21.03.08
„Faschisten können nur so stark sein, wie die
demokratische Kultur schwach ist.“
Rede von Gisa Marschefski zur
Gedenkkundgebung am Mahnmal in der Bittermark
Karfreitag, 21. März 2008
Verehrte Angehörige der Ermordeten,
liebe Kameradinnen und Kameraden,
verehrte Anwesende,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Dr. Langemeyer,
in diesen Tagen sind es 63 Jahre her, seit das schier Undenkbare
geschah.
Um die 300 Frauen und Männer aus 7 Nationen Europas wurden hier,
im Süden des Stadtgebiets von Angehörigen der Geheimen
Staatspolizei des Naziregimes gequält, ermordet und verscharrt.
Mein Vater Erich Mörchel und sein Bruder Karl wurden wie
hunderte ihrer bekannten und unbekannten Kameradinnen und Kameraden
des Widerstandes, Opfer eines zu tiefst menschenfeindlichen Systems.
Die Zeit reicht nicht aus, um an dieser Stelle das Leid jener
Menschen zu schildern, derer wir heute gedenken.
Allein ein Blick auf die Fotos der exhumierten Mordopfer läßt
erahnen, welchen Qualen sie ausgesetzt waren, bevor der tödliche
Genickschuß ihrer Mörder sie traf.
Tiefe Trauer umfängt uns, die Angehörigen, und sicher auch Sie,
verehrte Anwesende, wenn wir diesen Platz mit seinem Mahnmal und den
Gräbern unserer Toten betreten.
Es ist mehr als eine Bekundung unserer Trauer um die Ermordeten
die uns an jedem Karfreitag hier zusammenführt.
Es ist mehr und mehr eine Kundgebung, welche unsere Trauer
umwandelt in Sorge und Zorn darüber, daß 63 Jahre nach den
Karfreitagsmorden von 1945 immer noch, und gegenwärtig verstärkt,
geistige Erben der Nazimörder lauter und aggressiver werden.
Nicht weit von hier, in Lippstadt, wurde vor kurzem ein
Gedenkstein mit Farbe beschmiert.
Dieser Gedenkstein trägt den Namen von 7 deutschen Arbeitern aus
Lippstadt und von 6 ihrer französischer Kollegen.
Gemeinsam wurden sie Opfer der deutschen, nazistischen Barbarei.
Noch wissen wir nicht genau, wer das Denkmal für die Opfer der
Rombergparkmorde geschändet hat.
Wir erleben aber, daß solche Nazisschmierereien immer immer
wieder auftauchen, in Lippstadt, in Dortmund und im ganzen Land.
Verehrte Anwesende, unter uns befinden sich Angehörige von einem
der französischen Arbeiter, dessen Namen auf dem Gedenkstein in
Lippstadt eingemeißelt ist.
Zum ersten Mal nehmen Familienangehörige von Leon Chadirac,
darunter dessen Tochter Brigitte Scamps – Chadirac, an den
Gedenkveranstaltungen hier in der Bittermark und morgen in Lippstadt
teil.
Ich möchte ihnen sagen, daß ich zu tiefst empört bin darüber,
daß das Andenken an Leon Chadirac und aller Rombergparkopfer von
neonazistischen Banden geschändet wurde.
Dieses und zahlreiche andere Beispiele in unserer Stadt und im
ganzen Land zeigen, wie notwendig es ist, gegen den Neonazismus und
all seine Erscheinungen endlich mit staatlichen Mitteln vorzugehen.
Ein sehr wichtiger und längst überfälliger Schritt wäre ein
Verbot der neonazistischen NPD:
Mehr als 175.000 Menschen in Deutschland haben mit ihrer
Unterschrift die Aktion „NoNPD“ unterstützt und ein Verbot
dieser Partei gefordert.
Im Gedenken an meinen Vater und all seine hier ruhenden
Kameradinnen und Kameraden rufe ich die Verantwortlichen in den
Parlamenten und Regierungen auf:
Verbietet endlich die neonazistische NPD, löst alle ihre Neben-
und Unterorganisationen auf und verbietet ihre Aktivitäten!!!
Solche staatlichen Maßnahmen, verehrte Anwesende, können und
sollen nicht den Einsatz der Demokraten für Demokratie, gegen jede
Form des Rechtsextremismus und Neonazismus ersetzen.
Im Gegenteil, solche staatlichen, polizeilichen Maßnahmen
würden die Aktivitäten der Bevölkerung in Richtung der
Verwirklichung unserer Verfassung begünstigen und dem Neonazismus
den Boden entziehen.
Der Rat der Stadt Dortmund hat einen lokalen Aktionsplan gegen
Rechtsextremismus beschlossen.
Dieser Plan, so scheint mir, ist ein geeignetes Mittel, die
Demokraten zu aktivieren, um das Grundgesetz und die
Landesverfassung mit Leben zu erfüllen und den Neonazismus in all
seinen Erscheinungsformen zurück zu drängen.
Ich möchte der Mehrheit der Ratsmitglieder, die diesen Plan
beschlossen haben, danken und alle Ratsmitglieder auffordern, aktiv
zu seiner Umsetzung beizutragen.
Erfreulicherweise wächst die Bereitschaft, vor allem jüngerer
Menschen, aktiv zu werden gegen Rechtsextremismus und Rassismus.
Das hat nicht zuletzt die Aktion „Zug der Erinnerung“ vom
vorigen Monat gezeigt.
In 3 Tagen haben in Dortmund mehr als 7.000 Menschen die
Ausstellung über die Deportation jüdischer Kinder während der
Zeit des Naziregimes besucht.
Fast 80 Schulklassen und Jugendgruppen haben die Ausstellung
besucht und mit Zeitzeugen Gespräche geführt.
Ein solches Erinnern an den dunkelsten Abschnitt deutscher
Geschichte wird gleichzeitig dem Andenken der hier ruhenden
ermordeten Frauen und Männer gerecht.
Wenn die demokratischen antifaschistischen Kräfte in unserer
Stadt gemeinsam gegen Neonazismus, Rassismus und Ausländerhaß
auftreten, haben die Neonazis keine Chance ihr verderbliches Werk
fortzusetzen.
Dann gehört Dortmund voll und ganz den Demokraten.
Nehmen wir uns alle zu Herzen, was der Leiter der Arbeitsstelle
Jugend und Demokratie, Thomas Oppermann, während des 1
Antifaschistischen Jugendkongresses am 23.02.2008 in Dortmund sagte:
„Faschisten können nur so stark sein, wie die demokratische
Kultur schwach ist.“
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