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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

30.06.08

Weitere Schritte zum militarisierten autoritären Staat 

Der Umbau des Staates nach dem Muster von Schäuble und Jung 

Von Ulrich Sander

Mit dem BKA-Gesetz-Entwurf wurde am 4. Juni ein neuer Aufrüstungsschritt im "Krieg gegen den Terror" gegangen. Dieser Kampf könne nicht von den Ländern geführt werden, er brauche eine zentrale Ebene, die alle Polizeikräfte, ja alle Sicherheitskräfte zusammenführt, heißt es. Im Bundeskanzleramt sollen Innenministerium, Verteidigungsministerium, die Geheimdienste sowie die Länderpolizeien koordiniert und unter ein Kommando gestellt werden. Das Trennungsgebot von Polizei- und Geheimdiensten, eine Lehre der Jahre 1933-1945, wird endgültig abgeschafft. Die technische Abwicklung der Schnüffeleien war bisher der Bundespost, dann der Telekom übertragen. Nun kam heraus, dass die entsprechende Telekomabteilung den Staatsauftrag auch zugunsten der Telekombosse und ihres Konkurrenzkampfes nutzte. Doch schon tritt Schäuble mit dem Plan einer gewaltigen zentralen Abhörbehörde auf den Plan.

Die Kriege zur Rohstoffsicherung und Energieversorgung der westlichen Industriestaaten - und darum handelt es sich bei den "Einsätzen" - haben das öffentliche Leben in diesen Staaten, auch in unserem, stark verändert. Sie werden uns fälschlich als Anti-Terrorkriege dargestellt, obwohl sie den Terror eher anziehen als abwenden. Deutschland ist das Kriegführen nach Artikel 53 und 107 der UNO-Charta verboten. Seine "Staatsraison" (Merkel), wenn es denn eine gäbe, müsste darin bestehen, nie wieder Krieg und Faschismus zuzulassen. Doch neue Runden im Wettrüsten und neue Kriege mit deutscher Beteiligung stehen bevor. Der Krieg soll zum Alltag werden. Regeln des Völkerrechts, die das Kriegführen behindern, werden ebenso beiseite geschoben wie grundgesetzliche Bestimmungen zum Verbot des Angriffskrieges und seiner Vorbereitung. An die Stelle des Grundgesetzes tritt die Militärdoktrin der EU. Und zur Militarisierung des Landes gehören Abbau der Demokratie, Formierung eines autoritären Überwachungsstaates und geduldeter Neonazismus.

Hierzulande herrscht große Unkenntnis über das, was die Militärs politisch vorhaben. Aber sie selber konstatieren offen die Transformation von der Verteidigungsarmee zur weltweiten Einsatzarmee. Zu diesem Zweck wurden und werden Waffen und Gerät beschafft. Nun geht es an die Transformation der Gesellschaft, die in Bundeswehrzeitschriften als Aufgabe des Militärs bezeichnet wird; ein Bundeswehr-"Zentrum für Transformation" besteht bereits. Dazu passt diese Meldung: Christian Schmidt (CSU), Gebirgsjägeroffizier und Staatssekretär im Kriegsministerium, fordert, dass die "unerlässliche Wehrpflicht an die neuen Risiken für die innere und äußere Sicherheit angepasst werden" müsse. Der Ausbau der Wehrpflicht und ihre Umwandlung in einen Zwangsdienst - wie ihn die CSU auf ihrem Parteitag forderte: "Zivildienst durch alle" - wird zu einer Hauptform der Militarisierung des Landes.

Eine Politik gegen die Mehrheit der Bevölkerung erfordert den gewalttätigen Staat


Brutaler Polizeieinsatz gegen Globalisierungskritiker bei der Auftaktdemonstration gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm. Neben Polizeieinsatzkräften aus dem gesamten Bundesgebiet waren auch Bundeswehreinheiten um Heiligendamm präsent.

Was lässt Militärs und Militärpolitiker, Sicherheitsminister wie Schäuble und Jung um die innere Sicherheit fürchten? Es sind die wachsenden Widersprüche in der Gesellschaft. Über viele politische und soziale Probleme hat die Mehrheit der Bürger andere Vorstellungen als die Mehrheit im Bundestag. Das Parlament befürwortet Krieg, zum Beispiel in Afghanistan. Die Bevölkerung nicht. Die Parlamentsmehrheit befürwortet im Gegensatz zur Bevölkerung Hartz IV, Agenda 2010, ausufernde Geheimdienstaktionen, hohe Managergehälter, den Bruch des Datenschutzes, die jugendfeindliche Bildungspolitik, es verweigert Mindestlöhne und Sozialtickets sowie den Schutz der Renten. Früher oder später können diese Widersprüche zu außerparlamentarischen Auseinandersetzungen führen, zu Klassenkämpfen von unten - nicht länger nur von oben - und zu wachsender Gewalt eines autoritären Staates, der sich nicht mehr allein auf den Parlamentarismus stützt. Eine Vorstellung zur Probe bekamen wir im vergangenen Jahr: Ohne Abstimmung im Bundestag wurde die Bundeswehr, die angebliche "Parlamentsarmee", in ein weiteres Land zu einem Einsatz unter Waffen entsandt: Mecklenburg-Vorpommern. Mit Panzerwagen, Kriegsschiffen und Tornado-Flugzeugen.

Nach Darstellung der Bundesregierung geschah dieser verfassungswidrige Einsatz per "Amtshilfeersuchen" ziviler Behörden nach Artikel 35 des GG. Solche Amtshilfeersuchen müssten auf ihre verfassungsrechtliche Zulässigkeit geprüft werden, wenn "die Amtshilfe von verfassungsrechtlicher Bedeutung ist." Das sei "regelmäßig der Fall, wenn Polizeibehörden der Länder die Bundeswehr anfordern". Doch nicht etwa das Verfassungsgericht oder der Bundestag prüfen die verfassungsrechtliche Zulässigkeit, sondern die Abteilung Recht im Verteidigungsministerium. Polizei und Bundeswehr genehmigen sich damit gegenseitig die Verfassungsbrüche. Der Befehlshaber des Wehrbereichskommandos hat im Falle Heiligendamm den Antrag als "zulässig nach Artikel 35 Grundgesetz" beurteilt und seine Befolgung angeordnet. Den örtlichen Militärbefehlshabern wurde offenbar signalisiert, sie sollten der Polizei gegebenenfalls auf bloßen Zuruf zu Hilfe kommen, unkompliziert und abseits aller Dienstwege.

Der Staat des "übergesetzlichen Notstandes"

Der Abbau der Freiheitsrechte wird allgemein mit dem "Krieg gegen den Terror" begründet, der von außen in unser Land getragen werde. Bundesinnenminister Schäuble malt sogar "nukleare Angriffe" auf die Bundesrepublik an die Wand, um sein Ziel zu erreichen: Durch weiträumige Online-Durchsuchungen, Späh- und Lauschangriffe und flächendeckende Rasterfahndungen Freiheitsrechte abzubauen. Kriegsminister Jung will eine Grundgesetzänderung erzwingen, um die Bundeswehr auch zum Kriegführen im Innern des Landes legal einsetzen zu können - und wenn dieser Verfassungsbruch nicht erlaubt wird, dann werde man eben den "übergesetzlichen Notstand" ausrufen, um gegen die Verfassung zu handeln, zum Beispiel verdächtige Flugzeuge abzuschießen.

Die Bundeswehr arbeitet seit Mitte vorigen Jahres "Seite an Seite" (Bundeswehrhomepage) mit den zivilen Dienstellen. In sämtlichen 426 Landkreisen und kreisfreien Städten wurden in den Rathäusern und Landratsämtern zwölfköpfige Kommandozentralen der Zivilmilitärischen Zusammenarbeit ("ZMZ Inneres") geschaffen. Sie bestehen aus Reserveoffizieren, welche die Reservisten am Ort mobilisieren können. Als Zentrale wurde das "Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum" in Berlin-Treptow eingerichtet, an dem Bundeskriminalamt, Bundesnachrichtendienst, Kriminal- und Verfassungsschutzämter der Länder, Bundespolizei, Zollkriminalamt, Militärischer Abschirmdienst, Generalbundesanwalt und Bundesamt für Migration und Flüchtlinge beteiligt sind. Jetzt hat die Große Koalition das Bundeskriminalamtsgesetz auf den Weg gebracht, das diese Bundespolizei mit allen von Schäuble geforderten Möglichkeiten der Späh- und Abhörbefugnis, der Beseitigung der rechtsstaatlichen Hausdurchsuchung und der Computerkontrolle ausstattet. Geheimdienste und BKA planen die Schaffung einer neuen zentralen Abhöreinrichtung. Noch 2003 hatte der ehemalige Verfassungsschutzpräsident Eckart Werthebach eine solche Zentralisierung des Sicherheitsapparats aus "historischen und rechtspolitischen Gründen" abgelehnt: Die "Assoziation mit dem Reichssicherheitshauptamt" der Nazizeit liege zu nahe. Doch Schäuble verbittet sich alle historischen Bezüge durch "Rückgriffe auf die Political Correctness". Die Zentralisation schreitet voran: Die Einsatzführungsstäbe der Bundeswehr wie der Bundespolizei sind nunmehr beide in Potsdam angesiedelt, noch in verschiedenen Immobilien. 40 000 Bundespolizisten werden seit einigen Wochen aus einer zentralen Kommandostelle in Potsdam befehligt.

Ausdrücklich heißt es in Bundeswehr-Publikationen, die Militäreinsätze im Innern dienten nicht nur der Bekämpfung von Naturkatastrophen und der Hilfe bei Unglücksfällen, sondern auch dem Kampf gegen den Terrorismus - womit das bewaffnete Vorgehen gegen die außerparlamentarische Opposition gemeint ist. Laut Information für die Truppe 3/2002 heißt der Kampfauftrag: Gegen "Chaosgruppen wie z. B. die Gruppe der Globalisierungsgegner". Ein Foto in der Europäischen Sicherheit 2/2007 zeigt "Soldaten des Jägerbataillons 292 bei der Ausbildung gegen Demonstranten"; die Demonstranten tragen Arbeitskleidung. Die Anlässe des Einsatzes der Truppe im Innern werden "Großschadensereignisse" genannt. Dieser Begriff ist in Artikel 35 GG nicht vorhanden, dort kennt man nur Unglücks- und Katastrophenfälle. Für den Einsatz im Innern werden Reservisten bezeichnenderweise vor allem an Feldjägerschulen ausgebildet.

Der geschilderten Militarisierung des Landes liegt das noch unter sozialdemokratisch-grüner Regierung geschaffene neue Reservistenkonzept zugrunde. Im Februar 2005 wurde das Reservistenalter von 45 auf 60 Jahre angehoben: Insgesamt stehen damit der Bundeswehr rund 4,5 Millionen Reservisten zur Verfügung. In Millionen Familien gibt es Reservisten, zu denen die Bundeswehr möglichst laufend Kontakt hält. Mit immer mehr Geld der Steuerzahler verbreiten die Reservisten- und Traditionsverbände militaristische Ideologie und wirken so daran mit, einem autoritären Staat, der repressiv gegen den Mehrheitswillen der Bevölkerung handelt, dennoch eine Massenbasis zu verschaffen. Dazu soll auch die Aufwertung des Soldatenberufs beitragen: Schönere Uniformen sind geplant, ein neues Eisernes Kreuz, ein zentrales Ehrenmal in Berlin. Und die Besoldung wird verbessert. Junge Leute, die sonst auf Hartz IV sitzen blieben, werden mit Geld in die Bundeswehr gelockt. Das geht soweit, dass der Rekrut Folter einübt und erleidet, um ja nicht der Schlusszahlung verlustig zu gehen.

Eine rechtsextreme Massenbewegung gegen die Demokratie

Die Union hat noch weitergehende Pläne. In einem Papier der CDU/CSU, abgefasst 2004 vom schon erwähnten heutigen Parlamentarischen Staatssekretär im Militärministerium, Christian Schmidt, wird die Schaffung eines neuen "Organisationsbereichs im Verteidigungsministerium mit dem Titel ´Landesverteidigung und Heimatschutz´" angekündigt, dessen Aufgabe darin bestehen soll, bis zu 50 miteinander vernetzte "Regionalbasen Heimatschutz" mit einer Stärke von jeweils bis zu 500 Soldatinnen und Soldaten in allen größeren Städten Deutschlands aufzubauen. Bei einem Einsatz könnten die Regionalbasen durch Reservisten auf bis zu 5 000 Soldaten aufgestockt werden. Die "Heimatschutztruppe" soll zu 80 Prozent aus Wehrpflichtigen und zu 20 Prozent aus Berufs- und Zeitsoldaten als Führungspersonal bestehen.

So entsteht eine rechtsextreme Bewegung - aber in der Öffentlichkeit ist kaum davon die Rede. Wenn ein demokratisch gewissenhafter Offizier wie Jürgen Rose wegen seiner Forderung nach Einhaltung des Grundgesetzes von einem rechtsextremen "Kameraden" aus dem Kommando Spezialstreitkräfte mit Mord bedroht wird und wenn die Bundeswehrführung dazu schweigt, müssten da nicht alle zivilen Alarmsignale schrillen? Wenn jetzt bekannt wird, dass sowohl Bundeswehrverband, als auch Reservistenverband von NPD-Mitgliedern unterwandert sind - wie TV-Kontraste nachwies - sollte das nicht zu öffentlichen Protesten führen?

Die Gewerkschaften, einst führend im Kampf gegen Notstandsgesetze und Bundeswehreinsätze im Innern, nehmen sich jedoch nur zögernd dieses Themas an. Nun haben ver.di und IG Metall auf ihren Kongressen dazu erste Beschlüsse gefasst. Und der DGB lehnte nach Heiligendamm Grundgesetzänderungen zur Einschränkung des Versammlungs- und des Presserechts ab. Er warnte auch davor, "dass die Länder beim Versammlungsrecht einen Wettlauf um die strengsten Regelungen beginnen." Der Wettkampf ist schon im Gange. Das vom Mecklenburg-Vorpommerschen Landtag zu SPD/PDS-Zeiten eingeführte Polizeigesetz hat die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass mittlere Polizeiführer die Bundeswehr zur "Amtshilfe" anfordern dürfen und damit die Verfassung brechen. Und Bayerns CSU legte ein neues Versammlungsgesetz vor, das bereits Versammlungen ab zwei Personen anmeldepflichtig macht und den Warnstreiks den Todesstoß versetzt.

Gegenwärtig häufen sich Erinnerungsartikel an das Jahr 68 und die 68er. In der damaligen massenhaften Protestbewegung gegen die Notstandsgesetze - die hinter heutiger ZMZ (I) zurückbleiben - wurden auch Forderungen nach dem Generalstreik laut. Schäuble und Jung treiben ihre Pläne voran, damit keine Zeit bleibt, eine neue massenhafte Bewegung zur Verteidigung der Demokratie entstehen zu lassen. Eine solche Bewegung ist aber dringend erforderlich.

Der Schäuble-Katalog

Für die zunehmende Militarisierung und den Ausbau des Überwachungsstaates hat Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble am 9.7.2007 im "Spiegel" diesen Maßnahmekatalog vorgestellt:

  • Beseitigung des verfassungsmäßig nicht veränderbaren Artikels 1 des Grundgesetzes (Schutz der Menschenwürde und des Lebens) - darum geht es auch bei Minister Franz Josef Jungs Vorstoß für das Abschießen von zivilen "verdächtigen" Flugzeugen. 
  • Einsperren von "Verschwörern und Gefährdern" in Lager, 
  • gezielte Tötungen von Regimegegnern, 
  • Kommunikationsverbote für politisch Missliebige und ganze Bevölkerungsgruppen, 
  • Hausdurchsuchungen ohne Anwesenheit von Zeugen und Betroffenen, d.h. Onlinedurchsuchungen privater Computer, 
  • Einsatz von Militär mit Waffen gegen Demonstranten und 
  • umfassende Bespitzelung der Bürger durch Polizei und Geheimdienste (Rasterfahndung; 
  • Überwachung der Telekommunikation (Telefon- und Internetdaten werden ab 1. 1. 2008 jeweils ein halbes Jahr gespeichert.)

Zu den weiteren Schäuble-Maßnahmen gehören: Fingerabdrücke aller Bundesbürger werden bei der Passbehörde gespeichert, Mautdaten sollen für Fahndungszwecke verwendet werden. Sodann sollen erfolterte Geständnisse verwendet werden. Der Große Lauschangriff wird um den Großen Spähangriff erweitert.

Weitere bereits erfolgte Maßnahmen:

Die Sicherheitsüberprüfung der Arbeiter und Angestellten in vielen Bereichen der Wirtschaft und der Verwaltungen. Schaffung der Anti-Terror-Datei, die "erstmals seit der Nazizeit wieder Erkenntnisse von Polizei und Geheimdiensten vereint" (Süddeutsche Zeitung 31. 3. 2007).

Polizei- und Geheimdienste und andere Behörden werden in einer Bundesbehörde vereint.

Mittels Hartz IV werden wichtige Grundrechte von Millionen Menschen beseitigt: Arbeitszwang für unverschuldet arbeitslose Personen. Sicherheitsüberprüfungen der Arbeiter und Angestellten, keine Unverletzlichkeit der Wohnungen von Hartz-IV-Empfängern mehr und keine Freizügigkeit für sie.

Junge Menschen werden in die Armee hineingenötigt, sonst droht ihnen Mittellosigkeit. Darauf laufen die Bundeswehraktionen in den Agenturen für Arbeit hinaus - die z. T. mit Feldjägern abgesichert werden.

Zugleich: Millionen Reservisten werden in Dateien erfasst und können kurzfristig einberufen werden.

Besonders Polizisten möchte Schäuble zu Auslandseinsätzen zwingen, - und die Bundeswehr soll polizeiähnlicher werden, wie auch die Polizei militärähnlicher werden soll. Schon sorgt eine internationale Polizeitruppe FRONTEX auch marineähnlich für die Sicherung und Kontrolle der EU-Außengrenzen an den Küsten. (6 000 Tote Flüchtlinge waren an der EU-Außengrenze in 12 Monaten zu beklagen.)

aus: Unsere Zeit v. 13. Juni 2008