02.04.08
„Mörderisches Finale“
Ein Buch von Ulrich Sander über NS-Kriegsverbrechen zum
Kriegsende
Von Peter Kleinert
Vor drei Jahren waren Vertreter von Städten beim Internationalen
Rombergparkkomitee in Dortmund zu Gast, die Opfer von
Kriegsendphasenverbrechen zu beklagen haben, wie sie auch im
Dortmunder Rombergpark und in der Bittermark verübt wurden. Die
Berichte aus diesen Orten wurden von Ulrich Sander mit Berichten aus
weiteren Städten in dem Buch „Mörderisches Finale –
NS-Kriegsverbrechen bei Kriegsende“ zusammengefasst.
Ulrich Sander, Autor von „Mörderisches Finale –
NS-Kriegsverbrechen bei Kriegsende“
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Die Mordfeldzüge der Nazis in
den letzten Kriegstagen kurz vor der Befreiung im Frühjahr 1945
richteten sich gegen tausende Nazigegner – gegen deutsche und
ausländische Antifaschisten und gegen Wehrmachtssoldaten, die sich
am Wahnsinn des von Hitler versprochenen und von vielen Deutschen
immer noch erhofften „Endsiegs“ nicht mehr beteiligen oder ihm
ein Ende bereiten wollten. Autor Ulrich Sander ist aber auch
aufgrund seiner Recherchen davon überzeugt, dass es noch ein
zweites Ziel gab: Man wollte einen antifaschistischen Neubeginn nach
dem „verlorenen Krieg“ im Keime ersticken.
Auch Nachkriegsplanungen
SS, Gestapo, aber auch einfache NSDAP-Mitglieder,
Volkssturmmänner und Hitlerjungen beteiligten sich an diesen
Massakern im Ruhrkessel, an Erschießungen in vielen Städten und
Dörfern, am Mord an Gefangenen aus KZs und Zuchthäusern auf
Todesmärschen, an Standgerichten gegen Deserteure. Die Verbrechen
in der allerletzten Phase des Krieges seien „sowohl örtliche
Amokläufe als auch Teil der Nachkriegsplanungen des deutschen
Faschismus“ gewesen. Sander versucht mit seinem Buch, die Opfer
dieses mörderischen Finales „dem Vergessen zu entreißen und die
Täter zu benennen“. Er liefert eine erste – wenn auch noch
unvollständige – Gesamtdarstellung dieser Vorgänge, mit
Personenregister.
Wladimir Gall (li.) vom Komitee der Russischen
Kriegsveteranen und die Tochter Leon Chadiracs (Mitte) | Foto: Uwe
Bitzel
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Bereits bei der Buchpräsentation, so Sander auf der Jahrestagung
des Internationalen Rombergparkkomitees (IRPK) am 20. März in der
Mahn- und Gedenkstätte Steinwache in Dortmund, „mussten wir
feststellen, dass mit der Herausgabe von ‚Mörderisches Finale’
die Arbeit an diesem Thema nicht abgeschlossen ist. So wurden uns
Massaker am Kriegsende aus Sandbostel und Gandersheim gemeldet,
über die wir im Buch noch nicht sehr viel aussagen konnten“.
Zum ersten Mal seit langer Zeit war auch das Russische Komitee
der Kriegsveteranen wieder mit einem Delegierten auf der
Jahrestagung vertreten: Wladimir Gall hat 1945 zusammen mit dem
späteren Filmregisseur Konrad Wolf („Ich war 19“) und einem
weiteren Offizier hunderten Zivilisten in der Spandauer Zitatelle
das Leben retten und so ein Kriegsendphasenverbrechen verhindern
können. Nun wurde er mit 89 Jahren Mitglied des IRPK.
Aus einer Anklageschrift
Kesselschmied Leon Chadirac
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Nach Dortmund kamen
auch Verwandte des französischen Kesselschmieds Leon Chadirac aus
St. Amand-les-Eaux, die erst durch das Buch von den näheren
Umständen seiner Ermordung am Karfreitag 1945 erfahren hatten.
Über Chadirac heißt es in der Anklageschrift des „Oberreichsanwalts
beim Volksgerichtshof“, er sei im Mai 1940 in deutsche
Kriegsgefangenschaft geraten und nach „verschiedenartiger anderer
Verwendung“ im Mai 1942 der Firma Westfälische Union AG in
Lippstadt zugeteilt worden. In Frankreich habe er während der
Volksfrontregierung Leon Blums sozialistische und kommunistische
Versammlungen besucht. In Lippstadt hätten er und andere Angeklagte
sich auf der Grundlage „feindlicher Hetzsendungen“ politisch
abgestimmt, der „Grundton der Gespräche war kommunistisch“ und:
„Der Angeschuldigte Chadirac beschäftigte sich im Gespräch mit
den Verhältnissen der deutschen und französischen Arbeiter und
wünschte für sie den Kommunismus herbei. Er trat für ein
Pan-Europa mit Einschluß Sowjetrußlands ein.“
Platzierung von Nazis in der Nachkriegszeit
Neben den Opfern macht das Buch aber auch Täter aus Gestapo und
SS öffentlich bekannt. Recherchen des Kriminalhistorikers und
ehemaligen Kriminalkommissars Alexander Primavesi ergaben: „Allein
sieben hohe Funktionäre aus dem Reichssicherheitshauptamt in Berlin
wurden nach 1945 bei der Dortmunder Polizei angestellt, darunter der
Chefermittler im Führerhauptquartier gegen die Männer des 20. Juli
1944, Dr. Bernhard Wehner.“
Albert Hoffmann 1944 im „Gauhaus" Bochum
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Der stellvertretende Leiter der Dortmunder Kriminalpolizei in
den 50er Jahren, Dr. Rudolf Braschwitz, sei im
Reichssicherheitshauptamt für das Referat „Bekämpfung des
Kommunismus“ tätig gewesen. „Leiter der Kriminalpolizei wurde
der einstige Dortmunder Polizeioberst Stöwe, dem versuchter Mord an
30.000 Menschen vorgeworfen worden ist.“ Im Zuge der
Kriegsendphasenverbrechen wollten Gauleiter Albert Hoffmann und
Polizeioberst Stöwe 1945 tausende Zwangsarbeiter und
Kriegsgefangene in Bergwerken ertränken, was aber verhindert werden
konnte.
Angesichts der Platzierung von Nazis in allen Ämtern der
Nachkriegszeit wundert es nicht, im Archiv der VVN einen Brief zu
finden, mit dem die Stadt Dortmund der VVN Dortmund am 12. September
1952 eine Gedenkfeier vor dem Forsthaus im Rombergpark zu „Ehren
der Opfer der blutigen Karfreitags 1945“ nur mit den Auflagen
genehmigte, keinen geschlossenen An- und Abmarsch vorzunehmen, auf
das Zeigen von FDJ-Emblemen zu verzichten, keine „hoch- und
landesverräterischen“ Inhalte zu präsentieren, in Reden nicht
gegen Gesetze zu verstoßen, in Straßen keine Zettel zu kleben –
und dies gemäß Kontrollratsgesetz, Grundgesetz und „§1 Abs. 2
der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des deutschen
Volkes vom 4.2.1933“.
Suche nach den Tätern
Springorum – Ehrenmedaille d.
RWTH Aachen Quelle: RWTH Aachen
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Zu den Tätern gehörten nicht nur
Juristen und Polizisten. Am 7. Januar erklärten Mitglieder der
VVN-BdA und des IRPK bei einer Mahnwache vor dem Gelände der
ehemaligen Springorum-Villa: „Hier, im Haus des Fabrikanten und
Hoesch-Stahlkonzernchefs Friedrich Springorum in der Dortmunder
Hainallee trafen sich am 7. Januar 1933 Franz von Papen und
führende Ruhr-Industrielle, um über eine Regierungsbildung aus
Nationalsozialisten und Rechtskonservativen zu beraten. In einem
Gespräch wurde die Weichenstellung für Hitlers Ernennung zum
Reichskanzler am 30. Januar 1933 erörtert und die Voraussetzungen
für die menschenverachtende Diktatur der Nationalsozialisten
geschaffen. Franz von Papen kam von einem Treffen mit dem
Privatbankier Kurt von Schröder und dem NS-Führer Adolf Hitler in
Köln. Viele Ruhrindustrielle unterstützten bereits vor 1933 die
Ziele des Nationalsozialismus und organisierten nach 1933
finanzielle Leistungen der deutschen Wirtschaft an die SS.“ Auf
der Mahnwache wurde gefordert, die Stadt solle ein Schild anbringen,
auf dem über das Geschehen vom Januar 1933 berichtet wird.
Ulrich Sander (67) ist Journalist und freier Autor.
Bundessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
- Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA).
Zahlreiche Beiträge in Büchern und Zeitschriften mit dem
Schwerpunkt Antifaschismus und Antimilitarismus.
Veröffentlichte bei PapyRossa „Die Macht im Hintergrund -
Militär und Politik in Deutschland“. Sein neues Buch
„Mörderisches
Finale - NS-Verbrechen bei Kriegsende“
192 Seiten, Euro
14,90
wurde herausgegeben vom Internationalen
Rombergparkkomitee und erschien 2008 bei papy rossa in Köln. |
Verantwortliche für Verbrechen der Wirtschaft
Nach der Herausgabe von „Mörderisches Finale“ hat die
VVN-BdA ein weiteres Projekt eingeleitet: „Verbrechen der
Wirtschaft 1933-1945“. Es geht um das Zusammentragen von Berichten
aus den Städten, in denen die Täter als Wehrwirtschaftsführer
wirkten. Das Zusammentragen geschieht in Form einer Rallye durch
NRW. Die Aktion vor dem Grundstück Springorum-Villa am 7. Januar
war Teil dieser landesweiten Rallye, zu der von allem junge Menschen
eingeladen sind. (CH)
Abdruck mit Genehmigung der NRhZ.
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