04.03.08
Tote irgendwo im Nirgendwo
Wuppertal: Spuren aus der
NS-Zeit
Widerstandskämpfer hingerichtet, zerstückelt, „verwertet“,
verbrannt, anonym vergraben – auf der Suche nach Gräbern und nach
Wegen, den Opfern ein wenig von ihrer Würde zurückzugeben.
Von Rainer Funke und Martin Kröger
Wuppertal im Bergischen Land, Deweertscher Garten. Am Mahnmal
für die in braunen Unzeiten ermordeten Töchter und Söhne der
Stadt versammeln sich heute gegen 17.30 Uhr Bürger, um an Ewald
Funke zu erinnern. Er war in den frühen Morgenstunden des 4. März
1938 – vor 70 Jahren – hingerichtet worden. Mit dem Tod durch
das Fallbeil ahndete der Volksgerichtshof die »Vorbereitung eines
hochverräterischen Unternehmens«, wie es im Urteil hieß. 2890
Menschen teilten nach offiziellen Angaben das Schicksal des damals
32-jährigen Wuppertalers in Plötzensee.
Ein oder zwei Stunden später lagen diese Opfer in der Berliner
Universität (heute Charité) auf den Seziertischen des Anatomischen
Institutes. Ihre Körper wurden zerstückelt, zur Ausbildung und zu
Forschungszwecken benutzt, Präparate aus Schädeln, Körperteilen
und Knochen gefertigt, die »nicht verwertbaren Reste« verbrannt,
die Urnen anonym verscharrt, irgendwo im Nirgendwo der umliegenden
Friedhöfe.
Unbekannte Aschen
In der Hauptstadt wird man am heutigen Tage an Ewald Funke
denken, aber keine Blumen niederlegen. Man wüsste gar nicht, wo.
Denn die Suche nach Begräbnisorten ist mühselig. Klaus Leutner,
der sich als Berliner »Laienhistoriker« sieht, stieß bei seinen
Recherchen auf Dokumente, die den Verbleib eines Teils der
unbekannten Aschen aus Plötzensee aufklären. »In einem
Bestattungsbuch des Städtischen Friedhofs von Altglienicke fand
sich ein Eintrag über 80 Urnen«, berichtet der Rentner. Leutner
wälzt Akten, müht sich, krakelige oder verschmierte Schriftzüge
in Sütterlin zu entziffern. »Ich möchte den Toten ihre Ehre,
einen Namen und eine Grabstätte wiedergeben.« Inzwischen hat er
sich durch viele Einäscherungsbücher gearbeitet. Für die drei
Krematorien, die es zwischen 1933 und 1945 in Berlin gab (Wedding,
Treptow und Wilmersdorf), bedeutet das, 120 000 Namen zu prüfen.
Alles in allem sammelte Leutner 3112 Namen der Opfer von
Plötzensee, mehr also als in der offiziellen Version. Über jeden
der Hingerichteten finden sich Details, etwa Tag der Geburt,
Profession und Herkunft. Im elektronischen Eintrag zu Ewald Funke
ist überdies ein Abschnitt aus einem Hinrichtungsbuch vermerkt, das
im Bundesarchiv liegt. Im Mord-Protokoll zeichneten die Nazis in
Diensten der völkischen Wissenschaften Details über den physischen
und psychischen Zustand ihres Opfers auf. Welche Experimente waren
hier vorbereitet worden?
Tatsächlich hatte die Nazi-Justiz Plötzensee zum bevorzugten
Ort der Vollstreckung ihrer Todesurteile gemacht. Zwischen 1933 und
1936 starben 45 Menschen auf dem Gefängnishof durch das Handbeil.
1937 ließ Hitler, der sich persönlich um Abläufe im
Gefängnistrakt kümmerte, eine Guillotine aufbauen, wie in der
Gedenkstätte am Orte festgehalten ist. Der Justizvollzug stellte
sich auf die zunehmende Zahl der Todesurteile ein. Noch im gleichen
Jahr richtete man mit der Mordmaschine 37, im folgenden Jahr 56 und
1939 dann 95 Verurteilte hin. An manchen Tagen kam es später zum
Justizmord im Drei-Minuten-Takt. 1942 wurde ein Stahlträger in die
Wände des Hinrichtungsraumes eingezogen, um zunächst Verurteilte
der Widerstandsgruppe »Rote Kapelle« zu strangulieren, später die
Offiziere des 20. Juli.
Den Henkern wurde jährlich eine Vergütung von 3000 Reichsmark
zugedacht, heißt es in der Gedenkstätte, dazu pro Hinrichtung
weitere 60 bis 65 Reichsmark. Und die Angehörigen der Ermordeten
ließ man zahlen: 300 Reichsmark für die Hinrichtung, für das
Porto zur Übersendung der Rechnung 12 Pfennige, für jeden Hafttag
1,50 Reichsmark.
Ewald Funke verbrachte über 700 Hafttage im KZ Dachau und
anderswo, zuletzt in Plötzensee. Zu den eher guten Tagen im Knast,
wenn es so etwas überhaupt gibt, zählte er jene, an denen er um 6
Uhr aufstand, Übungen gegen das Einrosten machte, zum Frühstück
den »Völkischen Beobachter« las, »genau wie der Herr
Kommerzienrat«. Nur das Frühstück unterscheide sich, spöttelte
er in einem Brief an die Eltern und die Brüder Kurt und Otto.
Sodann eine Stunde 5,5 Meter auf und ab, französische Grammatik,
wieder Spaziergang – tagaus, tagein. Selten genug gelangte Post
zur Familie, wurde »wegen ironischen Untertons« beschlagnahmt, wie
die Gefängnisaufsicht in einem Aktenvermerk festhielt.
Opfer als »Werkstoff«
Doch die schlimmen Tage blieben nicht aus – stundenlange
Verhöre, der Inhaftierte wurde zusammengeschlagen und gefoltert,
immer wieder. Die Gestapo wollte bestätigt haben, was sie durch
»Aussagen« anderer Gefolterter längst wusste. Nämlich, dass
Ewald Funke jener »Heinz« war, der die Abteilung Militärpolitik
(AM), den geheimen Sicherheitsapparat der KPD, in Wuppertal und
später im Bezirk Niederrhein geleitet hatte, zu
sozialdemokratischen und katholischen Kreisen Verbindungen knüpfte,
zu Gewerkschaftern, Polizisten und in die Arbeiterschaft von
Rüstungsfirmen. Und dass er in Flugschriften veröffentlichte, was
er aus den geheimen Quellen über Absichten der Nazis erfuhr, dass
er illegale Wohnungen beschafft hatte, in denen von der Verhaftung
bedrohte Kampfgefährten für gewisse Zeit unterkamen, bis sie über
die Grenze gebracht werden konnten. Zu ihnen gehörte Wilhelm Pieck.
Die Gestapo nahm »Heinz« im Mai 1936 fest, als er dabei war,
die zerschlagenen Strukturen der KPD im Großraum Stuttgart wieder
aufzubauen. Ein V-Mann in der Stuttgarter KPD-Widerstandsleitung
hatte ihn verraten. Der Volksgerichtshof unter Vorsitz seines
Präsidenten Dr. Thierack, als Beisitzer SS- und SA-Leute,
verurteilte Ewald Funke am 16. August 1937 »im Namen des Deutschen
Volkes« zum Tode. Ein halbes Jahr später starb er unter dem
Fallbeil. Ab hier verliert sich seine Spur wie die der anderen
Hingerichteten auf dem Weg in das Anatomie-Institut des
zwielichtigen Professors Hermann Stieve – einem Freikorpsmitglied
und Deutsch-Nationalen. Der namhafte Wissenschaftspublizist Hoimar
von Ditfurth erinnerte sich, dass es bei seinem Studium damals nie
zu einem Mangel an Leichen gekommen sei: »Es waren ganz
überwiegend Leichen von jungen, gesunden Männern… ohne Köpfe.«
1938 schrieb Stieve: »Durch die Hinrichtungen erhält das …
Institut einen Werkstoff, wie ihn kein anderes Institut der Welt
besitzt.« Vor allem auch für sein bevorzugtes Forschungsgebiet,
die Gynäkologie, profitierte der Professor von der »zeitnahen
Anlieferung« von Frauenleichen, denen er Eierstöcke und
Gebärmutter entnahm. In einer Fachzeitung publizierte er 1942 über
»Die Wirkung von Gefangenschaft und Angst auf den Bau und die
Funktion der weiblichen Geschlechtsorgane«. Nach dem Krieg
berichtete Stieve über eine 22-jährige Frau, deren Monatsblutung
»infolge starker nervöser Erregung« elf Monate lang ausgeblieben
war. Aber plötzlich trat »im Anschluss an eine Nachricht, die die
Frau sehr stark erregt hatte (das Todesurteil, d. Red.), eine
Schreckblutung ein.«
Weitere Details über die Verwertung der Körper von
Widerstandskämpfern in der Berliner Anatomie wurden nicht bekannt.
Das Leichenbuch, das Auskunft hätte geben können, hatten Stieve,
sein Gefolge am Institut oder anderswer offenbar vernichtet. Einer
seiner Mitarbeiter wurde von sowjetischer Seite festgenommen und
blieb verschollen. So konnte auch Stieve nach dem Krieg seine
wissenschaftliche Karriere an der Humdoldt-Universität fortsetzen.
Ohne Leichenbuch konnte ihm die »gezielte Vernutzung« der
Widerstandskämpfer nicht nachgewiesen werden. Als er behauptete, er
hätte die Leichen der Offiziere vom 20. Juli nicht angerührt und
andere ihm persönlich bekannte Opfer lediglich seziert, aber keiner
anderen Verwendung zugeführt, blieb dies mangels gegenteiliger
Beweises unwidersprochen.
1952 starb Stieve. Im Nachruf eines Pathologen namens Rössler
hieß es: »Was …die Anatomie ihm bot, machte er durch Deutung in
Worte und Schrift wieder lebendig. Die Leichen stammten von
Unglücksfällen oder von Menschen, die wegen gemeiner Verbrechen
... von regulären Gerichten zum Tode verurteilt waren.« Auch das
ND bescheinigte Stieve damals, ein Gutmensch, ein »wirklich großer
Führer der Wissenschaft gewesen« zu sein. »Groß waren seine
Taten und überreich ist das Erbe, das er uns hinterlassen hat und
das zu verwalten uns zur Ehre gereicht«, floss es aus der Feder
eines Professor Kirsche.
Kein Gedenkort
Wenn man heute in Wuppertal Ewald Funkes und der anderen
Ermordeten von Plötzensee gedenkt, wird auch von einem Projekt die
Rede sein, das sich derzeit gründet. »Es ist traurig, dass es für
diese Opfer keinen Ort gibt, an dem ihrer gedacht werden kann«,
sagt der Historiker Stephan Stracke von der Forschungsgruppe
Wuppertaler Widerstand, die gemeinsam mit der gleichenorts
ansässigen VVN-BdA nach Spuren zu Grabstellen sucht. Anfang Juni
wollen die Wuppertaler in Berlin mit Angehörigen von
Plötzensee-Opfern und Vertretern von Verfolgtenverbänden die
Situation erörtern. Nötig sei eine Auswertung aller Friedhofs- und
Krematoriumsbücher im Raum Berlin. Würdige Erinnerungszeichen an
Gräberfeldern könnten aufgestellt und Hinweistafeln in der
Gedenkstätte Plötzensee und in der Charité über den Verbleib der
»verwerteten« Opfer angebracht werden. Man will Berliner
Geschichtsinstitute zum Mittun bewegen sowie den Senat und
zuständige Bundesministerien an ihre Verantwortung erinnern. Auch
internationale Verbände des antifaschistischen Widerstands sollen
an dem Projekt beteiligt werden. Denn die Hälfte der Opfer von
Plötzensee stammt aus der Tschechoslowakei, aus Polen, Frankreich
und anderen Teilen des nazideutsch besetzten Europa.
Kontakt: Stephan Stracke, E-Mail info@wuppertaler-widerstand.de
aus: Neues
Deutschland vom 04.03.2008
Gedenkfeier am 4. März um 17.30
Uhr am Mahnmal für die Wuppertaler Opfer des Nationalsozialismus im
Deweerthschen Garten in Elberfeld
Am 4.März 2008 jährt sich zum 70.Mal die Hinrichtung des
Wuppertaler Widerstandskämpfers Ewald Funke in Berlin Plötzensee.
Die Forschungsgruppe Wuppertaler Widerstand (Verein zur
Erforschung der Sozialen Bewegungen im Wuppertal. e.V) und die
VVN-BdA laden deshalb zu einer kleinen Gedenkfeier am 4. März um
17.30 Uhr am Mahnmal für die Wuppertaler Opfer des
Nationalsozialismus im Deweerthschen Garten in Elberfeld ein.
Gleichzeitig wollen wir an die vor 75 Jahren ermordeten und in
den Selbstmord getriebenen Antifaschisten erinnern. Stellvertretend
genannt sind hier nur Friedrich Born, der am 1.3.1933 ermordet wurde
und Oswald Laufer, der am 7.3.1933 auf offener Strasse von SA-Leuten
erschossen wurde.
Todesopfer in Wuppertal
Friedrich Born 01.03.1933 KPD
Oswald Laufer 07.03.1933 Reichsbanner
Karl Altenloh 09.03.1933
Paul Reuber 18.03.1933 KPD 34
Friedrich Dähler 20.03.1933
August Klein 02.04.1933 KPD
Friedrich Stracke 07.05.1933
Alexander Ascheuer 09.05.1933 Selbstmord, Gewerkschaftssekretär
SPD/Reichsbanner
Alfred Meyer 16.05.1933
Werner Dreyer 16.06.1933 SPD/Reichsbanner
Erwin Kraehkamp 25.06.1933 KJVD
Hans Goersmeier 26.06.1933 KPD
Wolfram Custin 26.06.1933 SPD/Reichsbanner
Friedrich Strunk 29.06.1933
Andreas Milfried 29.06.1933 KPD
Julius Henning 05.07.1933
Max Kramer 25.07.1933 KPD
Friedrich Merseburg 28.07.1933 KPD
Befreiungsfeier in Wuppertal 16.
April 2008 19:00 Uhr Rathaus in Wuppertal-Barmen
Am 16. April jährt sich zum 63. Mal die Befreiung Wuppertals. In
Fortführung der Veranstaltung zum 16. April im letzten Jahr mit den
ehemaligen niederländischen Zwangsarbeitern können wir dieses Jahr
den niederländischen Jugendroman "Gestohlene Jugend" in
deutscher Übersetzung der Öffentlichkeit vorstellen. Erzählt wird
die Geschichte eines niederländischen Jungen, der im Oktober 1944
bei den sog. Kirchenrazzien verschleppt und nach Wuppertal zur
Zwangsarbeit deportiert wurde. Das Buch konnte mit Bundesmitteln und
privaten Spenden finanziert werden. In Anwesenheit der ehemaligen
niederländischen Zwangsarbeiter möchten wir am Befreiungstag das
Buch in Wuppertal vorstellen.
Darüber hinaus werden ehemalige Angehörige der US-Army und der
Roten Armee am Befreiungstag in Wuppertal sprechen. Wir sind sehr
erfreut, dass der Veteran der US-Army, Dudley Strasburg, der das
Bergische Land mitbefreit hat und an der Exhumierung der Opfer der
Wenzelnbergschlucht beteiligt war, nach Wuppertal kommen wird.
Eingeladen sind auch die Veteranen aus der Roten Armee, die sich im
Veteranenclub der Jüdischen Kultusgemeinde in Wuppertal organisiert
haben. Neben den ehemaligen Rotarmisten werden auch ZeitzeugInnen
sprechen, die die Blockade Leningrads überlebt haben.
Widerstandskämpfer ohne Grab
Zum 70. Todestag des Wuppertaler
Widerstandskämpfers Ewald Funke
Am 4. März 2008 jährt sich zum 70. Mal die Hinrichtung des
Wuppertaler Widerstandskämpfers Ewald Funke. Auf roten Plakaten und
mit einer knappen Pressemitteilung wurde die Hinrichtung des
Widerstandskämpfers bekannt gegeben. „Der vom Volksgerichtshof am
16. August 1937 wegen Vorbereitung eines hochverräterischen
Unternehmens zum Tode und zu dauerndem Ehrverlust verurteilte
32jährige Ewald Funke aus Wuppertal-Elberfeld ist heute Morgen
hingerichtet worden.“
Sein Vater hatte sich vergeblich um die Herausgabe des Leichnams
bemüht. Der Leichnam Ewald Funkes wurde dem Anatomischen Institut
der Universität Berlin überlassen. Eine Grabstelle für ihn gibt
es nicht, die Leichenteile wurden verbrannt und an unbekannter
Stelle auf einem unbekannten Berliner Friedhof bestattet.
Gräbersuche
Bei der Vorbereitung einer Gedenkfeier für Ewald Funke hatten
sich Wuppertaler HistorikerInnen und und die VVN -BdA auf die Suche
nach dem Grab von Ewald Funke gemacht. Es stellte sich heraus, das
seit 1938 die Leichen der in Plötzensee Hingerichteten nicht mehr
zur Beerdigung freigegeben wurden, sondern der Berliner Anatomie zur
Verfügung gestellt wurden. Die „nichtverwertbaren Reste“ wurden
in Berliner Krematorien verbrannt und in der Regel in anonymen Urnen
auf Gräberfeldern auf Berliner Friedhöfen begraben. Zum 70.
Todestag von Ewald Funke ist daher ein Gedenken an dem Grab von
Ewald Funke nicht möglich. Die Wuppertaler VVN und die
Forschungsgruppe Wuppertaler Widerstand laden daher für den 4.
März 08 um 17:30 Uhr zu einer Gedenkfeier am Mahnmal für die
Wuppertaler Opfer des Nationalsozialismus in den Deweertschen Garten
in Wuppertal-Elberfeld ein.
Die Suche nach den Gräbern geht aber weiter. Das Fehlen der
Gräber betrifft nicht nur die Wuppertaler Angehörigen, sondern
fast 3000 Familien im In- und Ausland, deren hingerichtete
Familienmitglieder kein Grab haben. Deshalb laden die Angehörigen
und Freunde der Wuppertaler NS-Opfer zusammen mit der VVN-BdA Anfang
Juni 2008 nach Berlin ein, um zusammen mit anderen Angehörigen und
Verfolgtenverbänden gemeinsam zu beraten, wie die Gräber doch noch
gefunden werden können. Ein weiteres Anliegen ist die Aufstellung
von würdigen Erinnerungszeichen an den gefundenen Gräberfeldern
und Hinweistafeln in der Gedenkstätte Plötzensee zum Verbleib und
zur Verwertung der Leichen in der Berliner Anatomie.
Ewald Funke
Ewald Funke wurde als Kind einer sozialdemokratisch eingestellten
Familie am 30. Juli 1905 in Remscheid geboren. Er machte eine
Ausbildung als kaufmännischer Angestellter und war bis 1933 beim
Arbeitsamt in Wuppertal beschäftigt. Der Vater war Stadtverordneter
der USPD in Remscheid und Sekretär des freigewerkschaftlichen
Holzarbeiterverbandes und trat nach Auflösung der USPD wieder in
die SPD ein. Die Söhne Ewald, Otto und Kurt waren, bevor sie in die
KPD bzw. in den Kommunistischen Jugendverband übertraten, wichtige
Funktionäre der sozialdemokratischen SAJ und der Jungsozialisten.
Ewald Funke trat spätestens 1932 in die Dienste des AM-Apparates in
Wuppertal, wo er zunächst für die „Zersetzungsarbeit“
innerhalb der SPD zuständig war. 1933 leitete er den Geheimapparat
der KPD in Wuppertal und später im gesamten Bezirk Niederrhein. Die
"Abteilung Militärpolitik" (AM) war der Nachrichtendienst
der KPD. Der AM-Apparat war in Wuppertal die einzige Struktur der
KPD, die von den ersten Verhaftungswellen verschont blieb. Der
Apparat setzte sich in Wuppertal u.a. aus ehemaligen
Sozialdemokraten, Intellektuellen und jüdischen Kommunisten
zusammen. Hauptaufgabe war die Absicherung der Spitzenfunktionäre
bzw. die Beschaffung von illegalen Wohnungen, schließlich wurde
ihnen die Spitzelabwehr übertragen. Zusammen mit Kontaktleuten aus
den Betrieben verfassten sie Betriebsberichte, erforschten die
Stimmung und 'spionierten' nach Rüstungsgütern. Der Wiederaufbau
der Gewerkschaftsgruppen wurde begleitet durch ein Netz von
Vertrauensleuten in den Betrieben, die regelmäßig Informationen
und Stimmungsberichte an den AM-Apparat weitergaben. Es gelang in
Wuppertal sogar sozialdemokratische Gewerkschafter wie Friedrich
Senger und Adolf Mann für diese gefährliche Arbeit zu gewinnen. So
konnten die betrieblichen Auseinandersetzungen 1934 mit intern
gewonnenen Informationen, veröffentlicht in Zeitungen und
Flugblättern, begleitet werden. Höhepunkt der Aktivitäten war die
internationale Solidaritätskampagne zu den Wuppertaler
"Gewerkschaftsprozessen", die über die Strukturen des
AM-Apparates mitorganisiert wurde. Erst im Juli 1936, gelang der
Gestapo der Einbruch in die verdeckten Strukturen. Bis dahin
arbeiteten sogar zwei eingeschleuste Kommunisten unerkannt in der
SA, in der HJ und in der Deutschen Arbeitsfront.
Ewald Funke wurde im Frühjahr 1934 aus Sicherheitsgründen ins
Exil abgezogen und auf die Militärpolitische Schule in Moskau
geschickt. Nach Auflösung des AM- Apparates wurde er 1936 von der
Schweiz aus als Instrukteur für den Großraum Stuttgart eingesetzt.
Auf seiner dritten Reise wurde er zusammen mit Max Stingl verhaftet.
Sie waren von dem Spitzel Eugen Wicker, der in der
Widerstandsleitung der Stuttgarter KPD arbeitete, verraten worden.
Max Stingl und Ewald Funke wurden brutal gefoltert. Stingl Ewald
Funke wurde brutal gefoltert. Die Gestapo erpresste schließlich
Aussagen und ein umfangreiches Geständnis. Im gleichen Zeitraum
konnte die Gestapo in Wuppertal, Hamburg und Düsseldorf weitere
AM-Funktionäre wie Karl Ibach, Otto Kettig, Hans Israel und Karl
Tuttas festnehmen, so dass eine Überführung der
Widerstandskämpfer durch gegenseitige Belastungen bei den unter
Folter durchgeführten Verhören für die Gestapo einfach war. Der
1. Senat des Volksgerichtshofs unter dem Vorsitz von Otto Georg
Thierack verurteilte Ewald Funke am 16. August 1937 zum Tode. Er
starb am 4. März 1938 in Berlin-Plötzensee unter der Guillotine.
Von Plötzensee in die Anatomie
Ewald Funke ist einer von fast 3000 Menschen, die in der NS-Zeit
in Berlin-Plötzensee hingerichtet wurden. Seit einer Verfügung aus
dem Jahre 1938 war eine Herausgabe der Leichen Hingerichteter nicht
mehr „vorgesehen“. Die Gestapo wollte wohl
Solidaritätskundgebungen bei den Beerdigungen der
WiderstandskämpferInnen vermeiden. Angehörige, die zum Teil
persönlich in Berlin um die Herausgabe der sterblichen Überreste
ihrer Kinder nachfragten, wurden abgewiesen. Die Leichen wurden
direkt von den Helfern des Chefanatomen Hermann Stieve in die
Berliner Anatomie der Friedrich Wilhelms Universität gebracht. Dort
dienten die Körper der Hingerichteten zum einen der Ausbildung der
Mediziner, zum anderen zu Forschungszwecken. Der bekannte
Wissenschaftpublizist Hoimar von Ditfurth erinnerte sich, dass es
bei seinem Studium dort nie zu einem Mangel an Leichen gekommen sei.
„Es waren ganz überwiegend Leichen von jungen, gesunden Männern.
Und noch etwas war allen Leichen gemeinsam. Ihnen fehlte der Kopf.“
Die Körper der WiderstandskämpferInnen wurden aber auch der
Forschung zur Verfügung gestellt. Es wurden Präparate von
Körperteilen, Schädel- und Knochensammlungen angelegt. Der
Berliner Anatom Hermann Stieve profitierte besonders von der „zeitnahen
Anlieferung“ junger Frauenleichen, die er für seine
gynäkologischen Forschungen nutzte. Sein wissenschaftliches
Renommee erwarb er sich damit, dass er „plötzlich zu Tode
gekommenen" jungen Frauen unmittelbar nach dem Tod die
Eierstöcke und Gebärmutter entnahm und untersuchte. 1938 schrieb
Stieve begeistert von den neuen Möglichkeiten der Forschung: „Durch
die Hinrichtungen erhält das Anatomische und anatomisch-biologische
Institut einen Werkstoff, wie ihn kein anderes Institut der Welt
besitzt.“ In einer Fachzeitung publizierte er 1942 über „Die
Wirkung von Gefangenschaft und Angst auf den Bau und die Funktion
der weiblichen Geschlechtsorgane“. Noch nach dem Krieg berichtete
Hermann Stieve über eine 22-jährige Frau, deren Monatsblutung „infolge
starker nervöser Erregung“ elf Monate lang ausgeblieben war. Aber
plötzlich trat, „im Anschluss an eine Nachricht, die die Frau
sehr stark erregt hatte (Todesurteil), eine Schreckblutung ein. Am
folgenden Tag starb die Frau plötzlich durch äußere
Gewalteinwirkung.“ Noch 1952 schrieb Stieve im „Zentralblatt
für Gynäkologie“, das er „mehrfach“ Gelegenheit hatte, „Männer
und Frauen zu untersuchen, die langsam verhungert waren. Gemeint
waren wohl „angelieferte Körper“ aus Konzentrationslagern und
„Euthanasie“- Anstalten.
Genaueres, was die Verwertung der Körper des einzelnen
Hingerichteten angeht, ist nicht bekannt. Das Leichenbuch, das über
die Verwendung der Körper Auskunft hätte geben könnte, wurde von
interessierter Seite rechtzeitig vernichtet. So konnte auch Hermann
Stieve nach dem Krieg seine wissenschaftliche Karriere in Ost und
West fortsetzen. Stieve war erfolglos, aber eingehend von den
Alliierten und dem MfS befragt worden, ein Mitarbeiter von Stieve
wurde allerdings von sowjetischen Behörden verhaftet. Sein
Schicksal ist unbekannt. Stieve selbst konnte sich damit
herausreden, dass es auch zur Zeiten der Weimarer Republik normal
gewesen sei, dass Hinrichtungsopfer der Anatomie
"zufallen". Ohne Leichenbuch konnte ihm eine gezielte
Forschung an den Leichnamen politischer NazigegnerInnen nicht
nachgewiesen werden. 1952 starb Hermann Stieve, hoch geachtet in Ost
und West. In einem Nachruf heißt es: „Als leidenschaftlicher
Jäger holte er sich seine Objekte aus manchen Ländern Europas: Was
er tötete und was die Anatomie ihm bot, machte er durch Deutung in
Worte und Schrift wieder lebendig. Die Leichen stammten von
Unglücksfällen oder von Menschen, die wegen gemeiner Verbrechen
(...) von regulären Gerichten zum Tode verurteilt waren.“
alle Fotos: Jochen Vogler
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