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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

24.10.07

Der "Zug der Erinnerung" ehrt 12.000 ermordete Kinder

Im Februar in Nordrhein-Westfalen

Am 8. November wird der "Zug der Erinnerung" in Frankfurt a.M. zur Fahrt durch die Bundesrepublik starten. Im Februar wird er Nordrhein-Westfalen erreichen. In mehreren Städten laufen schon die Vorbereitungen, in anderen besteht noch Nachholbedarf. Der Zug, der von einer Dampflok gezogen wird und aus mehreren Ausstellungswagen besteht, verkehrt auf der Strecke der früheren Deportationen der Reichsbahn. Dort steuert er die Heimatstädte der über 12.000 Kinder an, die zwischen 1940 und 1944 in die Vernichtungslager verschleppt wurden.

An den früheren Deportationsorten bemühen sich Bürgervereine um Spurensuche nach den deportierten Kindern und Jugendlichen. Die Opfer stammen aus jüdischen Familien, aus Familien der Sinti und Roma oder sind Kinder von Nazigegnern. Ihre Lebenszeugnisse, Fotos, Archivbelege und mündlichen Berichte wird der Zug am Ende der mehrmonatigen Reise zur Gedenkstätte Auschwitz (Oswiecim) bringen. Der Leidensweg der jugendlichen Opfer ist in der deutschen Öffentlichkeit bisher weitgehend unbeachtet geblieben. Massendeportationen von Kindern und Jugendlichen fanden auch in den vormals okkupierten europäischen Staaten statt. Darin erinnert die fahrende Ausstellung mit Biografien aus Norwegen, Belgien, den Niederlanden, Frankreich, Italien, Griechenland und Osteuropa.

Schätzungen sprechen von bis zu 1,5 Millionen Kindern und Jugendlichen, die nie mehr zurückkehrten. An den Vorbereitungen der Fahrt durch sieben Bundesländer sind mehrere hundert Freiwillige beteiligt, die mit dem ungewöhnlichen Gedenken auch ein Zeichen gegen Rassenhass, Rechtsextremismus und nationalen Größenwahn setzen wollen. Die erheblichen Kosten der Kampagne, die mit einem bundesweiten Kinotrailer um das Interesse von Jugendlichen wirbt, tragen die Bürgerinitiativen aus eigener Tasche. Sie haben sich mit Bitten um finanzielle Unterstützung u.a. an das Berliner Verkehrsministerium und die Bahn AG gewandt.

Zug der Erinnerung - Gedenken an NS-Kinderdeportationen

Hintergrundbericht von Elke Groß

Zum Gedenken an die Deportation von über 12.000 jüdischen Kindern und an die Verschleppung von Kindern und Jugendlichern aus zahlreichen anderen Opfergruppen während des Faschismus soll ab diesem Herbst ein sogenannter Zug der Erinnerung durch Deutschland fahren. Die als Zugstafette organisierte Fahrt wird von einem gemeinnützigen Bürgerverein koordiniert (1). Während seiner mehrmonatigen Reise soll der Zug teilweise dieselben Strecken befahren, auf denen damals auch die Deportationszüge rollten; dabei werden die Heimatorte der verschollenen Kinder angesteuert. Als Haltebahnhöfe sind bisher über 20 Städte in den Bundesländern Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen vorgesehen (2). Weitere Stationen sind laut den Veranstaltern möglich (3).

Der "Zug der Erinnerung" enthält eine mobile Ausstellung über das - in der deutschen Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet gebliebene - Schicksal der deportierten Kinder. Wie viele der etwa drei Millionen Deportierten Kinder waren, ist unbekannt. Über 12.000 deportierte deutsche Kinder und Jugendliche hat der Bürgerverein, der sich ebenfalls "Zug der Erinnerung" nennt, bisher identifiziert. Die meisten der jugendlichen NS-Opfer kamen aus jüdischen Elternhäusern.

Aber auch Kinder von Sinti und Roma und Kinder von politisch Verfolgten wurden verschleppt. Während in den Bahnhöfen auf den Nachbargleisen damals der alltägliche Zugverkehr rollte, ließ das NS-Regime die Kinder mit der Reichsbahn in die Vernichtungslager im Osten bringen - oft am helllichten Tage. Wie viele der Kinder die Deportation überlebten, ist ebenfalls bis heute unerforscht geblieben, Tausende gelten als vermißt. Schätzungen gehen laut dem Bürgerverein davon aus, dass über eine Million Kinder und Jugendliche aus fast sämtlichen Staaten Europas mit der Reichsbahn in die Vernichtungslager befördert wurden. (4)

Der Düsseldorfer Politikwissenschaftler Prof. Wolfgang Dreßen ist bei mehreren Wissenschaftsprojekten über die sogenannte Arisierung jüdischen Vermögens auf die Spuren verschleppter Kinder gestoßen. So wurde nach der Vertreibung deutscher Juden aus ihren Wohnungen und der Plünderung und anschließenden Versteigerung des jüdischen Eigentums sogar Spielzeug der gerade verschleppten Kinder versteigert. Es waren nicht selten die deutschen Nachbarn, die das Kinderspielzeug dann ersteigerten. "Der Zug der Erinnerung", so Prof. Wolfgang Dreßen, "wäre ein geeigneter Ort, um auf die Plünderung der letzten Lebenszeugnisse dieser Kinder aufmerksam zu machen."(5)

Fotos, Archivbelege und mündliche Berichte über die betroffenen Kinder sollen in mehreren Waggons des Zuges ausgestellt werden. Mit dieser Ausstellung wollen die Organisatoren insbesondere junge Menschen dazu anregen, sich an der Spurensuche nach örtlichen Lebenszeugnissen der jugendlichen NS-Opfer zu beteiligen. Die Ergebnisse der Spurensuche sollen dann am Ende der Reise zur Gedenkstätte Auschwitz gebracht werden, dorthin, wo die meisten der Deportierten ihr Leben verloren. Den letzten Abschnitt der Fahrt - zwischen dem Grenzbahnhof Görlitz und dem polnischen Oswiecim (Auschwitz) - können Teilnehmer der bundesweiten Spurensuche begleiten. Der Zug wird die Gedenkstätte am 27. Januar 2008, dem Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers, erreichen.

Der "Zug der Erinnerung" ist die Fortsetzung der Bemühungen engagierter Bürgerinitiativen, eine auf französischen Bahnhöfen gezeigte Ausstellung über deportierte Kinder und Jugendliche auch auf deutschen Bahnhöfen zu präsentieren. Der Vorstandsvorsitzende der Bahn AG, Hartmut Mehdorn, hatte sich mehr als zwei Jahre lang geweigert, deutsche Bahnhöfe für die Ausstellung zu öffnen (6). Nach zahlreichen öffentlichen Protesten, der für sein Unternehmen schlechten Auslandspresse und des Drucks von Seiten der Bundesregierung sah sich Mehdorn schließlich zu Zugeständnissen gezwungen. Ende vergangenen Jahres kündigte die Bahn AG dann an, gemeinsam mit dem Bundesverkehrsministerium, eine eigene Ausstellung zu zeigen, mit dem Ziel, die Rolle der Reichsbahn im Holocaust aufzuzeigen (7). Im Mittelpunkt stehe dabei - wie die Bahnveranstalter angeben - ebenfalls das unermeßliche Leid der deportierten Kinder (8). Eröffnet werden soll diese Wanderausstellung in Berlin am 27. Januar 2008, dem offiziellen Tag des Gedenkens an die Opfer des NS-Regimes.

Es ist derselbe Tag, an dem in Auschwitz der - Zug der Erinnerung - sein Ziel erreichen wird. Dabei soll das Gedenken an die im Faschismus deportierten jungen Menschen kein Schlusspunkt sein, so die Initiatoren des Projekts, die damit insbesondere Jugendlichen Mut machen wollen, sich politisch gegen die neuerliche Verbreitung faschistischer Ideen und die Verklärung der Geschichte des Holocaust zu engagieren.

Denn, so die Initiatoren des Projekts: "Auschwitz war nicht für alle (deportierten Kinder) das Ende. Hunderte konnten gerettet werden, weil ihnen Zufälle und Menschen halfen. Wenn der Zug der Erinnerung von dort zurückkehren wird, dann mit dieser Botschaft: Dass der Plan der Vernichtung, der umfassend sein sollte, gescheitert ist: Wegen der Kinder, die dem Morden entkamen und wegen der Namen, der vielen Gesichter, "die aus dem Vergessen in die Gegenwart zurückgeholt" werden (9).

(1) http://www.zug-der-erinnerung.eu/

(2) http://www.zug-der-erinnerung.eu/strecke.html

(3) Um der deportierten Kinder zu gedenken und die Suche nach ihren Spuren vor Ort anzuregen, können Initiativgruppen, Organisationen und auch Netzwerke einzelner Interessierter den "Zug der Erinnerung" anfordern (Kontakt: info@zugde.eu). Das Projekt wird organisatorisch und finanziell von Initiativen in zahlreichen deutschen Städten getragen, unter finanzieller Beteiligung auch von Gewerkschaftsverbänden, Stiftungen und Gedenkstätten. Nach Berechungen der Veranstalter entstehen Kosten in Höhe von 90 Euro pro Kilometer. Streckenpatenschaften können übernommen werden. Weitere Informationen unter: http://www.zug-der-erinnerung.eu/spenden.html

(4) http://www.zug-der-erinnerung.eu/presse.html

(5) http://www.zug-der-erinnerung.eu/erinnerung.html

(6) http://www.faz.net/s/RubCF3AEB154CE64960822FA5429A182360/Doc~EC9D2BBB00B974F89BE9A035FEFA90363~ATpl~Ecommon~Scontent.html

(7) http://www.faz.net/s/RubF7538E273FAA4006925CC36BB8AFE338/Doc~EADE591498019425E9C217A3E836F5A58~ATpl~Ecommon~Scontent.html

(8) http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,451973,00.html

(9) Zug der Erinnerung. Konzept eines europäischen Projekts, 2007; vgl. http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56942