27.05.08
Volksgemeinschaftswahn
Neofaschistische
Kapitalismuskritik basiert auf reaktionären Konzepten von »Volk«
und »Nation«. Will »Die Linke« diesen Vorstellungen entgegnen,
darf sie nicht über nationale Sonderwege debattieren.
Eine Polemik von Prof.
Wolfgang Dreßen
Die Schwierigkeiten beginnen schon mit den Begriffen. Wenn die
Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern dazu aufruft, gegen
»Extremismus« zu kämpfen und dabei von der Partei Die Linke im
Land unterstützt wird, oder wenn ein »Bürgerbündnis« in
Stolberg/Rheinland gegen »Radikalismus« mit Zustimmung eines
Bundestagsabgeordneten der Linkspartei demonstriert, dann zeigen
solche und viele ähnliche Feinderklärungen ein genau umrissenes
Geschichts- und Gegenwartsverständnis: 1933 wurde von den
gesellschaftlichen »Rändern« verursacht, wobei sicherlich nicht
der obere »Rand«, die Großbourgeoisie, gemeint ist. Die
Rehabilitierung des deutschen Staatsapparates mit der
Wiedereingliederung der Nazibeamten im Jahre 1951 war dann nur allzu
berechtigt. Denn diese Beamten waren nie extrem, auch wenn sie an
der Deportation und Ermordung der Jüdinnen und Juden mitwirkten.
Sie lebten als brave Familienväter. Und solche Väter denken nie
radikal, sondern vor allem an die Befolgung der jeweils vorgegebenen
Normen. Für die Gegenwart steckt hinter dem Gerede gegen
»Extremismus« und »Radikalität« die Forderung, sich den
Bedingungen der Profitmaximierung zu unterwerfen, auch wenn sie
inzwischen, wie schon immer, zu Kriegen, Elend und
Entdemokratisierung führen.
Aber auch der Begriff »Antifaschismus« verbirgt ein unklares
Geschichts- und Gegenwartsverständnis. Denn im Unterschied zu
anderen »Faschisten« arbeiteten die deutschen Nazis an der
möglichst vollständigen Vernichtung aller Jüdinnen und Juden.
»Antisemitismus« bleibt das Schlüsselwort für diesen
»Faschismus«. Nur so konnte eine »Volksgemeinschaft«
konstituiert werden, die sich schon am 1. Mai 1933 feierte –
damals noch mit Zustimmung der deutschen Gewerkschaften. Denn jetzt
machte »deutsche Arbeit« frei, wenn nur die »jüdischen
Blutsauger« ausgerottet waren.
Kapitalismuskritik der
Neonazis
An dieser Stelle möchte ich kurz eine kleine Geschichte
erzählen. Eine Studentin, sie stammt aus Brandenburg, hielt es in
Düsseldorf für durchaus »normal«, daß ein Professor Mitglied
der Linkspartei sei. Denn in ihrer Heimat gehöre, wie sie
erläuterte, diese Partei zum gesellschaftlichen Mainstream. Wenn
sie selbst allerdings gegen das »System« wäre, so fügte sie
hinzu, würde sie Mitglied der NPD. Die Linkspartei würde für sie
zum »System« zählen. Ein Studienaufenthalt in Berlin hatte sie
darin nur bestärkt. Und dieses »System« war für sie vor allem
durch die Ungerechtigkeit charakterisiert, in der wenige Menschen
immer mehr Geld besitzen und immer mehr Menschen verelenden. Warum
dem so ist, dies blieb ihr verschlossen. Die Mechanismen der
Profitmaximierung verstand sie nicht. Diese reduzierten sich für
sie auf unmittelbaren Raub. Und diese Studentin wollte gleichzeitig
unbedingt »ankommen« und »dazugehören«. Sie war überaus
strebsam. Diesen Widerspruch hielt sie nur aus, wenn sie für diesen
»Raub« irgendwelche anderen Menschen verantwortlich machen konnte:
Ausländer. Mit »den Juden« wollte sie sich noch
»beschäftigen«, wie sie ausführte. Gegen das »System« half
also vor allem »deutsche Arbeit«; sie verwies gleich auf Nokia und
die Verlagerung des Betriebs ins Ausland. Diese Studentin äußerte
sich nicht »radikal« oder »extrem«, sie verhielt sich vor allem
autoritär. Sie ging den Verhältnissen nicht auf den Grund, und sie
suchte eine Lösung aus ihrem Widerspruch zwischen ihrer
Unzufriedenheit und ihrem Streben nach gesellschaftlicher Anpassung.
Die heutigen Neonazis proklamieren eine
»Antikapitalismuskampagne«, die diesen Mustern folgt. Sie denken
dabei an historische Vorbilder. Joseph Goebbels, damals noch Leiter
des Naziblattes Der Angriff, proklamierte 1929, der Sozialismus sei
»die Brücke von links nach rechts«. »Das Geld« sei
»wurzellos«, es beute die Völker aus. Und dieses »Geld« war
für Goebbels ein vor allem »jüdisches Mittel«, um die Völker zu
unterjochen. Der geforderte »nationale Sozialismus« war vor allem
antisemitisch. Die Deutschen müßten endlich zu sich selbst kommen.
Eine genaue Kopie lieferten Neonazis kürzlich auf einer
Demonstration in Nordrhein-Westfalen, als sie grölten: »Haß, Wut,
Widerstand, wir selbst«.
Diese Neonazis wollen »ankommen« – unter Ausschluß jedes
anderen. Nicht der Besitz von Produktionsmitteln und die Ausbeutung
der Arbeiterinnen und Arbeiter in ihrer täglichen Lohnarbeit, auch
wenn sie »anständig« bezahlt wird, sondern das abstrakte Geld
wird hier zum Kennzeichen des Kapitalismus. Gegen dieses abstrakte
Geld steht »deutsche Arbeit« und damit auch »schaffendes,
deutsches Kapital«. Dieser Konkretisierung entspricht die
Konkretisierung der Feinde: die Ausländer und schließlich »die
Juden«.
Systemimmanente
Kapitalismuskritik
Die »Antikapitalismuskampagne« der Neonazis steht dabei nicht
isoliert, sie besitzt breite gesellschaftliche Anknüpfungspunkte.
Dafür vier Beispiele.
1. Vor allem die CDU wehrt Vorwürfe gegen Ausbeutungsbedingungen
mit dem Hinweis auf die »anständigen und deutschen
Familienbetriebe« ab. Zunächst bleibt unklar, wen sie damit genau
meint. Auch die Bertelsmann AG ist ein »Familienbetrieb« wie
inzwischen ebenso die Aktiengesellschaften Volkswagen oder Metro.
Hinter dieser Feier des »Familienbetriebs« steckt eine Sehnsucht
nach unmittelbar patriarchalischen Verhältnissen. Offen wird die
gesellschaftliche Bindungskraft betont, also die »vor Ort«
beherrschende Stellung der Besitzerfamilie. An die Stelle eines
radikalen Verständnisses der Ausbeutungsmechanismen wird eine
Autorität gesetzt, der alle zu folgen haben.
2. Wenn die Linkspartei gegen den »Heuschrecken«-Kapitalismus
wettert oder sogar einen »Karawanen«-Kapitalismus anprangert,
folgt sie mit solchen Begriffen höchst problematischen Bildern. Die
Kritik an einem »nomadisierenden Finanzkapital« verdeckt wiederum
die Ausbeutungsverhältnisse durch Lohnarbeit. Schlimmer: Sie setzt
das Bild eines feindlichen Orients (Karawanen, Nomaden) gegen ein
»ansässiges«, wohl doch »heimatverbundenes« Kapital. Diese
Bilder bieten kaum verhüllt antisemitische Muster an. Sie sind in
dieser genau gleichen Diktion auch bei den Neonazis zu finden.
3. Trotz schwindender Aussichten, sich auf dem Arbeitsmarkt zu
einem zumindest auskömmlichen Preis verkaufen zu können, nimmt der
Leistungsdruck in allen gesellschaftlichen Bereichen zu, vom
Kindergarten bis in die Betriebe. Menschen werden allein nach ihrer
ökonomischen Verwertbarkeit beurteilt. Sozialdarwinismus wird zur
gesellschaftlichen Norm. Bildungsinhalte etwa orientieren sich nicht
nach den in ihnen enthaltenen Möglichkeiten und Perspektiven
menschlicher Emanzipation, sondern danach, ob die so Ausgebildeten
besser ausgebeutet werden können. Bildung zielt also auf die
Ausbeutungsfähigkeit und -bereitschaft der Menschen. Alle anderen
Inhalte gelten als unnütz, extrem, verrückt, nicht realistisch.
Diese Entwicklung begann sehr früh mit der ursprünglichen
Akkumulation, aber immer auch noch verbunden mit den formulierten
Ansprüchen bürgerlicher Emanzipation. Inzwischen geht es um die
restlose Verwertbarkeit; Emanzipation bedeutet nur noch
Marktkonformität. Diese Forderung wird gegenüber Gesellschaften,
Staaten und gegenüber jedem einzelnen je nach Bedarf und
Notwendigkeit sanft bis terroristisch durchgesetzt.
Die Permanenz der Orientierungszumutungen, das Auf und Ab der
Belohnungen und Strafen ist aber nur auszuhalten, wenn jeder glaubt,
doch dazuzugehören, also in der Abwertung anderer Menschen, von
denen behauptet wird, daß sie kulturell, rassisch, geschichtlich,
religiös, politisch nicht mit »im selben Boot« sitzen. Die
alltägliche Erfahrung, nur noch als Spielball ökonomischer
Entwicklungen oder scheinbar anonymer Mächte nichts mehr auf Dauer
meistern zu können, verführt zur Konkretisierung im positiven
»Volk« und im feindlichen »anderen«, zur Sehnsucht nach der
»Volksgemeinschaft«. Bei den Neonazis heißt dies: Rassistische
Gewalt wird unmittelbar zur Antiglobalisierungspolitik.
4. Auch in der Partei Die Linke bestehen nach wie vor
illusionäre Vorstellungen über nationale Sonderwege. Ein
nationalstaatlich beschränkter kapitalistischer Sozialstaat ist in
einem internationalisierten Kapitalismus nicht zu haben. Die
marktorientierte und dann auch politische Überwindung deutscher (im
19. Jahrhundert) und schließlich europäischer Kleinstaaten führte
schließlich auch zur heutigen »Globalisierung«. Die Zunahme von
Kriegen in diesem Prozeß entspricht der weltweiten kapitalistischen
Konkurrenz und bildet keinen Widerspruch.
Der Ruf Linker nach dem nationalen fordistischen Sozialstaat
fällt dagegen hoffnungslos hinter diese Entwicklung des
Kapitalismus zurück. Manche von ihnen erfassen nicht die auch
befreienden Möglichkeiten in der – den Fordismus überwindenden
– Globalisierung des Kapitalismus. Denn das Überwinden des (fordistischen)
Nationalstaates bedeutet auch, dessen bisherigen Grenzen aufzugeben.
Die durch Globalisierung intensivierten Marktanforderungen an jeden
einzelnen bieten eben auch im Gegensatz zu den bisherigen
Zwangskollektiven – als Nationalstaat im allgemeinen bzw.
individuelle, jahrzehntelange Berufskarrieren in einem einzigen
Betrieb im besonderen – politisches Bewegungspotential. Diese
Arbeitsstrukturen hat das Kapital als nicht mehr profitabel
verändert. Die Sehnsucht Linker nach dem repressiven und
disziplinierenden fordistischen Lebensweisen entspricht daher nicht
mehr dem Stand kapitalistischer Entwicklung.
Ein solcher Sozialstaat müßte sich abschotten: nicht nur gegen
wirtschaftliche Einflüsse, sondern vor allem gegen Menschen, die in
ihm leben wollen und aus ihren Herkunftsländern geflüchtet sind.
Ein nationalstaatlich beschränkter Sozialstaat könnte sich keine
offenen Grenzen leisten. Dieser nationale Schutzraum würde
Menschenrechte auftrennen: nur für die eigenen Angehörigen – und
auch für diese »Versorgten« herrschte keine Meinungsfreiheit,
wenn sie den Schutzraum in Frage stellten. Hinter der Hoffnung auf
einen solchen Schutzraum verstecken sich immer noch die Träume von
der »Volksgemeinschaft«.
Vielleicht beweisen auch deshalb neuere Untersuchungen die
verbreiteten rassistischen Vorurteile bei Gewerkschaftsmitgliedern.
Die nach wie vor verschärfte staatliche Abschottungspolitik
gegenüber allen Menschen, die nicht verwertbar sind, wird im Traum
von der »Volksgemeinschaft« bestätigt und rassistisch
verschärft. Denn Kriterium ist nicht einmal mehr die
Verwertbarkeit, es reicht das bloße behauptete
»Anderssein«.
Eingreifender Antikapitalismus
Die »Antikapitalismuskampagne« der Neonazis trifft auf ein
breites Feld von Vorurteilen, die sie nur zuzuspitzen brauchen. Sie
erschlagen Menschen, die nicht in ihr Volksgemeinschaftskonzept
passen. Sie können behaupten: Wir ziehen endlich die wirklichen
Konsequenzen, die anderen reden nur.
Dieser Eindruck wird erst recht vermittelt, wenn die Linkspartei
als Teil des »Systems« wahrgenommen wird. Hier liegt nicht nur ein
Wahrnehmungsproblem vor. Denn die Partei bliebe ein
sozialdemokratischer Integrationsfaktor, wenn sie die Frage nach der
Vergesellschaftung der Produktionsmittel nicht mehr stellen würde,
wenn sie Alternativmodelle auf eine reformierte nationale
Verteilung, also auf bloß begrenzte Umverteilung, und auf die
Entprivatisierung der »Daseinsfürsorge« beschränkte.
Dagegen würde die Vergesellschaftung eine breite
Demokratisierung auch der Wirtschaft über eine bloß ruhigstellende
Mitbestimmung hinaus bedeuten. Kann ein solcher Zustand der
Vergesellschaftung nicht erreicht werden, würden die Menschenrechte
aufgetrennt: Die soziale Versorgung wird nicht im Zusammenhang mit
durchgängig demokratischer Selbstbestimmung gesehen, gerade am
Arbeitsplatz, aber auch in den Bildungs- und allen staatlichen
Einrichtungen.
Welche Folgerungen sind nun zu ziehen? Gegen Neonazis hilft nur
ein wirklich eingreifender Antikapitalismus, eine grundsätzliche
und praktische Kritik der kapitalistischen Verhältnisse. Was heißt
das konkret? Parlamentarismus soll vor allem Opposition
systemimmanent beschränken. Er dient einer Entpolitisierung der
Bevölkerung, die politisches Handeln auf Wahlkreuze festlegt. Die
Parteien unterliegen dem Parteiengesetz und konzentrieren sich auf
Wahlen und deren Vorbereitung. Zugleich ermöglicht der
Parlamentarismus andererseits auch systembeschränkte Einflußnahme
auf politische Entscheidungen und sichert eine öffentliche
Wahrnehmung auch der Opposition.
Eine direkte Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus kann aber
nicht allein über das Parlament erfolgen. Ein bloßes »Bündnis
mit außerparlamentarischen Bewegungen« reicht deshalb nicht aus.
Eine Politisierung der Menschen, also ihre auch subjektive
Befähigung, sich selbst zu bestimmen, muß dagegen im Vordergrund
stehen. Deshalb muß eine Partei wie Die Linke vor allem selbst eine
außerparlamentarische Bewegung werden. Wenn nur noch über
mögliche Mandate und mögliche Koalitionen gestritten wird, dann
ist die Partei bereits auch als Opposition integriert. Die
bisherigen Regierungsbeteiligungen gehen noch über diese
Integration hinaus. Die Linkspartei entlarvt sich in ihnen als Teil
des Machtsystems. Solche Koalitionen sind abzulehnen. Eine
Diskussion hierüber wird aber in der Partei Die Linke nicht
gewünscht. Kritische Briefe ihres Landesvorstandes in NRW an die
Parteispitze oder an den Berliner Landesvorstand blieben
unbeantwortet.
Eine Lehre aus dem historischen Nazismus war, daß von deutschem
Boden nie wieder Krieg ausgehen dürfe. Dieser Satz ist leider
hinfällig. Von deutschem Boden gehen seit den Angriffen auf
Jugoslawien im Jahre 1999 wieder Kriege aus. Auch der
völkerrechtswidrige Überfall des Irak wird von deutschem Boden aus
geführt. Er bleibt auf die logistische Unterstützung aus
Deutschland angewiesen. Entgegen internationalen Abmachungen wurde
der Flughafen Leipzig zu einem Drehpunkt für den Krieg im Irak
ausgebaut. Leipzig ist tödlicher als jedes Gorleben. Auch in Die
Linke gibt es Stimmen, die UN-mandatierte Einsätze befürworten.
Schlimmer noch, diese Stimmen unterstützen die Polizeiausbildung in
Afghanistan, als wenn hier militärische und polizeiliche Einsätze
zu trennen wären.
Der Rüstungsexport boomt. Abgesehen davon, daß im Kapitalismus
kaum von »guter Arbeit« gesprochen werden kann, für die
»gerechter Lohn« zu fordern sei. Denn die Produkte der Lohnarbeit
dienen der weiteren Profitmaximierung, Lohnarbeit bedeutet immer
Ausbeutung und kann schon deshalb nicht gerecht sein. Davon also
abgesehen ist die Arbeit in Rüstungsbetrieben zu verurteilen, sie
ist Mordsarbeit. Rüstungsproduktion ist nicht hinzunehmen!
In der Hetzjagd vor allem auf Menschen aus muslimisch geprägten
Ländern sind sich Neonazis und Bundesregierung einig. Im September
wird in Köln ein europaweiter Faschistenkongreß gegen diese
Menschen stattfinden. Als Vorbild dient die nazistische Zeitschrift
Junges Europa, die damals ein »Europa der Völker« gegen die
»Gefahr aus dem Osten« propagierte und um Eintritt in die
europäischen SS-Truppen warb. Eine einfache Demonstration gegen
diesen Kongreß wird nicht ausreichen.
Die Forderungen nach einem »gehegten« Kapitalismus auch in der
Linkspartei verbergen nur die antagonistischen
Interessengegensätze: Sie liegen nicht in einem schlechten
Charakter einzelner Kapitalisten oder Politiker, sondern in einer
innerhalb des Kapitalismus bei Strafe der Insolvenz notwendigen
Profitmaximierung. Nokia hat sich nicht »unmoralisch« verhalten,
sondern systemimmanent rational. Die richtige Forderung gegenüber
solchen Firmen kann deshalb nur praktische Vergesellschaftung
heißen.
Gegen »Realpolitik«
Die »Realisten« in der Linkspartei werden müde lächeln und
auf die notwendige »Realpolitik« verweisen. Dieses Wort wurde von
einem resignierten 48er Revolutionär, Ludwig August von Rochau,
Anfang der 1850er Jahre geprägt, der darauf verwies, das alle
schönen Träume nichts nützten und jetzt Anpassung gefordert sei.
Er läutete damit den preußisch-deutschen Militarismus ein, der so
realitätstüchtig war, daß er in seinen Folgen bis in den
historischen Nazismus nachwirkte.
Am deutlichsten hat der Kapitalismus seine möglichen Konsequenzen
im Faschismus bewiesen. Geschichtsarbeit bleibt auch deshalb ein
notwendiger Bestandteil der Arbeit gegen rechts und gegen den
aktuellen Kapitalismus. Schließlich war die Zeit zwischen 1933 und
1945 überaus günstig für die Verwertungsbedingungen des Kapitals.
Die neurechten Träume von einer Volksgemeinschaft entstammen dieser
Zeit. Und gerade Die Linke sollte die breite Unterstützung des
Nazifaschismus nicht vergessen. Der Antisemitismus diente als ein
durchaus erfolgreiches Bindemittel, und bei den Versteigerungen
»arisierten« Besitzes durften sich auch die einfachen
Volksgenossen bedienen, denn schließlich holten sie nach der
Nazilogik nur das zurück, was ihnen zuvor geraubt worden war. Die
Linkspartei müßte bundesweit an den Orten der Zusammenarbeit
zwischen Faschisten und Kapital Gedenkorte einrichten und sollte
sich keinem systemkonformen Wettlauf an der historischen und
aktuellen Verfolgung von Kommunisten beteiligen, von denen viele
noch in den letzten Kriegstagen ermordet wurden, um eine
gesellschaftliche Alternative zu verhindern.
Ein deutsches Gericht hat kürzlich bewiesen, daß es die
historischen Zusammenhänge genau versteht. Journalisten wurde
untersagt zu schreiben, daß das Verlagshaus DuMont Schauberg einen
»Arisierungsprofit« erzielt hätte, als es eine Immobilie in Köln
aus ehemals jüdischem Besitz über Zwischenhändler überaus
günstig erwerben konnte (siehe jW v. 29.8.2006, S. 10/11).
Schließlich sei das Geschäft legal gewesen. Damit urteilt das
Gericht durchaus richtig, wenn Legalität mit richtigem Handeln
gleichgesetzt wird. Und es macht darüber hinaus deutlich, daß 1945
kein »Zusammenbruch« stattfand, es zieht eine Kontinuitätslinie
bis heute, die viele in Die Linke gerne verdrängen wollen. Der
Traum von der »Volksgemeinschaft«, dem heutige Neonazis
nachhängen, führte nach 1945 direkt in ein System extremer
Profitmaximierung.
Erinnert sei an den alten Satz »Wer vom Kapitalismus nicht reden
will, muß vom Faschismus schweigen«. Sicher sind die Neonazis auch
in den Kreisen des Kapitals nicht unbedingt gern gesehen. Ihre
Umgangsformen stören, wie sie schon vor 1933 gestört haben.
Angesichts der deutschen Vergangenheit wirken sie auch nicht
exportfördernd. Sie dienen gleichsam als Kettenhunde, die im
Zwinger versteckt sind, aber vielleicht doch noch gebraucht werden.
Auch deshalb müßte die Linkspartei das Verbot aller
neonazistischen Organisationen fordern, mitsamt der dann drohenden
Arbeitslosigkeit der vielen V-Leute des Verfassungsschutzes, die
heute bis in die Vorstände der NPD die Politik dieser Partei
mitbestimmen.
Aber auf ein solches Verbot kann sich Die Linke nicht verlassen.
Auch hier gilt: Der parlamentarische Weg fördert keine
Politisierung der Menschen. Ein gefordertes Verbot kann dagegen
bereits hier und jetzt wirksam werden, wenn die Partei den Neonazis
buchstäblich keinen Ort und keinen Platz mehr läßt.
Die Realität beweist nicht die Unmöglichkeit gesellschaftlicher
Alternativen, sie beweist nur die schwierigen Bedingungen für deren
Durchsetzung. Realität wird immer auch durch die jeweils
gesellschaftliche Hegemonie geprägt. Die heutige Wirklichkeit
bleibt durch das Primat der Lohnarbeit geprägt, eine für den
Kapitalismus lebensnotwendige Hegemonie. Allerdings sägt er
fleißig an dem Ast, auf dem er herrscht. Wenn immer weniger
Menschen von einer Lohnarbeit auskömmlich leben können, wenn sie
sich nicht einmal mehr verkaufen dürfen, dann kann kaum mehr
glaubhaft diese Lohnarbeit als Lebensinhalt angepriesen werden –
trotz aller rechten Träume von einer »Volksgemeinschaft«.
Eine alternative Hegemonie kann deshalb nur bedeuten: Statt
Lohnarbeit ein selbstbestimmtes Leben, statt der von allen
Lohnabhängigen geforderten Unterwerfung unter die Bedingungen der
Profitmaximierung ein davon unterschiedenes Leben, also nicht mehr
Lohnarbeit und Gleichheit in der »Volksgemeinschaft«, sondern
Freiheit und Differenz in einer demokratisierten Gesellschaft
jenseits des Kapitalismus.
Prof. Dr. Wolfgang Dreßen lehrt Politikwissenschaften an der
Fachhochschule Düsseldorf und leitet dort die Arbeitsstelle
Neonazismus. Er ist Mitglied im Landesvorstand der Partei Die Linke
in NRW und in der Antikapitalistischen Linken.
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