bei bis zu 85 Prozent. Die neue Studie belegt bisher
nicht Gekanntes zu den Arbeits- und Lebensbedingungen der „Fremdarbeiter“.
Sie waren am schlechtesten bei Flick. So geht es jedenfalls aus den
Aussagen einzelner Autoren und Kapitel des Buches, weniger aus dem
kollektiven „Fazit“ der Autoren (ab Seite 721) hervor. Wixforth:
„Flick hat seine 65.000 Zwangsarbeiter so schlecht behandelt wie
kein anderer deutscher Unternehmer und überzog dabei sogar in den
Augen des Regimes: Er war bereit, über Leichen zu gehen. Das
Streben nach Profit, ließ bei ihm jegliches menschliches Mitgefühl
im Keim ersticken.“ Im Nürnberger Prozess sagte Flick aus, er
habe von allem nichts gewusst. Das ist eine Legendenbildung. Sein
Konzern war zu straff geführt, er wusste alles.
Zum Beispiel die Selbstmorde durch verzweifelte Zwangsarbeiter in
Flicks Betrieben. Dazu finden sich im Buch Fotos – gefunden in
Konzernunterlagen. Es gab für die Zwangsarbeiter weniger Kalorien
als bei der Konkurrenz. Warum? Es galt Kosten zu senken. So war das
Flick- System schlimmer als die Sklaverei, denn der Sklave wird
nicht zerstört durch die Arbeit, er ist wichtig für die
Produktion. Doch Flick ließ die Menschen zerstören. Er hätte auch
anders handeln können, er hatte Freiräume, wie andere Konzerne
auch. Er wollte sie nicht nutzen. Das Resultat in dem
Streitgespräch: Er kann kein Vorbild sein in der heutigen
Gesellschaft.
Nach dem Krieg blieben Flick nur 25 Prozent des Konzerns, weil er
im Osten enteignet wurde. Daraus erwuchs sein Mitleidsmythos. Im
Westen blieb er von Entflechtungen verschont. Der bayerische Staat
zahlte gar 20 Millionen Euro quasi als Entschädigung.
Weit vor Ende der Haftzeit, zu der er verurteilt wurde, kam Flick
aus dem Gefängnis Landsberg frei. Wixforth: „Viele weitere
Industrielle hätten eingesperrt werden müssen. Sie waren ganz
froh, dass Flick quasi als Symbol der Industrie galt. Es hagelte
Solidarität.“ Die „Ungerechtigkeit“, dass Flick eingesperrt
wurde, andere nicht, sie wurde nicht dadurch gelöst, dass weitere
eingesperrt wurden, sondern dadurch, dass Flick eher entlassen
wurde. Wixforth erinnert an Josef Neckermann, diese Lichtgestalt des
Wirtschaftswunders und der Olympischen Bewegung. Es war ein
Verbrecher, der mit den Kleidungsstücken der Juden von Auschwitz
seinen ersten schwunghaften Handel betrieb.
Fazit: „Der Flick-Konzern im Dritten Reich“ legt detailreich
strategisch-ökonomische Entscheidungen, Lobbymethoden gegenüber
der NS-Politik und interne Entscheidungsstrukturen der Flick KG dar.
Kein Unternehmer hat die Wirtschaftspolitik der Nationalsozialisten
so produktiv genutzt wie Friedrich Flick. In den zwölf Jahren der
NS-Diktatur verzehnfachte er die Zahl der Beschäftigten und baute
seinen Konzern zum zweitgrößten privatwirtschaftlichen
Stahlerzeuger des Deutschen Reiches aus. Oft wird gesagt: Ein
Nationalsozialist war Flick nicht, er trat erst 1937 in Hitlers
Partei ein. Ist das wichtig? Wichtig ist: Er suchte und gewann 1933
die Gunst der neuen Machthaber und profitierte in großem Ausmaß
von „Arisierungen“, Zwangsarbeit und dem immensen Bedarf an
Rüstungsgütern. Dafür wurden die Führungskräfte des Konzerns
vor dem Internationalen Militärtribunal in Nürnberg zur
Verantwortung gezogen, der Konzernchef Flick als Kriegsverbrecher
verurteilt. Doch trotzdem konnte er nach 1945 seinen dritten
Aufstieg realisieren und seine Verbrechen verschleiern.
Der Erfolgsgeschichte Flick und Weimar sowie Flick und die Nazis
wurde jene nach Gründung der Bundesrepublik hinzugefügt. Die aber
müsste in einem anderen Buch geschildert werden. Und auch die der
deutschen Industrie und der Verschleierung ihrer Verbrechen im
Ditten Reich. Eine neue Rüstungsbranche wurde gebraucht, die alten
Besitz- und Machtverhältnisse wurden wieder hergestellt
(DGB-Programmaussage). Da konnte die Geschichte des Mordmanagement
und der Mordsprofite nur stören.
Ulrich Sander
Vorabdruck aus marxistische
blätter
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