10.01.08
Eine Mahnwache vor der Kölner
"Villa Schröder" nach 75 Jahren
Kapitalismus führte zum Faschismus
Von Hans-Detlev v. Kirchbach
Angeblich mochte Adolf Hitler die Kölner nicht, ihrer
Leichtlebigkeit und mangelnden teutonischen Ernsthaftigkeit wegen.
Die Kölner Selbstentlastung nach 1945 wollte denn auch immer gern
den Eindruck erwecken, als wäre die Domstadt, Hochburg des
rheinischen Karnevals, eine Art exterritorialer Sonderzone gewesen,
in der es gar keine Nazis gab oder doch zumindest die meisten von
Anfang an "dagegen" gewesen seien. Vergessen wird dabei
auch, dass die hier führende Kölnische Zeitung aus dem Hause
DuMont schon in ihrer Neujahrsausgabe 1933 unter dem Appell
"Auf Hitler kommt es an!" eine Machtübergabe an die Nazis
forderte.
Villa Schröder – anstatt Gedenkstätte
Spekulationsobjekt |
Doch war weit folgenschwerer, dass das vielleicht
"ungeliebte" Köln eine wichtige, vielleicht die
entscheidende Zwischenetappe auf dem Weg Hitlers an die Macht
darstellte. Präziser formuliert: In der Villa des Kölner
Privatbankiers Baron Kurt von Schröder wurde am 4. Januar 1933 das
Bündnis von Kapital und klerikalem Konservatismus mit dem
NS-Faschismus letztendlich besiegelt und die Machtübergabe an die
Faschisten vorbereitet. Dies jedenfalls war Ziel und schließlicher
Erfolg des Treffens, das - vermittelt vom einflußreichen Bankier
von Schröder, in dessen bescheidener Behausung am Stadtwaldgürtel
- zwischen dem Ex-Reichskanzler Franz von Papen (Zentrumspartei) und
dem Nazi-Führer Adolf Hitler stattfand. Einen Monat später war
Hitler Reichskanzler und Papen, übrigens mit päpstlichem Segen,
sein Stellvertreter.
Ein bewußt vergessenes Datum
Den 4. Januar 1933 möchte denn auch nicht nur die Kölner
Stadtgeschichtsschreibung, sondern die staatsoffizielle
"Gedenkkultur" der BRD insgesamt am liebsten ausblenden,
systematisch vergessen machen. Am 20. Juli wird alljährlich der
deutsch-nationale "Widerstands"-Mythos abgefeiert - wobei
natürlich allzumeist der kommunistische Blutzoll und der
Arbeiterwiderstand ignoriert, wenn nicht diffamiert wird. Der 30.
Januar wird als schicksalhafter Beginn eines plötzlich
hereingebrochenen "deutschen Verhängnisses" mystifiziert,
die BRD hingegen als "freiester Staat der deutschen
Geschichte" gefeiert. Der 4. Januar hingegen findet bestenfalls
in einigen Zeitungsartikeln statt. Staatstragende Geschichtsdeutung
hat aber auch allen Grund, dieses Datum aus dem Gedenkkalender zu
streichen. Denn an das Treffen zwischen dem "päpstlichen
Kammerherrn" Franz von Papen und Adolf Hitler in der Kölner
Bankiersvilla zu erinnern, erfordert unvermeidlich, die Kräfte zu
benennen, die ein Interesse an der Entfesselung des offenen
faschistischen Terrors hatten.
Hier erhielt Hitler am 4. Januar 1933 die
Unterstützung der deutschen Wirtschaft |
Signifikant dafür scheint das folgende Zitat Kurt von Schröders
im Nürnberger Prozeß: "Als die NSDAP am 6. November 1932
ihren ersten Rückschlag erlitt und somit also ihren Höhepunkt
überschritten hatte, wurde eine Unterstützung durch die deutsche
Wirtschaft besonders dringend."
Der 4. Januar und bundesdeutsche
Geschichtsmythen
Es war eben nicht "die Straße", die Hitler an die
Macht schwemmte, wie es eine beliebte elitäre Geschichtsumdeutung
in der Bundesrepublik gern suggerieren wollte, und die sogenannte
"Demokratie von Weimar" brach auch keineswegs unter einem
militanten Angriff vom Rand der Gesellschaft zusammen. Die
Geburtshelfer von Faschismus, Diktatur, Vernichtungskrieg, Holocaust
gehörten vielmehr zur "besten Gesellschaft", bildeten
zentrale Machtzirkel der verlorenen Weimarer Republik:
Einflussreiche Kreise aus Großkapital, Schwerindustrie und Banken,
flankiert von spätfeudalistischen Grundherren, zu denen ja auch der
monarchistische Reichspräsident von Hindenburg gehörte, flankiert
von ungeduldig hufescharrendem kriegslüsternem Militär und im
Hintergrund unterstützt vom Vatikan. Auch als dessen Gewährsmann
fungierte in der Phase der Faschisierung Franz von Papen, der
intrigante Vertraute des mindestens ebenso intriganten Papstes Pius
XI. und seines Kardinalstaatssekretärs Eugenio Pacelli. Hitlers
erster außenpolitischer Coup war denn auch der Abschluß des
Konkordates mit dem Vatikan. (Siehe hierzu die zwölfteilige Serie
von Karlheinz Deschner „Mit Gott und den Faschisten“ in den
jüngsten NRhZ-Ausgaben)
Fotos: arbeiterfotografie |
Mahnung der Vergangenheit - Warnung
für die Zukunft
Die kleine Mahnwache, die sich am 4. Januar vor der mittlerweile
renovierungsbedürftig erscheinenden Schröder-Villa versammelte,
fast unbeachtet im fließenden Durchgangsverkehr an einer der heute
meistbefahrenen Verkehrsstraßen Kölns, mochte von ihrem
bescheidenen Umfang her der historischen Bedeutung dieses Ortes kaum
gerecht werden. Doch die "plakativen" Plakatparolen der
antifaschistischen Kundgebung benannten, im Gegensatz zum
vorherrschenden Verschweigen, eben diese historische Bedeutung in
aller Kürze unübertreffbar präzise, etwa so: "Millionäre
standen hinter ihm" - in Anlehnung an Heartfields berühmtes
Anti-Hitler-Plakat "Millionen stehen hinter mir" - oder
mit der Erkenntnis Horkheimers: "Wer vom Kapitalismus nicht
reden will, sollte vom Faschismus schweigen."
Derlei Aufklärung begriffen die Kölner AntifaschistInnen nicht
nur als rein historische Erinnerung. Sie wollten auch bewußt
machen, daß die Kreise, die für Faschismus und Krieg
verantwortlich waren, weitgehend auch in der BRD wieder die
zentralen Machthebel bedienen konnten. Und heute? Im Zeichen von
Massenarbeitslosigkeit, sozialer Entrechtung, Einrichtung von
"Erziehungslagern", angesichts eines semidiktatorischen
Überwachungsstaates, neo-imperialistischer Kriegspolitik, von
unverhülltem Ministergerede über Folter, präventive Tötung, und
nicht zuletzt der aktuellen völkischen Wahlkampfhetze mit dem
demagogischen Schlagwort "Ausländerkriminalität" könnte
sich bald zeigen, wozu die kapitalistische Ordnung, jenseits von
"Demokratie" und "Grundrechten" wieder fähig
ist. Das Datum 4. Januar sollte mithin nicht nur an die Katastrophen
und Verbrechen der Vergangenheit erinnern, sondern auch vor den
Gefährdungen der Zukunft warnen, namentlich in Köln, von wo das
vielbeschworene "deutsche Unheil" eben auch seinen Ausgang
nahm.
Historisches Symbol -
Spekulationsobjekt-Gedenkstätte
Die Villa Schröder steht nun zum Verkauf - als luxuriöse „Residenz
zum Wohnen und Arbeiten“, wie es in der Makler-Anpreisung heißt.
Was angesichts des unfeinen Verkehrslärms von heute, welcher die
freiherrlichen Ohren derer von Schröder und von Papen noch nicht
beleidigte, vielleicht ein bißchen zu viel versprochen ist. Für
die Kölner AntifaschistInnen war es aber ein geradezu beleidigender
Gedanke, dass an diesem Objekt auch noch private Profiteure ein
einträgliches Geschäft machen könnten. Eigentlich, so meinte
einer der Kundgebungsteilnehmer, sollte das Gebäude als
Gedenkstätte genutzt werden, insbesondere mit dem Schwerpunkt, als
Arbeitstitel formuliert: "Faschistische Verbrechen des
Kapitals" und "Wirtschaftsverbrechen der Nazis".
Dieser Gedanke scheint immerhin plausibel. Hätte der
"antifaschistische Auftrag", wie er etwa im Schwur von
Buchenwald beschworen, aber auch im Potsdamer Abkommen festgelegt
wurde, in dieser BRD noch irgendeine Bedeutung, so hätte die Villa
Schröder kurzerhand entschädigungslos enteignet und eben zu einem
solchen historischen Forschungs- und antifaschistischen Gedenkort
umgewandelt werden müssen. Doch leider lag die Macht spätestens
seit 1949 wieder in den Händen jener, für deren Verbrechen die
Villa Schröder zu Köln ein sprichwörtliches Symbol geworden ist.
Denn: Wer vom Kapitalismus nicht reden will, sollte vom Faschismus
schweigen. (PK)
Literaturhinweise:
Emil Carlebach: Hitler war kein Betriebsunfall, Pahl-Rugenstein
Verlag
Eberhard Czichon: Wer verhalf Hitler zur Macht? Zum Anteil der
deutschen Industrie an der Zerstörung der Weimarer Republik, Köln,
Pahl-Rugenstein, 1967
Kuhn, A.: Die Unterredung zwischen Hitler und Papen im Hause des
Baron von Schröder, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht (GWU),
Jg. 24, 1973, S. 709-22.
Diese Quellen sind leider überwiegend nur noch in Antiquariaten,
Universitätsbüchereien, öffentlichen Bibliotheken und mit Glück
im Internet verfügbar.
Eindeutig apologetisch natürlich: Die Legende von Hitler und der
Industrie, hg. vom BDI, Köln 1962.
Kennzeichnend dafür aber auch (u.v.a.): Lochner, Louis P.: Die
Mächtigen und der Tyrann. Die deutsche Industrie von Hitler bis
Adenauer, Darmstadt 1955; maßgeblich für „neo-revisionistische“
und neo-apologetische Literatur: Turner, H. A.: Faschismus und
Kapitalismus in Deutschland. Studien zum Verhältnis zwischen
Nationalsozialismus und Wirtschaft, Göttingen 1972, und mit
differenzierteren „totalitarismustheoretischen Ansätzen“ z.B.
Heinrich August Winkler: „Revolution, Staat, Faschismus. Zur
Revision des Historischen Materialismus“, Göttingen 1978.
Mit freundlicher Genehmigung der NRhZ: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=11947
|