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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

26.05.08

Beschluß des 3. Bundeskongresses der VVN-BdA in Berlin, 24.05.08

Die Entschädigung der Opfer des Faschismus bleibt vorrangige Aufgabe

Initiativantrag von Jupp Angenfort, Hans Canjé, Gerhard Fischer, Ingrid Koeppnik, Wolfgang Methling, Ulrich Sander, Thomas Schikora u.a.

Die Bundeskonferenz 2008 der VVN-BdA möge beschließen:

Die Entschädigung der Opfer des Faschismus bleibt vorrangige Aufgabe

Die Bundeskonferenz der VVN-BdA beauftragt den Bundesausschuss und die Bundessprecherinnen und Bundessprecher, die Voraussetzungen zu schaffen, um - entsprechend den neuen Gegebenheiten - die sozialen Aufgaben im Sinne der Opfer des Faschismus zu lösen. Dazu wird eine Bundesarbeitsgemeinschaft Sozialpolitik und Entschädigung innerhalb der Bundesorganisation geschaffen. Alle Landesvereinigungen und Lagergemeinschaften werden gebeten, an der Arbeit dieser Bundesarbeitsgemeinschaft mitzuwirken, welche die Arbeit der "Interessengemeinschaft ehemaliger Zwangsarbeiter unter dem NS-Regime" unter neuen Bedingungen fortsetzt und ausdehnt, und zugleich auch auf Landesebene entsprechende Arbeitsgruppen zu bilden.

Insbesondere geht es dabei um die folgenden Aufgaben:

  • Eintreten für die Entschädigung der immer noch "vergessenen" Opfer wie: Sowjetische und italienische Kriegsgefangene, italienische Militärinternierte, griechische NS-Opfer, von Entschädigung ausgeschlossene Kommunistinnen und Kommunisten, von der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung, Zukunft" nicht berücksichtigte Opfergruppen, Rentenleistungen für die in Ghettos angestellten NS-Opfer nach dem "Ghettorentengesetz", Entschädigung der Okkupationsopfer, Nachzahlungen für Euthanasie-Geschädigte und Opfer der Zwangssterilisierung. 
  • Rehabilitierung und Entschädigung für alle überlebenden Deserteure und anderen Opfer der NS-Wehrmachtsjustiz, einschließlich diejenigen, denen "Kriegsverrat" von den Nazis unterstellt wurde 
  • Schaffung von Regelungen für Sachleistungen und Kuren für hochbetagte Opfer, auch als einmalige Leistungen. 
  • Eine dem Lebenslauf angemessene Betreuung der Opfer in der Altenpflege mit genügendem und geschultem Personal. 
  • Einsetzen für die Belange der Kinder- und Enkelgeneration von NS-Verfolgten 
  • Aufklärung der Öffentlichkeit über die Notwendigkeit der Bestrafung für NS-Kriegs- und -Okkupationsverbrechen. 
  • Unterstützung der Entschädigungsforderung der Opfergemeinden in den ehemals vom deutschen Faschismus besetzten Ländern. 
  • Mitarbeit im Bundesverband Information und Beratung für NS-Verfolgte. 
  • Vertretung der Interessen der Überlebenden auch gegenüber der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" 
  • Treffen der Kinder und Enkelkinder der Verfolgten zum Gedankenaustausch, evtl. mit der Bestätigung und Aktualisierung des Schwurs von Buchenwald

Im Jahre 2007 wurden die letzten Mittel der Stiftung EVZ an die ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter ausgezahlt. Zugleich fand die Arbeit der "Interessengemeinschaft ehemaliger Zwangsarbeiter unter dem NS-Regime", 1986 gegründet von Alfred Hausser (+2003), ihren Abschluss. Dennoch bleibt noch viel zu tun. So gibt es noch Mittel des sogenannten "Zukunftsfonds" der Stiftung EVZ, aus deren Zinsen Projekte für die Überlebenden und die politische Bildung realisiert werden können.

Ferner gibt es noch immer Härtefonds in den Bundesländern, deren Aufgaben nicht erfüllt sind.

Dort, wo eine Entschädigung aus den Mitteln der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung, Zukunft" nicht mehr möglich erscheint, müssen andere Wege für Härtefallregelungen und eine gerechte Entschädigung gefunden werden. Unterstützt wird die Forderung des Bundesverbandes Information und Beratung für NS-Verfolgte, "dass die Opfer des NS-Regimes entschädigungsrechtlich und versorgungsrechtlich gegenüber den Opfer des SED-Regimes nicht benachteiligt werden"; das Bundesversorgungsrecht müsse auch für die Opfer des NS-Regimes zur Anwendung kommen.

Begründung:

1. Neben der Förderung des Friedens, der Demokratie und der Völkerverständigung gehört die Fürsorge für politisch, rassistisch und religiös Verfolgte und deren Angehörige zu den vornehmsten und dringlichsten Aufgaben der VVN-BdA. In der Satzung der Bundesvereinigung werden die Aufgaben benannt: "Gesellschaftliche Anerkennung und Entschädigung aller Opfer des Faschismus; Betreuung und Fürsorge für die ehemals vom NS-Regime Verfolgten und deren Angehörige."

2. In den fünfziger Jahren hatte sich das Gesetz von 1951 "zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen" verheerend ausgewirkt. Dieses gestattete etwa 150.000 Beamten, Angestellten, ehemaligen Wehrmachts- und Arbeitsdienstangehörigen, die wegen ihrer Tätigkeit in der Nazizeit nach 1945 aus dem öffentlichen Dienst entlassen worden waren, volle Versorgungsansprüche zu stellen bzw. erneut in den Staatsdienst zu treten. Das Gesetz verpflichtete zudem Bund, Länder, Gemeinden, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts, Bundesbahn und Bundespost, 20 Prozent der Besoldungsmittel für Einstellung dieser Personengruppen zu verwenden. Paragraph 19 bestimmte: "Die Beamten zur Wiederverwendung sollen entsprechend ihrer früheren Rechtsstellung als Beamte auf Lebenszeit oder auf Zeit in ein gleichwertiges Amt übernommen werden."

Dem 131er-Gesetz stand das Bundesentschädigungsgesetz gegenüber, das zahlreiche Widerstandskämpfer und große Opfergruppen ausgrenzte. Während die ehemaligen NS-Berufsbeamten per Gesetz wieder in den öffentlichen Dienst kamen, wurden zahlreiche Antifaschisten per Blitzgesetz daraus entfernt oder per Paragraph 6 des Bundesentschädigungsgesetzes ihrer Entschädigungs- und Wiedergutmachungsleistungen beraubt, vor allem, wenn sie Kommunisten waren. Und dies galt oft auch für ihre Kinder und Enkel, so diese in den Staatsdienst - z.B. als Lehrerinnen und Lehrer - aufgenommen werden wollten.

Die Berufsverbote per Erlass der Ministerpräsidenten von 1972, erlassen noch in der Ära Schrübbers, jenes Präsidenten des Verfassungsschutzamtes mit NS-Vergangenheit, wurden vor allem gegen Linke exekutiert. Für alte Nazis im Erziehungswesen, an Hochschulen, in der Justiz, aber auch in der Presse und in Kunst- und Kultureinrichtungen galt nichts Entsprechendes. (Aus Einleitung zur Neuausgabe "Weissbuch der VVN - In Sachen Demokratie", Renchen 2004)

3. Der Bundestag hat einen Antrag der Linksfraktion zur Änderung des Bundesentschädigungsgesetzes (16/3536, 16/7950) abgelehnt. In der Sitzung am 9. Mai 2008 stimmten lediglich die Antragsteller für die Vorlage. Während sich die Grünen enthielten, lehnten Koalition und FDP das Vorhaben ab. Die Linke hatte gefordert, dass Mitglieder der damaligen Kommunistischen Partei Deutschland (KPD) mit anderen durch den Nationalsozialismus Verfolgten bei Entschädigungsansprüchen gleichgestellt werden müssten. - Aus Sicht der FDP sei es nicht einzusehen, warum diejenigen, die die freiheitlich demokratische Grundordnung in der Bundesrepublik bekämpft hätten, eine Entschädigung durch diesen Staat erhalten sollten. Die Grünen räumten zwar ein, dass der Widerstand gegen das NS-Regime unter dem heutigen Blickwinkel nicht mehr aufgespalten werden sollte, verwiese aber darauf, dass seit Ende 1969 keine Ansprüche mehr angemeldet werden können. Ausgeschlossen von Entschädigungen seien lediglich diejenigen, die seit 8. Mai 1945 wegen eines Verbrechens rechtmäßig zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren verurteil wurden, betonten die Koalitionsfraktionen. (Zeitschrift "Das Parlament", Nr. 20/2008 vom 13.05.08) Ungefähr 10.000 Linke und Antifaschisten wurden in der Zeit des Kalten Krieges in der BRD als "Extremisten" ins Gefängnis geworfen; eine Rehabilitierung unterblieb bisher (Quelle: Initiativgruppe für die Rehabilitierung der Opfer des Kalten Krieges, Essen)

4. Der unter 3. benannte Vorgang (Verweigerung der Entschädigung für große Teile der Überlebenden des Arbeiterwiderstandes) verweist uns auf die Rolle der Angehörigen der NS-Opfer, die bis heute unter dem Geschehen leiden. Sprecher der Koalition haben am 8. Mai im Bundestag die nicht entschädigten politischen NS-Opfer als "Verbrecher" tituliert, denen kein Unrecht geschah. Die Angehörigen waren demnach Angehörige von Verbrechern, mit all den Folgen, die das für die Psyche hat. - Michael Teupen, Geschäftsführer des Bundesverbandes Information und Beratung für NS-Verfolgte, schrieb uns zum Problem der "Zweiten Generation":

"Das Thema der Zweiten Generation ist viel zu wenig verbreitet. Und ich glaube auch überhaupt nicht im Bewusstsein der Politiker verankert. Dabei erscheint mir hier Hilfe und Unterstützung dringend erforderlich. Stellen Sie sich doch einfach einmal vor: In einer Familie war während des Nazi-Regimes ein Elternteil im KZ oder sogar beide Elternteile. Es wird (meistens) über die fürchterlichen Erlebnisse in der Familie nicht gesprochen. Es war einfach zu grausam, man möchte es auch verdrängen, man ist auch mit dem Aufbau einer neuen Existenz beschäftigt. Und dennoch ist das Leid, die Gräuel der Vergangenheit latent stets vorhanden. In so einer Atmosphäre wächst ein Kind heran. Da ist etwas, es ist nicht greifbar, nicht zu benennen, aber dennoch spürbar. Dieses Kind kann nicht ‚normal' aufwachsen. Es ist sekundär traumatisiert. Wenn es Glück hat, kann es die Kindheit, in der soviel geschwiegen wurde, verarbeiten, damit fertig werden, lernt, damit umzugehen. In vielen Fällen klappt das aber gerade nicht.

In Israel (und ich glaube auch in den USA) gibt es entsprechende therapeutische Angebote, um auch diesen sekundär traumatisierten Menschen Unterstützung angedeihen zu lassen. Meiner Meinung nach ist es eine berechtigte Forderung, dass Deutschland hier die Kosten für eine entsprechende therapeutische Behandlung für diejenigen, die es brauchen, übernimmt. Auch eventuelle Kosten für Kuren oder Ähnliches. Das ist m.E. zu fordern für die in Deutschland lebenden Betroffenen. Zunächst jedenfalls auf Deutschland begrenzt. Ich denke, das wäre politisch zwar nur sehr schwer durchsetzbar, aber es ist ein legitimes Anliegen, das wir weiter verfolgen sollten. Und wir reden hier nicht über eine kleine Minderheit. Auch hier können Sie sich ja schnell klarmachen, dass das ja nicht nur diejenigen betrifft, die aus sogen. "rassischen" Gründen verfolgt wurden (Juden, Sinti, Roma), sondern auch politisch Verfolgte, NS-ZwangsarbeiterInnen, deren Kinder in Deutschland geboren wurden, etc. Diese Zweite Generation hat bisher keine Lobby, sie artikulieren sich auch selber nicht, sie schweigen. Auch deswegen, weil sie es gelernt haben zu schweigen. Man könnte, was allerdings Geld kostet, ähnlich wie z.B. bei Vertriebenenorganisationen eine Internet-Präsenz schaffen, wo die Betreffenden die Möglichkeit haben, sich zu finden oder sich zu artikulieren und ihre Erfahrungen auszutauschen. Auch Selbsthilfegruppen wären denkbar, das könnten z.B. die Kirchen unterstützen, indem sie unentgeltlich Räume zur Verfügung stellen usw." (E-Mail-Brief von Michael Teupen an Ulrich Sander vom 16. Mai 08)