10.10.07
Der Krieg an der Heimatfront
Ulrich Sander (VVN-BdA) über
Reservisten und die Militarisierung der Bundesrepublik
Mit "Anti-Terror"-Kampfparolen und -gesetzen machen
CDU-Minister Schäuble und Jung immer wieder Schlagzeilen.Mit ihrem
massiven Einsatz von Polizei und Militär gegen Demonstranten beim
G-8-Gipfel in Heiligendamm haben sie uns einen Vorgeschmack auf
Kommendes gegeben.Im Schatten solcher Medien-Highlights formiert
sich - ohne große Öffentlichkeit, aber staatlich unterstützt -
die größte rechtsextreme Bewegung für den "Krieg an der
Heimatfront".
In seiner "Kaiserlichen Botschaft" zur Schaffung der
Bismarckschen Sozialgesetze formulierte Kaiser Wilhelm am 17.
November 1881: "die Heilung der sozialen Schäden" dürfe
"nicht ausschließlich im Wege der Repression
sozialdemokratischer Ausschreitungen" gesucht werden,
"sondern gleichmäßig auf dem der positiven Förderung des
Wohles der Arbeiter". Nachdem nun die 125jährige
Sozialgesetzgebung umkehrbar gemacht wurde, steht auch wieder an,
"die Heilung der sozialen Schäden" vor allem "im
Wege der Repression sozialdemokratischer Ausschreitungen"
vorzunehmen. Und dies mit Polizei und allen militärischen
Waffengattungen, wie wir in Heiligendamm erlebt haben.
Ohne Abstimmung im Bundestag wurde die angebliche
"Parlamentsarmee" in ein weiteres Land zu einem
Kampfeinsatz entsandt: Mecklenburg-Vorpommern. Mit Panzerwagen,
Kriegsschiffen und Tornado-Flugzeugen. Der verfassungswidrige
Einsatz im Innern anlässlich des G8-Gipfels kostete die
Steuerzahler laut Pressemeldungen zehn Millionen Euro - zusätzlich
zu einem gewaltigen Rüstungsetat. Und er kostet Freiheitsrechte der
Bürger ...
Inlandseinsatz gegen
"Chaosgruppen" wie die Globalisierungsgegner
In Bundeswehrblättern wie "Information für die
Truppe" wird seit Jahren auf den Inlandseinsatz gegen den
Terror und das heißt "Chaosgruppen wie z.B. die Gruppe der
Globalisierungsgegner" (IfdT 3/2002) eingestimmt. Per
Reservistengesetz vom Februar 2005 wurden noch unter Rot-Grün über
eine Million ehemalige Soldaten zusätzlich für die
"Zivil-Militärische Zusammenarbeit ZMZ Inneres", d. h.
für den Einsatz im Innern bereitgestellt. Rund fünf Millionen
Reservisten stehen nun ständig zur Verfügung. Man hatte einfach
das Reservistenalter von 45 Jahren auf 60 aufgestockt. Nach welchen
Maßstäben die Bundeswehr ihre Einsätze gegen die Bevölkerung des
jeweils besetzten Landes - also auch des deutschen Landes -
ausrichtet, wird in dem Buch "Geheime Krieger" des
rechtsextremen Generals a. D. und ehemaligen Gebirgsjäger- und
KSK-Kommandeurs Reinhard Günzel ausgeplaudert: nach denen der
Wehrmachts - Antiterroreinheit Division Brandenburg. Diese
"Brandenburger" waren u. a. im Juni 1941 in Lwow/Lemberg
dabei, als 7000 Juden in wenigen Stunden von deutschen und
ukrainischen Wehrmachtsangehörigen ermordet wurden. Und eine solche
Bundeswehr steht nun den zivilen Dienstellen "zur Seite"!
In sämtlichen 426 Landkreisen und kreisfreien Städten wurden in
den Rathäusern und Landratsämtern Kommandozentralen ZMZi
geschaffen.
Militarisierung auf neuem Niveau
Die Militarisierung des Landes erreicht mit dem neuen
Reservistenkonzept und der neuen "Zivilmilitärische
Zusammenarbeit Inneres" und ihre Anwendung beim G8-Gipfel einen
neuen Stand. Eine neue extrem rechte Organisation entsteht, -
zusätzlich zum Wirken alter und neuer Rechtsextremer in der
Bundeswehr. Und das ist die Reservistenbewegung. Zur
Instrumentalisierung der Bundeswehr zum Einsatz im Innern kommt die
ideologische extrem rechte Beeinflussung der Bevölkerung: In rund
fünf Millionen Familien gibt es Reservisten, zu denen die
Bundeswehr laufend Kontakt hält. Die militaristischen
Traditionsverbände und die Reservistenverbänden erhalten immer
mehr Macht - und Geld der Steuerzahler.
Die Kriege zur Rohstoffsicherung und Energieversorgung der
westlichen Industriestaaten - und darum handelt es sich im Kern bei
den heutigen "weltweiten Einsätzen" - haben das
öffentliche Leben in diesen Staaten, auch in unserem, entscheidend
verändert. Neue Runden im Wettrüsten stehen bevor. Die
Dämonisierung des Iran, die Stigmatisierung Russlands und Chinas
als undemokratische, auf Weltherrschaft sinnende Regimes sollen die
Bevölkerung einschwören auf mehr Rüstung, mehr Militär und
offensive Zielsetzungen der Militärdoktrinen. Dies betrifft einmal
die Atomrüstung und das Setzen auf die Erringung der
Erstschlagskapazität durch die USA (neue Raketensysteme in
Mitteleuropa, d.h. in Tschechien und Polen). Auch wenn dies heute
noch vor allem Drohkulissen sein mögen, so rückt die Welt damit
doch näher an ein atomares Fiasko heran. Wir stehen vor einer Welle
internationaler Einsätze. Der Krieg soll unter dem Stichwort
"militärischer Humanismus" zum Alltag werden.
Dementsprechend werden widersprechende Regeln des Völkerrechts
außer Kraft gesetzt.
Und das geschieht in unserem Lande vor allem durch faktische
Beseitigung der grundgesetzlichen Bestimmungen zum Verbot des
Angriffskrieges und seiner Vorbereitung und durch faktische
Streichung der Bestimmung, dass die Bundeswehr nur zur Verteidigung
dient (Artikel 26 und 87a). Anstelle des Grundgesetzes tritt die
Militärdoktrin der EU, ob mit oder ohne EU-Verfassung, die den
grundgesetzlichen Rahmen überwölben - sprich ihn aushebeln - soll.
Die zwei Seiten der
Rechtsentwicklung
Zur Militarisierung des Landes gehört der Abbau der
demokratischen Rechte. Dies ist ein schneller werdender Prozess. Die
Gefahr einer Rechtsentwicklung ist offensichtlich. Sie fällt in
zwei Teile:
- Anwachsen des Neofaschismus, Duldung und Förderung der
Neonazis als mögliche gesellschaftliche Reserve durch den Staat
einerseits und
- Abbau der Demokratie durch den Staat, dies auch durch
zunehmende Militarisierung und Ausbau des Überwachungsstaates
andererseits.
Das Konzept von Schäuble vom 9. 7. 07 (Spiegel) besagt:
- Beseitigung des verfassungsmäßig nicht veränderbaren
Artikels 1 des Grundgesetzes (Schutz der Menschenwürde und des
Lebens) - darum geht es auch bei Jungs Vorstoß für das
Abschießen von zivilen "verdächtigen"
Flugzeugen,
- Einsperren von "Verschwörern und Gefährdern" in
Lager,
- gezielte Tötungen von Regimegegnern,
- Kommunikationsverbote für politisch Missliebige und ganze
Bevölkerungsgruppen,
- Hausdurchsuchungen ohne Anwesenheit von Zeugen und
Betroffenen, denn das sind die geheimen Onlinedurchsuchungen
privater Computer
- Einsatz von Militär mit Waffen gegen Demonstranten und
- umfassende Bespitzelung der Bürger durch Polizei und
Geheimdienste (Rasterfahndung).
Das ist Schäubles extrem rechter Katalog, - er macht jedem
faschistischen Umsturzplan alle Ehre. Und Merkel ermutigt Schäuble:
Keine Denkverbote im Kampf gegen den Terror. Merkel sagt: Die
Trennung von innerer und äußerer Sicherheit ist "von
gestern". Um zum Vorgestern zurückzukehren. Nun also wieder
Krieg nach außen und innen! Ihre Partei nennt es in ihren
Dokumenten "Verteidigung am Hindukusch und in Hindelang".
Zu den weiteren Schäuble-Plänen gehören: Fingerabdrücke aller
Bundesbürger werden bei der Passbehörde gespeichert, Mautdaten
werden für Fahndungszwecke verwendet. Sodann sollen erfolterte
Geständnisse verwendet werden. Es soll Vorratsspeicherungen der
Verbindungsdaten aller Arten elektronischer Kommunikation geben.
Doch das sind Absichten, wenn auch sehr reale, sehr bedrohliche.
Weniger beachtet sind: die Sicherheitsüberprüfung der Arbeiter und
Angestellten in vielen Bereichen der Wirtschaft und der
Verwaltungen. Schaffung der AntiTerror-Datei, die "erstmals
seit der Nazizeit wieder Erkenntnisse von Polizei und Geheimdiensten
vereint" (Süddeutsche Zeitung 31.3.07). Mittels Hartz IV
werden Millionen Menschen Grundrechte genommen: Arbeitszwang für
unverschuldet arbeitslose Personen. Junge Menschen werden in die
Armee gepresst, sonst droht ihnen Mittellosigkeit. Darauf laufen die
Bundeswehraktionen in den Agenturen für Arbeit hinaus - die z.T.
mit Feldjägern abgesichert werden. Zugleich: Millionen Reservisten
werden in Dateien erfasst und können mir nichts dir nichts
einberufen werden. Besonders Polizisten möchte Schäuble zu
Auslandseinsätzen zwingen - und die Bundeswehr soll
polizeiähnlicher werden. Wie auch die Polizei militärähnlicher
werden soll. Schon sorgt eine internationale Polizeitruppe
marineähnlich für die Sicherung und Kontrolle der EU-Außengrenzen
an den Küsten. Die EU bekämpft damit die Flüchtlinge, die auf das
europäische Territorium gelangen wollen. Wir sehen: Das
Gewaltkonzept des "Krieges gegen den Terror" und der damit
zusammenhängenden Militärdoktrinen richtet sich keineswegs nur
gegen auswärtige "Feinde". ..
Es gibt eine militaristische "community" im Lande, wie
ich sie mal nennen möchte. Vorne weg: Der Reservistenverband. Er
hat laut eigenen Angaben 138 000 Mitglieder, die in etwa 2 500
"Reservistenkameradschaften" gegliedert sind. Insgesamt
werden im Bundesverteidigungsministerium 9,6 Millionen deutsche
Bürger als ehemalige Soldaten (Wehrpflichtige und Berufssoldaten)
geführt; 1,9 Millionen von ihnen haben bisher an Wehrübungen
teilgenommen, können also jederzeit wieder einberufen werden. Ein
Apparat von 500 Hauptamtlichen des Reservistenverbandes wird von der
Bundeswehr bezahlt.
Die Speerspitze der militaristischen
"community"
Nun gibt es einen Aufschwung: Im Rahmen von ZMZ(i) -
Zivilmilitärische Zusammenarbeit im Innern - wurden bis zum Sommer
dieses Jahres unter dem Kommando von schnell mobilisierbaren
5 500 Reserve-Offizieren Tausende Reservisten in Bereitschaft
versetzt. Ausdrücklich heißt es in Bundeswehrpublikationen, diese
Bundeswehreinsätze im Innern dienten nicht nur der Bekämpfung von
Naturkatastrophen und der Hilfe bei Unglücksfällen, sondern auch
dem Kampf gegen den Terrorismus, worunter das Vorgehen gegen die
außerparlamentarische Opposition, zu verstehen ist. Ein Bild in der
"Europäischen Sicherheit" 2/2007 zeigt "Soldaten des
JgBtl 292 bei der Ausbildung gegen Demonstranten"; die
Demonstranten haben Arbeitskleidung an. Entgegen dem Wortlaut von
Artikel 35 GG werden die Anlässe des Einsatzes der Truppe im Innern
"Großschadensereignisse" genannt. Die Reservisten werden
für ihren Einsatz im Innern bezeichnenderweise vor allem an
Feldjägerschulen ausgebildet. Per "Amtshilfe" wird die
Bundeswehr der Polizei beigeordnet. Sie wird entgegen der Verfassung
eingesetzt.
Dieser Entwicklung liegt folgender Plan zugrunde: In den
Struck´schen VPR von 2003 (Verteidigungspolitischen Richtlinien)
steht: "Zum Schutz der Bevölkerung und der lebenswichtigen
Infrastruktur des Landes vor terroristischen und asymmetrischen
Bedrohungen wird die Bundeswehr Kräfte und Mittel entsprechend dem
Risiko bereithalten." Es geht dabei um den "Schutz der
Bürgerinnen und Bürger sowie kritischer Infrastruktur ... durch
die Bundeswehr." "Grundwehrdienstleistende und Reservisten
kommen dabei in ihrer klassischen Rolle, dem Schutz ihres Landes und
ihrer Mitbürgerinnen und Mitbürger, zum Einsatz." (Diese
Formulierungen finden sich auch im Weißbuch 2006 wieder.)
CDU/CSU-Sprecher kommentierten erfreut: Das sei Heimatschutz,
Verteidigung nicht nur am Hindukusch im fernen Gebirge, sondern auch
bei Hindelang in den deutschen Alpen. In einem Papier der CDU/CSU,
abgefasst vom heutigen Parlamentarischen Staatssekretär im
Bundeswehrministerium und ultrarechten Gebirgsjäger Christian
Schmidt nach den Anschlägen in Madrid im März 2004, wird die
Schaffung eines neuen "Organisationsbereichs im
Verteidigungsministerium mit dem Titel ´Landesverteidigung und
Heimatschutz´" angekündigt, dessen Aufgabe der Aufbau von bis
zu 50 vernetzten "Regionalbasen Heimatschutz" mit einer
Stärke von bis zu 500 Soldatinnen und Soldaten in allen größeren
Städten Deutschlands sein soll. Bei einem Einsatz sollen die
betreffenden Regionalbasen durch Reservisten auf eine Stärke von
bis zu 5 000 Soldaten aufgestockt werden können. Die
"Heimatschutztruppe" soll zu 80 Prozent aus
Wehrpflichtigen und zu 20 Prozent aus Berufs- und Zeitsoldaten als
deren Führungspersonal bestehen. Die größte rechtsextreme
Bewegung entsteht somit - ohne große öffentliche Erörterung. In
einer stark verbreiteten Soldatenzeitung, finanziert vom
Verteidigungsministerium, wird geschickt die Verbindung von der
heutigen militaristischen Community zur früheren hergestellt:
"Vor 60 Jahren waren mehr als
18 Millionen Deutsche aus fast allen Familien Angehörige der
Wehrmacht. Sie werden derzeit zunehmend verunglimpft und pauschal
als Verbrecher beschuldigt. Der Einsatz unserer Bundeswehr heute ist
nur zu verantworten, wenn deren Pflichterfüllung von der
Gesellschaft unvoreingenommen mitgetragen wird. Das setzt Fairness
gegenüber der vorigen Soldatengeneration voraus." (loyal
10/99, Reservistenverband)
Das heißt: Geschichtsdiskurse, auch revisionistische, halten die
militaristische Community zusammen. Auch Streitfälle aus der
Geschichte, zum Beispiel Kriegsschuldfragen zum Ersten wie Zweiten
Weltkrieg, werden in den Traditionsverbänden noch immer lebhaft
erörtert. Antifaschismus wird empfunden "als Vehikel
kommunistischer Diktaturen", der "insbesondere in der
stalinistischen Zeit, eine üble Rolle spielte." Und so wird
auch die deutsche Kriegsschuld am Zweiten Weltkrieg vorsichtig
geleugnet. Die Gewerkschaften, einst führend im Kampf gegen die
Notstandsgesetze und gegen die Bundeswehreinsätze im Innern -und
Äußeren-, nehmen sich nur zögernd dieses Themas an. Peter
Strutynski, der Sprecher des Friedensratschlages, hat zum 1.
September den Aufruf des DGB zu diesem Antikriegstag und die
Aktionen der gewerkschaftlichen Basis gewürdigt, zugleich aber
ausgeführt: "Die Bundeswehr aus Afghanistan zurück zu holen,
den Umbau der ursprünglich als reine Verteidigungsarmee
konstruierten Bundeswehr in eine weltweit eingreiffähige
Interventionsarmee zu stoppen, ´Abrüstung statt Sozialabbau´ zu
fordern, die Pläne des Innenministers Schäuble zum Einsatz der
Bundeswehr im Inneren zu bekämpfen - all das sind Forderungen, die
dem DGB auch heute gut zu Gesicht stehen würden."
(Aus einem Vortrag bei einer Veranstaltung von attac und VVN-BdA
Ende September in Minden.)
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