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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

30.10.07

"Ich habe in dem mutigen Helmuth Huebener ein dringend notwendiges Vorbild gefunden"

Grußwort von Prof. Alan Keele (USA) an die Veranstaltung zum jungen antifaschistischen Widerstand am 26. 10. 2007 in Berlin

Prof. Alan Keele von der Brigham-Young-University in Provo/Utah, USA, hatte die Absicht, über seine Forschungen zum jüngsten vom Volksgerichtshof verurteilten und in Plötzensee hingerichteten Widerstandskämpfer Helmuth Hübener am Freitag 26.10.07 im Haus der Demokratie in Berlin zu sprechen. Die Veranstaltung der VVN-BdA war dem jungen deutschen Widerstand aus Anlaß des 65. Todestages Hübeners gewidmet. Keele musste leider absagen. Hier sein Brief an die Versammelten. Der in dem Brief genannte Karl Heinz Schnibbe war einer der Mitkämpfer Hübeners.

Liebe Freunde und Mitstreiter fuer eine friedlichere, menschlichere, bessere Welt!

Es ist nun ein anderer Todesfall, der mich von Deutschland kurz wegruft, naemlich der meines 84. jaehrigen Vaters, fuer den ausgerechnet am 27.10. die Todesfeier hier in USA stattfindet. Fuer mich wird heute die hiesige Todesfeier also eine geheime weitere seelische Dimension haben und eine weitere Rolle spielen, naemlich als unsichtbarer, interkontinentaler seidener Faden zwischen meinem Herzen und Euren Herzen zu fungieren.

Denn ich bin nicht nur sachlich sondern schon sehr persoenlich und sehr emotionell an Helmuth Huebener und an den deutschen Widerstand gebunden: Nicht nur, dass Helmuth 1942 genau drei Wochen vor meiner Geburt ermordet wurde, sondern ich habe seine Geschichte zu einem fuer mich sehr kritischen Zeitpunkt entdeckt, wo ich als junger Mensch mit meinem eigenen ungerechten Krieg konfrontiert wurde, von meiner eigenen korrupten und brutalen Staatsmacht (Richard Nixon!) ausgefuehrt, mit einem Krieg also, der mich verantwortlich machte. Ich konnte nicht NICHT handeln. Aber wie?

Ich habe in Helmuth Huebener und in der mutigen Handlung vom ihm und von anderen seinesgleichen in Deutschland ein dringend notwendiges lebenswichtiges Vorbild gefunden. Sein Mut hat mich ueber Zeit und Raum hinweg gestaerkt und meinen Lebensansichten Klarheit geschaffen in einer Zeit, die wirklich verworren war, denn auch viele meiner eigenen Glaubensgenossen, genauso wie damals in Deutschland, liessen sich auch in der Aera Vietnam von der Kriegshetze mitreissen. Dass Helmuth auch am 27. 10. in Ploetzensee seinen Glauben noch intakt ausdrucken konnte half mir, meine eigene Glaubenskrise so zu ueberwinden, dass ich das Feld den Pseudo-Christen, den reissenden Woelfen in Schafspelzen, nicht ueberliess sondern mich fuer den Friedensfuersten an sich zu entscheiden, der sich im Neuen Testament manifestiert.

Jetzt stecken die USA und durch sie die ganze Welt erneut in einem Fangnetz aus Luegen, aufgeblasenem Chauvinismus getarnt als Heimatliebe, Korruption, Arroganz, Brutalitaet und Terror fest. Brauchen wir noch das Vorbild Helmuth Huebener und das seiner Mitstreiter fuer die gute Sache? Mehr denn je! Und zwar ausgerechnet bei "Christen" (in Anfuehrungszeichen), die dem wildgewordenen Islam nur ihr eigenes wildgewordenes perverses Zerrbild von dem Christentum entgegen zu bringen wissen. Auge um Auge, Zahn um Zahn, Religionsperversion um Religionsperversion...

Nein! Damit muss es ein Ende haben! Wir muessen alles daran setzen, die Huebener Story, die Story des deutschen gewaltlosen aber mutvollen Widerstandes ueberhaupt auch in USA und in der Islamischen Welt zu verbreiten. Ich freue mich, z.B. dass schon gefilmt wird! Karl-Heinz Schnibbe, der auch heute ueber mich seinen lieben Freunden nach Berlin Gruesse ausrichten laesst, berichtete mir mit Begeisterung bei meiner Ankunft in Salt Lake City, dass die Dreharbeiten zu dem Spielfilm (mit Max von Sydow! in der Rolle des Volksgerichtshofrichters Fikeis und mit dem jungen amerikanischen Filmstar Hailey Joe Osment in der Rolle von Helmuth) in Salt Lake City schon begonnen haetten. Er sei dabei gewesen.

Ich habe selber vor, ein weiteres Buch zu schreiben, in dem ich ganz genau die Implikationen der Huebener Story fuer Amerikaner, besonders fuer Huebeners amerikanische Glaubensgenossen klar zum Ausdruck bringen will, denn alle sind in USA und unter den hiesigen Mormonen begeistert, dass ein junger Mormone gegen Hitler so vorbildhaft gewirkt hatte (klar: Hitler gilt unter Amerikanern als das Boese an sich), aber nicht viele verstehen sofort was das mit ihrer eigenen Begeisterung fuer George W. Bush zu tun hat. Ich moechte helfen, ihren Ekel gegenueber Hitler in einen Ekel auszuweiten gegenueber allen solchen, auch in USA, die als Hitlers Nachkommen zu bezeichnen sind: fuer mich ist hier das Brecht Wort massgebend: "Der Schoss, aus dem das kroch, ist fruchtbar noch."

Ich danke Euch allen, auch meinen braven Studenten, fuer Euer heutiges und bleibendes Dabeisein! Moege es uns noch gelingen, das, woran heute dort in Berlin erinnert wird, zu einer Art kategorischer Imperativ zu verwandeln. Um mit Kant zu sprechen: Moege die Maxime von Helmuths Handlung eine allgemeingueltige Richtschnur fuer die Menschheit werden! Auf ein baldiges Wiedersehen hoffend verbleibe ich Euer Freund, Alan Keele

Ansprache von Ulrich Sander, Bundessprecher der VVN-BdA am 27. 10. 2007 in Plötzensee

Wir gedenken hier der heute vor 65 Jahren in dieser Hinrichtungsstätte Berlin-Plötzensee von der Nazijustiz Ermordeten:

Richter Rudolf, 22 Jahre, Schriftmaler aus Dresden
Richter Gustav, 52 Jahre, Arbeiter aus Dresden
Hübener Helmuth, 17 Jahre, Verwaltungslehrling aus Hamburg
Stötzle Max, 31 Jahre Maler aus Kreuzlingen/Schweiz
Jaros Josef, 63 Jahre, Notar aus Milotice/Kyjov, Tschechoslowakei
Skryja Jaroslav, 47 Jahre, Fahrlehrer aus Bohdalec, Krs. Nove Mesto, Tschechoslowakei
Slavik Anton, 49 Jahre, Rundfunkdirektor aus Prag, Tschechoslowakei
Uher Johann, Dr. 51 Jahre, Univers. Prof. aus Prostejov, Tschechoslowakei
Zbornik Wenzel, 34 Jahre, Beamter aus der Tschechoslowakei
Pawlinsky Józef, 31 Jahre, Arbeiter aus Racibórz, Polen
Leon Carlos, 35 Jahre, Dolmetscher aus Wien, Franzose

Mit den Morden an diesem Tag in Plötzensee geschah etwas zusätzlich Teuflisches: Es wurde mit Helmuth Hübener der jüngste vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilte Widerstandskämpfer hingerichtet, und es wurden kurze Zeit hintereinander auch ein Vater und sein Sohn hingerichtet: Gustav und Rudolf Richter.

In der Urteilsbegründung zu Rudolf Richter heißt es: "Der Angeklagte hat als Dienstverpflichteter in einem Rüstungsbetrieb seine Arbeitskameraden angereizt, durch Verminderung der Rüstungserzeugung zur Beendigung des Krieges beizutragen. Auch hat er marxistische Bücher und zersetzende Aufzeichnungen verbreitet [...] "Jüngere Arbeitskollegen versuchte er, zum "Langsamarbeiten zu gewinnen, um so die Produktion der Flugzeuge zu verzögern." Durch die Verbreitung von verbotenen Gedichten, u.a. von Kurt Tucholsky und Alfred Polgar, trug er zur Stärkung des Widerstandsgeistes bei. Seinem Vater, dem kommunistischen Arbeiter Gustav Richter warf die Anklage vor, dass er seinen Sohn nicht "anders erzogen" und ihn in seinem Widerstand bestärkt habe. Rudolf Richter hatte seinen Freunden geschrieben: "Überlege, ich soll in absehbarerer Zeit das Mörderkleid einer militärischen Macht tragen, welche zu den am rationellsten arbeitenden der ganzen Welt gehört."

In der Begründung zum Todesurteil Helmuth Hübeners wurde betont, dass seine Tat, das Abhören und Verbreiten von Informationen des Feindsenders BBC, "ihrem inneren Gehalt und der Reife nach die Arbeit einer Person von über achtzehn Jahren" sei. Daher sei der Ange-klagte nach dem Erwachsenenstrafrecht zum Tode zu verurteilen. Helmuth Hübener wurde wegen "Hochverrats und landesverräterischer Feindbegünstigung" verurteilt. Hübeners letzte Worte an die Richter waren: "Ich muß jetzt sterben. Ich habe nichts verbrochen. Jetzt bin ich dran, aber ihr kommt auch noch dran." Doch niemand der für den Tod Helmuth Hübeners Verantwortlichen ist später belangt worden.

In diesen Tagen lasen wir: Ebenfalls 17jährig wurde 1941 der französische junge Kommunist und antifaschistische Widerstandskämpfer Guy Móquet von den deutschen Faschisten hingerichtet. In seinem Abschiedsbrief hat er etwas geschrieben, was auch von Helmuth Hübener hätte stammen könnte. "17 ½ Jahre, mein Leben ist kurz gewesen, aber ich bereue nichts, außer, dass ich Euch verlassen muß." Präsident Nicolas Sarkozy hat, nachdem ihm eine Schülerin diesen Brief vorgelesen hat, angeordnet, dass der Brief des jungen Guy Móquet jedes Jahr in allen Schulen bei Schuljahresbeginn vorgelesen wird. Etwas Vergleichbares hat es in unserem Land nicht gegeben. Dabei hätten sich die Texte von Helmuth Hübener dafür sehr geeignet. Doch der junge Widerstand wird - mit Ausnahme der Weißen Rose - kaum beachtet.

Die Schwester von und Sophie Scholl, Elisabeth Hartnagel, sagte einmal, sie möchte nicht, dass ihre Geschwister als "Helden" verehrt werden, denn "das wäre eine Entschuldigung für die anderen", die sich nicht zum Helden geboren sehen."

Kämpfen wir alle für Zustände, in denen es keiner Helden und keiner Kämpfe in großer Gefahr bedarf, um ein Leben in Freiheit, Glück, Wohlfahrt und Frieden zu erringen.