17.02.08
75 Jahre danach: Nie wieder! Für ein
demokratisches und soziales Nordrhein-Westfalen - ohne Nazis und
Militaristen
Mündlicher Bericht von
Ulrich Sander, Landessprecher, an die Landesdelegiertenkonferenz
2008 der VVN-BdA
Von Ulrich Sander
Es liegen viele Gründe vor, um in NRW gegen die Nazis und
Neonazis, aber auch gegen andere antidemokratische Erscheinungen
gemeinsam mit allen Demokratinnen und Demokraten vorzugehen. Auch
die Landesparlamente müssen eine Antwort geben auf die Frage, die
die Süddeutsche Zeitung in ihrem Leitartikel stellte: „Will der
Staat seine Spitzel in der NPD schützen, oder will er die
Gesellschaft vor der NPD schützen? Beides zusammen geht nicht.“
Das stellte Ulrich Sander, Landessprecher der VVN-BdA, auf der
Landesdelegiertenkonferenz seiner Organisation vor den 75
Delegierten der rund 1000 Mitglieder der ältesten und größten
antifaschistischen Opferorganisation fest. Man müsse sich auch
heute faschistische Politik oder doch hochgradig autoritäre Politik
von rechten Regierenden und hohen Wirtschaftsmanagern vorstellen
können, die in Koalitionen eingebunden sind. Sander: "Diese
Vorstellung fällt nicht schwer, wenn wir uns Kochs Wahlkampf und
Schäubles Sicherheitspolitik ansehen. Eine solche Politik birgt die
Gefahr des Umschwungs in profaschistische Regierungsformen, sie kann
aber auch in kontrollierter Form auftreten. Denn von den Nazis geht
heute weniger die Gefahr aus, dass sie die faschistische Macht
ergreifen, als viel mehr die Politik mit zu bestimmen. Erinnert sei
an den Asylkompromiß von 1993 und an die Freude der NPD vor wenigen
Wochen über die Politik im CDU-Wahlkampf in Hessen. Diese Politik
wurde – trotz des Wahldesasters – nicht zurückgenommen, sondern
von der Bundeskanzlerin ausdrücklich bestätigt." Die Rede im
Wortlaut:
75 Jahre danach: Nie wieder!
Für ein demokratisches und soziales Nordrhein-Westfalen
- ohne Nazis und Militaristen
(Motto der Landesdelegiertenkonferenz 2008)
Mündlicher Bericht von Ulrich Sander, Landessprecher, an die
LDK der VVN-BdA
(Es gilt das gesprochene Wort.)
Liebe Freundinnen und Freunde!: Erstmals hält auf einer
Landesdelegiertenkonferenz mit mir einer den mündlichen Bericht,
der nur noch ganz wenige Erinnerungen an den Krieg und damit an die
Naziherrschaft besitzt. Unser bisheriger Berichterstatter Jupp
Angenfort, seit 1988 unser Landesvorsitzender und Landessprecher,
kam aus dem Nationalkomitee Freies Deutschland und nahm Teil an den
Kämpfen gegen die Wiederbewaffnung und die Renazifizierung großer
Teile der Gesellschaft. Wir freuen uns, dass er auch heute unter uns
ist. Ebenso Henny Dreifuss, Lore Junge, Maria Wachter und Bruno
Bachler, alle vier aus der aktiven Zeitzeugengeneration, der Zeit
des Widerstandes. Wir danken ihnen, dass sie uns immer noch mit Rat
und Tat zur Seite stehen und weiter an der antifaschistischen
Aufklärungsarbeit unter der Jugend teilnehmen. Ich möchte mich
bedanken für die Ehre, hier heute als einer ihrer Nachfolger den
Bericht geben zu dürfen.
Die Zukunft von Nordrhein-Westfalen - vor 61 Jahren gegründet -
sollte, so haben es die Männer und Frauen der ersten Stunde
gewünscht, antifaschistisch und demokratisch gestaltet werden.
Dafür haben sie gekämpft, und auch Erfolge erzielt. Heute aber
schieben sich gegenläufige Tendenzen in den Vordergrund. Trotz
Rückschlägen für die Rechten bei den letzten Landtagswahlen
erstarken sie tendenziell, vor allem durch Unterstützung aus der
Mitte heraus. Kriege werden wieder von Deutschen geführt. Die
Grundrechte unserer Verfassung sind bedroht. Aber unser Ziel bleibt:
Der Antifaschismus und seine Ideale müssen die Zukunft prägen,
wenn Riesengefahren vermieden werden sollen.
Jupp fasste diese Aufgabe vor drei Jahren auf der
Landesdelegiertenkonferenz so zusammen - und ich möchte es
bekräftigen: Der Krieg muss gebannt sein. Der Faschismus darf nie
wieder sein Haupt erheben. Die Menschenrechte müssen verwirklicht
werden. Niemand soll Angst vor Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot und
anderen sozialen Plagen haben. Das ist der Kern unseres
antifaschistischen Zukunftsbildes. Diese Vorstellungen bestimmen
nach wie vor unser Handeln.
Jupp gab uns mit auf den Weg: "Wir treten für
antifaschistische Bündnisse ein, aus denen niemand ausgegrenzt
wird. Es darf kein Monopol auf Antifaschismus geben. Jede
Lebenserfahrung, jede Überzeugung, die zu antifaschistischem
Handeln führt, verdient Respekt. In ganz besonderem Maße sollten
antifaschistische Bündnisse offen sein für die Gewerkschaften,
für ihre Mitglieder. Die Einheitsgewerkschaften, die wir heute in
Deutschland haben, sind aus den Erfahrungen der Nazizeit entstanden.
Sie sollten ein besonders wichtiger Faktor im Leben der
Bundesrepublik bleiben. Ihre Handlungsfähigkeit und ihr
antifaschistisches Engagement sind mit entscheidend für die
Perspektive einer von Neonazismus, Rassismus und
Ausländerfeindlichkeit freien Bundesrepublik."
Ich möchte diesen Worten hinzufügen: Sie gelten besonders in
diesem Jahr, da wir am 2. Mai die 75jährige Wiederkehr des Tages
haben, da die Gewerkschaftshäuser von den Nazis besetzt wurden. Es
darf nie wieder eine solche Niederlage für die Arbeiterbewegung
geben.
In einem umfassenden schriftlichen Bericht haben wir unsere
Arbeit in den letzten drei Jahren bilanziert. Als Landesausschuss
haben wir eine antifaschistische Landespolitik entfaltet und in den
Städten und Gemeinden sind wir den Nazis entgegengetreten. Wir
haben in der Friedensbewegung antimilitaristische Impulse gegeben.
Erfolgreich gestaltete sich unsere antifaschistische Bildungsarbeit
und die Erinnerungsarbeit. So gut es ging, traten wir für die
sozialen Belange der überlebenden Opfer des Faschismus ein.
Liebe Freundinnen und Freunde!: Jupp hatte vor drei Jahren
besonders eine Aktion geschildert, an der er beharrlich drei Jahre
dranblieb, auch wenn wir letztlich damit scheiterten. In unserem
Bundesland gibt es Neonazi-Bands, die in der Tradition der
Hitlerfaschisten tätig sind und ihre CDs mit entsprechenden
menschenverachtenden Songs vor allem unter der Jugend verbreiten,
zumeist so unter dem Ladentisch, berichtete Jupp, der gegen die
Neonaziband "Oidoxie" und "Weiße Wölfe" aus
Arnsberg und Dortmund Anzeige erstattet hatte. Beweisstücke hatten
wir mitgeliefert. In fünf Jahren gab es drei Anläufe der
Staatsanwaltschaft, unsere Anzeige in einen Prozess einmünden zu
lassen. Vor drei Monaten wurde das Verfahren eingestellt, obwohl wir
ausreichende Beweismittel eingereicht haben. Schuld daran, dass die
Nazibandmitglieder schließlich freigesprochen wurden, war der
Staats- und Verfassungsschutz von NRW, der alles tat, um
Beweismittel und Zeugenaussagen, die ausgereicht hätten zu einem
Urteil, nicht in den Prozess hineinzubringen. Ein typisches Beispiel
für den wohlwollenden Umgang unseres Bundeslandes mit denen auf der
ganz rechten Seite des Spektrums. Angesichts der mit
"anti-extremistischen" Wortspielen den Nazismus
relativierenden und ihn fördernden Politik der
CDU-FDP-Landesregierung tragen die Gegner der Nazis in unserem
Bundesland eine besondere Verantwortung, um Bürgerrechte zu
sichern, Neonazis zu bekämpfen und der antidemokratischen
Militarisierung im Innern - Zivil-Militärische Zusammenarbeit a la
Heiligendamm - zu begegnen. Ja, auch die Einsätze der Bundeswehr im
Innern hatten hier mit der Fußball-WM ihre Premiere. Inzwischen
gibt es rund eine Million zusätzliche Reservisten in NRW, die zu
Übungen, aber - und das ist neu - auch zu Einsätzen im In- und
Ausland beordert werden können. Die drei letzten deutschen Toten
aus Afghanistan waren Reservisten aus Bonn. Es war unsere
Landesregierung, die ein Verfassungsschutzgesetz für die
Onlinedurchsuchung durchsetzte, die mit dem Festhalten am
V-Leute-Konzept gewollt oder nicht der NPD half. Es wurde bekannt,
dass V-Leute an Neonaziverbrechen teilnahmen und die Nazis sogar mit
Waffen versorgten. Die Landesregierung bekämpfte mit dem
Paragraphen 21 des Versammlungsgesetzes die antifaschistischen
"Störer" von extremrechten Aktivitäten. Dem wirksamen
Vorgehen gegen die rechten "Kameradschaften" und gegen die
NPD verweigert sich diese CDU-FDP-Regierung. Woche für Woche
dürfen Neonazis in unseren Städten aufmarschieren. NRW wurde
schließlich zum Vorreiter im Abbau der gewerkschaftlichen
Mitbestimmungsrechte in den Verwaltungen und der demokratischen
Gepflogenheiten in den Gemeinden. Es liegen ausreichende plausible
Gründe vor, um in NRW gegen die Nazis und Neonazis, aber auch gegen
andere antidemokratische Erscheinungen vorzugehen. Auch die
Landesparlamente müssen eine Antwort geben auf die Frage, die am
13. 10. 07 die Süddeutsche Zeitung in ihrem Leitartikel stellte:
"Will der Staat seine Spitzel in der NPD schützen, oder will
er die Gesellschaft vor der NPD schützen? Beides zusammen geht
nicht." Die schwarz-gelbe Landesregierung ist unter der Losung
"Privat geht vor Staat" angetreten. Damit ist gemeint:
Privatkapital geht vor Sozialstaat. Und so handelte die
Landesregierung auch. Doch das steht in Widerspruch zum Grundgesetz
und zur Landesverfassung. Nach der Landesverfassung sollte der
Mensch im Mittelpunkt stehen. Das Gewinnstreben sollte nicht der
einzige Maßstab des Wirtschaftslebens sein. Das war damals bei
Schaffung der Verfassung der Konsens. Deswegen wurde in die
Landesverfassung von Nordrhein-Westfalen der Artikel 24 eingefügt.
In ihm heißt es: "... Im Mittelpunkt des Wirtschaftslebens
steht das Wohl des Menschen. Der Schutz seiner Arbeitskraft hat den
Vorrang vor dem Schutz materiellen Besitzes. Jedermann hat ein Recht
auf Arbeit. ..." In einem Kommentar zur Verfassung heißt es,
dass der Artikel 24 mit seiner Grundkonzeption Lehren aus der
Geschichte der dreißiger und vierziger Jahre zieht und
programmatische Weisungen an den Gesetzgeber gibt. Es wird
hervorgehoben, dass der Schutz der Arbeitskraft den Vorrang vor dem
Schutz materiellen Besitzes haben muss. Gäbe es einen
Interessenkonflikt, so sei die Arbeitskraft als das höhere Gut
anzusehen. Zieht man dann noch den Sozialstaats- und den
Sozialisierungsartikel des Grundgesetzes hinzu, dann kann es z.B.
angesichts der gegenwärtigen Vorgänge um Nokia nur einen Schluss
geben: Ein solcher Betrieb gehört sozialisiert und in die Hände
der Belegschaft gegeben, um das Recht auf Arbeit zu verwirklichen.
Die Mitbestimmung ist durchzusetzen.
Liebe Freundinnen und Freunde!: In den Städten und Gemeinden ist
die VVN-BdA sehr aktiv und kämpft in Bündnissen wie in einzelnen
eigenen Aktionen unter der Losung "Nazis raus aus unserer
Stadt". Dabei sagen wir unserer Bündnispartnern aber stets:
Das reicht nicht. Wir dürfen die Landespolitik nicht aus der
Verantwortung entlassen. Der Innenminister und die
Regierungspräsidenten bestimmen über die Politik der
Polizeipräsidenten und Landräte - und die ist oft eine
unsägliche, die Nazis fördernde und duldende Politik und Praxis.
Wir haben uns gefreut, dass wir mit dieser Auffassung zunehmend
Zustimmung finden. Unsere diesbezüglichen Petitionen an den Landtag
wurden von den demokratischen Bewegungen und von Kommunalpolitikern
beachtet; sie hätten allerdings oft noch mehr Unterstützung
verdient. Sehr begrüßt haben wir die Initiative der
Kommunalpolitiker der PDS, heute Partei DieLinke, gegenüber dem
Innenminister des Landes für die Auflösung und das Verbot der
nazistischen Kameradschaften. Es wird nun darauf ankommen, diese
Initiative aufzufrischen. In diesem Sinne richten wir an alle
Mandatsträger aller Linken die Bitte, sich des Antrags neu zu
besinnen und damit zu arbeiten.
Schon lange setzen wir uns dafür ein, dass die Kommunen eine
gewisse Geldsumme zur Unterstützung der Arbeit antifaschistischer
Initiativen und Organisationen bereitstellen. Diese Forderung haben
wir immer wieder an die gewählten Stadt- und Gemeinderäte
herangetragen. In Dortmund, wo sich der Neofaschismus die größte
Hochburg außerhalb der neuen Bundesländer schaffen konnte, sind
unsere Forderungen gehört worden. Es wurde ein "Aktionsplan
für Demokratie und Toleranz, gegen Rechtsextremismus,
Antisemitismus und Rassismus" mit einem Fonds mit jährlich
100.000 Euro geschaffen. Im Rathaus wurde eine Ansprechstelle
eingerichtet, und als erste Aktion findet in einer Woche eine
antifaschistische Jugendkonferenz auf Stadtebene statt, zu der das
Bündnis Dortmund gegen Rechts aufruft, in dem die VVN-BdA
mitarbeitet.
Mit unserer Ausstellung "Neofaschismus in Deutschland"
haben wir uns an der Aufklärungsarbeit in zahlreichen Städten
beteiligt. Sie war vor drei Jahren überarbeitet und aktualisiert
und erneut herausgegeben worden von VVN-BdA, Zeitschrift
"Rechter Rand" und IG Metall. In einigen Monaten soll die
Ausstellung erneut überarbeitet werden, aber auch die derzeitige
Ausstellung sollte noch gut genutzt werden.
Liebe Freundinnen und Freunde!: Danken möchten wir allen
Kameradinnen und Kameraden, die antifaschistische Geschichtsarbeit
machen, die, wie in Mülheim, Bochum, Solingen und in anderen Orten,
Stadtrundgänge durchführen, die in die Schulen gehen und über die
Erfahrungen des antifaschistischen Widerstandes berichten.
Das Internationale Rombergpark-Komitee, unterstützt von der
VVN-BdA in unserem Land, hatte für 2005 die Kontaktaufnahme zu
Gruppen aus möglichst vielen Orten mit Kriegsendphasenopfern
beschlossen und auch verwirklicht. Ein Treffen der Gruppen fand
statt und sie vernetzten sich. Nun liegt das Ergebnis vor. In
einigen Tagen erscheint das Buch "Mörderisches Finale"
mit Berichten von rund 90 Orten mit Kriegsendphasenopfern. Man kann
sagen, dass 27 Gruppen unserer nordrhein-westfälischen VVN-BdA -
von A wie Aachen bis W wie Wuppertal - an dem Buch mitgeschrieben
haben. Sie haben ein gutes Stück Erinnerungsarbeit geleistet. So
wie auch die Düsseldorfer mit ihren Schriften über
antifaschistische Persönlichkeiten ihrer Stadt.
Jetzt starten wir ein neues Gemeinschaftswerk unserer
VVN-BdA-Gruppen und Kreise auf dem Gebiet der Geschichtsarbeit. Eine
Arbeitsgruppe Geschichte gründete sich auf dem Seminar der VVN-BdA
NRW im Dezember in Solingen. Wir starteten eine Rallye
"Spurensuche Verbrechen der Wirtschaft 1933-1945", um
damit aus Anlass des 75. Jahrestages der Machtübertragung an Hitler
an jene Zeit zu erinnern. Unser NRW-Landesverband will eine
Dokumentation über diese Verbrechen an Rhein, Ruhr und Lippe
erstellen. Antifa- und Jugendgruppen sowie Schülerinnen und
Schüler werden aufgerufen, vor Ort die Informationen über die
Täter zu sammeln und zusammenzutragen, um sie von der VVN-BdA
veröffentlichen zu lassen. Daraus könnten Schriften oder auch
Exponate entstehen. Die Rallye startete am 4. Januar in Köln vor
der Villa Schröder und am 7. Januar in Dortmund vor dem Grundstück
der einstigen Villa Springorum. Schröder und Springorum gehörten
zu den Bankiers und Industriellen, die Hitler finanzierten und von
ihm profitierten.
Eine Gedenktafel der Stadt Köln befindet sich seit 1996 vor dem
Hause Stadtwaldgürtel 35. Sie trägt im Stile der Stolpersteine die
Inschrift: "Hier, im Haus des Privatbankiers Kurt Freiherr von
Schröder, trafen sich am 4. Januar 1933 Adolf Hitler und Franz von
Papen, um über eine Regierungsbildung zwischen Nationalsozialisten
und Rechtskonservativen zu beraten. In einem Gespräch wurden die
Weichen für Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar 1933
gestellt und die Voraussetzungen für die menschenverachtende
Diktatur der Nationalsozialisten geschaffen. Kurt von Schröder
unterstützte bereits vor 1933 die Ziele des Nationalsozialismus und
organisierte nach 1933 finanzielle Leistungen der deutschen
Wirtschaft an die SS." Es ist unsere Absicht, an möglichst
vielen Stätten der Verbrechen der Wirtschaft, so wie in Köln am
Stadtwaldgürtel, Tafeln mit ähnliche Texten zu schaffen. Die
Aktion Spurensuche mit den keinen Erinnerungstafeln und
Stolpersteinen für die Opfer wird so ergänzt mit Erinnerungstafeln
für die Täter. Damit wollen wir dazu beitragen, dass die Schuld
dieser Täter nie vergessen wird und den rechten ökonomischen
Eliten nie wieder derart viel Macht gewährt wird.
Eine gewichtige Wiederentdeckung für unsere Geschichtsarbeit ist
das Buch über "Hitler und die Herren an der Ruhr" von
Gustav Luntowski. Um sich im engsten Kreise vertraulich über
wichtige Fragen abzustimmen, hatten sich im Januar 1928 zwölf
Industrielle zusammengeschlossen, die sich selbst als die
"maßgebenden Herren der westlichen Industrie"
bezeichneten. Ihre Vereinigung nannten sie die "Ruhrlade".
Mit ihr und ihrem "engeren Kreis", dem Krupp, Klöckner,
Reusch, Springorum, Thyssen, Vögler und Poensgen angehörten, hatte
sich bald eine mächtige Gruppe etabliert, die Hitler an die Macht
half. Luntowski spricht an Hand der Quellen aus bisher nicht
genutzten Privatarchiven von "einer Mitverantwortung der
Industriellen für das nationalsozialistische Unrechtssystem".
Ihr Programm formulierte Paul Reusch (Gutehoffnungshütte), der
zusammen mit Albert Vögler (Vereinigte Stahlwerke) als Scharfmacher
wirkte: "Ein ,großdeutsches Reich' (Zusammenfassung aller
geschlossen siedelnden Deutschen und Anschluss Deutsch-Österreichs),
Bekämpfung des ,Systems von Versailles' und der
,Kriegsschuldlüge', Wiederherstellung der deutschen Wehrhoheit,
Revision der Ostgrenzen (Korridorfrage), Ablehnung des
demokratisch-parlamentarischen Systems von Weimar, schärfste
Bekämpfung des Marxismus, Unantastbarkeit des Privateigentums
usf.". Ähnliche Töne hatte Hitler im Januar 1932 im
Düsseldorfer Industrieklub angeschlagen, wo er der Wirtschaft sein
Programm der "Ausrottung des Marxismus" erläutern durfte.
Bereits im Dezember 1932 war in einem vertraulichen Bericht aus dem
"Verein zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen
in Rheinland und Westfalen" (Langnamverein) konstatiert worden,
"dass fast die gesamte Industrie die Berufung Hitlers,
gleichgültig unter welchen Umständen, wünscht". (Aufgefunden
im Bundesarchiv, bei Luntowski S. 80). Es kam zum 30. Januar 1933,
da Hitler und seiner Partei die Macht übertragen wurde. Die
Aufrüstung, die Vorbereitung auf den Krieg und die Eroberung neuen
"Lebensraums" konnten beginnen. Sodann die Sklavenarbeit
von Millionen Menschen, die nach Kriegsbeginn "ins Reich"
geholt wurden, wo sie die Profite der Industriellen mehrten. Diese
Art der "Fortexistenz" des Kapitalismus (Luntowski)
brachte 55 Millionen Menschen den Tod.
Liebe Freundinnen und Freunde!: In diesen Wochen gedenken wir der
Opfer dieses geschilderten Verhängnisses, das vor 75 Jahren seinen
Lauf nahm, aber schon früher begann. Es begann mit der nicht zuende
geführten Novemberrevolution 1918/19, mit der tödlichen Spaltung
der Arbeiterbewegung, mit der Republik, der sich das Bürgertum
verweigerte. Das Bündnis der rechten Sozialdemokratie mit den
Freikorps, aus denen die Mörder sowohl der
"Bolschewisten" Liebknecht und Luxemburg hervorgingen wie
der Republik insgesamt, es blockierte bis zuletzt das Zusammengehen
derer, die zur Verteidigung der Demokratie berufen und in der Lage
gewesen wären. Wechselseitig sich "Sozialfaschisten" und
"rotlackierte Nazis" bezeichnend, sahen sie erst in den KZ
und Zuchthäusern, dann im Krieg und an den Massengräbern, wohin es
führt, wenn die Notwendigkeit zur Vernunft und Gemeinsamkeit nicht
rechtzeitig erkannt wird. Lassen wir uns dies eine Mahnung sein.
Trotz vieler guter Ansätze konnten die richtigen Lehren auch
danach nicht gezogen werden. Anders als die Weimarer konnte die
Bonner Republik die Linken entweder weitgehend zur Anpassung zwingen
oder andererseits unterdrücken. Zeitweilig wurde die kommunistische
Linke in der Bonner Republik sogar in die Illegalität getrieben.
Gleichzeitig war der rechte Rand sehr prägend. Der rechte Rand
erweiterte sich zur Mitte. Hier gaben die alten Nazis vielfach den
Ton an. Die Gewerkschaften stellten fest, es seien in der
Bundesrepublik nach 1945 die alten Besitz- und Machtverhältnisse
wieder hergestellt worden.
Sie wiesen den inneren Zusammenhang zwischen Großkapital,
Konzernen und der äußersten Rechten nach. Das entsprach auch den
historischen Erfahrungen der Gründer der VVN.
Den äußersten Rechten dienen sich auch heute wieder Vertreter
des ganz großen Geldes in Politik und Wirtschaftsverbänden an. Der
ehemalige Industriellen-Präsident und noch heute einflussreiche
Michael Rogowski erklärte, als wolle er den Gesprächsfaden vom
Industrie-Club 1932 wieder aufnehmen:
1.) Der Rüstungsetat müsse vergrößert werden. Er forderte in
einem BDI-Forderungskatalog zur Bundestagswahl 2002 "eine
Erhöhung der Rüstungsausgaben um drei Mrd. Euro pro Jahr zur
Modernisierung der Bundeswehr". Ohne eine starke
Rüstungsindustrie werde es "Deutschland schwer haben, seinen
Stimme zu erheben", wenn es um internationale Entscheidungen
gehe", monierte der BDI-Präsident. Und das
Bundeswehr-Weißbuch von 2006 sieht ja die Erlangung von Rohstoffen
und das Freikämpfen von Handelswegen auch als militärisches Ziel
vor - ganz wie schon vor 1933 konzipiert.
2.) Die NPD, so Rogowski, sei nicht so beunruhigend wie die PDS,
die Linke. Das "Phänomen Rechtsextremismus" solle nicht
überbewertet werden. ("Freie Presse", Chemnitz,
20.09.2004)
3.) Die Nazi-Losung "Volksgemeinschaft statt
Klassenkampf" verinnerlichte auch Rogowski auf seine Weise. Er
sagte: "Am 9. November 1989 haben wir mit der Maueröffnung
auch die Abrissbirne gegen den Sozialstaat in Stellung gebracht.
Hartz V bis VIII werden demnächst folgen. Es ist ein Klassenkampf,
und es ist gut so, dass der Gegner auf der anderen Seite kaum noch
wahrzunehmen ist." (am 16.12.2004 in TV Phönix lt. Wikipedia)
Soweit der Sprecher der Großindustrie. Auch in unserem
Bundesland entsteht mit Hilfe eines reichen Kapitalisten eine
neofaschistische Bewegung - allerdings eine in Nadelstreifen. Der
Solinger Bauunternehmer und Nazi Günther Kissel finanziert die
Bewegung "Pro Köln", die sich zur Bewegung "Pro
NRW" ausdehnen will. Unser unvergessener Volker Adam hat
analysiert, was die "Pro NRW"-Bewegung will und bedeutet.
Seien wir wachsam.
All dies zeigt: Wir müssen uns auch heute faschistische Politik
oder doch hochgradig autoritäre Politik von rechten Regierenden und
hohen Wirtschaftsmanagern vorstellen können, die in Koalitionen
eingebunden sind. Diese Vorstellung fällt nicht schwer, wenn wir
uns Kochs Wahlkampf und Schäubles Sicherheitspolitik ansehen. Eine
solche Politik birgt die Gefahr des Umschwungs in profaschistische
Regierungsformen, sie kann aber auch in kontrollierter Form
auftreten. Denn von den Nazis geht heute weniger die Gefahr aus,
dass sie die faschistische Macht ergreifen, als viel mehr die
Politik mit zu bestimmen. Erinnert sei an den Asylkompromiß von
1993 und an die Freude der NPD vor wenigen Wochen über die Politik
im CDU-Wahlkampf in Hessen. Diese Politik wurde - trotz des
Wahldesasters - nicht zurückgenommen, sondern von der
Bundeskanzlerin ausdrücklich bestätigt. Wir ringen um das Verbot
der NPD. Wenn es schwierig erscheint, die NPD zu verbieten und
nachhaltig auch jede Nachfolgeorganisation auszuschalten, so hängt
es vor allem mit den vielen gemeinsamen politisch-inhaltlichen
Schnittmengen zusammen, die bei Nazis wie bei bürgerlichen
Politikern bestehen. Würde die NPD verboten, so würden auch viele
extreme politische Positionen von Konservativen tabuisiert sein und
ihre Verwirklichung nachhaltig behindert. So gilt es, weiter für
das NPD-Verbot zu streiten und zugleich den Grundrechteabbau der
Regierenden zu bekämpfen. Unsere Kampagne NoNPD stieß auf große
Zustimmung. Die angestrebte Zahl der Unterschriften wurde erheblich
übertroffen. Viele Menschen spürten, hier kann ich mich wehren und
ich muss nicht hilflos zusehen, wie Behörden die NPD und ihre
Kameradschaften gewähren lassen. Bleiben wir dran an der Forderung
"NoNPD".
Liebe Freundinnen und Freunde!: Kürzlich fand ich eine
erstaunliche Formulierung: "Afghanistan ressortiert unter dem
Titel ‚Scheißkrieg'", heißt es da. Und weiter: "Dass
dieser Krieg nicht gewonnen werden kann, haben amerikanische und
englische Generale vorhergesagt. Die Anwälte einer auf zwei
Jahrzehnte angelegten Strategie haben augenscheinlich nur eine vage
Vorstellung davon, was ein Krieg ist. Zerfetzte Leichen sind ihnen
noch nicht vor Augen gekommen. Die Politiker, die den Schrecken noch
selber erfahren haben, sind recht alt und haben nichts mehr zu
melden. Die Mehrheit der Deutschen möchte diesen Krieg beendet
sehen, weil sie ihn verloren gibt. Von Bertha von Suttner, der
Nobelpreisträgerin von 1905, stammt der pathetische Ausruf: ‚Die
Waffen nieder'. Diesen Ruf hat man hierzulande in dieser
Radikalität bisher nicht vernommen. Die Mehrheit muss nicht immer
klüger sein als ihre Regierung. Gar nicht so selten ist sie es
allerdings." Das alles schrieb der frühere Regierungssprecher
Klaus Bölling unter Berufung auf Helmut Schmidt, Alt-Bundeskanzler,
am 31.1.08 in der Süddeutschen Zeitung
Die Charta der Vereinten Nationen verlangt von uns: "Die
Kräfte zu vereinen, um den Weltfrieden zu wahren." In diesem
Sinne wollen wir alles tun, um die Friedensbewegung zu stärken, um
ihre Aktionen zu unterstützen. Ich denke dabei auch an den
bevorstehenden Ostermarsch. So wie Bölling und Schmidt es
überraschend formulieren, müssen wir verlangen: Raus aus
Afghanistan. Weg von allen Kriegsschauplätzen. Die Waffen nieder.
Liebe Freundinnen und Freunde!: Wir haben uns zu Beginn unserer
Konferenz zu Ehren der Verstorbenen aus unseren Reihen erhoben. Sie
sind schwer zu ersetzen. Ihr Tod trifft uns umso mehr, da wir ein
Problem mit unserer Mitgliederentwicklung haben. Wir haben in
unserer Landesorganisation zurzeit 1.001 Bezieher der
"Antifa". Das ist - von Ausnahmen abgesehen - die Zahl
unserer Mitglieder. Unsere großen Aufgaben verlangen danach: Wir
müssen mehr werden. Wir müssen auch wieder mehr unsere türkischen
antifaschistischen Freundinnen und Freunde gewinnen. Und wir müssen
mehr Mittel für unsere Aufgaben aufbringen. Lasst uns auch darüber
hier heute sprechen.
Um Mitglieder, vor allem junge zu gewinnen, haben sich auch
internationale und internationalistische Aktionen bewährt. Mehrere
Kreisvereinigungen unterhalten besonders Kontakte nach Frankreich
und den Niederlanden. Es wäre gut, wenn sie auf der Länderseite
der "Antifa" darüber berichteten, so dass wir alle etwas
davon haben. Eine große internationale Erinnerungsaktion steht in
Buchenwald bevor. Zum Jugendtreffen in Weimar und auf dem
KZ-Gelände am 12. und 13. April rufen u.a. unsere
Kreisvereinigungen Siegen und Aachen auf, die auch Busfahrten
organisieren. Wer mitmachen möchte, wende sich an sie.
1945 schworen die befreiten Häftlinge des KZ Buchenwald u.a.:
"Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere
Losung. ... Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte
Schuldige vor den Richtern der Völker steht." Doch die Wurzeln
des Nazismus wurden nicht beseitigt, nur wenige der Schuldigen
standen vor den Richtern. Deshalb gilt es, die Wurzeln des Nazismus
weiter zu bekämpfen, die Schuldigen weiter zu benennen und das
Unrecht nie wieder zuzulassen. Deshalb gilt es, die VVN-BdA zu
stärken.
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