26.03.08
Zusammenspiel von Verfassungsschutz,
Bundesinnenministerium und Neonazis bei der „Anti-Antifa“
Wiederauflage eines Referats von
Ulrich Sander (VVN-BdA NRW)
Über „Sinn und Konsequenzen des Anti-Antifaschismus“
referierte vor 13 Jahren Ulrich Sander auf der Gemeinsamen Konferenz
des Marxistischen Arbeitskreises zur Geschichte der deutschen
Arbeiterbewegung bei der Historischen Kommission der PDS, der
Geschichtskommission der DKP und der Marx-Engels-Stiflung (3. und 4.
September 1994 in Berlin). Wenn hier an das alte Manuskript erinnert
wird, so deshalb, weil es u.a. noch heute höchst aktuelle
Enthüllungen über das politisch-ideologische Zusammenspiel von
Inlandsgeheimdiensten mit Neonazis enthält.
Thema der Konferenz: "Arbeiterbewegung. Antifaschismus
und die beiden deutschen Staaten" Thema des Referats:
"Sinn und Konsequenzen des Anti-Antifaschismus"
Referent: Ulrich Sander, Dortmund (Journalist und Mitarbeiter
der VVN-Bund der Antifaschisten)
Liebe Freundinnen und Freunde! Liebe Genossinnen und Genossen!
Ich möchte mit meinem Beitrag den Antifaschisten aus der DDR
Gerhard Bögelein würdigen, der am 9. März 1993 an den Folgen der
Haft und des Urteils "lebenslänglich" starb, nachdem die
Westjustiz mit dem Anschluss der DDR seiner habhaft wurde. Das
"Neue Deutschland" schrieb in einem Nachruf auf Bögelein,
er solle schuld gewesen sein am Tod eines Nazimilitärrichters, der
in sowjetischer Gefangenschaft in die Hände seiner Opfer geraten
war: "Aus dem Blutrichter Kallmerten wurde das Opfer eines
heimtückischen, also nicht verjährenden (!) Mordes, während der
aufrechte Antifaschist Bögelein aufgrund einer lückenhaften
Indizienkette zum Mörder gemacht wurde. Anti-Antifaschismus in
Aktion." (ND, 31. 3. 93)
Die von ehemaligen Hitler-Generalen aufgebaute und bis heute von
ihnen geprägte Bundeswehr hat den Platz der abgezogenen Sowjetarmee
eingenommen. Wir erlebten einen Abgang der hauptsächlichen Befreier
unseres Volkes von der Barbarei des Krieges und des Faschismus, bei
dem kein deutsches Wort des Dankes für ihre Befreiungstat fiel. Wir
erlebten die unfassbaren Ansprüche der Mordfirmen Topf und IG
Farben, der Erbauer der Nazi-Vernichtungslager und -Krematorien, auf
Grundstücke in der ehemaligen DDR. Und wir hörten von dem Beitritt
des ehemaligen DDR-Politikers Prof. Krause in den
IG-Farben-Aufsichtsrat, den dieser vollzog, nachdem er für über 20
Millionen --Mark Besitzer einer Privatbank wurde, ohne zu sagen,
welche "stille Hilfe" ihm diese Summe zur Verfügung
stellte. Wir sind Zeugen des Angriffs auf die Restbestände der
antifaschistischen Vereinbarungen von Potsdam in Gestalt der
Bodenreform, wobei die Nachfolger der Kriegsgewinnler und
Kriegsverbrecher, die seinerzeit enteignet wurden, sich auch noch
auf den letzten sowjetischen Präsidenten Gorbatschow stützen
möchten. Auf der IG-Farben-Hauptversammlung in Frankfurt / Main
wurde von den Besitzern der Blutaktien dann auch emphatisch die
Aufnahme Gorbatschows in den Aufsichtsrat gefordert. Hingegen wurde
die Forderung nach Aufnahme des jüdischen Auschwitz-Opfers und
VVN-Kameraden Hans Frankenthal in die Leitung der AG Ð auf dass
endlich im Sinne der Opfer die IG Farben-Liquidation endgültig
vollzogen werde Ð mit Hohn übergangen. Wir haben erst vor wenigen
Wochen das Urteil des Mannheimer Gerichts vernommen, das den
NPD-Chef Deckert bei seinem Bemühen, die faschistischen Verbrechen
zu leugnen, nur lautere Absichten bescheinigte. Das Gericht billigte
Deckert zu, die in der Geschichte einmaligen Naziverbrechen mit
anderen Untaten aufzurechnen. Nichts anderes tat dann Kohl in seiner
Abschiedsrede für die Sowjetarmee.
All dies illustriert und kennzeichnet Tatbestände in der
Gesellschaft, die Anti-Antifa genannt werden können. Ich bitte um
Verständnis, wenn ich jedoch vor allem über Erfahrungen mit der
Anti-Antifa im engeren Sinne spreche. über die, die sich selbst so
nennt oder jene, die wir Antifaschisten dort einordnen können.
Die organisierte Anti-Antifa der Neonazis besteht seit etwa 1992,
seit regionale Drohlisten erschienen. Sie wurde vor allem im
Zusammenhang mit der Liste "Einblick" bekannt, die vor
einem knappen Jahr veröffentlicht wurde. Diese Liste wurde von den
Nazis versendet und von antifaschistischen Journalisten öffentlich
angeprangert. Nicht die Polizei, deren Fürsorge zunächst in
manchen Medienberichten rührend geschildert wurde, hat die rund 250
betroffenen Personen und zahlreichen Gruppen über die Liste
informiert. Die Polizeibehörden reagierten erst später.
Die Ermittlungen nach rassistischen und faschistischen
Brandanschlägen haben wiederholt ergeben: Es ist für die Neonazis
eine frohe Verheißung, wenn das Bundeskriminalamt und die
Bundesanwaltschaft und nicht nur die zuständigen regionalen
Behörden einen Fall in die Hand nehmen. Und diese Bundesbehörden
nahmen die Sache in die Hand, und sie fanden heraus - und das wurde
uns Betroffenen bei Konsultationen mit der Polizei sogar amtlich
mitgeteilt -, dass die AntiAntifa nichts anderes sei als die
Reaktion der Rechtsextremen auf die Bedrohung durch die Linken. Den
von AntiAntifa Bedrohten, die jetzt auf der Liste stehen, wurde
eiskalt bedeutet, das Bundeskriminalamt wolle den Nazigeheimbund,
der mit "Einblick" immerhin zur "endgültigen
Ausschaltung" seiner Gegner aufruft, nicht als kriminelle
Vereinigung nach Paragraph 129a einstufen. Bundesanwaltschaft und
Bundeskriminalamt haben jedoch nie gezögert, etwa die graphische
Verwendung des Fünf-Zacken-Sterns als Werbung für eine
terroristische Vereinigung der RAF hart zu bestrafen.
Lüge von Linken, die Rechte
hochschaukeln
Das Landesamt für Verfassungsschutz von NRW brachte es fertig,
im Sommer dieses Jahres einen Verfassungsschutzbericht 1993
vorzulegen, in dem davon gesprochen wird, rechts und links
schaukelten sich hoch, wobei die linken Autonomen mit dem Terror
angefangen hätten (S. 30 des von Innenminister Schnoor <SPD>
vorgelegten Berichtes). überhaupt werden auch die Aktivitäten der
AntiAntifa genutzt, um schärferes Vorgehen "gegen
Radikale" anzukündigen - das dann gegen die Linke exekutiert
wird. So wurde in Göttingen bei der dortigen Autonomen Antifa das
gesamte Adressenmaterial und sonstige Archiv über die Nazi-Umtriebe
von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt. Die Adresslisten der Nazis
jedoch blieben in deren Besitz. Man muss sogar vermuten, dass diese
über V-Leute wie in Solingen Einblick in die
Verfassungsschutzdossiers erhalten, die über Demokraten angelegt
wurden.
Inzwischen wissen wir, dass in Groß Gerau (Südhessen) einige
Jugendliche vor Gericht gestellt werden sollen, weil sie mittels
"Einblick" zu Straftaten aufgerufen hatten. Das ist alles.
Die Hintermänner und Drahtzieher bleiben außer Verfolgung,
obgleich sie bekannt sind. Die Verfassungsschutzberichte 1993 von
Bund und Land NRW nennen vor allem Christian Worch aus Hamburg von
der Nationalen Liste als Anführer der AntiAntifa und "Einblick"-Chef.
Doch er bleibt unbehelligt
Als gegen Worchs Mann im Ruhrgebiet, Christian Sennlaub,
vorgegangen werden sollte, hatte auch er seinen Schutzengel. In
Dortmund haben örtliche Staatsanwälte im Frühjahr versucht, mit
dem Paragraphen 129a gegen die Sennlaub-Bande vorzugehen, um jedwede
gemeinsame Aktionen von Neonazis als Schaffung einer kriminellen
Vereinigung und als Verstoß gegen das Verbot nazistischer
Organisationen verfolgen zu können. Doch das Landgericht Dortmund
hat in Übereinstimmung mit den Bundesbehörden eine entsprechende
Anklage gegen eine geheime Neonazigruppe - es ist dieselbe, die
meine Familie und mich als damaligem stellvertretendem
UZ-Chefredakteur vor fünf Jahren erheblich bedrohte - abgewiesen.
Es wurden nur "Einzeltäter" und "Einzeltaten"
bestraft. Es waren mal wieder "dumme Jungen"-Streiche.
Die Sicherheitsbehörden urteilen über Antifaschisten, als seien
sie die eigentlichen Feinde der Demokratie. Dies erinnert an die
Zeit vor 33. Bekanntlich zogen nicht einmal die zum Umsturz
aufrufenden Boxheimer Dokumente der Nazis strafrechtliche
Konsequenzen nach sich (siehe Pomorin u.a. "Blutige
Spuren" - der zweite Aufstieg der SS, Dortmund 1980, S. 184).
Denn sie wären ja die Antwort auf einen angeblich möglichen
kommunistischen Putsch. Die Nazis brauchen auch heute nur eine
Straftat der Linken zu erfinden und selbst ihre brutalsten Pläne
finden somit "Verständnis". In Köln weigert sich die
Staatsanwaltschaft, die Deutsche Liga zu verfolgen, die dazu
aufgerufen hatte, sich nur noch bewaffnet an den NPD-Infostand zu
stellen und gegen Andersdenkende mit Gewalt vorzugehen. Dies sei als
Verteidigung denkbar, sagte der zuständige Oberstaatsanwalt
gegenüber der VVN-BdA NRW, obgleich das Grundgesetz nur die
unbewaffnete Versammlung der Bürger zulässt.
Doch gehen wir von der Praxis der AntiAntifa über zu ihrer
Theorie. In dem "Einblick" findet sich eine
grundsätzliche Präambel mit der Einschätzung: Die einzige
Übereinstimmung der Nazigegner "mit dem dummprogrammierten
Bundesbürger bleibt das 'ewige Zugpferd' der deutschen Linken,
bleibt der 'Antifaschismus'." Daher sei Anti-Antifaschismus
dringend geboten, und den versteht man dort in jenen Kreisen in
seiner terroristischen Form, d. h. Andersdenkende sind zu
"bestrafen".
Bürgertum hilft Nazis - schon vor
1933
Diese Einschätzung teilt auch das Bundesinnenministerium, das
eigentlich gegen die Antidemokraten vorgehen sollte. Mich erinnert
die Verweigerung der Hilfe für die Antifaschisten, ja sogar die
Behinderung ihrer Arbeit, an die Zeit vor 1933. Als einmal die SPD
im Lande Bayern die Hilfe der Bayerischen Volkspartei, der
Vorläuferin der CSU, gegen die NSDAP-Banden erbat, da antwortete am
11. November 1923 Dr. Schäffer, der spätere Vizekanzler unter
Adenauer: Wir helfen Euch nicht gegen Eure Konkurrenten. "Wir
haben keinen Anlass, uns gegen diese Verbände zu wenden, ihnen mit
Misstrauen entgegenzutreten." (It. Tagesspiegel vom 20. 5. 1948
und Weißbuch der VVN "In Sachen Demokratie", Ludwigsburg
1960)
Leider wird heute sogar in Teilen der PDS - so ihr Vertreter in
der Eppelmannkommission des Bundestages - von einem
"Antitotalitären Konsens" gesprochen - und damit wird der
antifaschistische Konsens einfach ad acta gelegt. Die
Rechtskonservativen begnügen sich natürlich nicht mehr mit diesem
Totalitarismuskonsens. Sie sagen: "Vielleicht werden die
frühen neunziger Jahre dereinst als eine Inkubationszeit für den
Beginn eines Anti-Antifaschismus gelten." Das schrieb die FAZ
(Artikel von Dr. Eckard Jesse am 28.8.1991) bereits im Jahre 1 des
neuen großen Deutschlands. In diesem Jahre 1 betonte das Organ des
Großkapitals FAZ, dass der Sieg des 3. Oktober 1990 erst dann
vollkommen sei, wenn der Antifaschismus überwunden ist.
Ganz und gar dem entsprechend formulierte die
Eppelmann-Kommission: "Zu den Nachwirkungen des Antifaschismus
gehört ein ebenso verzerrtes wie einseitiges Bild vom
nationalsozialistischen System, seinen Opfern und dem Widerstand
gegen ihn. Es gilt, dieses Bild ... angemessen zu korrigieren."
(ND, 20. 6. 1994) Dass nicht nur der DDR-Antifaschismus, immerhin
jener, der die wirtschaftlichen Grundlagen des Faschismus radikal
beseitigte, über Bord gehen soll, wird an anderer Stelle in dem
Bericht deutlich: "Inwieweit zwischen dem ,verordneten
Antifaschismus' und einem demokratischen unterschieden werden kann,
bedarf noch eingehender wissenschaftlicher Diskussion... "
Verlangt wird der Antitotalitarismus. Er bedeutete übrigens in
der Bonner Bundesrepublik nie eine Gleichbehandlung von linken
Radikalen und Faschisten. Er war ein antikommunistischer Konsens mit
antifaschistischen Verbrämungen, der mit Beginn des Kalten Krieges
eingeführt wurde, um den Antifaschismus des Grundgesetzes und der
ersten Nachkriegsjahre abzulösen.
Marx und Engels schrieben im Kommunistischen Manifest: "Die
Waffen, womit die Bourgeoisie den Feudalismus zu Boden geschlagen
hat, richten sich jetzt gegen die Bourgeoisie selbst."
(Manifest, Dietz Verlag Berlin 1969, S. 21) Die Waffen, mit denen
sich das große Kapital des nicht mehr siegreichen Nazifaschismus
entledigte oder entledigen wollte, richten sich heute gegen die
Herrschenden und Regierenden. Sie wollen deshalb nicht mehr die
Worte wahrhaben, die der spätere Bundeskanzler Dr. Adenauer im
März 1946 in der Aula der Kölner Universität aussprach: "Die
aktiven Nationalsozialisten und die aktiven Militaristen, die für
den Krieg und seine Verlängerung Verantwortlichen, dazu gehören
insbesondere auch gewisse Wirtschaftsführer, müssen aus ihren
Stellen entfernt werden. Sie müssen, je nach Lage des Falles, von
deutschen Gerichten bestraft, ihr Vermögen muss ganz oder teilweise
beschlagnahmt werden. Das Elend, das sie über Deutschland, über
die ganze Welt gebracht haben, schreit zum Himmel." (Weißbuch
der VVN, Ludwigsburg 1960, S. 14)
Die Tagungen des Verfassungsschutzes
zur Propagierung der Anti-Antifa
1990 veranstaltete das Bundesinnenministerium Tagungen mit
Wissenschaftlern und Publizisten, um einen immer noch populären
Antifaschismus endgültig zu überwinden, der als Relikt der
Nachkriegszeit dargestellt wurde, die nun zuende sei. Die Ergebnisse
der Tagungen wurden seit Oktober 1990 in Broschüren des
Bundesinnenministeriums (Chef: Wolfgang Schäuble) und auf Tagungen
mit Journalisten - an einer in Hahnenklee im Harz nahm ich 1991 teil
- regierungsamtlich verbreitet. Es handelt sich um politische
Bildungsmaterialien, die den Anti-Antifaschismus begründeten, bevor
die Neonazis selbst auf die Idee AntiAntifa kamen. So gab es eine
Broschüre zur "Inneren Sicherheit" mit dem Titel
"Bedeutung und Funktion des Antifaschismus". Darin wird im
Vorwort des Ministeriums der angebliche Missbrauch des
Antifaschismus angeprangert: "Die Linksextremisten sehen in ihm
ein neues Schwerpunktaktionsfeld für sich, nachdem Friedensbewegung
und Anti-Kernkraft-Bewegung abgeflaut sind. Sie setzen auf die
traditionelle Zugkraft des Antifaschismus, um so ihre
Bündnisfähigkeit zurückzugewinnen." (hg. vom
Bundesinnenministerium, Oktober 1990)
In einer neuen vom Innenministerium verbreiteten Broschüre kommt
gar ein Professor mit rechtsextremen Verbindungen, Hans-Helmuth
Knütter, zu Wort, der bereits im Vorwort schreibt: Die Broschüre
"Antifaschismus als innen- und außenpolitisches
Kampfmittel" "dient der Enttabuisierung des ,Faschismus'
und der Kritik am Antifaschismus. Denn "Formeln" wie ,die
finsterste Zeit der deutschen Geschichte' erhellen nichts, klären
nicht auf, legen Bekenntnisse der Gesinnungstüchtigkeit ab und
markieren Opportunismus, sind pseudomoralisch und tabuisieren
dadurch. Das gilt es zu überwinden." (hg. vom Seminar für
politische Wissenschaft der Universität Bonn und verbreitet vom
Bundesinnenministerium seit 1991) Hier soll die finsterste Zeit der
deutschen Geschichte geschont werden, soll das Terrorregime, das die
Gewerkschaften zerschlug, die Funktionäre der Arbeiterbewegung
grausam verfolgte, Andersartige und Andersdenkende millionenfach
ermordete, die Welt mit Krieg überzog reingewaschen und wieder
salonfähig gemacht werden - und zwar alles aus Steuermitteln
finanziert.
Neonazis und bundesdeutsche Geheimdienste des
Bundesinnenministeriums arbeiten also - jeweils auf ihre Weise - an
der Beseitigung des Antifaschismus. Gleichzeitig ist die Regierung
daran gegangen, den Rassisten und Ultrarechten in aller Welt
Auftrieb zu geben. So haben sie jenen Herrn Tudjman aus Zagreb
gefördert, dessen Partei nach Einschätzung von Fachleuten der
Sozialistischen Internationale mit den deutschen Republikanern
vergleichbar ist. Sie haben geholfen, Jugoslawien zu zerschlagen und
künstliche nationalistische und "reinrassige" Staaten zu
schaffen, die nun in nationalistischer Manier aufeinander
einschlagen und noch dazu auf allerlei Waffenlieferungen aus dem
Westen bauen dürfen. Ich war selbst Zeuge einer Konferenz von
Wirtschaftsvertretern und hohen Offizieren im Herbst 1991 in
Fürstenfeldbruck, wo der Verfassungsexperte der CDU und ehemalige
Verteidigungsminister Rupert Scholz ausführte: Es wurden die
Ergebnisse des zweiten Weltkrieges revidiert, aber es steht noch
bevor, jene des ersten Weltkrieges zu beseitigen - dies vor allem
angesichts der Verhältnisse in Jugoslawien.
Ich kann auch keine antifaschistische Haltung Bonns darin
erblicken, wenn dem Moskauer rechtsextremen Führer Schirinowski die
Einreise verweigert wird, zugleich aber sein Freund und Lehrmeister
Dr. Frey von der DVU ungehindert seine neonazistische Arbeit
fortsetzen kann. Denn dieser Schirinowski ist der einzige führende
russische Politiker neben Jelzin, der die Ersetzung der bisherigen,
durch den Jelzin-Staatsstreich beseitigten Verfassung durch die neue
Verfassung begrüßt hat, weil sie ihm auf den Leib geschneidert
ist, weil sie ihm die Möglichkeit zur Diktatur einräumt, wie sie
Jelzin die Möglichkeit zur Diktatur einräumt. Um zu dieser
Verfassung zu gelangen, haben die westlichen Politiker die blutige
Zerschlagung des russischen Parlaments und die Absetzung des
russischen Verfassungsgerichts begrüßt. Die Erschießung und
Verhaftung von Parlamentariern, das Vorgehen gegen ein Parlament mit
Granaten und Panzern war bisher in Europa den Faschisten
vorbehalten. Daran wieder anzuknüpfen, ist eine traurige
Errungenschaft für das Europa nach der Wende. Sie widerspricht der
KSZE-Charta von Paris von 199O, in der "Verantwortlichkeit
gegenüber der Wählerschaft, Bindung der staatlichen Gewalt an das
Recht sowie eine unparteiische Rechtspflege" sowie der
Grundsatz formuliert wurde: "Niemand steht über dem
Gesetz." (Dokumentation "20 Jahre KSZE", Auswärtiges
Amt, Bonn S. 144/145)
Bundesverfassungsgericht verstößt
zugunsten der Bundeswehr gegen den Verfassungstext
Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Einsatz der
Bundeswahr über den bisherigen Rahmen ihres Auftrags hinaus, wird
ebenfalls das Parlament teilweise ausgeschaltet, wenn auch
eleganter. Dieses Urteil erlaubt ja nicht nur eine gefährliche
Militarisierung der Außenpolitik und die Entfesselung des
Militarismus. Es wurde auch von Herrn Schäuble sofort als
Bestätigung seiner These von der Möglichkeit des
Bundeswehreinsatzes im Innern aufgefasst. Vor allem aber ist es ein
Urteil, das die Verfassung verändert. Eine Veränderung der
Verfassung ist aber dem Gesetzgeber vorbehalten. Das ganze Gefüge
der Gewaltenteilung - Grundelement der freiheitlich demokratischen
Grundordnung, wie uns immer erzählt wurde und wie es uns als
Wesenselement des Antitotalitarismus und der Demokratie dargestellt
wurde - gerät aus den Fugen. Der Parlamentarismus ist auf dem
Rückzug. Die Ausschaltung des Parlaments ist aber eine der
Voraussetzung für den Faschismus.
Wenn wir im nächsten Jahr den fünfzigsten Jahrestag der
Befreiung vom Faschismus begehen, dann sollten wir klar vor einem
neuen Faschismus warnen. Doch dabei ist zu differenzieren. Der
heutige AntiAntifaschismus, jener der terroristischen Neonazis wie
auch jener der Konservativen, stellt zwar eine gewisse Einheit dar.
Er ist aber nicht die unmittelbare Vorstufe zu einem neuen
Faschismus. Er signalisiert uns vielmehr - anders als der bisherige
Antitotalitarismus -, dass auch faschistische Herrschaftsformen von
den Rechten nicht mehr vollkommen ausgeschossen werden. Das sind
Formen der Herrschaft, die sowohl die Nazis in führender Rolle
sehen, als auch die Konservativen als Hegemon haben können, wobei
dann die Nazis als Druckpotential aus der Opposition heraus in
Erscheinung treten.
Faschismus muss sich nicht so wie 1933 wiederholen. Er kann sich
auch auf andere Weise etablieren. Er kann sich so etablieren, wie es
sich Militaristen und Rechtskonservative vor 1933 zunächst
erträumten, die die Nazis gern als Opposition oder kontrollierten
Koalitionspartner sahen, der Druck ausübt, um die gesamte Rechte zu
befähigen, die Arbeiterbewegung niederzuhalten, die Gewerkschaften
zu schwächen, den Kriegseinsatz der Truppen in aller Welt zu
ermöglichen und auch im Innern Soldaten gegen Demokraten
einzusetzen. Auch diese Gefahren gilt es abzuwehren: Die Gefahren
des Bündnisses der Rechten mit den Ultrarechten.
Bedrohlich ist heute auch wieder die politisierende Führung des
Militärs. Die Bundeswehr wurde wieder zur Hochburg rechtsextremer
Kräfte. Damit und mit dem Bundesgrenzschutz soll das Hinterland
ruhig gestellt werden, damit die Pläne nach außen gedeihen
können. Die Notstandsgesetzgebung, die 1968 gegen den erbitterten
Widerstand der Gewerkschaften eingeführt wurde, wird wieder
aktuell.
Das Konzept des Anti-Antifaschismus, das den Antitotalitarismus
ablösen wird, bedeutet die völlige "Abwicklung" des
Antifaschismus. Demonstrativ hat Kanzler Kohl im Juni dieses Jahres
bei der berüchtigten Deutschland-Stiftung den
Konrad-Adenauer-Freiheitspreis entgegengenommen und den
profaschistischen Kräften seine Referenz erwiesen, offenbar um mit
ihnen das Bündnis zur Wahl herzustellen. Er hat in seiner Rede zum
20. Juli den ganzen Widerstand gegen den Nazismus auf jene Kreise
reduziert, die sich Hitlers entledigen wollten, als er nicht mehr
für die Monopole und das Gesamtsystem von Nutzen war. Das sind aber
dieselben gewesen, die Hitler die Macht übergaben, als es für ihr
System von Vorteil war. Damit ist nichts gegen den Widerstand der
Offiziere gesagt, aber viel gegen manche Pläne, die manche Kreise
damit verbanden.
Bürgerliche als Leugner des
Holocausts
Der Konservatismus will heute seine Vergangenheit als Wegbereiter
und Teilnehmer am blutigen Weg des Faschismus ableugnen, um an
seiner Zukunft unter Teilnahme der ultrarechten Kräfte zu arbeiten.
Dies ist nicht anders möglich als mit der Distanzierung vom oder
Leugnung des Holocaust oder mit seiner Relativierung mittels der
Geschichtsrevision in Fonsetzung des Historikerstreits. In einem
Aufsatz von Thomas Assheuer über die Reaktion von Armin Mohler und
Ernst Nolte auf das Mannheimer Deckert-Urteil - sie machen sich nun
Sorgen um die "geistige Freiheit der Wissenschaft",
nachdem das Urteil so heftig kritisiert wird - findet sich die
Schilderung des wichtigsten Datums für den Aufbruch der Neuen
Rechten aus seiner Isolation: "Nationalistische Positionen
waren tabu; die Trennlinie zwischen rechtsradikalen und
konservativen Positionen war als politische Moral der Republik klar
markiert. Das galt bis zum 6. Juni 1986. An diesem Tag
veröffentlichte der Historiker in der FAZ einen Artikel, den die
Neue Rechte bis heute als ihren größten Triumph verbucht. Für
Mohler (SS-Freiwilliger, Berater von Jünger, Strauß und
Schönhuber sowie Mann der Deutschland-Stiftung - U.S.) ist Nolte
der brother in arms. Er war der erste, der die von Mohler
präparierten Stichwörter aufgriff, ergänzt von der bizarren
Behauptung, die Vernichtung der Juden sei eine übersteigerte
Reaktion auf den Archipel Gulag gewesen." (Frankfurter
Rundschau, 27. 8. 1994)
Im Diskurs des militanten Neonazismus dominiert gleichzeitig die
Wiederbelebung der nationalrevolutionären Strategie der Gebrüder
Strasser und des SA-Chefs Röhm, ferner des einst nach England
abgereisten Führer-Stellvertreters Rudolf Hess. Der Kampf innerhalb
des Neofaschismus geht darum, dass die sogenannte "zweite
Revolution" nicht wieder wie am 30. Juni 1934 niedergemetzelt
werden kann. Seine Befürworter führen ins Feld, dass Hitler und
seine Linie ja den Krieg verloren hätten, weshalb nun ihnen, der
Strasser-Richtung, die Führung im Neofaschismus gebühre. In diesem
Sinne schlägt der ultrarechte Verleger Gerd Sudholt in seinen
Veröffentlichungen zum 20. Juli 1994 den Bogen vom "Röhm-Putsch"
zum Stauffenberg-Attentat, um einen Faschismus ohne Hitler, eine
revidierte Geschichte als Denkvorlage zu präsentieren. (Nr. XIII
von "Deutsche Geschichte", VGB-Verlagsgesellschaft, Berg
am Starnberger See).
Die Geschichtsrevision ist ein Indikator für die Durchdringung
der Gesellschaft mit faschistischer Ideologie. Der Asylbeschluss des
Bundestages von 1993, das Karlsruher Urteil gegen das Verbot der
Auschwitz-Lüge - das ja erst das Mannheimer Urteil ermöglichte -
und das Karlsruher Bundeswehrurteil von 1994 zeigen, wie die
praktische Politik von ultrarechten Positionen durchdrungen ist. Das
Rep-Programm wird von den etablierten Parteien abgearbeitet. Um den
Sozialabbau durchzusetzen, wird nach dem Asylsuchenden nun der
Sozialhilfeempfänger als Sündenbock deklariert, wie es das
CDU-Wahlprogramm ausweist, das zugleich den starken Staat preist,
der gegen die organisierte Kriminalität zu Felde zieht - ein
Lieblingsthema der Rechtsextremen.
Faschisten drohen mit Terror gegen
nicht willfährige Bürgerliche: Der "Einblick"
Doch die Neonazis drängen schon seit 1992 auf immer neue
Maßnahmen gegen den "Ethnozid an den Deutschen". Und so
wollen sie diese durchsetzen: "Der eigentliche Gegner ist nicht
der Asylant, der Zigeuner, der Wirtschafts- oder Kriegsflüchtling.
Wir müssen uns an die halten, die uns die Suppe eingebrockt
haben." Und das sind 1. der deutsche Gesetzgeber, die deutsche
Regierung und alle nachgeordneten deutschen Behörden, 2. die
deutschen Parteipolitiker von CDUCSUSPDFDPPDSGRÜNEN, 3. deutsche
Juristen, 4. deutsche Kirchenvertreter, 5. deutsche
Gewerkschaftsfunktionäre, 6. deutsche Unternehmer, die 'billige
Ausländer' beschäftigen, 7. deutsche Medienvertreter, 8. deutsche
Lehrer aller Schulstufen und Professoren, 9. deutsche Schriftsteller
und andere Kunstschaffende, 10. Funktionäre deutscher Sportvereine
und -verbände, 11. verschiedene Bürgerinitiativen,
gesellschaftliche Gruppierungen, Vereine und Verbände, 12. mehr
oder weniger bekannte und einflussreiche deutsche
Einzelpersönlichkeiten." Sie alle seien
"Inländerfeinde".
Sie sollen mit politischen Mitteln und mit Gewalt bekämpft
werden: "Alle diese Leute müssen wissen, dass sie die
Zielscheibe künftiger grundstürzender Veränderungen sein werden
und dass sie unter Umständen ein gewisses Risiko eingehen, wenn sie
ihre Aktivitäten fortsetzen." So hieß es im zentralen
neofaschistischen Magazin "Nation Europa" 11/12-92.
Etablierte Politiker hatten keine Mühe, sich mit ihrer
ausländerfeindlichen und unsozialen Politik diesen Forderungen
anzupassen.
Die Drohung von "Nation Europa" vor zwei Jahren wurde
dann ergänzt durch den "Einblick". Waren die Warnungen
vor dem Konzept der "Nation Europa" noch als Spinnerei
abgetan worden, so gab der "Einblick" einen Eindruck, wie
ernst solche Konzepte gemeint sind. Solange der Terror der
Faschisten "nur" Ausländer, Flüchtlinge und andere
"Nichtdeutsche" traf - immerhin 70 Tote in drei Jahren -,
half das gute Deutschland sich mit Lichterketten und
Weizsäcker-Reden aus, um das Ausland zu beruhigen. Die Entwicklung
des Neofaschismus schreitet aber voran, und keine Lichterketten sind
heute zu sehen. Mittlerweile haben die Faschisten ein
"Regierungsprogramm" einer Notstandsregierung für die
ersten 100 Tage nach der Machtergreifung veröffentlicht. (So in den
"Staatsbriefen" des Hans Dietrich Sander,
November/Dezember 1993) Die Diskussion darüber eint das
neonazistische Lager und dient den Rändern der Regierungsparteien
als Steinbruch, aus dem sie Ideen klauen und moderat umsetzen.
Programmatisch und organisatorisch ist der Neofaschismus kaum noch
einzugrenzen.
Worum geht es unmittelbar? Wir müssen bedenken: Die
Neofaschisten werden arbeitsteilig vorgehen, um dabei der von ihnen
gewünschten "kulturellen Hegemonie" immer näher
zukommen. Wichtige Vordenker des Neofaschismus setzen deshalb
realistischerweise nicht nur auf Sieg und parlamentarische
Vertretungen, sondern auf die Schaffung von Voraussetzungen für
das, was sie eine "nationale Revolution" nennen. Solche
Voraussetzungen liegen nicht nur in neofaschistischen Wahlerfolgen
und in der Nutzung der Krise und ihres sozialen Nährbodens im Sinne
einer Massenbasis der Neofaschisten, sondern vor allem in der
weiteren Bewegung des Konservatismus nach rechts.
Was kann man tun?
Über die sich daraus ergebenden Schritte für die Demokraten
haben wir im März dieses Jahres auf einer antifaschistischen
Landeskonferenz von Organisationen und Initiativen, darunter viele
Gewerkschafter, auf Einladung des DGB Essen beraten. Was ist zu tun?
fragten wir und meinten: Es gilt,
- weiterhin den Einzug von neofaschistischen Kräften in die
Parlamente zu verhindern. Dabei kamen wir voran, doch es geht um
mehr:
- wo vorhanden, reaktionäre Inhalte und demokratiefeindliche,
nationalistische und rassistische Positionen im gesamten
Spektrum etablierter Parteien zu entlarven und zu bekämpfen.
- die Tatsache zu verdeutlichen, wie ultrarechte Positionen nach
und nach verbreitet werden, wie z. B. die Republikaner "ihr
Programm abarbeiten lassen" wie beim Asylbeschluss
erkennbar).
Notwendig ist es ferner, so stellten wir fest, die Aktionseinheit
und das Bündnis der Antifaschisten zu stärken. (Siehe dazu
"Zu den bevorstehenden Wahlen", Vorschläge der
antifaschistischen Landeskonferenz NRW vom 5. März 1994 in Essen,
erhältlich bei VVN-BdA NRW, Gathe 55,42107 Wuppertal) Weiter
erklärten wir:
"Alle Ansätze, innerhalb demokratischer Volksparteien
Brücken zum Neofaschismus zu bauen, sind zu bekämpfen, alle
bestehenden Brücken sind zu brandmarken und zum Einsturz zu
bringen. Da der Neofaschismus immer im Ghetto bliebe, wenn es diese
Brückenköpfe nicht gäbe, ist der Bekämpfung der
Querfrontstrategie der Neofaschisten besonderes Gewicht
beizumessen."
Schließlich möchte ich betonen: Antifaschismus kann sich nicht
darauf beschränken, den ihm vom jetzigen Herrschaftspersonal
zugewiesenen Gegner zu bekämpfen. Deren Motivation ist nämlich
allein, die bisherige Macht nicht mit den Faschisten teilen zu
müssen. Antifaschismus muss auch diejenigen aufs Korn nehmen, die
den Faschismus brauchen, die ihn hätscheln, finanzieren und immer
wieder neu gebären, mit einem Wort, ihn notwendig zur eigenen
Machtausübung brauchen.
Was Not tut, ist eine neue Außerparlamentarische Opposition und
eine stärkere Bewegung für eine demokratische, antifaschistische
Republik. Wenn heute die SPD-Führung wie vor 1933 gegen die
"kommunistische und undemokratische PDS" vorgeht und wenn
sich einige PDSler und DKPler wechselseitig als
"Stalinisten" ausgrenzen oder "Sozialdemokraten"
schimpfen, so ist dies der Einheit hinderlich, hilft es den Rechten.
Im Ringen um den Erhalt von Grund- und Menschenrechten und um die
Verteidigung der Demokratie erkämpften Antifaschisten in der
Antinotstandsbewegung vor einem Vierteljahrhundert die Aufnahme des
Artikels in die Verfassung, der lautet: "Gegen jeden, der es
unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das
Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist."-
|