30.01.08
75 Jahre danach
Zur Machtübertragung an die
Nazis und den Folgen
Es droht heute kein neues 1933 mit Faschismus gehabter
massenhafter Prägung, war das Resumee von zwei Diskussionen zum
Auschwitzgedenktag 27. Januar und Jahrestag des 30. Januar 1933 in
Solingen und Hamburg. Festgestellt wurde jedoch: Es droht ein Staat,
wie er ebenfalls vor 1933 bereits konzipiert wurde: Der autoritäre
und militarisierte entdemokratisierte Staat, in dem die Verfassung
in Frage gestellt wird und die Rüstung boomt. 1933 ging es vor
allem darum, dass Deutschland wieder Krieg führen können sollte.
Das Land als Krieg führende Nation, ist heute wieder da. Und
Neonazis üben Einfluss auf die Politik aus, nach ihren Forderungen
gehen Politiker aus der Mitte vor, wie im CDU-Wahlkampf von Hessen
zu erleben war. Daher, so der VVN-Bundessprecher Ulrich Sander,
müsse die Kampagne NoNPD fortgeführt und mit dem Eintreten für
die Grund- und Menschenrechte verbunden werden.
Lehren aus der Geschichte - 75 Jahre
nach der Machtübertragung an Hitler
Vortrag von Ulrich Sander, Bundessprecher der VVN-BdA, am 27. 01.
08 in Solingen im Naturfreundehaus und am 29. 01. 08 in der
Gedenkstätte Ernst Thälmann - Hamburg "75 Jahre danach: Zur
Machtübertragung an die Nazis und die Folgen"
VORBEMERKUNG Wir gedenken der Opfer jenes Verhängnisses, das vor
75 Jahren seinen Lauf nahm, aber schon früher begann. Es begann mit
der nicht zuende geführten Novemberrevolution 1918/19, mit der
tödlichen Spaltung der Arbeiterbewegung; mit der Republik, der sich
das Bürgertum verweigerte. Das Bündnis der rechten
Sozialdemokratie mit den Freikorps, aus denen die Mörder sowohl der
"Bolschewisten" Liebknecht und Luxemburg hervorgingen wie
die Mörder der Republik insgesamt, es blockierte bis zuletzt das
Zusammengehen derer, die zur Verteidigung der Demokratie berufen und
in der Lage gewesen wären. Wechselseitig sich
"Sozialfaschisten" und "rotlackierte Nazis"
bezeichnend, sahen sie oft erst in den KZ und Zuchthäusern, dann im
Krieg und an den Massengräbern wohin es führt, wenn die
Notwendigkeit zur Vernunft und Gemeinsamkeit nicht rechtzeitig
erkannt wird.
Trotz vieler guter Ansätze konnten die richtigen Lehren auch
nach 1945 nicht gezogen werden. Anders als die Weimarer konnte die
Bonner Republik die Linken entweder weitgehend zur Anpassung zwingen
oder andererseits unterdrücken. Jahrelang wurde die kommunistische
Linke in der Bonner Republik sogar in die Illegalität getrieben.
Gleichzeitig war der rechte Rand sehr prägend. Der rechte Rand
erweiterte sich zur Mitte. Hier gaben die alten Nazis vielfach den
Ton an. Die Gewerkschaften stellten fest, es seien in der
Bundesrepublik nach 1945 die alten Besitz- und Machtverhältnisse
wieder hergestellt worden.
Jetzt haben wir die Berliner Republik. Die Demokraten haben nach
der Wende von 1990 vielfach eine andere Republik gewollt, indem sie
eine neue Verfassung für das neue Gesamtdeutschland anstrebten.
Andere hielten es für vordringlich, die Reste des vorhandenen
Grundgesetzes und sozialer Standards zu verteidigen. Diese Aufgabe
gilt auch heute: Es gilt, das Grundgesetz vor weiterem
Verfassungsbruch zu schützen. *
WER HINDENBURG WÄHLT, WÄHLT HITLER - 1932: REPUBLIK OHNE
DEMOKRATIE
Es droht heute kein neues 33 mit Faschismus gehabter Prägung.
Aber es droht ein Staat, wie er ebenfalls vor 33 bereits konzipiert
wurde. Das war eine ultrarechte Diktatur, allerdings ohne Hitler.
Vor allem ging es darum: Deutschland sollte wieder Krieg führen
können. Die Kommunisten warnten im Frühjahr 1932: "Wer
Hindenburg wählt (er war Kandidat des Bürgertums und
Sozialdemokratie) wählt Hitler (Kandidat der äußersten
Rechten)." Vor nunmehr 75 Jahren übertrug der kaiserliche
Generalfeldmarschall und Präsident - nach "langem
Zögern" - Hitler die Macht.
MAN PLANTE: DIE KONTROLLIERTE BETEILIGUNG HITLERS AN DER
MACHT
Schauen wir zurück. Der vor von Papen und Schleicher letzte
Reichskanzler der Weimarer Republik, Heinrich Brüning vom
CDU-Vorläufer Zentrum, traf sich bereits im Oktober 1930 mit Hitler
und schlug ihm vor: Die NSDAP solle "schärfere
außenpolitische Opposition" betreiben, zugleich aber
"Verständigung im einzelnen über die Formen der
Opposition" als "Voraussetzung für ein späteres
Zusammengehen" herbeiführen. Er, Brüning, wolle rüsten und
eine Großmachtpolitik betreiben. "Das erste Land, das bereit
wäre, alle unpopulären Opfer nach innen auf sich zu nehmen, würde
an die Spitze kommen."
Hitlers Antwort bestand vor allem in der Forderung,
"Frankreich als den Erbfeind, Russland als den Hort des
Bolschewismus sowie SPD und KPD zu vernichten." Brüning hatte
nichts dagegen. Er sprach sich für die Zusammenarbeit der NSDAP und
des Zentrums in den Länderparlamenten aus, "um so die Brücken
für die zweite Phase zu bilden." Als Staatsform wollte
Brüning an Stelle der maroden Demokratie von Weimar die Monarchie
wieder einführen. (Siehe Emil Carlebach "Von Brüning zu
Hitler" Röderberg 1974) Hitler wollte selbst Diktator werden.
PAPEN: BÜNDNIS MIT DER NSDAP Die "zweite Phase", in
der die NSDAP von der mächtigen Oppositionspartei zur
mitregierenden Partei werden sollte, leitete der Zentrumspolitiker
Franz von Papen im Juli 1932 ein. Seine Absetzung der preußischen
SPD-Regierung und die Auflösung des Reichstages und Ersetzung der
Parlamentsaufgaben durch Notverordnungen des monarchistischen
Reichspräsidenten von Hindenburg sollte eine ständisch und
autoritär geprägte Regierungsform unter Ausschaltung der Parteien
und Gewerkschaften einleiten.
Aus einem Buch über die "Hitler und die Herren an der
Ruhr" von Gustav Luntowski. (Gustav Luntowski "Hitler und
die Herren an der Ruhr - Wirtschaftsmacht und Staatsmacht im Dritten
Reich", 2000, Frankfurt/Genf): Um sich im engsten Kreise
vertraulich über wichtige Fragen abzustimmen, hatten sich im Januar
1928 zwölf Industrielle zusammengeschlossen, die sich selbst als
die "maßgebenden Herren der westlichen Industrie"
bezeichneten. Ihre Vereinigung nannten sie die "Ruhrlade".
Mit ihr und ihrem "engeren Kreis", dem Krupp, Klöckner,
Reusch, Springorum, Thyssen, Vögler und Poensgen angehörten, hat
sich der langjährige Dortmunder Stadtarchivar Luntowski befasst.
Für sein Buch konnte aus bisher ungenutzten Quellen geschöpft
werden, darunter den Privatarchiven der Herren der Ruhrlade. Fazit:
Man könne nicht umhin festzustellen, dass "eine
Mitverantwortung der Industriellen für das nationalsozialistische
Unrechtssystem" nicht zu verneinen sei. Stärkere Urteile
wären aufgrund des zusammengetragenen Materials möglich gewesen,
erschienen dem Historiker aber wohl nicht opportun.
DIE ROLLE DER SCHWERINDUSTRIE: AUF HITLER SETZEN
"Kampf mit den Gewerkschaften mit aller Schärfe", so
forderte es Paul Reusch (Gutehoffnungshütte), der zusammen mit
Albert Vögler (Vereinigte Stahlwerke) als Scharfmacher wirkt.
Reusch weist im Jahre 1932 als Mitbesitzer die Münchner Neusten
Nachrichten an, hinter dem NSDAP-Organ Völkischer Beobachter nicht
sehr zurückzustehen, und erklärt namens des Aufsichtsrates zur
"vornehmsten Aufgabe des Blattes" die Pflege des
"nationalen Gedankens". Seine Weisungen enthielten
"die damals in konservativen Kreisen allgemein vertretenen
Positionen" (so Luntowski), als da waren: "Ein
,großdeutsches Reich' (Zusammenfassung aller geschlossen siedelnden
Deutschen und Anschluß Deutsch-Österreichs), Bekämpfung des
,Systems von Versailles' und der ,Kriegsschuldlüge',
Wiederherstellung der deutschen Wehrhoheit, Revision der Ostgrenzen
(Korridorfrage), Ablehnung des demokratisch-parlamentarischen
Systems von Weimar, schärfste Bekämpfung des Marxismus,
Unantastbarkeit des Privateigentums usf.". Ähnliche Töne
hatte Hitler im Januar 1932 im Düsseldorfer Industrieklub
angeschlagen, wo er der Wirtschaft sein Programm erläutern durfte.
Zur Entlastung des Großkapitals wird heute gern angeführt: Die
Industrielleneingabe vom Nov. 1932 an Reichspräsident Hindenburg
zugunsten Hitlers (mit der Forderung, "den Führer der
größten nationalen Gruppe" zum Reichskanzler zu machen) sei
ohne Wirkung geblieben, in Wirklichkeit habe die Industrie auf von
Papen gesetzt, und erst nach dem 30. Januar 1933 seien die
Industriellen auf die Gegebenheiten eingeschwenkt, vorher hätten
sie die Zusammenarbeit mit der NSDAP verweigert. Tatsächlich aber
standen für die Nazipartei wie für einzelne Nazis schon Jahre vor
1933 unzählige Finanztöpfe der Wirtschaft bereit. Durch Otto
Köhlers Recherche wissen wir von den gegenseitigen Hilfen von IG
Farben und NSDAP im Sommer 1932, vom Autarkieangebot der IG.
Die Gelsenkirchener Bergwerks AG lag den Nazis sehr am Herzen -
auch wegen Hauptaktionär Flick. Der Ehrenvorsitzende dieses
Konzerns, Emil Kirdorf, hatte im Frühjahr 1931 durchgesetzt, dass
zeitweise die im Rheinisch-Westfälischen Steinkohlensyndikat
zusammengeschlossenen Bergwerksbesitzer von jeder verkauften Tonne
Steinkohle fünf Pfennig an den Wahlfonds der NSDAP abführten.
Auch die Harzburger Front vom Oktober 1931, bestehend aus Nazis
und Nationalisten aller Schattierungen, wurde von Kirdorf, Reusch
und Co. begeistert aufgenommen.
Auf die "nationalsozialistischen Wirtschaftsideen" mit
all ihrer antikapitalistischen Demagogie mussten sie jedoch noch mit
"Vernunft" Einfluss nehmen. Reusch, Schacht und Vögler
vereinbarten 1932, "erprobte Herren" einzustellen und zu
bezahlen, um die Wirtschaftspolitik der Nazis "zu formen".
Dabei wussten die drei Herren nicht, dass Hitler bereits ein Jahr
zuvor den badischen Chemiefabrikanten Wilhelm Keppler und dessen
zahlungskräftige Freunde gewonnen hatte, ihre
"wirtschaftspolitischen Anschauungen" auf die NSDAP wirken
zu lassen. Dies musste geschehen, ohne dass die NSDAP ihren
Masseneinfluss einbüßte. Hitler schien in der Lage zu sein, eine
Politik gegen die Bevölkerung mit Zustimmung großer Teile der
Bevölkerung und der Eliten zu verbinden.
DIE DIKTATUR WURDE IN KÖLN VERABREDET
Bereits im Dezember 1932 war in einem vertraulichen Bericht aus
dem "Verein zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen
Interessen in Rheinland und Westfalen" (Langnamverein)
konstatiert worden, "dass fast die gesamte Industrie die
Berufung Hitlers, gleichgültig unter welchen Umständen,
wünscht". (Aufgefunden im Bundesarchiv, bei Luntowski S. 80)
Eine Gedenktafel der Stadt Köln befindet sich seit 1996 vor dem
Hause Stadtwaldgürtel 35. Sie trägt im Stile der Stolpersteine die
Inschrift: "Hier, im Haus des Privatbankiers Kurt Freiherr von
Schröder, trafen sich am 4. Januar 1933 Adolf Hitler und Franz von
Papen, um über eine Regierungsbildung zwischen Nationalsozialisten
und Rechtskonservativen zu beraten. In einem Gespräch wurden die
Weichen für Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar 1933
gestellt und die Voraussetzungen für die menschenverachtende
Diktatur der Nationalsozialisten geschaffen. Kurt von Schröder
unterstützte bereits vor 1933 die Ziele des Nationalsozialismus und
organisierte nach 1933 finanzielle Leistungen der deutschen
Wirtschaft an die SS."
Am 30. Januar 1933 wurde dann der Führer der Nazipartei an die
Macht geschoben. Seinem Kabinett gehörten nur drei Nazis, ansonsten
nur Herren aus den konservativen, adligen und militärischen Eliten
an. Und es gehörten ihm zwei Parteien an: die NSDAP und die DNVP
(die rechtskonservative Deutsch-Nationale Volkspartei mit dem
Medienkönig Alfred Hugenberg als Vorsitzendem).
Am 1. Februar 1933 löst Reichspräsident v. Hindenburg
entsprechend dem Auftrag der Hitlerregierung den Reichstag auf.
Am 2. Februar werden der Sitz der Reichs- und der
Bezirksleitungen der KPD von der Polizei besetzt. Der Terror gegen
die Arbeiterbewegung beginnt.
HITLER VERSPRICHT DIE "AUSROTTUNG DES MARXISMUS" UND
DEN KRIEG
Als eine der ersten Amtshandlungen begibt sich Hitler am 3.
Februar zu den Befehlshabern des Heeres und der Marine im Heeresamt,
dem Bendlerblock in Berlin. Als Hauptaufgabe der faschistischen
Diktatur bezeichnet dort Hitler die "Ausrottung des
Marxismus", den "Kampf gegen Versailles" und als
wichtigste Voraussetzung für die "Eroberung neuen Lebensraumes
im Osten" die "Stärkung des Wehrwillens mit allen
Mitteln" sowie den Aufbau der Wehrmacht und die Schaffung der
allgemeinen Wehrpflicht. Die Militärs stimmen zu.
Als sich schließlich am 20. Februar 1933 Hitler und Göring in
Berlin mit der Spitze des Reichsverbandes der Deutschen Industrie
(Vorsitzender: Gustav Krupp von Bohlen und Halbach) treffen, sagt
Hitler: "Wir stehen jetzt vor der letzten Wahl. Sie mag
ausgehen wie sie will ... Wenn die Wahl nicht entscheidet, muß die
Entscheidung eben auf einem anderen Wege fallen ... oder es wird ein
Kampf mit anderen Waffen geführt werden, der vielleicht größere
Opfer fordert ..." Weiter Hitler: "Innere Ruhe gibt es
nicht eher, als bis der Marxismus erledigt ist. Hier liegt die
Entscheidung, der wir entgegen gehen müssen und ist der Kampf auch
noch so schwer." (zitiert nach: Hallgarten/Radkau
"Deutsche Industrie und Politik", Reinbek/Hamburg 1981)
Nach dieser offenen Darlegung seiner Putschpläne für den Fall
einer Wahlniederlage spenden die rund 20 geladenen Industriellen
für den Wahlkampf der NSDAP drei Millionen Reichsmark. Krupp
fertigt abends eine Notiz über die Begegnung an: "Ruhe in der
inneren Politik: keine weiteren Wahlen. ... Ermöglichung der
Kapitalbildung. ... Dementsprechend Entlastung von Steuern und
öffentlichen Lasten."
Die Aufrüstung, die Vorbereitung auf den Krieg und die Eroberung
neuen "Lebensraums" konnten beginnen. Sodann die
Sklavenarbeit von Millionen Menschen, die nach Kriegsbeginn
"ins Reich" geholt wurden, wo sie die Profite der
Industriellen mehrten. Luntowski findet am Schluß für alles eine
Entschuldigung: "Vielmehr scheint ihr Handeln letztlich fast
allein von der Sorge um Bestand und Fortexistenz ihrer Unternehmen
bestimmt gewesen zu sein." Diese "Fortexistenz" des
Kapitalismus brachte 55 Millionen Menschen den Tod.
DIE NAZIS LIESSEN SICH NICHT ZÄHMEN
Von Papen hatte also gemeinsam mit den Vertretern von Industrie
und Banken dem NSDAP-Führer den Weg zur Macht bereitet. Allerdings
glaubte er, als Vizekanzler in einer Koalitionsregierung, bestehend
aus acht Konservativen und drei Nazis, Hitler "zähmen" zu
können. Hitler errichtete aber die Alleinherrschaft der Nazis.
Der Beginn dieser Alleinherrschaft wird zumeist exakt mit dem 30.
Januar 1933 terminiert. Zur Republik von Weimar und zum Faschismus
im Deutschland jener Zeit gehörte aber auch die Konkurrenz und
Rivalität verschiedener Strömungen im ultrarechten Spektrum, ja
sogar in der Nazibewegung. Dieser reaktionäre Pluralismus stand
ebenfalls am Ende der Republik und überlebte es nur kurz. Die hohen
Militärs, die Banken und die Großindustrie haben lange geschwankt,
welchem der Zweige des Nazismus sie sich zuwenden sollten. Die allen
Nazis und Völkischen eigene rassistische Ideologie und expansive
Militanz hat sie nicht gestört, sondern angezogen. Aber die
antikapitalistische Demagogie und der Drang zu Parteiarmeen und
-milizen abseits der Reichswehr störte sie durchaus. Diese waren
bei allen Nazigruppen unterschiedlich ausgeprägt. Der ultrarechte
Strömungskampf endete Ende Juni 1934 mit jenen Vorgängen, die man
Röhm-Putsch nennt, die aber ein Hitler-Putsch gegen die SA, gegen
Teile der Konservativen waren, gegen alle, die Vorstellungen von
eigener Herrschaft hatten.
AUCH HEUTE: RECHTE POLITIK OHNE NAZIS
Wir müssen uns heute faschistische Politik oder doch hochgradig
autoritäre Politik von rechten Regierenden vorstellen können, die
in Koalitionen eingebunden sind. Diese Vorstellung fällt nicht
schwer, wenn wir uns Roland Kochs Wahlkampf und Schäubles
Sicherheitspolitik ansehen. Eine solche Politik birgt die Gefahr des
Umschwungs in profaschistische Regierungsformen, sie kann aber auch
in kontrollierter Form auftreten.
Denn von den Nazis geht heute weniger die Gefahr aus, die
faschistische Macht zu ergreifen, sondern die Politik mit zu
bestimmen. Wenn wir nicht die "Ausländerkriminalität"
bekämpfen, sagt Altkanzler Kohl, "dann nehmen sich die
Rechtsradikalen der Sache an." (SZ lt. AP 22.1.08) Die NPD
beklagt sich, dass die CDU ihr die Themen wegnimmt - und freut sich
zugleich in Erklärungen, dass endlich etwas im Sinne ihrer Politik
geschieht. Zugleich wird erkennbar, was gemeint ist, wenn die Mitte
sagt: Wir dürfen die NPD nicht verbieten, sondern wir müssen uns
mit ihr politisch auseinandersetzen. Das bedeutet: Wir müssen ihre
Forderungen erfüllen, wir müssen teilweise so werden wie sie.
Bekanntlich wurde das Asylrecht im Grundgesetz von SPD, FDP und
Union erheblich beschränkt, mit einer Formulierung der sog.
Republikaner. Eine wichtige antifaschistische Errungenschaft wurde
beseitigt. Der Asylbeschluß (GG-Änderung 28.6.93) bescherte uns
wieder Lager und massenhafte Abschiebung. Wenige Tage nach dem
schwarzen Tag von Bonn fühlten sich rassistische Verbrecher
ermutigt, in Solingen fünf Menschen zu verbrennen, weil sie
Nichtdeutsche waren.
Auch jetzt gilt: Nazis sind weiter auf dem Vormarsch. Man kann
Nazis nicht mit einer Kopie ihrer Politik bekämpfen, sondern nur
mit entschlossener Verteidigung der Demokratie und der Verfassung.
DER GROSSANGRIFF AUF DIE VERFASSUNG - AUCH MIT MILITÄR
Zur Zeit erleben wir jedoch einen Großangriff auf die
Verfassung. Der Verfassungsschutz von Baden-Württemberg setzte die
Mahnung in die Welt, keine antifaschistische Kapitalismuskritik zu
betreiben, das wäre verfassungsfeindlich. Zu einem Text von mir:
Darin "werden die Überlegungen des deutschen Innenministers
zum besseren Schutz der Bevölkerung gegen terroristische Gefahren
als "Schäubles extrem rechter Katalog, - er macht jedem
faschistischen Umsturzplan alle Ehre -" kommentiert. Die
"Gefahr einer Rechtsentwicklung" in Deutschland, so
SANDER, sei offensichtlich und durch zwei Merkmale gekennzeichnet:
* "Anwachsen des Neofaschismus, Duldung und Förderung der
Neonazis als mögliche gesellschaftliche Reserve durch den Staat
einerseits und * Abbau der Demokratie durch den Staat, dies auch
durch zunehmende Militarisierung und Ausbau des Überwachungsstaates
andererseits."
Sodann wird mir und der VVN-BdA vorgeworfen, dass wir allein in
der Abschaffung des Kapitalismus die Möglichkeit der Abschaffung
des Faschismus sähen. Das ist natürlich Quatsch. Es geht um
breiteste Bündnisse, um den Faschismus zu bekämpfen und nicht um
Revolution. Allerdings erinnern wir daran, dass die ökonomischen
Eliten eine erhebliche Mitschuld am NS-Regime und am Krieg trugen
und dass sie heute wieder in vorderster Front gegen die Demokratie
wirken.
DIE BEDEUTUNG DER KAMPGNE NoNPD
Die Kampagne NoNPD stößt auf große Zustimmung. Die angestrebte
Zahl der Unterschriften wurde erheblich übertroffen. Viele Menschen
spüren, hier kann ich mich wehren und ich muss nicht hilflos
zusehen, wie Behörden die NPD und ihre Kameradschaften gewähren
lassen. Wenn es schwierig erscheint, die NPD zu verbieten und
nachhaltig auch jede Nachfolgeorganisation auszuschalten, so hängt
es vor allem mit den vielen gemeinsamen politisch-inhaltlichen
Schnittmengen zusammen, die bei Nazis wie bei bürgerlichen
Politikern bestehen. Würde die NPD verboten, so würden auch viele
extreme politische Positionen von Konservativen tabuisiert sein und
ihre Verwirklichung nachhaltig behindert, als da beispielsweise
sind: 1. Einsperren von "Verschwörern und Gefährdern" in
Lager, 2. gezielte Tötungen von Regimegegnern, 3.
Kommunikationsverbote für politisch Missliebige und ganze
Ausländergruppen, 4. Beseitigung des verfassungsmäßig nicht
veränderbaren Artikels 1 des Grundgesetzes (Unantastbarkeit der
Menschenwürde), 5. Hausdurchsuchungen ohne Anwesenheit von Zeugen
und Betroffenen (geheime Onlinedurchsuchung), 6. Einsatz von
Militär mit Waffen gegen Demonstranten und 7. umfassende
Bespitzelung der Bürger durch zusammengelegte Polizeien und
Geheimdienste (Rasterfahndung). Das eben Zitierte ist Schäubles
extrem rechter Katalog, ausgebreitet im "Spiegel" vom
9.7.07. Er macht jedem faschistischen Umsturzplan alle Ehre, sagte
ich dazu. Dazu stehe ich. Merkel ermutigt Schäuble: Keine
Denkverbote im Kampf gegen den Terror. Ein Zurückpfeifen Schäubles
ist das nicht. KZ, Foltergeständnisse (eine weitere Forderung
Schäubles) und Todesschuss für Andersdenkende - das hatten wir
zuletzt in Nazideutschland. Merkel sagt: Die Trennung von innerer
und äußerer Sicherheit ist "von gestern". Um zum
Vorgestern zurückzukehren. Nun also wieder Krieg nach außen und
innen. Merkels Partei nennt es in ihren Dokumenten
"Verteidigung am Hindukusch und in Hindelang". Ein Verbot
der NPD und ihrer Programmatik wäre ein wichtiger Sieg für die
Demokratie. Es wäre ein Sieg auch gegen eine Willkürherrschaft a
la Schäuble. Deshalb ist ein Erfolg der NoNPD-Kampagne der VVN-BdA
so notwendig. WIR ERFORSCHEN DIE VERBRECHEN DER WIRTSCHAFT 1933 -
1945 Wir starten Dies eine neue Kampagne - zumindest hier in NRW.
Die WAZ und die WR berichteten:
Eine Rallye "Spurensuche Verbrechen der Wirtschaft
1933-1945" will die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
(VVN-BdA) aus Anlass des 75. Jahrestages der Machtübertragung an
Hitler auf den Weg bringen. Der NRW-Landesverband will eine
Dokumentation über diese Verbrechen an Rhein, Ruhr und Lippe
erstellen. Antifa- und Jugendgruppen sowie Schülerinnen und
Schüler sollen aufgerufen werden, vor Ort die Informationen über
die Täter zu sammeln und zusammenzutragen, um sie von der VVN-BdA
veröffentlichen zu lassen. Daraus könnten Schriften oder auch
Exponate entstehen.
GESCHICHTSFÄLSCHUNG MITTELS TOM CRUISE/STAUFFENBERG
Das bürgerliche Spektrum versucht derzeit verzweifelt, seine
verhängnisvolle Rolle beim Zustandekommen des Faschismus an der
Macht und am Krieg wie am Holocaust zu kaschieren. Dies geschieht
mit solchen Personen wie Stauffenberg. Der FAZ-Schreiber
Schirrmacher meinte zu dem Film "Valkyrie" oder
"Operation Walküre" mit dem Scientologie-Aktivisten Tom
Cruise: "Dieser Film wird ... das historische Bild Deutschlands
in vielen Ländern prägen." Es geht um ein Wehrmachtsbild ohne
Hitler, aber auch um ein Deutschlandbild ohne Antifaschisten und
Antimilitaristen - daher Stauffenberg als Ikone des "heiligen
Deutschland", - so der letzte Ruf Stauffenberg/Criuses, des
starken kriegführenden Deutschland. Und der Stauffenbergdarsteller
bekommt dann schon mal den "Bambi" des Burda-Verlags -
für Tapferkeit. Er sei so tapfer wie der, den er darstellt, dann er
verkörpere den tapferen "sauberen" Deutschen.
Erinnert sei jedoch an Briefe Stauffenbergs, in denen er die
Bevölkerung Polens als "Pöbel" bezeichnete, ein Volk das
aus "sehr vielen Juden und sehr viel Mischvolk" bestehe.
"Ein Volk, welches sich nur unter der Knute wohlfühlt."
Zu all dem passt, dass Stauffenberg 1933 die Machtübertragung an
Hitler begrüßte.
Der 1934 in die USA emigrierte Philosoph Max Horkheimer, später
Frankfurter Schule, sagte es so: "Wer aber vom Kapitalismus
nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen."
Horkheimer ein Verfassungsfeind?
ZUSAMMENHANG VON KAPITAL UND DEMOKRATIEABBAU
Doch den inneren Zusammenhang zwischen Großkapital, Konzernen
und der äußersten Rechten - auch der Militaristen - zu erkennen -
und diesen auch zu begreifen -, das ist die historische Erfahrung
der Gründer der VVN. Sie gilt, auch unter den Vorzeichen des
"Neoliberalismus".
Der ehemalige Industriellen-Präsident und noch heute
einflussreiche Michael Rogowski erklärte, als wolle er den
Gesprächsfaden vom Industrie-Club 1932 wieder aufnehmen: 1.) Der
Rüstungsetat müsse vergrößert werden. Er forderte "eine
Erhöhung der Rüstungsausgaben um drei Mrd. Euro pro Jahr zur
Modernisierung der Bundeswehr". Ohne eine starke
Rüstungsindustrie werde es "Deutschland schwer haben, seine
Stimme zu erheben", wenn es um internationale Entscheidungen
gehe", monierte der BDI-Präsident. Und das
Bundeswehr-Weißbuch von 2006 sieht ja die Erlangung von Rohstoffen
und das Freikämpfen von Handelswegen auch als militärisches Ziel
vor - ganz wie schon vor 1933 konzipiert.
2.) Die NPD, so Rogowski, sei nicht so beunruhigend wie die PDS.
Das "Phänomen Rechtsextremismus" solle nicht
überbewertet werden. ("Freie Presse", Chemnitz,
20.09.2004)
3.) Die Nazi-Losung "Volksgemeinschaft statt
Klassenkampf" verinnerlichte auch Rogowski auf seine Weise. Er
sagte: "Am 9. November 1989 haben wir mit der Maueröffnung
auch die Abrissbirne gegen den Sozialstaat in Stellung gebracht.
Hartz V bis VIII werden demnächst folgen. Es ist ein Klassenkampf,
und es ist gut so, dass der Gegner auf der anderen Seite kaum noch
wahrzunehmen ist." (am 16.12.2004 in TV Phönix lt. Wikipedia)
SCHLIMMER ALS NAZIS SIND DIE, DIE SIE VERURSACHEN
Der unvergessene Peter Gingold hat gesagt: Noch schlimmer als die
Existenz von Nazis in unserem Land, ist die Existenz von Politikern,
die die Nazis gewähren lassen, ja sie verursachen. Ja, sprechen wir
über den heutigen Konservativismus - der ist das was uns am meisten
beunruhigen muß. Die Koch, Milbrad, Merkel, Stoiber haben sich
über Mügeln nicht sehr beunruhigt, als jetzt aber ein Türke einen
deutschen Rentner brutal schlug und verletzte, da kamen bald alle
Muslime unter Verdacht, so zu denken und bei Gelegenheit auch so zu
handeln. Die FAZ schrieb, dass eine "Mischung aus
Jugendkriminalität und muslimischem Fundamentalismus"
vorliegt, und dies sei "potentiell das ( ), was heute den
tödlichen Ideologien des zwanzigsten Jahrhunderts am nächsten
kommt." Sehr schnell wird gefordert, das Schimpfwort
"Scheißdeutscher" als Volksverhetzung einzustufen. (So
CDU-Minister aus Hamburg, Baden-Württemberg und Brandenburg am
19.1.08) Das war aber nicht denkbar, als gefordert wurde,
"Ausländer raus" als Volksverhetzung einzustufen. Von
höchsten Richtern und Politikern ermuntert, belassen es die Nazis
nicht bei Flugblättern, um "Ausländer raus" Nachdruck zu
verschaffen. Seit Jahren greifen sie auch zum Terror. Wie jetzt
wieder in Sachsen, Sachsen-Anhalt, aber auch in Dortmund und
anderswo im Westen. Wollen wir die richtigen Lehren aus der
Vergangenheit ziehen, dann haben wir die Kampagne NoNPD
fortzusetzen, aber auch eine Kampagne NoSchäuble NoKoch NoJung
hinzuzufügen. Und zugleich die Verbrechen der Wirtschaft von 1933
bis 1945 aufzuzeigen, damit sie sich nie wiederholen. Zu diesen
Verbrechen gehört es, Krieg zu führen. Die Gründer der VVN traten
bereits 1932 der faschistischen Gefahr mit der Losung entgegen:
"Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler. Wer Hitler wählt,
wählt den Krieg!"
Als wollte die heutige Kanzlerin vor ihrer Wahl vor sich selber
warnen - wer mich wählt, wählt den Krieg - sagte sie in ihrer Rede
auf der Münchener Sicherheitskonferenz 2004: "Um die Politik
anderer Nationen zu beeinflussen, um den Interessen und Werten der
eigenen Nation zu dienen, müssen alle Mittel in Betracht gezogen
werden, von freundlichen Worten bis zu Marschflugkörpern." Der
Krieg ist kein Tabu mehr.
Seit 1999 wird von Kriegstreibern behauptet, man müsse Krieg
führen, um ein Auschwitz nicht wieder zuzulassen. Es gilt jedoch:
Auschwitz wurde durch Krieg möglich. Die Verpflichtung "Nie
wieder Krieg - nie wieder Faschismus" mit ihren beiden Seiten
ist wiederherzustellen. Das Völkerrecht verbietet entsprechend der
UNO-Charta Artikel 53 und 107 Deutschland das Kriegführen. Das
Grundgesetz mit seinem Verbot der Vorbereitung und Führung von
Angriffskriegen (Artikel 26) und das Völkerrecht sind zu
verteidigen und anzuwenden.
NACHBEMERKUNG
Nach dem 27. und 30. Januar
Die rechten Eliten damals und heute
Von Ulrich Sander (Gastbeitrag für die Zeitung UNSERE ZEIT)
Am 30. Januar jährte sich zum 75. Mal der Beginn der
faschistischen Herrschaft in Deutschland. Wenige Tage vorher
begingen wir den Gedenktag 27. Januar, denn an diesem Tag vor 63
Jahren hat die Rote Armee die noch überlebenden Häftlinge des
Vernichtungslagers Auschwitz befreit. Beide geschichtliche Tage
werden hierzulande von offizieller Seite nicht richtig ernst
genommen. Sonst könnte es nicht geschehen, dass in Großstädten am
27. Januar Faschingsumzüge stattfinden. Roland Koch dachte gar, er
könnte an diesem Tag erneut mit einer rassistischen Kampagne zum
hessischen Ministerpräsidenten gewählt werden. Das ging schief. Ob
sich die Zusammensetzung der Stammtische mit den neuen
Nichtraucherschutzbestimmungen verändert hat? Nicht verändert hat
sich die Politik der Kanzlerinnenpartei. Die hat sich hinter Roland
Koch und auch die grundgesetzfeindlichen Pläne von
Überwachungsstaatsminister Schäuble und Kriegsminister Jung
gestellt. Und sie weigert sich, die NPD zu verbieten und sagt: Wir
sollen uns mit ihr "politisch" auseinandersetzen. So wie
Herr Koch, indem die NPD kopiert wird? Verfassungsschutzämter
ließen rechtzeitig zum 27. und 30. Januar vor dem
"systemfeindlichen", weil kapitalismuskritischen
Antifaschismus warnen. Das kann aber nicht vergessliche
Antifaschisten nicht davon abhalten, an beiden Tagen auf die
verhängnisvolle Politik des deutschen Konservatismus hinzuweisen,
die von Leuten wie Koch wiederbelebt werden sollte. Der von den
Nazis und den heutigen Medien so genannte Tag der Machtergreifung
vor 75 Jahren war ein Tag der Machtübertragung. Hitler hätte die
Macht nie erlangt, wenn sie ihm nicht von dem Reichspräsidenten
Paul von Hindenburg auf Wunsch und Drängen der politischen und
ökonomischen Eliten übertragen worden wäre. Wer an den 27. Januar
erinnert, muß stets den 30. Januar mitdenken, auch in Jahren, in
denen dieser Tag sich nicht rund jährt. In Auschwitz wurden am 27.
Januar 1945 auch die Arbeiten am und im Buna/Benzin- und Gummi-Werk
der IG Farben eingestellt. 30.000 Zwangarbeiter wurden dort durch
Arbeit umgebracht; wer nicht mehr arbeiten konnte, wurde vergast.
Dies hatte eine Vorgeschichte, die mit dem 30. Januar 1933
zusammenhängt. Die für den Angriffskrieg unabdingbare Autarkie der
deutschen Wirtschaft - z.B. bei Öl und Gummi - versprachen die IG
Farben den Nazis schon im Herbst 1932. Die Industrie verdiente dann
am Holocaust und am Krieg unermessliche Summen. Wir gedenken in
diesen Tagen nicht nur der Opfer, wir klagen auch die Täter und die
Profiteure an. Nichts und niemand ist vergessen.
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