18.05.08
Das Verfassungsgericht bricht die Verfassung
Grundgesetz bindet die Bundeswehr an die Verteidigung des Landes
Von Ulrich Sander
Merkel, Schäuble & Co. waren sicher nicht glücklich über
das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Ob aber die
Entscheidung zum Awacs-Einsatz vor und während des Irak-Krieges im
Jahr 2003 in der Türkei so „dankenswert“ war, wie der
Verteidigungsexperte der LINKEN im Bundestag und der FDP-Sprecher
nach dem Erfolg der Klage seiner Fraktion meinten, wird im folgenden
Beitrag widerlegt. – Die Redaktion.
Kürzlich hatte ich Gelegenheit, in einer Veranstaltung der
Konrad Adenauer- Stiftung in Dortmund einem obersten Befehlshaber
der Bundeswehr Fragen zu stellen. Mit dem Chef des Generalstabs zu
sprechen - die Gelegenheit hat man nicht alle Tage. (Ach so,
Generalstab darf man nicht sagen. Den Deutschen ist ein Generalstab
seit Potsdam 1945 verboten. Und so heißt er jetzt Befehlshaber des
Einsatzführungskommandos der Bundeswehr mit Sitz in Potsdam.)
Durchsetzung „unserer“ Werte
Der Befehlshaber, zugleich zweithöchster General, heißt
Karlheinz Viereck. Das ist der, der 2006 als Bundeswehrkommandeur im
Kongo sagte: “Ich kann meinen Soldaten nur raten, beim
Selbstschutz keinen Unterschied zu machen zwischen Kindersoldaten
und normalen Soldaten.”
Als ich ihn sah, erschien er sehr viel weniger blutrünstig und
kinderfeindlich. Nett sieht er aus und leise spricht er vom Krieg,
der kein Krieg sei, sondern ein Einsatz-Mix aus Ökonomie, Politik
und Militär, um z.B. in Afghanistan für die Durchsetzung „unserer“
Werte zu sorgen.
Ich wies ihn darauf hin, dass kein Soldat einen gesetzwidrigen
oder gar verfassungswidrigen Befehl befolgen oder erteilen darf, so
steht es im Soldatengesetz, und ich fragte, auf welchen Artikel des
Grundgesetzes er seine Tätigkeit begründe. Auf Artikel 26 doch
wohl nicht, denn der verbiete die Vorbereitung und Führung eines
Angriffskrieges – und die Bundeswehr führe solche Kriege. Auf
Artikel 87a doch wohl auch nicht, denn dort wird die Bundeswehr als
eine Armee zur Verteidigung ausgewiesen, und die Behauptung, dass
die Bundeswehr durchaus das Land, die Sicherheit, die Freiheit –
was auch immer – am Hindukusch verteidige, ist nicht tragfähig,
denn Artikel 115a bindet die Bundeswehreinsätze an die Verteidigung
des Landes, er spricht davon, dass Verteidigung stattfindet, wenn
„das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird“.
Abgeordnete fühlen sich legitimiert...
Die Einsätze der Bundeswehr widersprechen samt und sonders dem
Grundgesetz, das am 8. Mai 1949 vom Parlamentarischen Rat unter
Führung von Konrad Adenauer beschlossen wurde. In dessen Artikel
87a heißt es nämlich: „Außer zur Verteidigung dürfen die
Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es
ausdrücklich zulässt.“ Doch der Generalleutnant redet sich damit
heraus, dass er vom Bundestag seinen Auftrag erhält.
Parlamentarischer Rat – beschloss am
8. Mai 1949 das Grundgesetz
Quelle: www.demokratiegeschichte.eu |
Fragt man nun die Bundestagsabgeordneten, wieso sie die Soldaten
ohne Legitimation durch das Grundgesetz in den weltweiten Einsatz
entsenden, so antworten sie, sie seien durch das
Bundesverfassungsgericht dazu legitimiert worden.
Und dieses Bundesverfassungsgericht hat ganz schlicht
verfassungswidrig gehandelt. Schon durch sein Awacs-Urteil hat es im
Juni 1994 „out of area“-Einsätze genehmigt, wenn diese in einem
„System kollektiver Sicherheit“ (Artikel 24) stattfinden. Damit
sei die UNO gemeint, die das Mandat nach der UNO-Charta erteilen
müsse. Doch eben diese Charta verbietet ebenfalls das Kriegführen
der Deutschen und der Japaner aufgrund der Erfahrungen im II.
Weltkrieg. Dennoch nahm entgegen dieser Charta Deutschland am Krieg
gegen Jugoslawien und an Militäraktionen wie „Enduring Freedom“
teil, ferner an NATO-Aktionen, die wiederum dem ursprünglichen
NATO-Vertrag und dem Völkerrecht widersprechen.
...entgegen UNO-Charta und Grundgesetz
Das Bundesverfassungsgericht hat also Handlungen legitimiert, die
der UNO-Charta und dem Grundgesetz widersprechen. Es hat das
Grundgesetz verändert – per Fehlinterpretation. Der frühere
Verfassungsrichter Berthold Sommer hat zu den „out of area“-Einsätzen
gesagt: Deutschland habe einen Zug in Fahrt gesetzt, ohne die
grundgesetzlichen Schienen gelegt zu haben. So zitiert ihn die „Süddeutsche
Zeitung“ am 8. Mai 2008 und fügt hinzu: „Gleichwohl: der Zug
ist bis zum Hindukusch gekommen.“
Die Änderung des Grundgesetzes per Interpretation ist nicht
statthaft, denn – so heißt es in Artikel 79 – „das
Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den
Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt“.
Der Wortlaut des Grundgesetzes sieht aber nicht vor, zum Beispiel
tausende Kilometer außerhalb unseres Kontinents auf Kinder zu
schießen - oder Rohstoffe zu erobern und Handelswege
freizuschießen.
Und so baut sich das ganze heutige deutsche Militärwesen auf
Verfassungsbruch auf. Und da „die allgemeinen Regeln des
Völkerrechts ... Bestandteil des Bundesrechtes“ sind (Artikel
25), kommt auch noch der Bruch des Völkerrechts hinzu, denn die
Kriege von 1999 (Kosovo) und seit 2001 (Enduring Freedom) verstoßen
gegen die UNO-Charta, weil ja kein UN-Mandat vorlag. Die UNO-Charta
verbietet entsprechend Artikel 53 und 107 Deutschland das
Kriegführen, ebenso wie eine Rückkehr Deutschlands zum
Nationalsozialismus verboten ist.
Grundsätzlich NATO-konform
Das Bundesverfassungsgericht - das soll nicht verkannt werden,
wenn auch stets Hintertüren offen blieben - hat sich in
Grundrechtefragen sehr oft im Sinne der Bürger und nicht der
rechten Staatsraison z.B. eines Herrn Schäuble festgelegt. In
Fragen des Kriegsrechts jedoch entscheidet es stets grundsätzlich
NATO-konform und militärtreu, - und somit eben verfassungswidrig.
Dieses Gericht wird im Übrigen bald weitestgehend ausgedient haben,
wenn es nach der EU geht. Da sich das Verhalten des BVerfG in
auswärtigen und militärpolitischen Fragen ändern könnte, wird es
seine diesbezügliche Zuständigkeit verlieren, und die „Politik“
wird sich nicht dagegen wehren. Künftig werden deutsche
richterliche und gesetzgeberische Instanzen gar nicht mehr in Fragen
von Krieg und Frieden befasst werden: Der EU-Rat entscheidet – und
welches Parlament und welche Richter wollen dann den „Freunden“
in der NATO oder EU in den Rücken fallen, die bereits Truppen
stellen? Es gilt das, was der EU-Rat beschließt, das heißt, was
die Regierungschefs wollen. Und da hilft auch das Awacs-Urteil aus
Karlsruhe vom 7. Mai 2008 nicht viel, das dem Bundestag den Vorrang
gibt, vor der Regierung über einen Bundeswehreinsatz zu
entscheiden.
Wenn es sehr eilig ist
2007 hat das Verfassungsgericht der Regierung erlaubt, den
NATO-Vertrag zu verändern und nach einem geänderten NATO-Vertrag
zu handeln, also Soldaten zu entsenden. Da kann sich der Bundestag
doch nur fügen. Heribert Prantl schreibt dann auch zutreffend in
der „Süddeutschen“ „Es wäre wohl besser gewesen, das
Verfassungsgericht hätte dem Parlament die Entscheidungskompetenz
für das Grundsätzliche gegeben. (...) So aber erweist sich das
Karlsruher Urteil (vom 7. Mai 2008) eher als Trostpflaster für das
Parlament.“
Doch nicht einmal dieses Trostpflaster bietet wirklich Trost.
Denn das Bundesverfassungsgericht erlaubt nämlich der Regierung in
seiner Entscheidung vom 7. Mai, Truppen zu entsenden, wenn es sehr
eilig ist – um dann später die Zustimmung beim Parlament
einzuholen. Auch diese Ausnahmeregelung ist verfassungswidrig. Denn
„die Feststellung, dass das Bundesgebiet mit Waffengewalt
angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht
(Verteidigungsfall)“ – und nur für diesen Fall darf der
Bundestag und Bundesrat, und niemand sonst, laut Artikel 115 a GG
Truppen in Bewegung setzen – „trifft der Bundestag mit
Zustimmung des Bundesrates“. Wenn beide Gremien nicht tagen
können oder nicht beschlussfähig sind, „trifft der gemeinsame
Ausschuß diese Feststellung“ mit Zweidrittelmehrheit. Der
gemeinsame Ausschuß ist eine Art Notparlament.
Ich finde, wir sollten ganz einfach mal öfter ins Grundgesetz
schauen und dessen Interpretationen nicht Politikern und Richtern
überlassen. Denn alle Staatsgewalt geht vom Volke aus, und das
Deutsche Volk hat sich 1949 das Grundgesetz gegeben - laut Präambel
und Artikel 20. (PK)
Ulrich Sander ist Sprecher der Vereinigung der Verfolgten des
Naziregimes und des Bundes der Antifaschisten NRW (VVN/BdA) mit
freundlicher Genehmigung: NRhZ
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