06.11.07
Zwangsarbeit bis in den Tod - nur wenige entkamen
Aus der Geschichte der Zwangsarbeit bei der
IG Farbenindustrie AG von 1941 bis 1945 in Auschwitz
Erfreulich viele Veranstaltungen finden dieses Jahr wieder zur
Reichspogromnacht 9. November statt. Was meist vergessen wird: An
den Judenverfolgungen profitierten maßgebliche Wirtschaftskreise,
und ebenso am Krieg. Dazu veröffentlichen wir hiermit drei
Beiträge von Ulrich Sander (VVN-BdA-Bundessprecher), die 1999 in
der Zeitung "Unsere Zeit" auf einer Seite zusammengefasst
waren.
Aus der Geschichte der Zwangsarbeit bei der
IG Farbenindustrie AG von 1941 bis 1945 in Auschwitz
Von 35
000 Häftlingen der IG Farben wurden 25 000 Opfer der
"Vernichtung durch Arbeit"
In Auschwitz-Monowitz ließ die I.G. von Zwangsarbeitern
ein Werk für synthetischen Treibstoff und für
synthetisches Gummi errichten. Der Standort wurde gewählt,
weil sich die I.G. vom nahen KZ Auschwitz und aus der Stadt
Oswiecim (Auschwitz), die total geräumt wurde, viele und
billige Arbeitskräfte Juden und Polen versprach. Die
Zwangsarbeiter wurden von der I.G. bei der SS angefordert,
nicht etwa der I.G. aufgedrängt, wie später gern behauptet
wurde. Die Nürnberger Dokumente des
Kriegsverbrechertribunals NI-1240 und NI-11115 belegen dies.
Die I.G. revanchierte sich mit Material zum Ausbau des KZ,
denn sie war an einer Kapazitätserweiterung des Lagers
interessiert. In NI-15148 wird ein Besuchsbericht von
Betriebsleiter Walther Dürrfeld zitiert: I.G.-Werksleitung
und Lagerführung besiegelten die gute Zusammenarbeit in
einer Besprechung vom 27.3.1941 in Auschwitz und trafen u.
a. folgende 'Verabredungen': 1. Das Lager stellt 1941 'etwa
1000 Hilfskräfte und Fachkräfte'. 2. 1942 wird die
Lagerverwaltung den 'Bedarf' der I.G. an 'etwa 3000
Häftlingen' decken. 3. Die I.G. zahlt an die SS 'pro
Hilfsarbeiter und Tag 3 RM, pro Facharbeiter und Tag 4 RM',
die Arbeitszeit beträgt '10-11 Stunden im Sommer, im Winter
mindestens 9 Stunden'." In NI 11116 heißt es:
"Der Einsatz der Strafgefangenen erfolgt zunächst in
Gruppen, die von Kapos beaufsichtigt werden. Jeder Kapo hat
ungefähr 20 Mann unter sich." Dieses "Baukommando
Buna" war gefürchtet, Abend für Abend brachte es tote
Kameraden vom sechs Kilometer entfernten Baugelände mit
zurück ins Lager. IG Farben-Oberingenieur Max Faust war mit
den Arbeitsleistungen unzufrieden. Im Dezember 1941 stellte
er fest, "daß mit freien Polen 50 %, Häftlingen 30 %
der Leistung von deutschen Arbeitern erreicht wird"
(NI-11130).
Für fünf Millionen Mark baute sich die I.G. mittels
Zwangsarbeit ein firmeneigenes KZ am Standort Monowitz. Es
war Ende 1942 fertiggestellt und wies bis auf ein
Krematorium alle Einrichtungen auf, die für ein NS-KZ
üblich waren. Allerdings lehnte die I.G. ab, genügend
Krankenbaublöcke zu errichten, "da die IG nicht mehr
Krankenblocks haben wolle", der Krankenstand mußte
niedrig gehalten werden (NI. 12373). Die Häftlinge wurden
zu höchstem Arbeitstempo angetrieben, schwerste Lasten
mußten im Laufschritt getragen werden. Nicht wenige Meister
prügelten die Häftlinge. Laut Wochenbericht 90/91 aus dem
Jahre 1943 (NI-14546) sagte die SS zu, daß durch die IG
Farben "alle schwachen Häftlinge abgeschoben werden
können, so daß die Gewähr für eine fast volle Leistung,
verglichen mit einem deutschen Hilfsarbeiter, herausgeholt
werden kann." Dazu stellte der Historiker Werner Renz
vom Fritz Bauer Institut laut Frankfurter Rundschau vom 20.
Oktober 1998 fest: "Diese Übereinkunft zwischen I.G.
und Wirtschafts-Verwaltungs-Hauptamt der SS bedeutete den
Tod von Tausenden von Häftlingen."
Renz: "Der, Aufenthalt im Krankenbau wurde im
Durchschnitt auf zwei Wochen beschränkt, länger wollte die
I.G. für Kranke den vereinbarten Tagessatz an die SS nicht
zahlen. Wer nicht ins Lager zur Arbeit entlassen werden
konnte, fiel einer Selektion zum Opfer und wurde meist nach
Birkenau zur Vergasung überstellt!" Der ehemalige
Häftling Robert Elie Waitz sagte laut NI-12373 aus: Der
Wunsch der I.G., "nur arbeitsfähige Häftlinge in
groesstmoeglichem Umfang zu bekommen, war der Grund, daß in
Monowitz Selektionen vorkamen, d. h. dass Kranke und
schwache Häftlinge ins Gas nach Birkenau geschickt
wurden!"
Laut NI-4827 nahmen Zivilangestellte der IG Farben an den
Selektionen teil. Insgesamt nahm die Zahl der Häftlinge von
Buna/Monowitz infolge des Arbeitskräftebedarfs ständig zu.
Renz: Von den insgesamt 35 000 Häftlingen, die für die I.G.
Zwangsarbeit haben leisten müssen, wurden nach den
Ergebnissen der Forschung mindestens 25.000 Opfer der von
den I.G.-Managern praktizierten 'Vernichtung durch
Arbeit'.''
U.S. |
Unsere Reise nach Krakau wurde von den Naturfreunden Westfalens
organisiert. Das Konzept der Veranstalter sah den Gang auf der Spur
von Schindler vor, d. h. der Menschen, die Oskar Schindler mittels
seiner List und seiner "Liste" rettete. Deren Weg führte
vom Leben in dem Judenviertel Krakaus und dann im von
Nazideutschland überfallenen und besetzten Polen ins Ghetto,
Arbeitslager, KZ, bis hin nach Auschwitz.
Die Verbrechen sahen wir bisher stets von ihrem Ende her hier
aber wurde uns die Dramaturgie des Geschehens sichtbar, die
Steigerung vom "normalen" Leben über den Terror bis zum
Ende mit Schrecken oder Schrecken ohne Ende so man zunächst
überlebte.
Die Solidarität mit den ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und
Zwangsarbeitern sollte uns derzeit besonders am Herzen liegen.
Überraschenderweise ist auch für jeden aufmerksamen Menschen
dieses Thema heute in Krakau/Auschwitz allgegenwärtig. Wer es
damals überlebte, war irgendwann vorher auch Zwangsarbeiter. So
auch die Krakauer Juden und andere Polen, die sich irgend etwas
"zu Schulden" kommen ließen. Sie kamen in die Lager unter
dem Kommando von Amon Goeth (berüchtigt aus "Schindlers
Liste"). Als Juden waren sie vorher ins Ghetto getrieben worden
bis März 1943, bis das Ghetto in zwei Tagen und mit einer
mörderischen Bilanz von 3 000 Toten aufgelöst wurde. Dann kamen
sie nach Belzec oder Auschwitz oder ins Arbeitslager des Sadisten
Goeth und später in sein KZ Plazow, von wo sie in die Betriebe
gesandt wurden, Tag für Tag.
Sie arbeiteten schwer, einige in Schindlers Emaillefabrik. Sie
ist in Krakau noch immer zu sehen, im Gewerbegebiet. An einer Stelle
des Films von Steven Spielberg sagt Oskar Schindler zu seinem
jüdischen Buchhalter Izak Stern: Die Juden kosten weniger als die
Polen (für beide war an die SS zu zahlen) also nehme ich nur Juden.
Schindler wird zwischen 1942 und 1944 unermeßlich reich. Man sieht
im Film Koffer voll Geld, die er mitnehmen will, doch dann setzt er
sein Kapital vollständig ein, um "seine" 1 200 Juden zu
retten. Es ist im Film nur einmal von der IG Farben die Rede doch
deren Geldkoffer und die anderer Kapitalisten blieben über 1945
hinaus übervoll. Leider werden diese "Geldkoffer" im Film
nicht gezeigt.
Wer wissen will, was Zwangsarbeit war, der muß nach Krakau
kommen. Hier im Ghetto, im Judenviertel, auf dem Gelände des
ehemaligen Arbeitslagers, im Gewerbegebiet bekommen wir zumindest
eine Ahnung davon. Die Drehorte von "Schindlers Liste",
die Tatorte der Nazis, haben wir besucht. So die Apotheke des
Ghettos "Zum Adler", sie war Zentrum der Solidarität,
denn ihre nicht-jüdische Belegschaft hielt zu den Juden. Es gibt
sie noch, die Apotheke, sie ist heute ein kleines Museum mit
authentischen Dokumenten und Fotos vom Leid im Ghetto und der
Verfolgung seiner Menschen. Und es gibt Schindlers Fabrik.
In diesen Tagen dachte ich oft an die ,Zeit, da der "Schindler"-Film
gezeigt wurde und Aufsehen erregte, ja unter die Haut ging. Die
Deutschen waren tief bewegt vom Schicksal der Schindler Juden. Warum
sind sie aber nicht bewegt vom Schicksal der anderen überlebenden
Juden, Slawen, Sinti und Roma und Zwangsarbeiter? Schindlers
Arbeiterinnen und Arbeiter Arten ans Herz, aber die über zehn
Millionen anderen überlebenden Zwangsarbeiter aus Ghettos, KZ und
Arbeitslagern was ist damit? Rund eine Million von ihnen leben noch.
Mit ihnen sollte Solidarität geübt werden.
Wir waren also in Auschwitz. Die Gedenkstätte wird Museum
Auschwitz genannt, obwohl es eine authentische Stätte und kein
abgelegenes Gebäude ist. Im Stammlager-Museum war ich bereits
einmal vor Jahren. Hier scheint zunächst alles unverändert: die
Berge von Haaren, Gebissen, Schüsseln, Koffern, Brillen, Kämmen.
Ein Himalaja der Überreste von Menschen. Beim Anblick der
Kinderkleidung muß ich an meine Enkelinnen denken und mich irgendwo
festhalten, ich weiß nicht mehr wo.
Im Zentrum des Museums im Stammlager: das Modell der Gaskammern
und der Krematorien. Der Ablauf der Tötungsindustrie. Im
Mittelpunkt steht der schnelle massenhafte Tod im Gas. Dahinter
tritt zurück die "Vernichtung durch Arbeit", die es
ebenfalls hunderttausendfach gab. Mir fällt auf: Die Beschriftungen
der Tafeln sind nur noch in polnisch, hebräisch und in englisch
gehalten. Ein Museumsführer sagt, er wisse nicht warum die deutsche
Sprache hier abgeschafft worden sei, vermutlich, weil man hier diese
Sprache nicht wünsche. Die Menschen aus dem Land der Täter, sollen
sie verschont sein von Fakten in der Sprache der Täter? So frage
ich mich jedoch.
Die Deutschen werden hier mal wieder "normal". Wo sie
Ausländer sind, sind sie es in englischer Sprache. Und viele
Geldgeber fürs Museum, darunter sehr kapitalkräftige, die das
teure Museum unterhalten, werden auch die geschont? Das große
Kapital und seine Nähe zum Faschismus wird nicht angesprochen. Laut
Katalogheften und Ausführungen der Museumsführer haben "die
Nationalsozialisten" an den Menschen profitiert gab es da nicht
auch IG Farben? Von der I.G. ist im Heft zweimal die Rede, auf den
Tafeln nie. Doch die Blechbüchsen sind da, die mit dem Zyklon B aus
dem Hause der I.G. und der Degussa. Sie liegen im Block 4, 1. Stock
im Museum. Ich erkundige mich nach der IG Farben. Man sagt mir,
nicht mittels der Vitrinen, aber im Archiv, Block 23, werde Auskunft
darüber gegeben, der Historiker Piotr Setkiewicz stehe zur
Verfügung. Auch die Zwangsarbeit, die einst in Auschwitz neben den
Krematorien allgegenwärtig war, bleibt im Museum im Stammlager fast
nicht wahrnehmbar, anders als später in Birkenau. Doch die
Nutznießer der Zwangsarbeit, die Schuldigen, die Industrie, werden
nicht, thematisiert. Fotos von Arbeitenden sieht man im Museum nicht
eines jedoch von Heinrich Himmler mit einem IG-Farben-Ingenieur, das
ist alles.
Relativierung von Auschwitz und Renovierung von
Buchenwald
Unsere derzeitige Bundesregierung hat sich erlaubt, mit der
Relativierung von Auschwitz und der deutschen faschistischen
Vergangenheit den Krieg gegen Jugoslawien zu legitimieren. Was
war Auschwitz, was bedeutete es? Wir versuchten es zu
ergründen.
Entsetzt, daß diese Bundesregierung, in die wir große
Erwartungen setzten, einen Chef hat, der unverblümt den
Standpunkt von NS-Tätern verteidigte und der erklärte, daß
es seine Aufgabe sei, "die Interessen der deutschen
Wirtschaft gegen die Forderungen der Zwangsarbeiter zu
schützen", erkundigten wir uns auch danach, was das war
Zwangsarbeit.
Wenn wir auch in Auschwitz so manches Zugeständnis an den
Zeitgeist spurten, insbesondere was die Schonung für die IG
Farben und damit für ihre Nachfolger und die anderen Konzerne
anbelangte, so spürten wir dennoch dort nichts von einer
Gedenkstättenkonzeption, wie sie gegenwärtig bei uns in
Deutschland gegen die überlebenden Opfer durchgesetzt wird
Wir wurden in diesen Tagen Zeuge der Fertigstellung der neuen
"Gedenkstätte" Buchenwald, die nur noch zum
geringen Teil der Würdigung der Opfer faschistischen Terrors
und des Widerstandes gewidmet ist, sondern vor allem der
Relativierung der NS-Untaten und der Verbrechen der deutschen
Kriegswirtschaft dient und sich besonders der Kritik an
kommunistischen Widerstandskämpferinnen und -kämpfern
annimmt. Diese Gedenkstättenkonzeption hat
Gedenkstättenleiter Dr. Volkhard Knigge kürzlich im
"Neuen Deutschland" auf einer ganzen Seite
ausgebreitet.
Mir fiel ein alter Gerichtsreport ein. Es war am 20.
Dezember 1961 im Landgericht in Karlsruhe: zwei
Urteilsverkündigungen. Vor dem Schwurgericht stand der
SS-Führer Erich Ehrlinger, vor der Politischen Kammer der
Betriebsrat Willi Kumm von den Mannheimer Motorenwerken.
Ehrlinger hatte Juden gemordet. Kumm hatte Kollegenfahrten zur
Gedenkstätte Buchenwald in der DDR organisiert. Rechtsanwalt
Dr. Ammann berichtete später: Die beiden
Urteilsverkündigungen fanden fast unmittelbar hintereinander
statt, so daß die Presseleute beide besuchen und miteinander
vergleichen konnten. Ehrlinger bekam zwölf Jahre Gefängnis,
das heißt umgerechnet für jedes von ihm hingemordete Leben
etwa dreieinhalb Tage Gefängnis. Kumm erhielt fünf Monate
Gefängnis, also für jede Gedächtnisfahrt an die Stätten
solcher Opfer zweieinhalb Monate Gefängnis. Und außerdem
verlor Kumm seinen Arbeitsplatz.
Warum schreibe ich über diesen Vorfall? Das Erinnern an
die Opfer des Faschismus war in dieser Republik lange Zeit
weit strafwürdiger als das Verursachen solcher Opfer.
Nachdem jene Kreise, die den Gewerkschafter Willi Kumm
verurteilten, auch über das Territorium der DDR herrschen
durften, war da immer noch dieses Buchenwald. Sie verfielen
daher auf die Idee, einen Dr. Knigge dort zum Aufräumen
einzusetzen. Über das Resultat durfte er im ND berichten,
ohne daß ihm unangenehme Fragen gestellt wurden. Wir
erfahren: Auch Knigge mag keine Kommunisten, schon gar keine,
die Widerstand leisteten. Ihr Opfer nennt er
"sinnlos". Wir erfahren weiter: Faschismus hat mit
Kapitalismus wenig zu tun, "zumal sich Auschwitz rein
ökonomisch gar nicht rechnete". Die Leitung des Museums
Auschwitz sieht es anders:" Vom Arbeitseinsatz der
Häftlinge profitierte die SS, die deutsche Privatwirtschaft
und der NS-Staat" und dies weil "niemals der
deutschen Wirtschaft eine billigere Arbeitskraft ... zur
Verfügung gestellt worden" ist. ("Auschwitz ",
Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau, 1997, S. 172, 175)
Wenn ein Gedenkstättenleiter aber weder die Täter
benennen, noch die Opfer würdigen will, warum mußte er dann
Gedenkstättenleiter werden? Er hätte doch auch Redakteur der
FAZ oder Verfassungsschutzabteilungsleiter werden können.
Und warum fragt die Mitarbeiterin des ND nicht ein einziges
Mal: Dr. Knigge, schämen Sie sich nicht, solche
denunziatorischen Giftmixturen wie die über Bruno Apitz und
den "Opfertausch" und über andere Menschen
auszugießen, die alles einsetzten, um den Mördern in den Arm
zufallen? Hätten sich diese Menschen Anfang der dreißiger
Jahre mit ihren Warnungen durchgesetzt, die zahllosen Opfer
und der Krieg waren der Menschheit erspart geblieben! Auch
Buchenwald und das Speziallager, auch die weniger prominenten
Opfer, die Knigge glaubt gegen die doch ebenfalls namenlosen
Kämpfer aus derpolitischen Arbeiterbewegung ins Spiel bringen
zu müssen.
Auch Auschwitz hätte es nicht gegeben, wenn 1933 die
Demokraten einheitlich gegen Hitler gehandelt hätten. Aber es
setzten sich 1933 Industrie und Banken durch, die eine
"Adolf Hitler Spende der deutschen Wirtschaft"
begründeten, eine sich milliardenfach auszahlende.
Wirtschaftshistoriker sagten: Hitler hat den Krieg verloren,
aber die deutsche Wirtschaft hat am Krieg gewonnen. Und heute
will sie nicht einmal den Lohn an die überlebenden Opfer
nachzahlen.
Unser Außenminister betont ständig "Nie wieder
Auschwitz" und legt zugleich für den
Zyklon-B-Produzenten Degussa, den Räuber des Zahngoldes von
Auschwitz und anderswo, in USA vor Gericht ein gutes, ein
" rettendes " Wort ein. Es ist zum Speien!
Ulrich Sander |
Nachmittags sind wir in Birkenau. Hier in Birkenau gibt es einen
Ein druck von dem, was weltweit als die Hölle von Auschwitz
berüchtigt ist. Es führt uns Stanislaw Hantz. Er ist ehemaliger
Insasse von Birkenau. Ein Nichjude, der als 17jähriger verdächtigt
wurde, einer sozialistischen Gruppe anzugehören. Er wurde schon
1940 eingesperrt, und er war vom Anfang bis zum bitteren Ende in
Auschwitz. Von ihm ist ein Buch erschienen, voll von biografischen
Erzählungen aus dem Leben und vom Tod in Auschwitz. Beim
strömenden Regen ziehen wir durchs Lagergelände von Birkenau, und
Stanislaw erzählt und erzählt.
Die Schienen sehen wir, die auf den, Turm zuführen. Dies ist die
Rampe. Es gibt nur einen Schienenstrang hinein, dann die Teilung in
mehrere Gleise hinterm Turm, das Bild ist bekannt. Hier zu stehen,
ist beklemmend. Denn hier war der Platz der Selektionen, letzte
Station vor dem Tod. Es gibt nur die Schienen hinein, keine führen
hinaus.
Dies war der Platz der Entscheidung der SS-Ärzte: Ins Gas oder
vorerst zur Sklavenarbeit.
Jetzt wird uns deutlich: Die Selektion in diesem wie in anderen
Vernichtungslagern war für Millionen Juden der Endpunkt, nicht
jedoch für die flüchtig von SS-Ärzten zu Arbeitsfähigen
erklärten Menschen, vor allem Männer. Die mußten wieder und
wieder neue Selektionen über sich ergehen lassen. Ich las ein
Dokument der I.G. Farben, sie forderte, daß Kranke, die zu lange im
Krankenbau waren, neu selektiert wurden. Wer nicht mitkam, mußte
sterben. Das Arbeitspensum, der Profit mußten stimmen. (Siehe der
Beitrag auf dieser Seite.)
Doch wo arbeiteten die eigentlich, die noch nicht starben? Die
arbeiteten in Monowitz bei den I.G. Farben und bei Krupp und anderen
Konzernen, die sich in Auschwitz angesiedelt hatten, im Bergbau, in
der Landwirtschaft. Doch Buna/Monowitz gehört heute nicht mehr zur
Gedenkstätte. Von diesem und anderen Industriestandorten ist ebenso
wenig zu erfahren wie von der Deutschen Bank, die den Aufbau von
Auschwitz finanzierte, oder von Krupp und Degussa. Der Zeitgeist? In
Polen werden deutsche Konzerne nicht mehr kritisiert. Man sagt, im
Hause des Henkers wird vom Strick nicht gesprochen doch warum auch
im Hause des Gehenkten?
Die Dokumente aus den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen mit
dem Kürzel NI-xxx sprechen hingegen eine klare Sprache. Sie weisen
nach: Die IG Farben entschied über Leben und Tod der Lagerinsassen.
Sie bestimmte die Bedingungen Lebensbedingungen kann man es wohl
nicht nennen des Lagers wie des Krankenbaus. Von den Regeln, die sie
aufstellte, sind zahlreiche Menschen wie von einem Todesurteil
getroffen worden.
Wir sprechen mit einem Sanitäter, der später Arzt wurde. Dr.
Edwin Opoczynski aus Krakau war Häftling von 1939 bis 1945.
Unzählige Lager lernte er kennen, mußte sie durchleiden. Am
längsten arbeitete er im Krankenbau in Birkenau. Er weiß, was
Selektionen bedeuten. Seine Eltern waren Juden, er wurde als Jude
verfolgt. Doch er ist ohne Religiosität. Er hält Religion für
einen Fehler. Der 82jährige Arzt sagt, er ist Mensch. Und er will
Menschen, vor allem jungen Menschen sagen, was Menschen den Menschen
antun konnten. Damit es nie wieder geschieht.
Ulrich Sander
|