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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

05.03.08

"Der Zug der Erinnerung" in Wuppertal 

Eröffnungsrede von Dr. Dirk Krüger

Rede von Dr. Dirk Krüger, Mitglied im Regionsvorstand Bergisch Land des Deutschen Gewerkschaftsbunds bei der Begrüßung des "Zugs der Erinnerung" in Wuppertal 26. Februar 2008

Verehrte Gäste, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Mir wurde die ehrenhafte Aufgabe übertragen, im Namen des Regionsvorstandes Bergisch Land des Deutschen Gewerkschaftsbundes den Zug der Erinnerung hier in unserer Stadt ganz herzlich zu begrüßen! Seien Sie uns willkommen! Dieser Zug birgt eine schwere Last. Er birgt die Dokumentation von zig-Tausenden Morden an unschuldigen Kindern. Sie alle wurden Opfer des barbarischen Hitler Faschismus. Ich bitte sie alle um ein stilles Gedenken an diese Kinder, an ihre Eltern und Verwandten, an alle, die in den Konzentrationslagern ermordet wurden…Ich danke.

Verehrte Gäste, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die zentrale Botschaft des Zugs ist die Erinnerung. Erinnerung an einen besonders erschütternden Teil der ungeheuerlichen Verbrechen des deutschen Faschismus: An die Deportation und Ermordung von Kindern.

Und so möchte auch ich zunächst an einige Fakten erinnern.

Der "Zug der Erinnerung" in WuppertalAm 30. Januar 1933 haben die Hitler-Faschisten - wie fälschlicherweise immer wieder behauptet wird - die Macht nicht ergriffen - sie wurde ihnen in Absprache und mit ausdrücklicher Unterstützung der ökonomisch Mächtigen übertragen - sie wurde ihnen geradezu in den Schoß gelegt wie Bertolt Brecht es ausdrückte. Damit endete bekanntlich die bürgerlich-parlamentarische Weimarer Republik. Am 27. Februar 1933, also nicht ganz einen Monat später, brennt der Reichstag. Wir empfangen den Zug also am Vorabend dieses Ereignisses, das vor 75 Jahren von Hitler zu einem (so wörtlich) "von Gott gegebenes Zeichen", verklärt wird, um die Kommunisten "mit eiserner Faust zu vernichten" und um der vom "Weltbolschewismus" drohenden Gefahr entgegenzutreten. Die Nazis eröffnen sofort einen Terrorfeldzug und verhaften noch in der Brandnacht im ganzen Reich mehr als 10.000 Kommunisten, Sozialdemokraten und bürgerliche Demokraten. Einen Tag später nutzen sie den von ihnen selbst angezettelten Reichstagsbrand als Vorwand dafür, um die mit dem verharmlosenden Titel überschriebene "Verordnung zum Schutz von Volk und Staat" durch den Reichstag zu peitschen, Mit dieser Verordnung, die faktisch die Weimarer Verfassung aufhebt und bis zum Sturz der Nazi-Herrschaft in Kraft bleibt, gehen die Faschisten zum staatlich organisierten Terror größten Ausmaßes über. Es folgen in rascher Abfolge über 460 Sondergesetze und Verordnungen, die allesamt das Ziel verfolgen, die blutigen Ausschreitungen und Gewalttaten zu legalisieren.

Unmittelbar danach - besonders im Monat März 1933 - setzt ein wahrer Exodus von Antifaschistinnen und Antifaschisten ein. Der beste Teil der wissenschaftlichen und künstlerischen Intelligenz Deutschlands flieht ins unsichere Exil - zunächst nach Österreich und Frankreich - später nach Übersee. Die Hauptstadt der Tschechoslowakei wird dagegen zur "Hauptstadt" der proletarischen Emigration, denn auch viele Arbeiter müssen Deutschland verlassen, um ihr Leben zu retten.

Zur Erinnerung gehört auch, dass in Wuppertal bereits am 1. April 1933 auf dem Brausenwerth und auf dem Rathausvorplatz die Bücherverbrennungen stattfinden, die am 10. Mai ihren schändlichen Höhepunkt erreichen. In der lokalen Berichterstattung heißt es: "Ebenso wie in Barmen wohnte auch in Elberfeld ein nach Tausenden zählende Menschenmenge der Bücherverbrennung der Schuljugend (Wir hatten damals noch keine Universität) bei." Einige Jahre später sollte das Heine Wort "Das war ein Vorspiel nur; dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen" blutige Realität werden.

Zur Erinnerung gehört auch, dass in Wuppertal bereits im Juni 1933 die ersten Antifaschisten in eines der ersten KZs, in das "wilde" KZ, das KZ Kemna verschleppt werden. Über 4000 Menschen werden in den folgenden Monaten dort grausam gefoltert, erniedrigt und getötet.

Zur Erinnerung gehört auch, dass auch in Wuppertal in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 die Synagogen niedergebrannt werden. Die Reichspogromnacht wird zum Fanal für den faschistischen Staat, alle Hemmungen abzulegen, denn in Deutschland und auch im europäischen Ausland gibt es gut wie keine Proteste. Es beginnt nun der systematische Raub des jüdischen Vermögens. Es beginnt der systematische Vernichtungsfeldzug gegen die deutschen und später die europäischen Juden - ihre industriell betriebene Ausrottung - wie Heinrich Böll es ausdrückte. Auch vom Wuppertaler Bahnhof Steinbeck aus rollen die Transporte in die Vernichtungslager. Und auch hier in Wuppertal sind viele Kinder darunter.

Zur Erinnerung gehört aber auch, dass es neben breiter Zustimmung für Hitler auch viele mutige Menschen in unserer Stadt gegeben hat, die aktiven Widerstand geleistet haben. Stellvertretend für sie alle nenne ich die Namen: Karl Ibach, Bernhard Letterhaus und Willy Spicher. Zu erinnern ist an die Gewerkschaftsprozesse von 1935 bis 1937 und an die Barmer Erklärung. Viele verloren dabei ihr Leben. Noch am 13. April 1945 wurden in der Wenzelnbergschlucht Widerstandskämpfer ermordet.

Verehrte Gäste, liebe Kolleginnen und Kollegen,

So wichtig die Erinnerung ist und auch bleiben wird, so wichtig ist: Wir dürfen aber nicht in der Erinnerung verharren ! Heute müssen wir vom Erinnern zum Handeln übergehen. Und da gilt es auf die Existenz und die Taten der Neonazis heute in unserem Land, in unserer Stadt hinzuweisen. Das, was sich vor mehr als 10 Jahren in unserer Nachbarstadt Solingen ereignet hat, ist nicht vergessen. Der Einzug der Neonazis in Landes- und Kommunalparlamente belegt die Erkenntnis wissenschaftlicher Studien, dass die Rechte vom Rand in die Mitte der Gesellschaft gerückt ist. Ein Verbotsantrag gegen die NPD und andere neofaschistische Organisationen scheitert, weil zu viele V-Leute in Führungspositionen sind. Fremdenfeindliche, rassistische Übergriffe, antisemitische Ausfälle und rechtsextreme Gewalttaten nehmen nach Auskunft der Bundesregierung bedrohliche Ausmaße an.

Aber es gibt auch Gegenwehr. Immer mehr - vor allem Jugendliche - erkennen mit Blick auf den Neofaschismus die Notwendigkeit, vom Gedenken zum Handeln zu kommen. In Wuppertal wurde bei einigen Aktionen gegen die Neonazis ein breiter Konsens erreicht. Der darf nicht durch Ausgrenzung und Kriminalisierung gefährdet werden. Eine wichtige Rolle spielte dabei immer der Deutsche Gewerkschaftsbund. Und so möchte ich an dieser Stelle mit großer Dankbarkeit daran erinnern, dass wir es dem Einsatz - auch dem finanziellen - des Deutschen Gewerkschaftsbundes verdanken, dass der Zug der Erinnerung auch hier in unserer Stadt Station macht. Das ist sein Beitrag zum Projekt "Kemna 2008", das mit einer großen Gedenkveranstaltung am 21. Juni abgeschlossen wird.

Verehrte Gäste, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!

Donnerstag wird der Zug der Erinnerung unsere Stadt wieder verlassen und sich auf seine weite Reise nach Auschwitz begeben - seinem eigentlichen Ziel. Denn der Name Auschwitz ist und bleibt weltweit das Synonym für die Einzigartigkeit der Verbrechen des deutschen Faschismus. Alle erfolgten und bereits geplanten Versuche, diese Verbrechen zu relativieren, sie auf eine Stufe mit anderen Verbrechen zu stellen, wie es die neue Gedenkstättenkonzeption der Großen Koalition vorsieht, müssen entschieden zurückgewiesen werden. Wir dürfen eine weitere Knoppisierung der Geschichte nicht zulassen!

Verehrte Gäste, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!

Am Ende des zweiten Waggons hängen noch leere, durch Recherchen zu füllende Tafeln. Ich möchte in Absprache mit Herrn Minow dem Zug der Erinnerung die von mir erarbeitete Dokumentation über das kleine Leben des jüdischen Mädchens Anja Schaul und das Jugendbuch ihrer Mutter mit auf die Reise geben. Sie und ihre Mutter, die deutsch-jüdische Kinder- und Jugendbuchautorin Ruth Rewald wurden in Frankreich von der Gestapo verhaftet, nach Auschwitz verschleppt und dort ermordet. Morgen, um 10.00 Uhr, werden hier an dem Zug der DGB-Vorsitzende des Regionsvorstands Bergisch Land, der Kollege Hans Peters und der Kollege Gerd Holl vom Vorstand der GEW an vier Wuppertaler Schulen je 10 vom DGB und von der GEW gespendete Bücher mit der Dokumentation für den Gebrauch im Unterricht übergeben. Es sind dies die Schulen: Hauptschule Helmholtzstr., Realschule Hohenstein, Else Lasker-Schüler Gesamtschule und das Johannes Rau Gymnasium.

Verehrte Gäste, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!

Auf seiner Route nach Auschwitz wird der Zug der Erinnerung auch Weimar, den Ettersberg, das KZ Buchenwald, passieren. Ich möchte dem Zug der Erinnerung die Kernsätze des "Schwurs von Buchenwald" mit auf den Weg geben und meine Rede damit beenden: "Wir schwören deshalb vor aller Welt auf diesem Appellplatz, an dieser Stätte des faschistischen Grauens: Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Welt steht! Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung! Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel!" Ich denke, wenn wir auch heute danach handeln, werden wir dem Vermächtnis der vielen ermordeten Kindern gerecht. Es bleibt zu wünschen, dass möglichst viele Menschen unserer Stadt den Weg hierher, zum Zug der Erinnerung finden, die Erschütterung, die diese Ausstellung hervorruft, teilen und daraus Kraft ziehen für die kommenden Auseinandersetzungen mit Neonazismus, Rassismus und Antisemitismus. Ich danke für ihre Aufmerksamkeit!