Logo VVN/BdA NRW

Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

27.08.08

75. Todestag von August Lütgens, Walter Möller, Bruno Tesch, Karl Wolff

Gedenkveranstaltung anlässlich des 75. Jahrestages der Ermordung der Opfer des Altonaer Blutsonntags

In gemeinsamer Trägerschaft der VVN-BdA Hamburg, des DGB, des Stadtteilarchivs Ottensen, des Vereins gegen das Vergessen - Für Demokratie fand am 01. August 2008 anlässlich des 75. Jahrestages der Ermordung von August Lütjens, Karl Wolff, Walter Möller und Bruno Tesch am 1. August 1933 eine Gedenkveranstaltung auf dem Gelände hinter dem Altonaer Amtsgericht statt. Die vier Opfer des Prozesses um den Altonaer Blutsonntag waren genau dort als erste Opfer der NS-Justiz mit dem Handbeil ermordet worden. Vor einigen Jahren wurde an dieser Stätte, nachdem der Ort der Hinrichtung zweifelsfrei nachvollzogen werden konnte, eine Gedenksteele errichtet. Die Veranstaltung wurde eingeleitet und moderiert von Detlef Baade, Verein "Gegen das Vergessen - Für Demokratie". Er ist Sohn des verstorbenen VVN-BdA-Landesvorsitzenden Herbert Baade. Weitere RednerInnen waren Cornelia Kerth, Landesprecherin der VVN-BdA, Erhard Pumm, Landesvorsitzender des DGB, und Karsten Albers, stellvertr. Leiter des Bezirksamtes Altona. Im Laufe der Veranstaltung trug Rolf Becker den Abschiedsbrief von Bruno Tesch an seine Mutter vor, der zum Zeitpunkt seiner Hinrichtung 20 Jahre alt war; außerdem las Rolf Becker einen Text von Bert Brecht, auf seine eigene, unnachahmliche Art durch Anmerkungen mit Gegenwartsbezug kommentiert. Die Veranstaltung, an der über 100 Menschen aller Altersgruppen teilnahmen, wurde mit Klezmer-Musik der Gruppe Two Troubadoura beeindruckend abgerundet.

Hier der Wortlaut der Rede von Cornelia Kerth, Bundesvorsitzende der VVN-BdA, Landessprecherin der VVN-BdA Hamburg 

75. Todestag von August Lütgens, Walter Möller, Bruno Tesch, Karl Wolff

Zunächst möchte ich meinen Dank an den ehemaligen und aktuellen Direktor des AG Altona, Herrn Cassel und Herrn Dr. Christensen, richten, die ebenso wie die Bezirksversammlung und die Bezirksamtsleitung Altona dazu beigetragen haben, dass die Erinnerung an den Altonaer Blutsonntag und – vor allem – an die ersten Todesopfer der Nazi-Justiz zu einem festen Bestandteil der Gedenkkultur in Altona und in Hamburg geworden sind.

Dabei geht es natürlich zuerst um die Menschen, die hier vor 75 Jahren ermordet wurden: den erst 20-jährigen Bruno Tesch, den roten Matrosen August Lütgens, Walter Möller und Karl Wolff. Menschen, die liebten, hofften und kämpften – nicht nur ums eigene Überleben, sondern für eine andere Welt, in der die die Güter dieser Welt jedem Volk und jedem Menschen ein menschenwürdiges Leben ermöglichen, wie es in einer späteren Formulierung der Weißen Rose ausgedrückt wird.

Mit diesem Ziel ist der größtmögliche Gegensatz zum Faschismus formuliert, der schon das Recht auf das nackte Überleben an vermeintliche Rasse-, Bluts- und Volksgemeinschaftszugehörigkeit bindet. Es ist dieser elementare Gegensatz, der den faschistischen Verbrechen zu Grunde liegt, der die faschistische Ideologie notwendig zu einer verbrecherischen macht, die nicht als „freie Meinung“ durchgehen und geschützt werden darf.

Wenn wir Jahr für Jahr an den Altonaer Blutsonntag und die ersten Blutopfer der Nazi-Justiz erinnern, erinnern wir auch daran, dass es damals so falsch war wie heute, zu glauben, es sei ein probates Mittel der Umgangs mit Faschisten, so zu tun, als nähme man sie nicht zur Kenntnis.

7.000 Nazis, viele davon uniformierte SA-Männer, aus Schleswig-Holstein und Hamburg demonstrierten am 17. Juli 1932 durch das rote Altona. Vergeblich hatten Aktivisten der Antifaschisten Aktion – darunter Herbert Baade, Detlefs Vater – im Vorfeld versucht, Altonas Polizeipräsidenten, den SPD-Reichstagsabgeordneten Eggerstedt zum Verbot des Aufmarschs zu bewegen. Eggerstedt rief die Bewohner Altonas auf, die Stadt zu verlassen und ging mit „gutem Beispiel“ voran. Er selbst wurde noch im Jahr 1933 zu einem der frühen Opfer des Nazi-Terrors, erschlagen im Lager Esterwegen.

Bereits am Wochenende zuvor hatten NSDAP-Anhänger zwei Kommunisten und zwei Sozialdemokraten umgebracht. Es kam wie befürchtet: Schüsse fallen, zwei SA-Männer werden tödlich getroffen. Die Polizei beginnt auf angebliche Heckenschützen zu schießen, tatsächlich auf die Menschen in den umliegenden Häusern. Am Ende des Tages sind 16 unbeteiligte Anwohner tot. Es war der Altonaer Blutsonntag.

Bis heute ist letzten Endes ungeklärt, wer die ersten Schüsse abgegeben hat.

Politisch genutzt hat das Massaker auf jeden Fall den Faschisten: Mit dem „Preußenschlag“ wurde nur 3 Tage später die letzte sozialdemokratisch geführte Regierung im Reich durch Reichskanzler von Papen abgesetzt, das Ende der Weimarer Republik war eingeläutet. Am 14. Juli hatte Hindenburg eine entsprechende Notverordnung unterzeichnet, der Blutsonntag lieferte den Vorwand. Am 31. Juli 1932 erzielte die NSDAP bei den Reichstagswahlen das beste Wahlergebnis ihrer Geschichte.

Für die politisch Verantwortlichen in Schleswig hingegen stand schon am selben Abend fest: Kommunisten waren es. Aus Fenstern und von Dächern hätten sie geschossen, die Polizei habe sich mit ihrer wilden Schießerei nur verteidigt. Augenzeugen hatten weder an Fenstern noch auf Dächern Schützen gesehen. In den Wohnungen der Toten fanden sich keine Waffen.

Schon unmittelbar nach den Ereignissen macht sich die Justiz – 1932, die Justiz der Weimarer Republik – die Version des schleswig-holsteinischen Regierungspräsidenten Abegg zu Eigen, der von einem „kommunistischen Feuerüberfall“ sprach. Bereits in diesen ersten Untersuchungen wird das „kommunistische Komplott“ um eine August Lütgens untergeschobene Bleistiftskizze konstruiert, werden Lügen und Falschinformationen als Aussagen zur Akte genommen. Lütgens, Möller, Tesch und Wolff werden schon im Herbst 1932 vorübergehend in Untersuchungshaft genommen, allerdings wird das Verfahren später eingestellt.

Gleich nach der Übertragung der Macht an die Faschisten wird der Faden wieder aufgenommen und am 2. Juni 1933 werden August Lütgens, Walter Möller, Karl Wolff und Bruno Tesch vom Sondergericht Altona zum Tode verurteilt, 6 weitere Angeklagte werden zu langen Haftstrafen verurteilt, drei Freigesprochene direkt in ein Konzentrationslager verschleppt. Es folgen 6 weitere Prozesse mit weit mehr als 100 Angeklagten, von denen viele zu langjährigen Haftstrafen verurteilt werden.

Keinem der Verurteilten war eine Täterschaft nachzuweisen. Alle wurden als Beteiligte an dem „kommunistischen Komplott“ verurteilt, das auf Grundlage gefälschter Beweise und gekaufter Zeugenaussagen konstruiert worden war. Die ersten Beweisfälschungen geschahen noch in Verantwortung der Staatsanwaltschaft der Weimarer Republik. Die Ergebnisse der „Voruntersuchung“ vom Herbst 1932 waren die Grundlage der Todesurteile gegen die Hauptangeklagten.

Am 1. August 1933 wurden August Lütgens, Walter Möller, Karl Wolff und Bruno Tesch auf dem „Weiberhof“ des Gefängnisses Altona mit dem Handbeil ermordet. Es war die erste Hinrichtung von politischen Gegnern des Naziregimes. Allein in Hamburg sollten mehr als 200 folgen.

Leider galt für die Justiz in der Zeit nach 1945 in weiten Teilen der Leitsatz, den der vormalige Blutrichter und spätere Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Filbinger, als Rechtfertigung seines verbrecherischen Tuns dem Publikum kund tat: Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein. In 14 Fällen lehnen Hamburger Gerichte die Wiederaufnahme der Verfahren zum Altonaer Blutsonntag ab.

Immer wieder nahmen Hinterbliebene und die Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes den juristischen Kampf auf. Wie in Sachen Fiete Schulze, an den heute endlich und wenigstens ein Stolperstein in Billstedt erinnert, und in vielen anderen Fällen.

Erst die akribischen und Zeit raubenden Studien des pensionierten Lehrers und juristischen Laien Léon Schirmann führten schließlich zum Erfolg: Am 13. November 1992 wurde das Urteil gegen Lütgens, Möller, Wolff, Tesch und ihre Mitangklagten aufgehoben. Am 21. Juni 1996 und am 29. Juni 1998 wurden die Urteile des zweiten und dritten Prozesses aufgehoben.

Die Urteile der drei späteren Prozesse sind bis heute nicht aufgehoben, Urteile der Sondergerichte fallen nicht unter das Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile. Diese Opfer der Nazi-Justiz sind bis heute nicht rehabiliert.

Stellvertretend für sie alle erinnere ich hier an unseren vor wenigen Jahren verstorbenen Kameraden Walter Bennies, der mit 17 Jahren in das Bremer Zuchthaus Oslebshausen eingesperrt wurde und erst von den Engländern befreit wurde – nachdem die Häftlinge noch mehrere Wochen nach deren Eintreffen wegen „Seuchengefahr“ schmachten mussten. Walter war nicht gebrochen, aber schwer gezeichnet und besonders hat ihn bedrückt, dass er nach wie vor als „Krimineller“ behandelt und – natürlich – auch von jeder Entschädigung ausgeschlossen war.

Ich kann an dieser Stelle nicht umhin, auch daran zu erinnern, dass im Gedenkjahr 2008, 75 Jahre nach dem Beginn der faschistischen Terrorherrschaft in Deutschland und später in ganz Europa, die Menschen, die hier mit Abstand den gewaltigsten Blutzoll im Kampf gegen diese Tyrannei bezahlt haben, die deutschen Kommunisten, nach wie vor von Entschädigung ausgeschlossen sind, wenn sie ihrer Überzeugung auch nach dem KPD-Verbot in der Bundesrepublik Deutschland treu geblieben waren. So hat es der Bundestag am 8. Mai diesen Jahres bestätigt.

Damit befindet sich die Bundesrepublik Deutschland noch immer weit entfernt von europäischer Normalität, wenn es um die Anerkennung des Beitrags geht, den die deutschen Kommunisten am Widerstand gegen und die Befreiung vom Faschismus geleistet haben.

Noch leben die letzten Opfer und Täter des NS-Regimes, da marschieren sie schon wieder aufs Neue durch unsere Straßen und stellen sich ungeniert in die mörderische Tradition. Am 16. Juli 2003 organisierte das „Aktionsbüro Nord“, damals organisierendes Zentrum der „freien Kameradschaften“ um die bekannten Nazi-Führer Worch und Wulff, ein Gedenken an die „in Hamburg während der Kampfzeit ermordeten Nationalsozialisten“ auf dem Altonaer Friedhof und stellte anschließend entsprechende Fotodokumente ins Netz.

Das darf eigentlich gar nicht möglich sein. So wollten es die Alliierten in Potsdam und so schrieben die „Väter und Mütter“ des Grundgesetzes es auch in Artikel 139 – so wie eigentlich das ganze Grundgesetz einst als Gegenentwurf zum faschistischen Staatsverständnis gedacht war ...

In diesem Sinne: Erinnerung tut not.

  • Wir erinnern an die ersten Blutopfer der Nazi-Justiz
    August Lütgens – Walter Möller – Karl Wolff – Bruno Tesch.
  • Wir erinnern an den langen Kampf der Hinterbliebenen und der überlebenden Mitverurteilten um ihre Rehabilitierung.
  • Wir erinnern an die noch nicht rehabilitierten Verurteilten der späteren Prozesse und fordern die Generalaufhebung auch der Urteile der NS-Sondergerichte.
  • Wir lenken den Blick auf eine Justiz, die sich schon am Ende der Weimarer Republik als willfähriger Handlanger bei der Aburteilung von Kommunisten und Sozialisten betätigte, während der Nazi-Herrschaft für die legale Ermordung Tausender verantwortlich war und bis heute nur zögerlich die Opfer der NS-Justiz rehabilitiert.
  • Wir fordern das Verbot der NPD – damit nie wieder geschehe, was einst geschah.

Cornelia Kerth