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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

26.03.08

„Krieg an der Heimatfront" 

Verfassungsschutz sieht im VVN-BdA-Sprecher einen Verfassungsfeind 

Von Peter Kleinert

Weil er in einer Rede Ende September 2007 in Minden „Überlegungen des deutschen Innenministers zum Schutz der Bevölkerung gegen terroristische Gefahren“ mit Worten „im terminologischen Anklang an die Nationalsozialisten“ kritisiert habe, landete der Bundessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten (VVN-BdA), Ulrich Sander, im jüngsten Bericht des Verfassungsschutzamtes Baden- Württemberg. In Sanders Vortrag „Krieg an der Heimatfront" ging es um den verfassungswidrigen Einsatz der Bundeswehr gegen Demonstranten beim G-8-Gipfel in Heiligendamm. Ulrich Sander mag es kaum glauben: „Das Grundgesetz kennt noch immer das Verbot des Nationalsozialismus (Artikel 139), doch diejenigen, die sich wie wir den Nazis in den Weg stellen („Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen!“), werden als Verfassungsbrecher dargestellt, weil sie den Nazis ihre Versammlungsfreiheit streitig machen.“ In seiner vom Landesamt für Verfassungsschutz inkriminierten Mindener Rede hatte er Anwachsen des Neofaschismus und seine Duldung und Förderung durch den Staat mit dem Abbau der Demokratie und zunehmende Militarisierung sowie Ausbau des Überwachungsstaates in Verbindung gebracht.

Ulrich Sander (links) mit Gisa Marschefski (Generalsekretärin des Internationalen Rombergparkkomitees, Dortmund) und Prof. Wladimir Gall, der als Hauptmann der Roten Armee die Spandauer Zitadelle am 1. Mai 1945 und damit hunderte Zivilisten befreite. Foto: Michael Hermes

G8-Gipfel – nur ein Vorgeschmack

Als Beispiel für Militarisierung und Ausbau des Überwachungsstaates hatte Sander seine Zuhörer an den G8-Gipfel erinnert: „Mit ihrem massiven Einsatz von Polizei und Militär gegen Demonstranten beim G8-Gipfel in Heiligendamm haben sie uns einen Vorgeschmack auf Kommendes gegeben. Im Schatten solcher Medien-Highlights formiert sich – ohne große Öffentlichkeit, aber staatlich unterstützt – die größte rechtsextreme Bewegung für den „Krieg an der Heimatfront".

Zitat aus der Rede, wegen der Sander „auf die Liste der Verfassungsfeinde gesetzt“ wurde: „Der Abbau der Freiheitsrechte wird mit dem Krieg gegen den Terror begründet, der von außen in unser Land getragen wird. Bundesinnenminister Schäuble malt sogar „nukleare Angriffe“ auf unser Land an die Wand, um mittels Online-Durchsuchungen flächendeckend Freiheitsrechte abzubauen. Kriegsminister Jung will eine Grundgesetzänderung erzwingen, um die Bundeswehr auch zum Kriegführen im Innern des Landes legal einsetzen zu können – und wenn dieser Verfassungsbruch nicht erlaubt wird, dann werde man eben den „übergesetzlichen Notstand“ ausrufen, um gegen die Verfassung zu handeln, z.B. verdächtige Flugzeuge abzuschießen.

Heiligendamm – für Demonstranten verbotene Zone Foto: H. Pflaum, arbeiterfotografie

"Zivil-Militärische Zusammenarbeit“

In Bundeswehrblättern wie „Information für die Truppe“ wird seit Jahren auf den Inlandseinsatz gegen den Terror und das heißt „Chaosgruppen wie z.B. die Gruppe der Globalisierungsgegner“ (IfdT 3/2002) eingestimmt. Per Reservistengesetz vom Februar 2005 wurden noch unter Rot-Grün über eine Million ehemalige Soldaten zusätzlich für die „Zivil-Militärische Zusammenarbeit ZMZ Inneres", d.h. für den Einsatz im Innern bereitgestellt. Rund 5 Millionen Reservisten stehen nun ständig zur Verfügung. Man hatte einfach das Reservistenalter von 45 Jahren auf 60 aufgestockt. Nach welchen Maßstäben die Bundeswehr ihre Einsätze gegen die Bevölkerung des jeweils besetzten Landes – also auch des deutschen Landes – ausrichtet, wird in dem Buch „Geheime Krieger" des rechtsextremen Generals a.D. und ehemaligen Gebirgsjäger- und KSK-Kommandeurs Reinhard Günzel ausgeplaudert: Nach denen der Wehrmachts-Antiterroreinheit Division Brandenburg.“ Die Vorgänger der aktuellen „Brandenburger" waren u.a. im Juni 1941 in Lwow/Lemberg dabei, als 7.000 Juden von deutschen und ukrainischen Wehrmachtsangehörigen ermordet wurden.

„Und eine solche Bundeswehr“, so Sander weiter, „steht nun den zivilen Dienstellen 'zur Seite'“! Im Rathaus von Dortmund wie in allen größeren Städten und Landkreisen wurde eine Kommandozentrale geschaffen.“ Bereits am 3. Dezember 2003 wurden laut Westfälische Rundschau Sanders Wohnung in Dortmund sowie das Landesbüro VVN-BdA in Wuppertal von Beamten des Polizeilichen Staatsschutzes durchsucht und seinen PC beschlagnahmt. Die Begründung: Amtsanmaßung. Der Buchautor und Journalist Sander habe angeblich Internetbriefe mit dem Briefkopf und der Unterschrift des Leiters der Zentralstelle für die Bearbeitung von NS-Verbrechen bei der Staatsanwaltschaft Dortmund an ehemalige Gebirgsjäger wegen Massakern in der Nazizeit verschickt. Sander bestreitet das: „Ein Blick ins Internet hätte genügt, um zu erkennen, dass jedermann diese Fälschungen vorgenommen haben könnte. Ich war es jedenfalls nicht.“ Soweit bekannt wurde, hat die Staatsanwaltschaft diese Ermittlungen gegen Sander inzwischen eingestellt.

„Ich hatt’ einen Kameraden“ – Gebirgsjägertreffen Foto: J. Vogler, arbeiterfotografie

Verfassungsschutz manchmal „sehr böse“

Stattdessen landete er nun im Verfassungsschutzbericht. Sander: „Der Schäuble-Katalog vom Juli 2007 (Spiegel-Interview) zum Aufbau des autoritären Überwachungsstaates ist glücklicherweise noch nicht in Kraft (oder insgeheim doch?), aber schon werden die Kritiker daran (hier die VVN-BdA) vom Verfassungsschutz auf die Liste der Verfassungsfeinde gesetzt… Vor allem darf nicht an die Mitschuld der Eliten der Wirtschaft an Krieg und Faschismus erinnert werden – da wird der Verfassungsschutz sehr böse.“ Weniger böse scheint der Verfassungsschutz zu werden, wenn jemand die Nazi-Losung „Volksgemeinschaft statt Klassenkampf“ so verinnerlicht hat wie Michael Rogowski, von 2001 bis 2004 Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), von dem am 16.12.2004 in TV Phönix dieser Satz zu hören war: „Am 9. November 1989 haben wir mit der Maueröffnung auch die Abrissbirne gegen den Sozialstaat in Stellung gebracht. Hartz V bis VIII werden demnächst folgen. Es ist ein Klassenkampf, und es ist gut so, dass der Gegner auf der anderen Seite kaum noch wahrzunehmen ist“ (lt. Wikipedia). Die NPD, so Rogowski, sei nicht so beunruhigend wie die PDS. Das "Phänomen Rechtsextremismus" solle nicht überbewertet werden. (Nachzulesen in "Freie Presse", Chemnitz, 20.09.2004)

Gebirgsjägertreffen – Protest der VVN-BdA Foto: J. Vogler, arbeiterfotografie

Warum man beim Verfassungsschutz dagegen auf Ulrich Sander böse ist, kann man den Vorwürfen im Bericht aus Baden-Württemberg entnehmen, den wir hier in Auszügen dokumentieren. Sander habe in seiner Rede in der Veranstaltung von attac und VVN-BdA u.a. behauptet: „Die „Gefahr einer Rechtsentwicklung“ in Deutschland sei „offensichtlich“ und durch zwei Merkmale gekennzeichnet: „Anwachsen des Neofaschismus, Duldung und Förderung der Neonazis als mögliche gesellschaftliche Reserve durch den Staat“ und „Abbau der Demokratie durch den Staat, dies auch durch zunehmende Militarisierung und Ausbau des Überwachungsstaates“. Der von Bundeswehreinheiten trainierte Einsatz zur Terrorbekämpfung in Deutschland ziele in Wirklichkeit auch „gegen die außerparlamentarische Opposition“. Die als Reservisten der Bundeswehr weiterhin zu Verfügung stehenden Soldaten seien „die größte rechtsextreme Bewegung“ in Deutschland, die sich „ohne große Öffentlichkeit, aber staatlich unterstützt“, formiere. Dies bedeute eine „ideologisch extrem rechte Beeinflussung der Bevölkerung", da es in Millionen Familien Reservisten mit fortlaufenden Kontakten zur Bundeswehr gebe.“

Abschließende Wertung der Verfassungsschützer: „SANDERs ausfälliger Text über die Bundeswehr passt in das Argumentationsmuster des kommunistischen „Antifaschismus“, dem sich die VVN-BdA als Hauptbetätigungsfeld verschrieben hat. Der Kampf gegen angeblich zunehmende Faschisierungstendenzen in Staat und Gesellschaft schließt den Kampf gegen das bestehende politisch-gesellschaftliche System ein, da nur im Sozialismus bzw. Kommunismus durch die Überwindung der kapitalistischen Produktionsweise einem drohenden „Faschismus“ als „Herrschaftsform des Kapitals“ dauerhaft und endgültig der Boden entzogen ist. Die VVN-BdA, deren Wortwahl in der Regel eher auf breite Zustimmung ausgerichtet ist, offenbart in diesem Beispiel mit seltener Offenheit ihre grob systemfeindliche Einstellung.“

Michael Rogowski – BDI-Präsident von 2001 bis 2004 Quelle: Sachsenmetall, Dresden

„Keineswegs nur gegen auswärtige Feinde“

Die Gründe für diese Förderung von Rechtsentwicklung und Militarisierung der Gesellschaft liegen für Ulrich Sander auf der Hand: „In seiner 'Kaiserlichen Botschaft' zur Schaffung der Bismarckschen Sozialgesetze formulierte Kaiser Wilhelm am 17. November 1881: „die Heilung der sozialen Schäden" dürfe „nicht ausschließlich im Wege der Repression sozialdemokratischer Ausschreitungen" gesucht werden, „sondern gleichmäßig auf dem der positiven Förderung des Wohles der Arbeiter". Nachdem nun die 125jährige Sozialgesetzgebung umkehrbar gemacht wurde, steht auch wieder an, „die Heilung der sozialen Schäden" vor allem „im Wege der Repression sozialdemokratischer Ausschreitungen" vorzunehmen. Und dies mit Polizei und allen militärischen Waffengattungen, wie wir in Heiligendamm erlebt haben. Das Gewaltkonzept des „Krieges gegen den Terror“ und der damit zusammenhängenden Militärkonzepte richtet sich keineswegs nur gegen auswärtige Feinde.“ (PK)

mit freundlicher Genehmigung der NRhZ