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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

22.09.08

So einfach haben es Kriegsverbrecher unbestraft davon zu kommen

Die Verurteilten verneinten die Frage nach der Bereitschaft zur Strafverbüßung

Von Ulrich Sander

Seit sieben Jahren verlangen antifaschistische Recherchegruppen wie die VVN-BdA, die Gruppe "Angreifbare Traditionspflege" und der Arbeitskreis Distomo die Bestrafung der Kriegsverbrecher aus der Wehrmachts-Gebirgstruppe und die Entschädigung ihrer Opfer. Es wurden nahezu 200 Personen bei den Justiz-Zentralstellen für NS-Massenverbrechen angezeigt. Nun in einem Fall wurde jetzt in München das Hauptverfahren vor dem Münchner Landgericht eröffnet.

Verurteilt wurden hingegen in Italien in den Jahren von 2004 bis 2006 Dutzende Kriegsverbrecher aus der Gebirgstruppe. Dazu führte die VVN-BdA einen Briefwechsel mit den Justizministern der Bundesländer und verwies auf einige - nicht alle - Fälle. Ihre Forderung, die Verurteilten nach Italien zur Strafverbüßung auszuliefern oder diese Strafverbüßung in Deutschland durchzuführen, wurde generell ablehnend beschieden. Zögerlich arbeitet die baden-württembergische Justiz weiterhin an den deutschen Verfahren gegen die in La Spezia 2006 wegen des Massakers in St. Anna di Stazzema zu lebenslanger Haft Verurteilten.

Das sind u.a. lt. Briefwechsel der VVN-BdA mit den deutschen Landesjustizministern u.a. folgende Personen:

Werner Bruss
Unteroffizier, Jg. 1920
(Wohnort unklar, [gerüchteweise wohnhaft bei Hamburg])

Dazu schrieb das Justizministerium Schleswig-Holstein am 11. März 2008 an die VVN-BdA - und dieser Brief soll im Wortlaut veröffentlicht werden, weil er den ganzen Unernst des Umgangs mit den Verbrechen und den Verbrechern ausweist; man fragte den Verurteilten, ob in Haft gehen wolle, und der sagte: Nein. - Na so was!

"Die Verurteilung des Werner Bruss durch das Militärgericht La Spezia betreffend, kann ich Ihnen folgendes mitteilen: Die Republik Italien hat unter Übersendung eines Europäischen Haftbefehls am 15. März 2007 um Auslieferung des Verurteilten gebeten. Er sei durch Urteil des oben genannten Gerichts vom 22. Juni 2005 zu einer Freiheitsstrafe von 30 Jahren verurteilt worden. Die Auslieferung eines deutschen Staatsangehörigen zum Zwecke der Strafvollstreckung ist gemäß § 80 Abs. 3 IRG nur zulässig, wenn der Verfolgte nach Belehrung zu richterlichem Protokoll zustimmt. Werner Bruss hat anlässlich seiner richterlichen Anhörung diese Zustimmung nicht erteilt. Dem entsprechend hat der Generalstaatsanwalt in Schleswig die Auslieferung nicht bewilligt. Ein Ersuchen der italienischen Behörden um Übernahme der Strafvollstreckung liegt hier bislang noch nicht vor. Ob eine Übernahme hinsichtlich eines in Abwesenheit ergangenen Urteils überhaupt möglich ist, müsste ggf. später geprüft werden."

Alfred Mathias Concina, (meist ohne ‚Mathias')
Unterscharführer, Jg. 1919
(wohnt laut ital. Presse in Rechenberg-Bienenmühle)

Dazu das Sächsische Staatsministerium für Justiz: Alfred Concina sei wegen des Massakers in St. Anna di Stazzema verurteilt worden, dazu sei auch aus Italien ein Ersuchen zur Auslieferung zwecks Strafvollstreckung an Sachsen ergangen. Alfred Concina habe aber in einer richterlichen Vernehmung der Auslieferung nicht zugestimmt, so dass die Generalstaatsanwaltschaft Dresden der Auslieferung nicht zustimmte. Eine Vollstreckungsübernahme durch Deutschland sei von Italien nicht beantragt worden. "Die Frage, ob eine Vollstreckungsübernahme im Hinblick auf das in Abwesenheit des Verurteilten ergangene Urteil rechtlich möglich wäre, kann deshalb vorläufig dahinstehen."

Ludwig Göring, (teilweise als `Goring' benannt)
SS-Rottenführer, Jg. 1923
wohnt in Baden-Württemberg, zwischen Pforzheim und Karlsruhe (dt. Presse)

Karl Gropler,
SS-Unterscharführer, Jg. 1923, Wollin/Brandenburg

Dazu schrieb das Justizministerium des Landes Brandenburg am 15.11.07: Gegen Karl Gropler wird ein Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart geführt. Die Ermittlungen seien noch nicht abgeschlossen. Ein Ersuchen, Gropler nach Italien zu überführen liege von der Italienische Justiz nicht vor.

Georg Rauch,
Unterleutnant, Jg. 1921
(Wohnort unklar)

Horst Richter,
Unterscharführer, Jg. 1921, Krefeld

Heinrich Schendel,
Unteroffizier, Jg. 1922
Wohnt an der Vogelbergstraße/Ecke Bachweg (B275) in Lißberg , einem Ortsteil von Ortenberg in der Wetterau/Hessen.

Gerhard Sommer, (bisweilen auch als `Gerard' benannt)
SS-Untersturmführer, Jg. 1921
wohnt in Hamburg-Volksdorf, Seniorenwohnheim der Cura AG, Lerchenberg 4

Alfred Schöneberg, (teilweise auch als `Schoneberg' bzw. `Schönenberg' benannt)
SS-Unterscharführer, Jg. 1921
wohnte in Düsseldorf, inzwischen verstorben

Ludwig Heinrich Sonntag, (auch als `Heinz Ludwig Sonntag' benannt, oder ohne `Heinrich'),
SS-Unterscharführer, Jg. 1924
Dortmund, inzwischen verstorben

Zu allen in Italien wegen des Massakers von Sant'Anna di Stazzema Verurteilten schreibt das Justizministerium Baden-Württemberg: Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittle. Für eine Anklageerhebung reiche die Beweislage bislang bei keinem beschuldigten aus. Ein Verbrechen des Totschlages wäre in Deutschland verjährt. Jedem Beschuldigten müsse "über seine konkrete Beteiligung an der Tat hinaus auch ein Mordmerkmal nachgewiesen werden". Allein die Zugehörigkeit einer Person zu den am Tatort eingesetzten Einheiten könne den individuellen Schuldnachweis nicht ersetzen. "Nach deutschem Recht muss in bezug auf jeden einzelnen Beschuldigten festgestellt und belegt werden, dass und in welcher Form er bei dem Massaker beteiligt war und dass er persönlich objektiv wie subjektiv, entweder grausam oder mit niedrigen Beweggründen gehandelt hat." Solange dies nicht feststeht, könne die Staatsanwaltschaft nicht anklagen; "andernfalls würde sie elementare Grundsätze eines rechtsstaatlichen Verfahrens verletzten, auf das jeder beschuldigte Anspruch hat." Ersuchen um Vollstreckungsübernahme wurde von den italienischen Behörden nicht gestellt.

Dazu sei diese Bemerkung gestattet: Diese Milde, die aus diesen Worten spricht, wird offenbar nur gegen Naziverbrecher angewendet. Die Täter aus der "Roten Armee Fraktion" wurden wegen Mordes verurteilt, obwohl nicht nachweisbar war, ob sie überhaupt am Tatort waren, ob sie an der Tat beteiligt waren oder ob ein Mordmerkmal nachgewiesen war.

Wegen Massakers in Falzano di Cortona wurden in Italien zu lebenslänglich verurteilt:

Herbert Stommel 
(Wohnort unbekannt) 
Inzwischen verhandlungsunfähig.

Josef Scheungraber
Ottobrunn 
(gegen ihn wird ab 15. 9. 08 auch vor einem Münchner Gericht verhandelt)

Dazu das Bayerische Justizministerium: Eine Auslieferung Scheungrabers sei "ohne Ersuchen" nicht möglich. Auch sei die "Rechtskraft des italienischen Urteils" nicht gegeben.

Daraus wurde nur in diesem einzelnen Fall bisher der Schluss gezogen, nunmehr endlich in Deutschland dem mutmaßlichen Täter vor Gericht zu stellen. Die Verhandlungen begannen am 15. September 2008 in München vor dem Landesgericht. Ein gewisser Erfolg der Bemühungen der VVN-BdA und anderer antifaschistischer Gruppen, vor allem "Angreifbare Traditionspflege".

Wegen Massakers in Branzolino-San Tome (bei Forli) zu lebenslänglich verurteilt: 

Heinrich Nordhorn 
(wohnte in Greven, mittlerweile unbekannt verzogen)

Dazu Oberstaatsanwalt Ulrich Maaß, Leiter der Zentralstelle im Lande Nordrhein-Westfalen für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen bei der Staatsanwaltschaft Dortmund): "Ein Ermittlungsverfahren gegen Heinrich Nordhorn wird hier unter dem Aktenzeichen 45 Js 5/04 geführt."

Wegen Massenmord an ca. 5000 unbewaffnete italienischen Kriegsgefangenen auf der Insel Kefalonia nicht verurteilt: (weil in Italien dazu kein Verfahren stattfand und weil die bayerische Justiz die Verfahren einstellte):

Otmar Mühlhauser aus Dillingen, ferner weitere Personen aus dem Kreis der 196 von der VVN-BdA und Angreifbarer Traditionspflege bei den Staatsanwaltschaften angezeigten mutmaßlichen Täter.

Dazu das Bayerische Justizministerium: Es könne im Falle Mühlhauser nicht auf eine Tat aus "niedrigen Beweggründen" geschlossen werden. Seine Handlungsweise sei "objektiv menschenverachtend" gewesen; es sei jedoch seine Auffassung zu beachten, "dass er einen ihm erteilten Befehl unter allen Umständen zu befolgen hatte"

Zu Otmar Mühlhauser noch dies: Im Juli 2005 wurde das Verfahren gegen den ehemaligen Gebirgsjägeroffizier Otmar Mühlhauser wegen Beteiligung an der Ermordung von ca. 5000 italienischen Kriegsgefangenen auf der griechischen Insel Kefalonia durch die Staatsanwaltschaft München mit skandalöser Begründung eingestellt. In der Begründung der Verfahrenseinstellung wurde u.a. argumentiert, es habe sich in der Sicht der Täter bei den Kriegsgefangenen um "Verräter" gehandelt, weswegen das Verbrechen "nach sittlicher Wertung nicht auf tiefster Stufe" anzusiedeln und somit verjährt sei. Der Einstellungsbeschluss und insbesondere die Begründung sorgte für Empörung in Italien und wurde in Deutschland nur in Expertenkreisen beachtet.

Das Münchner Oberlandesgericht (OLG) hat dann im Oktober 2007 eine Anklage-Erhebung wegen eines Kriegsmassakers an italienischen Soldaten im Jahr 1943 auf der griechischen Insel Kefalonia endgültig abgelehnt. Gerichtssprecherin Margarete Nötzel bestätigte lt. Agenturberichten einen entsprechenden Bericht der "Süddeutschen Zeitung". Die Tochter eines getöteten italienischen Hauptmannes hatte ein sogenanntes Klageerzwingungsverfahren gegen ein ehemaliges Mitglied der Gebirgsjäger angestrebt. Er soll das Hinrichtungskommando zusammengestellt und geleitet haben. Das Gericht: Es könne nicht nachgewiesen werden, dass der 86-Jährige an der Erschießung des Italieners beteiligt war. Begründung. Das Gericht teilte damit die Position der Staatsanwaltschaft München, die schon im Juli 2006 ein Ermittlungsverfahren gegen den ehemaligen Leutnant der Gebirgsjäger-Einheit eingestellt hatte. Oberstaatsanwalt August Stern sah damals nur wegen Totschlags einen hinreichenden Tatverdacht als gegeben an, und dieser sei verjährt. Für Mord fehle es an niedrigen Beweggründen. Mit der Ablehnung seien nun alle Rechtmittel ausgeschöpft, bestätigte Nötzel. Den Gebirgsjäger-Einheiten wird vorgeworfen, am 24. September 1943 auf Kefalonia mehr als 5000 italienische Soldaten erschossen zu haben, die sich bereits ergeben hatten.

Besonders empört ist man in Italien darüber, wie mit dem Andenken an die Ermordeten von Kefalonia in Deutschland umgegangen wird: "Die Münchner Staatsanwaltschaft betrachtet sie immer noch als Verräter, ehemalige Verbündete des Dritten Reiches, die sich in feindliche Kombattanten verwandelt hatten und daher den Schutz nicht verdient hatten, der Kriegsgefangenen zusteht" ("Corriere della Sera").

In der Einstellungsverfügung der Dortmunder Staatsanwaltschaft (Oberstaatsanwalt Maaß) zu dem gesamten Komplex Kefalonia (es waren ursprünglich Ermittlungen gegen Hunderte Gebirgsjäger betrieben worden) findet sich auf Seite 38 eine schon fast unverhohlene Kritik am Münchener Verfahren, bezüglich des Mordmerkmals der Grausamkeit, das dort nicht geprüft worden sei:

"Das zunächst unter dem Aktenzeichen 320 Js 35538/04 StA München l geführte Ermittlungsverfahren hat sich durch den Tod des Johann Dehm am 10.03.2005 erledigt. Der gegen Leutnant Mühlhauser eingeleitete Vorgang 115 Js 11161/06 StA München l ist am 27.07.2006 eingestellt worden. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt worden, dass die Erschießung der italienischen Offiziere rechtswidrig und schuldhaft vom Beschuldigten begangen worden sei, jedoch keine Mordmerkmale vorlägen. Die Annahme von politischen Beweggründen als niedrig sei beim Beschuldigten nicht gegeben. Es sei vielmehr allein um militärische Belange gegangen, die zur Erschießung der italienischen Offiziere geführt hätten. Die als Totschlag zu bewertende Tat sei hingegen verjährt. Das Mordmerkmal der Grausamkeit ist nicht geprüft worden."

So versandete das Verfahren im Falle des wohl "größten Kriegsverbrechens" (lt. Staatsanwaltschaft Dortmund) der Wehrmacht.