04.07.08
Bundeswehr greift in die Kommunalpolitik ein
Dortmunder Krisenzentrum vereint
Polizei und Militär
Von Ulrich Sander
Ohne viel Aufhebens zu machen, erobert die Bundeswehr Positionen
in Rathäusern und Landratsämtern. Die letzten
Verteidigungsbezirkskommandos der Bundeswehr aus der Zeit der
Blockkonfrontation sind in Nordrhein-Westfalen in den letzten
Monaten aufgelöst worden. Im Ernstfall sollten sie helfen, die
Reserven zu mobilisieren und den Objektschutz und den Luftschutz zu
gewährleisten. An ihre Stelle sind die Bezirks- und
Kreisverbindungskommandos in den Städten und Landkreisen getreten -
der Begriff Verteidigung taucht nicht mehr auf. Oberst Ralf
Kneflowski, Kommandeur des Landeskommandos Nordrhein-Westfalen aus
Düsseldorf, konnte den Leitern der BVK und KVK die Urkunden als
Chefs der Zivilmilitärischen Zusammenarbeit ZMZ überreichen.
Der Oberst vermittelte den Regierungspräsidenten, Landräten und
Oberbürgermeistern den sogenannten militärischen Service.
"Das ist die militärische Kompetenz, auf die sie sich bei
Katastrophen und besonders schweren Unglücksfällen stützen
können," bestätigte er. Die Urkunden wurden in der Regel
Oberstleutnants der Reserve, möglichst solchen, die im
öffentlichen Dienst tätig und somit innerhalb einer Stunde
abkömmlich sind, überreicht. Praktischerweise beziehen sie Büros
in Rathäusern und Landratsämtern. Die einzelnen
Verbindungskommandos bestehen aus jeweils zwölf Soldaten, die in
der Region leben und die zivilen Verwaltungen in militärischen
Fragen beratend unterstützen, wie es heißt.
Doch die Beratung ist höchst verbindlich. In den Krisenstäben
der Städte und Kreise haben die Verbindungskommandeure auf ihre
militärischen Vorgesetzen zu hören, nicht aber auf die
Bürgermeister. Und nach dem neuen Reservistengesetz vom Februar
2005 haben sie durchaus auf mehr Reservisten Zugriff als auf die
zwölf, die zum Stab des Kommandos gehören. Ganz im Unklaren
bleibt, auf welches Equipment die Kommandos zurückgreifen dürfen.
Doch beim G8-Gipfel in Heiligendamm konnte ja besichtigt werden,
welche Mittel zur Verfügung standen: Tornados, Panzer, Hubschrauber
gehörten dazu. Es wurde dort auch ein Eindruck davon vermittelt,
was unter schweren Unglücksfällen und Katastrophen auch zu
verstehen ist: Die Ausübung des Demonstrationsrechts der
Bürgerinnen und Bürger.
Bundeswehrquartier am Friedensplatz
In Dortmund ist man nun daran gegangen, ganz offen die
Infrastruktur für die militarisierte Kommunalpolitik zu schaffen.
Während in anderen Städten fragenden Abgeordneten der Opposition
im Stadtrat gesagt wird: Das alles kostet die Stadt keinen Cent,
rückte die Stadt Dortmund nun mit der Wahrheit heraus und ließ
sich 695 000 Euro für die Herrichtung eines Krisenzentrums von den
Stadtratsmitgliedern bewilligen.
In einem städtischen Gebäude - es kam heraus, dass damit das
Stadthaus am Friedensplatz (!) gemeint ist - sollen zwei Etagen für
den Krisenfall ausgerüstet werden. Dies bedeutet zum Beispiel auch
die unabhängige Versorgung mit Strom, Wasser, Heizung und
Kommunikation. Als Kommandozentrale wird ein Besprechungsraum
hergerichtet, in dem neben der Stadtspitze auch Gesundheits- und
Ordnungsamt, Feuerwehr, Polizei- und Bundeswehrkommandeure Platz
nehmen werden. Außerdem wird es einen "Inneren Dienst"
geben, der für Informationsfluss, Verpflegung und
Betriebsbereitschaft zuständig ist.
Noch in diesem Monat sollen die Arbeiten abgeschlossen werden.
Der Rat wurde erst gefragt, als die Arbeiten fast beendet waren.
Kritik daran wurde nur von der Fraktion "Die Linken im
Rat" laut: Sie findet diese Vorgehensweise skandalös und
beantragte erfolgreich, den Punkt im öffentlichen Teil der letzten
Ratssitzung vor den Sommerferien zu behandeln. "Hier soll eine
Notstandszentrale entstehen, ohne dass den Bürgern erklärt wird,
für welche Krisen und welche Aufgaben welche Krisenstäbe ein
solches Zentrum brauchen", kritisiert der Fraktionsvorsitzende
Wolf Stammnitz. Ratsmitglied Wolfgang Richter kritisierte, dass das
"Krisenzentrum" in Dortmund als geheime Kommandosache
behandelt wurde und vollendete Tatsachen geschaffen wurden.
Ein Sprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund
der Antifaschisten stellte fest: "In dem Zentrum sind erstmals
seit 1945 Bundeswehr und die Polizei integriert. Im Rahmen der ZMZ
Inneres werden der Stadt, den Ämtern und der Feuerwehr in Krisen,
zu denen auch innere Unruhen - sprich: Großschadensereignisse und
Anti-Terrormaßnahmen - gehören, militärische Kommandos
gegeben."
Die Reservisten-Territorialarmee
Nimmt man noch vorhergehende Meldungen aus der Lokalpresse und
aus den Bundeswehrmedien hinzu, so ergibt sich dieses Bild: Auf
kommunaler Ebene werden überall Bundeswehrreservisten und Feuerwehr
sowie Technisches Hilfswerk koordiniert. Reservisten - darunter vor
allem bewaffnete Feldpolizisten - können in kürzester Zeit in
großer Zahl mobilisiert werden. In Dortmund leitet ein
Oberstleutnant, im Zivilberuf Pfarrer und Klinikseelsorger, diese
"ehrenamtliche" Reserve-Territorialarmee. Das
Landeskommando ist ständig hauptamtlich besetzt. In Kreisen,
Städten und Regierungsbezirken können sie lt. Bundeswehr-WebSite
und Bundeswehrzeitschrift "Y" blitzartig auf den
Reservistenkader - und das sind bundesweit rund eine Million
Soldatinnen und Soldaten - zurückgreifen. Die VVN-BdA hat schon
gleich nach dem ersten Durchsickern der Pläne zur inneren
Militarisierung durch ZMZ und Terrorismusabwehrzentren dagegen
Stellung bezogen und auf die geschichtlichen Erfahrungen mit
integrierten Polizei-, Geheimdienst- und Heereseinrichtungen
(Gestapo, Reichswehr, Schwarze Reichswehr, Freikorps etc.)
hingewiesen: "Die Tatsache, dass die Pläne für Notstands- und
Krisenmaßnahmen und -einrichtungen derart geheim vorangetrieben
werden und schon heimlich Fakten geschaffen wurden - siehe der
Bundeswehreinsatz in Heiligendamm vor einem Jahr -, müssen alle
Demokraten auf höchste alarmieren."
Was ist eine Krise?
Ratsmitglied Wolfgang Richter, Mitglied der DKP, störte sich in
der Sitzung des Rates vor allem an den mangelnden Auskünften
darüber, was eigentlich eine Krise sei. Er fragte: "Müssen
die Menschen nicht wissen, was eine Krise in der Stadt ist? Ist ein
Kollaps des Verkehrssystems die Krise, eine Kaufverweigerung
verarmter Massen, ein Streik der Beschäftigten des Konzerns Stadt
Dortmund, ein Abstieg der Borussia, ist es ein Angriff aus dem
Weltall oder aus dem Osten - ‚die Russen kommen' oder ‚ich sage
nur China, China, China' waren mal die Parolen, gelten sie noch
heute? Welche Kommandeure sollen denn eine Krise bewältigen? Hat
der OB das oberste Kommando? Oder ein Polizeipräsident? Oder ein
General? Wird Dortmund außer am Hindukusch nun auch noch im
Krisenzentrum vor Ort verteidigt?"
Das in der Ratssitzung vorgelegte nicht öffentliche Papier zum
Krisenzentrum gibt auf diese Fragen offenbar keine Antwort. Daraus
soll aber zu ersehen gewesen sein, dass das neue Krisenzentrum
nötig ist, weil die Absicherung des vorgesehenen Gebäudes und des
Krisenstabes am Südwall 2-4 - den es dort seit 6.11.07 ohne
Ratsbeschluss bereits gibt - gegen ABC-Gefahrlagen,
Schadstofffreisetzungen oder terroristische Angriffe bisher nicht zu
gewährleisten sei. Die Räume werden im Normalfall von der
städtischen Immobilienwirtschaft genutzt und müssen im Krisenfall
für den Krisenstab innerhalb einer Stunde geräumt werden können.
Daher der Umbau. Das Krisenzentrum soll in "definierten
Krisenfällen" die Arbeit der im Krisenstab beteiligten Ämter
gewährleisten. Wer die Definition bestimmt, ist nicht genannt.
Nachdruck nur nach Rückfrage.
Die Welt kriegt die Krise - Dortmund ein Zentrum dafür
http://www.readers-edition.de/2008/07/07/die-welt-kriegt-die-krise-dortmund-ein-zentrum-dafuer/
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