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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

17.02.08

75 Jahre danach: Nie wieder! Für ein demokratisches und soziales Nordrhein-Westfalen - ohne Nazis und Militaristen 

Mündlicher Bericht von Ulrich Sander, Landessprecher, an die Landesdelegiertenkonferenz 2008 der VVN-BdA

Von Ulrich Sander

Es liegen viele Gründe vor, um in NRW gegen die Nazis und Neonazis, aber auch gegen andere antidemokratische Erscheinungen gemeinsam mit allen Demokratinnen und Demokraten vorzugehen. Auch die Landesparlamente müssen eine Antwort geben auf die Frage, die die Süddeutsche Zeitung in ihrem Leitartikel stellte: „Will der Staat seine Spitzel in der NPD schützen, oder will er die Gesellschaft vor der NPD schützen? Beides zusammen geht nicht.“ Das stellte Ulrich Sander, Landessprecher der VVN-BdA, auf der Landesdelegiertenkonferenz seiner Organisation vor den 75 Delegierten der rund 1000 Mitglieder der ältesten und größten antifaschistischen Opferorganisation fest. Man müsse sich auch heute faschistische Politik oder doch hochgradig autoritäre Politik von rechten Regierenden und hohen Wirtschaftsmanagern vorstellen können, die in Koalitionen eingebunden sind. Sander: "Diese Vorstellung fällt nicht schwer, wenn wir uns Kochs Wahlkampf und Schäubles Sicherheitspolitik ansehen. Eine solche Politik birgt die Gefahr des Umschwungs in profaschistische Regierungsformen, sie kann aber auch in kontrollierter Form auftreten. Denn von den Nazis geht heute weniger die Gefahr aus, dass sie die faschistische Macht ergreifen, als viel mehr die Politik mit zu bestimmen. Erinnert sei an den Asylkompromiß von 1993 und an die Freude der NPD vor wenigen Wochen über die Politik im CDU-Wahlkampf in Hessen. Diese Politik wurde – trotz des Wahldesasters – nicht zurückgenommen, sondern von der Bundeskanzlerin ausdrücklich bestätigt." Die Rede im Wortlaut:

75 Jahre danach: Nie wieder! 
Für ein demokratisches und soziales Nordrhein-Westfalen 
- ohne Nazis und Militaristen
 
(Motto der Landesdelegiertenkonferenz 2008)

Mündlicher Bericht von Ulrich Sander, Landessprecher, an die LDK der VVN-BdA

(Es gilt das gesprochene Wort.)

Liebe Freundinnen und Freunde!: Erstmals hält auf einer Landesdelegiertenkonferenz mit mir einer den mündlichen Bericht, der nur noch ganz wenige Erinnerungen an den Krieg und damit an die Naziherrschaft besitzt. Unser bisheriger Berichterstatter Jupp Angenfort, seit 1988 unser Landesvorsitzender und Landessprecher, kam aus dem Nationalkomitee Freies Deutschland und nahm Teil an den Kämpfen gegen die Wiederbewaffnung und die Renazifizierung großer Teile der Gesellschaft. Wir freuen uns, dass er auch heute unter uns ist. Ebenso Henny Dreifuss, Lore Junge, Maria Wachter und Bruno Bachler, alle vier aus der aktiven Zeitzeugengeneration, der Zeit des Widerstandes. Wir danken ihnen, dass sie uns immer noch mit Rat und Tat zur Seite stehen und weiter an der antifaschistischen Aufklärungsarbeit unter der Jugend teilnehmen. Ich möchte mich bedanken für die Ehre, hier heute als einer ihrer Nachfolger den Bericht geben zu dürfen.

Die Zukunft von Nordrhein-Westfalen - vor 61 Jahren gegründet - sollte, so haben es die Männer und Frauen der ersten Stunde gewünscht, antifaschistisch und demokratisch gestaltet werden. Dafür haben sie gekämpft, und auch Erfolge erzielt. Heute aber schieben sich gegenläufige Tendenzen in den Vordergrund. Trotz Rückschlägen für die Rechten bei den letzten Landtagswahlen erstarken sie tendenziell, vor allem durch Unterstützung aus der Mitte heraus. Kriege werden wieder von Deutschen geführt. Die Grundrechte unserer Verfassung sind bedroht. Aber unser Ziel bleibt: Der Antifaschismus und seine Ideale müssen die Zukunft prägen, wenn Riesengefahren vermieden werden sollen.

Jupp fasste diese Aufgabe vor drei Jahren auf der Landesdelegiertenkonferenz so zusammen - und ich möchte es bekräftigen: Der Krieg muss gebannt sein. Der Faschismus darf nie wieder sein Haupt erheben. Die Menschenrechte müssen verwirklicht werden. Niemand soll Angst vor Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot und anderen sozialen Plagen haben. Das ist der Kern unseres antifaschistischen Zukunftsbildes. Diese Vorstellungen bestimmen nach wie vor unser Handeln.

Jupp gab uns mit auf den Weg: "Wir treten für antifaschistische Bündnisse ein, aus denen niemand ausgegrenzt wird. Es darf kein Monopol auf Antifaschismus geben. Jede Lebenserfahrung, jede Überzeugung, die zu antifaschistischem Handeln führt, verdient Respekt. In ganz besonderem Maße sollten antifaschistische Bündnisse offen sein für die Gewerkschaften, für ihre Mitglieder. Die Einheitsgewerkschaften, die wir heute in Deutschland haben, sind aus den Erfahrungen der Nazizeit entstanden. Sie sollten ein besonders wichtiger Faktor im Leben der Bundesrepublik bleiben. Ihre Handlungsfähigkeit und ihr antifaschistisches Engagement sind mit entscheidend für die Perspektive einer von Neonazismus, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit freien Bundesrepublik."

Ich möchte diesen Worten hinzufügen: Sie gelten besonders in diesem Jahr, da wir am 2. Mai die 75jährige Wiederkehr des Tages haben, da die Gewerkschaftshäuser von den Nazis besetzt wurden. Es darf nie wieder eine solche Niederlage für die Arbeiterbewegung geben.

In einem umfassenden schriftlichen Bericht haben wir unsere Arbeit in den letzten drei Jahren bilanziert. Als Landesausschuss haben wir eine antifaschistische Landespolitik entfaltet und in den Städten und Gemeinden sind wir den Nazis entgegengetreten. Wir haben in der Friedensbewegung antimilitaristische Impulse gegeben. Erfolgreich gestaltete sich unsere antifaschistische Bildungsarbeit und die Erinnerungsarbeit. So gut es ging, traten wir für die sozialen Belange der überlebenden Opfer des Faschismus ein.

Liebe Freundinnen und Freunde!: Jupp hatte vor drei Jahren besonders eine Aktion geschildert, an der er beharrlich drei Jahre dranblieb, auch wenn wir letztlich damit scheiterten. In unserem Bundesland gibt es Neonazi-Bands, die in der Tradition der Hitlerfaschisten tätig sind und ihre CDs mit entsprechenden menschenverachtenden Songs vor allem unter der Jugend verbreiten, zumeist so unter dem Ladentisch, berichtete Jupp, der gegen die Neonaziband "Oidoxie" und "Weiße Wölfe" aus Arnsberg und Dortmund Anzeige erstattet hatte. Beweisstücke hatten wir mitgeliefert. In fünf Jahren gab es drei Anläufe der Staatsanwaltschaft, unsere Anzeige in einen Prozess einmünden zu lassen. Vor drei Monaten wurde das Verfahren eingestellt, obwohl wir ausreichende Beweismittel eingereicht haben. Schuld daran, dass die Nazibandmitglieder schließlich freigesprochen wurden, war der Staats- und Verfassungsschutz von NRW, der alles tat, um Beweismittel und Zeugenaussagen, die ausgereicht hätten zu einem Urteil, nicht in den Prozess hineinzubringen. Ein typisches Beispiel für den wohlwollenden Umgang unseres Bundeslandes mit denen auf der ganz rechten Seite des Spektrums. Angesichts der mit "anti-extremistischen" Wortspielen den Nazismus relativierenden und ihn fördernden Politik der CDU-FDP-Landesregierung tragen die Gegner der Nazis in unserem Bundesland eine besondere Verantwortung, um Bürgerrechte zu sichern, Neonazis zu bekämpfen und der antidemokratischen Militarisierung im Innern - Zivil-Militärische Zusammenarbeit a la Heiligendamm - zu begegnen. Ja, auch die Einsätze der Bundeswehr im Innern hatten hier mit der Fußball-WM ihre Premiere. Inzwischen gibt es rund eine Million zusätzliche Reservisten in NRW, die zu Übungen, aber - und das ist neu - auch zu Einsätzen im In- und Ausland beordert werden können. Die drei letzten deutschen Toten aus Afghanistan waren Reservisten aus Bonn. Es war unsere Landesregierung, die ein Verfassungsschutzgesetz für die Onlinedurchsuchung durchsetzte, die mit dem Festhalten am V-Leute-Konzept gewollt oder nicht der NPD half. Es wurde bekannt, dass V-Leute an Neonaziverbrechen teilnahmen und die Nazis sogar mit Waffen versorgten. Die Landesregierung bekämpfte mit dem Paragraphen 21 des Versammlungsgesetzes die antifaschistischen "Störer" von extremrechten Aktivitäten. Dem wirksamen Vorgehen gegen die rechten "Kameradschaften" und gegen die NPD verweigert sich diese CDU-FDP-Regierung. Woche für Woche dürfen Neonazis in unseren Städten aufmarschieren. NRW wurde schließlich zum Vorreiter im Abbau der gewerkschaftlichen Mitbestimmungsrechte in den Verwaltungen und der demokratischen Gepflogenheiten in den Gemeinden. Es liegen ausreichende plausible Gründe vor, um in NRW gegen die Nazis und Neonazis, aber auch gegen andere antidemokratische Erscheinungen vorzugehen. Auch die Landesparlamente müssen eine Antwort geben auf die Frage, die am 13. 10. 07 die Süddeutsche Zeitung in ihrem Leitartikel stellte: "Will der Staat seine Spitzel in der NPD schützen, oder will er die Gesellschaft vor der NPD schützen? Beides zusammen geht nicht." Die schwarz-gelbe Landesregierung ist unter der Losung "Privat geht vor Staat" angetreten. Damit ist gemeint: Privatkapital geht vor Sozialstaat. Und so handelte die Landesregierung auch. Doch das steht in Widerspruch zum Grundgesetz und zur Landesverfassung. Nach der Landesverfassung sollte der Mensch im Mittelpunkt stehen. Das Gewinnstreben sollte nicht der einzige Maßstab des Wirtschaftslebens sein. Das war damals bei Schaffung der Verfassung der Konsens. Deswegen wurde in die Landesverfassung von Nordrhein-Westfalen der Artikel 24 eingefügt. In ihm heißt es: "... Im Mittelpunkt des Wirtschaftslebens steht das Wohl des Menschen. Der Schutz seiner Arbeitskraft hat den Vorrang vor dem Schutz materiellen Besitzes. Jedermann hat ein Recht auf Arbeit. ..." In einem Kommentar zur Verfassung heißt es, dass der Artikel 24 mit seiner Grundkonzeption Lehren aus der Geschichte der dreißiger und vierziger Jahre zieht und programmatische Weisungen an den Gesetzgeber gibt. Es wird hervorgehoben, dass der Schutz der Arbeitskraft den Vorrang vor dem Schutz materiellen Besitzes haben muss. Gäbe es einen Interessenkonflikt, so sei die Arbeitskraft als das höhere Gut anzusehen. Zieht man dann noch den Sozialstaats- und den Sozialisierungsartikel des Grundgesetzes hinzu, dann kann es z.B. angesichts der gegenwärtigen Vorgänge um Nokia nur einen Schluss geben: Ein solcher Betrieb gehört sozialisiert und in die Hände der Belegschaft gegeben, um das Recht auf Arbeit zu verwirklichen. Die Mitbestimmung ist durchzusetzen.

Liebe Freundinnen und Freunde!: In den Städten und Gemeinden ist die VVN-BdA sehr aktiv und kämpft in Bündnissen wie in einzelnen eigenen Aktionen unter der Losung "Nazis raus aus unserer Stadt". Dabei sagen wir unserer Bündnispartnern aber stets: Das reicht nicht. Wir dürfen die Landespolitik nicht aus der Verantwortung entlassen. Der Innenminister und die Regierungspräsidenten bestimmen über die Politik der Polizeipräsidenten und Landräte - und die ist oft eine unsägliche, die Nazis fördernde und duldende Politik und Praxis.

Wir haben uns gefreut, dass wir mit dieser Auffassung zunehmend Zustimmung finden. Unsere diesbezüglichen Petitionen an den Landtag wurden von den demokratischen Bewegungen und von Kommunalpolitikern beachtet; sie hätten allerdings oft noch mehr Unterstützung verdient. Sehr begrüßt haben wir die Initiative der Kommunalpolitiker der PDS, heute Partei DieLinke, gegenüber dem Innenminister des Landes für die Auflösung und das Verbot der nazistischen Kameradschaften. Es wird nun darauf ankommen, diese Initiative aufzufrischen. In diesem Sinne richten wir an alle Mandatsträger aller Linken die Bitte, sich des Antrags neu zu besinnen und damit zu arbeiten.

Schon lange setzen wir uns dafür ein, dass die Kommunen eine gewisse Geldsumme zur Unterstützung der Arbeit antifaschistischer Initiativen und Organisationen bereitstellen. Diese Forderung haben wir immer wieder an die gewählten Stadt- und Gemeinderäte herangetragen. In Dortmund, wo sich der Neofaschismus die größte Hochburg außerhalb der neuen Bundesländer schaffen konnte, sind unsere Forderungen gehört worden. Es wurde ein "Aktionsplan für Demokratie und Toleranz, gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus" mit einem Fonds mit jährlich 100.000 Euro geschaffen. Im Rathaus wurde eine Ansprechstelle eingerichtet, und als erste Aktion findet in einer Woche eine antifaschistische Jugendkonferenz auf Stadtebene statt, zu der das Bündnis Dortmund gegen Rechts aufruft, in dem die VVN-BdA mitarbeitet.

Mit unserer Ausstellung "Neofaschismus in Deutschland" haben wir uns an der Aufklärungsarbeit in zahlreichen Städten beteiligt. Sie war vor drei Jahren überarbeitet und aktualisiert und erneut herausgegeben worden von VVN-BdA, Zeitschrift "Rechter Rand" und IG Metall. In einigen Monaten soll die Ausstellung erneut überarbeitet werden, aber auch die derzeitige Ausstellung sollte noch gut genutzt werden.

Liebe Freundinnen und Freunde!: Danken möchten wir allen Kameradinnen und Kameraden, die antifaschistische Geschichtsarbeit machen, die, wie in Mülheim, Bochum, Solingen und in anderen Orten, Stadtrundgänge durchführen, die in die Schulen gehen und über die Erfahrungen des antifaschistischen Widerstandes berichten.

Das Internationale Rombergpark-Komitee, unterstützt von der VVN-BdA in unserem Land, hatte für 2005 die Kontaktaufnahme zu Gruppen aus möglichst vielen Orten mit Kriegsendphasenopfern beschlossen und auch verwirklicht. Ein Treffen der Gruppen fand statt und sie vernetzten sich. Nun liegt das Ergebnis vor. In einigen Tagen erscheint das Buch "Mörderisches Finale" mit Berichten von rund 90 Orten mit Kriegsendphasenopfern. Man kann sagen, dass 27 Gruppen unserer nordrhein-westfälischen VVN-BdA - von A wie Aachen bis W wie Wuppertal - an dem Buch mitgeschrieben haben. Sie haben ein gutes Stück Erinnerungsarbeit geleistet. So wie auch die Düsseldorfer mit ihren Schriften über antifaschistische Persönlichkeiten ihrer Stadt.

Jetzt starten wir ein neues Gemeinschaftswerk unserer VVN-BdA-Gruppen und Kreise auf dem Gebiet der Geschichtsarbeit. Eine Arbeitsgruppe Geschichte gründete sich auf dem Seminar der VVN-BdA NRW im Dezember in Solingen. Wir starteten eine Rallye "Spurensuche Verbrechen der Wirtschaft 1933-1945", um damit aus Anlass des 75. Jahrestages der Machtübertragung an Hitler an jene Zeit zu erinnern. Unser NRW-Landesverband will eine Dokumentation über diese Verbrechen an Rhein, Ruhr und Lippe erstellen. Antifa- und Jugendgruppen sowie Schülerinnen und Schüler werden aufgerufen, vor Ort die Informationen über die Täter zu sammeln und zusammenzutragen, um sie von der VVN-BdA veröffentlichen zu lassen. Daraus könnten Schriften oder auch Exponate entstehen. Die Rallye startete am 4. Januar in Köln vor der Villa Schröder und am 7. Januar in Dortmund vor dem Grundstück der einstigen Villa Springorum. Schröder und Springorum gehörten zu den Bankiers und Industriellen, die Hitler finanzierten und von ihm profitierten.

Eine Gedenktafel der Stadt Köln befindet sich seit 1996 vor dem Hause Stadtwaldgürtel 35. Sie trägt im Stile der Stolpersteine die Inschrift: "Hier, im Haus des Privatbankiers Kurt Freiherr von Schröder, trafen sich am 4. Januar 1933 Adolf Hitler und Franz von Papen, um über eine Regierungsbildung zwischen Nationalsozialisten und Rechtskonservativen zu beraten. In einem Gespräch wurden die Weichen für Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 gestellt und die Voraussetzungen für die menschenverachtende Diktatur der Nationalsozialisten geschaffen. Kurt von Schröder unterstützte bereits vor 1933 die Ziele des Nationalsozialismus und organisierte nach 1933 finanzielle Leistungen der deutschen Wirtschaft an die SS." Es ist unsere Absicht, an möglichst vielen Stätten der Verbrechen der Wirtschaft, so wie in Köln am Stadtwaldgürtel, Tafeln mit ähnliche Texten zu schaffen. Die Aktion Spurensuche mit den keinen Erinnerungstafeln und Stolpersteinen für die Opfer wird so ergänzt mit Erinnerungstafeln für die Täter. Damit wollen wir dazu beitragen, dass die Schuld dieser Täter nie vergessen wird und den rechten ökonomischen Eliten nie wieder derart viel Macht gewährt wird.

Eine gewichtige Wiederentdeckung für unsere Geschichtsarbeit ist das Buch über "Hitler und die Herren an der Ruhr" von Gustav Luntowski. Um sich im engsten Kreise vertraulich über wichtige Fragen abzustimmen, hatten sich im Januar 1928 zwölf Industrielle zusammengeschlossen, die sich selbst als die "maßgebenden Herren der westlichen Industrie" bezeichneten. Ihre Vereinigung nannten sie die "Ruhrlade". Mit ihr und ihrem "engeren Kreis", dem Krupp, Klöckner, Reusch, Springorum, Thyssen, Vögler und Poensgen angehörten, hatte sich bald eine mächtige Gruppe etabliert, die Hitler an die Macht half. Luntowski spricht an Hand der Quellen aus bisher nicht genutzten Privatarchiven von "einer Mitverantwortung der Industriellen für das nationalsozialistische Unrechtssystem". Ihr Programm formulierte Paul Reusch (Gutehoffnungshütte), der zusammen mit Albert Vögler (Vereinigte Stahlwerke) als Scharfmacher wirkte: "Ein ,großdeutsches Reich' (Zusammenfassung aller geschlossen siedelnden Deutschen und Anschluss Deutsch-Österreichs), Bekämpfung des ,Systems von Versailles' und der ,Kriegsschuldlüge', Wiederherstellung der deutschen Wehrhoheit, Revision der Ostgrenzen (Korridorfrage), Ablehnung des demokratisch-parlamentarischen Systems von Weimar, schärfste Bekämpfung des Marxismus, Unantastbarkeit des Privateigentums usf.". Ähnliche Töne hatte Hitler im Januar 1932 im Düsseldorfer Industrieklub angeschlagen, wo er der Wirtschaft sein Programm der "Ausrottung des Marxismus" erläutern durfte. Bereits im Dezember 1932 war in einem vertraulichen Bericht aus dem "Verein zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen in Rheinland und Westfalen" (Langnamverein) konstatiert worden, "dass fast die gesamte Industrie die Berufung Hitlers, gleichgültig unter welchen Umständen, wünscht". (Aufgefunden im Bundesarchiv, bei Luntowski S. 80). Es kam zum 30. Januar 1933, da Hitler und seiner Partei die Macht übertragen wurde. Die Aufrüstung, die Vorbereitung auf den Krieg und die Eroberung neuen "Lebensraums" konnten beginnen. Sodann die Sklavenarbeit von Millionen Menschen, die nach Kriegsbeginn "ins Reich" geholt wurden, wo sie die Profite der Industriellen mehrten. Diese Art der "Fortexistenz" des Kapitalismus (Luntowski) brachte 55 Millionen Menschen den Tod.

Liebe Freundinnen und Freunde!: In diesen Wochen gedenken wir der Opfer dieses geschilderten Verhängnisses, das vor 75 Jahren seinen Lauf nahm, aber schon früher begann. Es begann mit der nicht zuende geführten Novemberrevolution 1918/19, mit der tödlichen Spaltung der Arbeiterbewegung, mit der Republik, der sich das Bürgertum verweigerte. Das Bündnis der rechten Sozialdemokratie mit den Freikorps, aus denen die Mörder sowohl der "Bolschewisten" Liebknecht und Luxemburg hervorgingen wie der Republik insgesamt, es blockierte bis zuletzt das Zusammengehen derer, die zur Verteidigung der Demokratie berufen und in der Lage gewesen wären. Wechselseitig sich "Sozialfaschisten" und "rotlackierte Nazis" bezeichnend, sahen sie erst in den KZ und Zuchthäusern, dann im Krieg und an den Massengräbern, wohin es führt, wenn die Notwendigkeit zur Vernunft und Gemeinsamkeit nicht rechtzeitig erkannt wird. Lassen wir uns dies eine Mahnung sein.

Trotz vieler guter Ansätze konnten die richtigen Lehren auch danach nicht gezogen werden. Anders als die Weimarer konnte die Bonner Republik die Linken entweder weitgehend zur Anpassung zwingen oder andererseits unterdrücken. Zeitweilig wurde die kommunistische Linke in der Bonner Republik sogar in die Illegalität getrieben. Gleichzeitig war der rechte Rand sehr prägend. Der rechte Rand erweiterte sich zur Mitte. Hier gaben die alten Nazis vielfach den Ton an. Die Gewerkschaften stellten fest, es seien in der Bundesrepublik nach 1945 die alten Besitz- und Machtverhältnisse wieder hergestellt worden.

Sie wiesen den inneren Zusammenhang zwischen Großkapital, Konzernen und der äußersten Rechten nach. Das entsprach auch den historischen Erfahrungen der Gründer der VVN.

Den äußersten Rechten dienen sich auch heute wieder Vertreter des ganz großen Geldes in Politik und Wirtschaftsverbänden an. Der ehemalige Industriellen-Präsident und noch heute einflussreiche Michael Rogowski erklärte, als wolle er den Gesprächsfaden vom Industrie-Club 1932 wieder aufnehmen:

1.) Der Rüstungsetat müsse vergrößert werden. Er forderte in einem BDI-Forderungskatalog zur Bundestagswahl 2002 "eine Erhöhung der Rüstungsausgaben um drei Mrd. Euro pro Jahr zur Modernisierung der Bundeswehr". Ohne eine starke Rüstungsindustrie werde es "Deutschland schwer haben, seinen Stimme zu erheben", wenn es um internationale Entscheidungen gehe", monierte der BDI-Präsident. Und das Bundeswehr-Weißbuch von 2006 sieht ja die Erlangung von Rohstoffen und das Freikämpfen von Handelswegen auch als militärisches Ziel vor - ganz wie schon vor 1933 konzipiert.

2.) Die NPD, so Rogowski, sei nicht so beunruhigend wie die PDS, die Linke. Das "Phänomen Rechtsextremismus" solle nicht überbewertet werden. ("Freie Presse", Chemnitz, 20.09.2004)

3.) Die Nazi-Losung "Volksgemeinschaft statt Klassenkampf" verinnerlichte auch Rogowski auf seine Weise. Er sagte: "Am 9. November 1989 haben wir mit der Maueröffnung auch die Abrissbirne gegen den Sozialstaat in Stellung gebracht. Hartz V bis VIII werden demnächst folgen. Es ist ein Klassenkampf, und es ist gut so, dass der Gegner auf der anderen Seite kaum noch wahrzunehmen ist." (am 16.12.2004 in TV Phönix lt. Wikipedia)

Soweit der Sprecher der Großindustrie. Auch in unserem Bundesland entsteht mit Hilfe eines reichen Kapitalisten eine neofaschistische Bewegung - allerdings eine in Nadelstreifen. Der Solinger Bauunternehmer und Nazi Günther Kissel finanziert die Bewegung "Pro Köln", die sich zur Bewegung "Pro NRW" ausdehnen will. Unser unvergessener Volker Adam hat analysiert, was die "Pro NRW"-Bewegung will und bedeutet. Seien wir wachsam.

All dies zeigt: Wir müssen uns auch heute faschistische Politik oder doch hochgradig autoritäre Politik von rechten Regierenden und hohen Wirtschaftsmanagern vorstellen können, die in Koalitionen eingebunden sind. Diese Vorstellung fällt nicht schwer, wenn wir uns Kochs Wahlkampf und Schäubles Sicherheitspolitik ansehen. Eine solche Politik birgt die Gefahr des Umschwungs in profaschistische Regierungsformen, sie kann aber auch in kontrollierter Form auftreten. Denn von den Nazis geht heute weniger die Gefahr aus, dass sie die faschistische Macht ergreifen, als viel mehr die Politik mit zu bestimmen. Erinnert sei an den Asylkompromiß von 1993 und an die Freude der NPD vor wenigen Wochen über die Politik im CDU-Wahlkampf in Hessen. Diese Politik wurde - trotz des Wahldesasters - nicht zurückgenommen, sondern von der Bundeskanzlerin ausdrücklich bestätigt. Wir ringen um das Verbot der NPD. Wenn es schwierig erscheint, die NPD zu verbieten und nachhaltig auch jede Nachfolgeorganisation auszuschalten, so hängt es vor allem mit den vielen gemeinsamen politisch-inhaltlichen Schnittmengen zusammen, die bei Nazis wie bei bürgerlichen Politikern bestehen. Würde die NPD verboten, so würden auch viele extreme politische Positionen von Konservativen tabuisiert sein und ihre Verwirklichung nachhaltig behindert. So gilt es, weiter für das NPD-Verbot zu streiten und zugleich den Grundrechteabbau der Regierenden zu bekämpfen. Unsere Kampagne NoNPD stieß auf große Zustimmung. Die angestrebte Zahl der Unterschriften wurde erheblich übertroffen. Viele Menschen spürten, hier kann ich mich wehren und ich muss nicht hilflos zusehen, wie Behörden die NPD und ihre Kameradschaften gewähren lassen. Bleiben wir dran an der Forderung "NoNPD".

Liebe Freundinnen und Freunde!: Kürzlich fand ich eine erstaunliche Formulierung: "Afghanistan ressortiert unter dem Titel ‚Scheißkrieg'", heißt es da. Und weiter: "Dass dieser Krieg nicht gewonnen werden kann, haben amerikanische und englische Generale vorhergesagt. Die Anwälte einer auf zwei Jahrzehnte angelegten Strategie haben augenscheinlich nur eine vage Vorstellung davon, was ein Krieg ist. Zerfetzte Leichen sind ihnen noch nicht vor Augen gekommen. Die Politiker, die den Schrecken noch selber erfahren haben, sind recht alt und haben nichts mehr zu melden. Die Mehrheit der Deutschen möchte diesen Krieg beendet sehen, weil sie ihn verloren gibt. Von Bertha von Suttner, der Nobelpreisträgerin von 1905, stammt der pathetische Ausruf: ‚Die Waffen nieder'. Diesen Ruf hat man hierzulande in dieser Radikalität bisher nicht vernommen. Die Mehrheit muss nicht immer klüger sein als ihre Regierung. Gar nicht so selten ist sie es allerdings." Das alles schrieb der frühere Regierungssprecher Klaus Bölling unter Berufung auf Helmut Schmidt, Alt-Bundeskanzler, am 31.1.08 in der Süddeutschen Zeitung

Die Charta der Vereinten Nationen verlangt von uns: "Die Kräfte zu vereinen, um den Weltfrieden zu wahren." In diesem Sinne wollen wir alles tun, um die Friedensbewegung zu stärken, um ihre Aktionen zu unterstützen. Ich denke dabei auch an den bevorstehenden Ostermarsch. So wie Bölling und Schmidt es überraschend formulieren, müssen wir verlangen: Raus aus Afghanistan. Weg von allen Kriegsschauplätzen. Die Waffen nieder.

Liebe Freundinnen und Freunde!: Wir haben uns zu Beginn unserer Konferenz zu Ehren der Verstorbenen aus unseren Reihen erhoben. Sie sind schwer zu ersetzen. Ihr Tod trifft uns umso mehr, da wir ein Problem mit unserer Mitgliederentwicklung haben. Wir haben in unserer Landesorganisation zurzeit 1.001 Bezieher der "Antifa". Das ist - von Ausnahmen abgesehen - die Zahl unserer Mitglieder. Unsere großen Aufgaben verlangen danach: Wir müssen mehr werden. Wir müssen auch wieder mehr unsere türkischen antifaschistischen Freundinnen und Freunde gewinnen. Und wir müssen mehr Mittel für unsere Aufgaben aufbringen. Lasst uns auch darüber hier heute sprechen.

Um Mitglieder, vor allem junge zu gewinnen, haben sich auch internationale und internationalistische Aktionen bewährt. Mehrere Kreisvereinigungen unterhalten besonders Kontakte nach Frankreich und den Niederlanden. Es wäre gut, wenn sie auf der Länderseite der "Antifa" darüber berichteten, so dass wir alle etwas davon haben. Eine große internationale Erinnerungsaktion steht in Buchenwald bevor. Zum Jugendtreffen in Weimar und auf dem KZ-Gelände am 12. und 13. April rufen u.a. unsere Kreisvereinigungen Siegen und Aachen auf, die auch Busfahrten organisieren. Wer mitmachen möchte, wende sich an sie.

1945 schworen die befreiten Häftlinge des KZ Buchenwald u.a.: "Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. ... Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht." Doch die Wurzeln des Nazismus wurden nicht beseitigt, nur wenige der Schuldigen standen vor den Richtern. Deshalb gilt es, die Wurzeln des Nazismus weiter zu bekämpfen, die Schuldigen weiter zu benennen und das Unrecht nie wieder zuzulassen. Deshalb gilt es, die VVN-BdA zu stärken.