05.05.08
Die Schuldigen zur Rechenschaft ziehen: Die Flicks,
die Quandts und alle anderen
Ehrung der ermordeten
Zwangsarbeiter in Siegen
Rede von Ulrich Sander, Bundessprecher der VVN-BdA am 4. Mai
2008 in Siegen
Vor drei Jahren waren die Vertreter solcher Städte in Dortmund
beim Internationalen Rombergparkkomitee anwesend, die Opfer dieser
Verbrechen zu beklagen haben. Die Berichte aus diesen Orten wurden
nun zusammengefasst in dem Buch "Mörderisches Finale" -
Zu den NS-Verbrechen am Kriegsende. Seit 2005 haben VVN-BdA und IRPK
eine Vernetzung mit 60 Orten hergestellt, in denen ebenfalls „Kriegsendphasenverbrechen“
zu melden waren. 135 Tatorte von Kriegsendphasenverbrechen und
Todesmärschen haben wir inzwischen ausgemacht. An das Verbrechen an
den Zwangsarbeitern hier in Siegen erinnert dieses Mahnmal, vor dem
wir hier stehen. An unserem Buch haben Antifaschisten aus ganz
Deutschland mitgewirkt. Und nun setzen wir diesen Kontakt fort. Wir
schlagen dazu die Teilnahme an dem Projekt „Verbrechen der
Wirtschaft 1933 – 1945“ vor.
Seit vielen Jahren weisen wir in Aktionen darauf hin, dass
Tausende Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in Westfälischen
Betrieben im Krieg Sklavenarbeit leisten mussten. Wir treten für
ihre Entschädigung ein.
1945 schworen die befreiten Häftlinge des KZ Buchenwald: „Die
Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. ...
Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor
den Richtern der Völker steht.“ Die Wurzeln des Nazismus wurden
nicht beseitigt, nur wenige der Schuldigen standen vor den Richtern.
Wir ehren hier die Opfer der NS-Zwangsarbeit, des Systems „Vernichtung
durch Arbeit“. Im höchsten Maße schuldig an der Ausbeutung von
Millionen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern wurden zahlreiche
Vertreter des Großkapitals und der Banken. Von ihrem Profit, den
sie aus Krieg und Leid der Menschen zogen, haben sie kaum etwas in
Form von Entschädigung an die Opfer zurückgezahlt.
Wissenschaftler haben errechnet, dass im Jahre 2000 bei der sog.
Entschädigung der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter nur zehn
Prozent der Summe an entgangenem Lohn an die Überlebenden gezahlt
wurde, von den gut 10 Millionen bereits verstorbenen
Sklavenarbeitern gar nicht zu reden, die keinen Pfennig erhielten
und deren Angehörige ebenfalls leer ausgingen.
Wir fordern den Zukunftsfonds der Stiftung „Erinnerung
Verantwortung Zukunft“, die zur Zwangsarbeiterentschädigung
gebildet wurde, auf, ihre Arbeit fortzusetzen. Wir fordern, die
Schülerinnen und Schüler über die Verbrechen der deutschen
Wirtschaft aus der Zeit von 1933 bis 1945 aufzuklären oder
entsprechende Projekte zu fördern.
Sehr zu begrüßen ist die Aktion Kreuzthaler Bürgerinnen und
Bürger, endlich den Namen Friedrich-Flick-Gymnasium zu beseitigen.
Unsere VVN-BdA in NRW hat eine ähnliche Intention, indem sie eine
Rallye „Spurensuche Verbrechen der Wirtschaft 1933-1945“ auf den
Weg brachte, um eine Dokumentation über diese Verbrechen allein auf
dem Territorium unseres Landes an Rhein, Ruhr und Lippe zu schaffen.
Dazu gibt es hier in Südwestfalen viele Ansätze. Die
Varta-Werke in Hagen und ihre Besitzer, die Quandt-Familie, müssen
endlich als Profiteure des Programms Vernichtung durch Arbeit
benannt und zur Entschädigung gezwungen werden. Die Flick-Betriebe
sind zu untersuchen, wie auch die Fa. Busch-Jäger in Lüdenscheid,
die zum Quandt-Konzern gehörte und von wo aus noch nach 1945 der
Goebbels-Nachfolger Werner Naumann die Fäden zu alten und neuen
Nazigruppen spann. Die Krupp-Zwangsarbeiterlager, die nicht mehr
arbeitsfähige Sklaven nach Auschwitz und Bergen-Belsen verbringen
ließ, verdienen untersucht zu werden, wie auch das Hotel Dresel in
Hagen-Rummenohl, von wo Speer und die rheinisch-westfälischen
Gauleiter Mordfeldzüge unter Gefangenen unternahmen.
"Die Rehabilitierung und die Verbesserung der Entschädigung
für Opfer nationalsozialistischen Unrechts bleibt fortdauern de
Verpflichtung,“ erklärte die Schröder-Fischer-Regierung 1998.
Wer glaubt, dass mit der im Dezember 1999 erfolgten Festlegung des
Zehn-Milliarden-Mark-Beitrages eine ausreichende Summe zur
Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter vereinbart wurde, der irrt.
Die Zwangsarbeiter wurden im Kriege von den Betrieben bei der SS
oder der NS-Arbeitsverwaltung angefordert, sie wurden ihnen nicht
aufgedrängt, wie später gern behauptet wurde. Das war so bei allen
Kategorien von Zwangsarbeit, die es gab: Beim Einsatz der
KZ-Häftlinge, der Kriegsgefangenen, der mit mehr oder weniger Zwang
"Angeworbenen", der Deportierten. Die Wirtschaft des
Deutschen Reiches wäre ohne Zwangsarbeiter zusammengebrochen: die
Landwirtschaft wie die Rüstungsbetriebe, die öffentliche
Versorgung mit Dienstleistungen, wie auch Hauswirtschaft und
Handwerk. Der Experte Prof. Ulrich Herbert stellte fest: "Es
gibt Analysen, die zeigen, dass ein erheblicher Teil unseres
Wirtschaftswunders auf der Entwicklung in diesen Kriegsjahren
beruht, auf der Ausbeutung Europas und der Zwangsarbeiter."
(SZ, 29.12.98) Daher muss auch die Schuld nicht nur der deutschen
Industrie gegenüber den Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern
anerkannt werden, sondern die der gesamten Gesellschaft. Alle, die
am Wirtschaftswunder Anteil hatten, stehen in der Schuld.
Sie dachten es sich so einfach die Herren von der Großindustrie
und den Banken. Für 2,5 Milliarden Euro für die Stiftung
Erinnerung Verantwortung Zukunft, wollten die deutschen Firmen und
Banken alles bekommen: Absolution für Mord und Vernichtung durch
Arbeit, für Raub, Hunger, Demütigung, Diskriminierung,
ungesetzliche Bereicherung, schwerste Körperverletzung,
Freiheitsberaubung und auch noch für Hehlerei mittels Arisierung.
Und künftig wollen sie an ihre nie gesühnten Verbrechen nicht mehr
erinnert werden. Das werden wir nicht hinnehmen. Wir werden keine
Ruhe geben, bis auch die letzten Schuldigen bestraft sind.
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