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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

01.10.07

„The Many Faces Of Freedom“ 

Stauffenberg was not the only one who fought Hitler – Von Hanjo Seißler

Oscarpreisträger Florian Henckel von Donnersmarck sagt, der Film ist ein Gottesgeschenk für Deutschland. „Valkyrie“, besetzt mit Tom Cruise und derzeit gedreht in Berlin, wird den Amerikanern zeigen, dass hervorragende Deutsche Hitler widerstanden. Was der Film nicht zeigen wird ist, dass die höchsten Offiziere, die versuchten, den Führer zu töten, kein isoliertes Phänomen waren. Da gab es andere, Untergrundrebellen, Linke, Christen und andere couragierte Leute.

Sie haben ihn umgebracht. Die Nazis. Artur Burmester ist an den Langzeitfolgen dessen, was ihm in der Zeit angetan worden ist, als eine braune Mordbande in Deutschland an der Macht war und über jeden Deutschen Gewalt hatte, gestorben. Langsam gestorben. Burmester, Jahrgang 1915, war im Jahr 1933 (!) – 18 Jahre alt – beim heimlichen Verteilen von Flugblättern gegen das „nationalsozialistische Regime” erwischt worden. „Ohrenzeugen” sagten aus, er habe „über den Führer und seine Kumpane hergezogen”.

Der Hamburger hatte Widerstand gegen ein für ihn „erkennbares Verbrechersystem” geleistet, als die meisten Deutschen diesem „System” zujubelten. Dafür sperrten sie ihn, ohne ihn vor ein Gericht gestellt zu haben, für ein Jahr mit meist auf dem Rücken gefesselten Händen in ein zum Konzentrationslager umfunktioniertes „Zuchthaus”. Nach Beginn des von den Nazis angezettelten Krieges, steckten sie ihn dann „zur Bewährung” in eins der berüchtigten „Strafbataillone 999”. Die waren nur zu einem Zweck aufgestellt worden: Erkannte Gegner des Regimes zu drangsalieren und als „Kanonenfutter” zu verheizen. Burmester hat den Krieg überlebt. Die ihm zugefügten körperlichen und seelischen Wunden indessen haben ihn, zeitlich verzögert, sterben lassen.

Ähnlich erging es Willi Sander (1915-1972). Der war den Nazis und mitlaufenden Nachbarn ebenfalls durch „seine Agitation gegen den Nationalsozialismus” aufgefallen. Die Nazis zwangen ihn in die „Wehrmacht”, wie sie das Militär nannten. Den Vorgesetzten der Männer, die in der Einheit in der Sander landete, die Gewalt inne hatten, wussten, dass sie „Miesmacher” vor sich hatten und behandelten sie entsprechend. Sander hetzten sie tagelang bei sengender Hitze mit einem mit Steinen gefüllten Tornister, wieder und wieder einen Berg hoch bis ihm „die Lunge platzte”. So jedenfalls empfand er es. Einer seiner Lungenflügel blieb, auch weil er nicht medizinisch behandelt wurde, ohne Funktion. Das hat ihn später, viel zu früh, ins Grab gebracht.

Dabei ist das, was den beiden Männern aus linken, pazifistischen Jugendbewegungen, geschah fast noch ein Glück zu nennen: Sie überlebten den staatlich gesteuerten Terror. Anders erging es Helmuth Hübener. Einer „Bekanntmachung” im „Hamburger Anzeiger” konnte die Leserschaft am 27. Oktober 1942 entnehmen: „Der am 11. August 1942 vom Volksgerichtshof wegen Vorbereitung zum Hochverrat und landesverräterischer Feindbegünstigung zum Tod und zum dauernden Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilte 17 Jahre alte Helmut Hübener aus Hamburg ist heute hingerichtet worden. Berlin, den 27. Oktober 1942. Der Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof”

Das „Verbrechen” von Helmuth Hübener, geboren im Januar 1925, Verwaltungslehrling, aktives Glied der Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage (Mormonen), bestand darin, gemeinsam mit seinen Freunden, dem Schlosserlehrling Rudolf Gustav Wobbe (*1924), dem Malergesellen Karl-Heinz Schnibbe (*1924) und dem Verwaltungslehrling Gerhard Heinrich Jacob Jonni Düwer (*1924) „antideutsche Streuzettel” verfasst und bei Nacht und Nebel verteilt zu haben. Hübener hatte im April 1941 angefangen, am Radio die deutschsprachigen Nachrichten des britischen Rundfunks (BBC) abzuhören.

Fortan notierte er sich Meldungen der BBC, um sie später auf der Schreibmaschine seiner Kirchengemeinde mit Durchschlägen abzuschreiben und zu kommentieren. „Nieder mit Hitler – Volksverführer – Volksverderber – Volksverräter” hieß es in seinen Aufrufen. Und: „Durch den uneingeschränkten Luftkrieg wurden bisher mehrere Hunderttausende wehrloser Zivil Personen getötet. Die R.A.F. (Royal Air Force, hjs) ist nicht Schuld an diesem Morden: denn ihre Flüge sind nur die Vergeltung für den mit Warschau und Rotterdam durch die deutsche Luftwaffe eingeleiteten Mord wehrloser Frauen und Kinder, Krüppel und Greise.” Solche und ähnliche, teilweise sehr ausführlich informierende Handzettel brachten der Verwaltungslehrling und „meine Jungs” zwischen April 1941 und Januar 1942 unter die Deutschen. Das hat er mit dem Leben bezahlt. Seine Freunde kamen mit langjährigen Haftstrafen davon.

Die Männer stehen stellvertretend für eine unüberschaubare Zahl anderer namenlos gebliebener Widerstandskämpferinnen und -kämpfer. „Unter den Tausenden Wehrmachtangehörigen, die zwischen 1940 und 1945 wegen ‘Fahnenflucht’, ‘Wehrkraftzersetzung’ uns ‘Selbstverstümmelung’ hingerichtet wurden, waren hunderte junger Menschen. ... Exemplarischen Charakter haben ... Untersuchungen über die Hinrichtungsstätte im Zuchthaus Brandenburg. Hier sind zwischen dem 1.8.1940 und dem 28.8.1944 170 junge Männer zwischen 17 und 25 Jahren wegen dieser ‘Vergehen’ hingerichtet worden.”, heißt es im Vorwort der im Jahre 2003 erschienenen Dokumentation „Jugend unter der NS-Diktatur 1933-1945”. In der werden wenigstens einige der jungen Opfer des deutschen Faschismus – Frauen und Männer aus allen sozialen Schichten, vorwiegend jedoch aus der Arbeiterschaft – beim Namen genannt.

Widerstand leisteten sehr unterschiedliche Menschen und Bewegungen. Sie traten weder einheitlich auf noch handelten sie gemeinschaftlich. Der Widerstand zeigte sich sowohl in Einzelaktionen als auch in professionell vorbereiteten Aktionen. Eine Einzeltat war das Attentat des Schreiners Johann Georg Elser (geboren 1903-1945 im KZ Dachau ermordet) im Münchner Bürgerbräukeller. Es misslang, weil Adolf Hitler, Joseph Goebbels, Joachim Ribbentrop und andere Nazigrößen das Lokal vorzeitig verlassen hatten, bevor eine von Elser gelegte Bombe explodierte.

Es gab nicht nur zu Helden stilisierte, bekannt gewordene Männer. Langsam erkennt die Geschichtsforschung, dass es unter der Zivilbevölkerung viele nie bekannt gewordene Frauen gab, die „menschlich“ handelten und die – unter Einsatz ihres Lebens – der nationalsozialistischen Willkür die Stirn boten. In Deutschland waren indes mit der „Machtergreifung” Hitlers, die Mittel der Verfassung, mit denen er hätte entmachtet werden können, ausgeschaltet worden. Kurz nach der „Machtergreifung” waren in erster Linie kommunistische, sozialdemokratische und andere linke Gruppen aktiv. Sie wurden innerhalb kürzester Zeit durch die Geheime Staatspolizei (Gestapo) und die SS dezimiert. In den folgenden Jahren waren dann vor allem religiös und ethisch motivierte Gruppen und Einzelne aktiv.

Dazu zählten die Geschwister Sophie (*1921, hingerichtet 1943) und Hans Scholl (*1918, hingerichtet 1943) sowie die fast vergessenen Mitglieder ihrer in München und Hamburg arbeitenden Gruppe „Die Weiße Rose”: Margaretha Rothe (*1919, 1945 an TBC im Gefängnis gestorben); Christoph Probst (*1919, 1943 hingerichtet ), Willi Graf (*1918, 1943 hingerichtet), Alexander Schmorell (*1917, hingerichtet 1943) und andere. An den Bischof von Münster, Clemens August Graf von Galen (1878-1946), trauten sich die Machthaber offenbar nicht heran, obwohl der die Hitler-Regierung – anders als die römisch-katholische Kirche – öffentlich des Mordes beschuldigte.

Die evangelische „Bekennende Kirche” war keine Widerstandsbewegung: Sie stellte sich zwar gegen eine Kirchengleichschaltung, jedoch nicht ebenso nachdrücklich gegen den Nationalsozialismus, den viele ihrer Mitglieder bejahten. Einige namhafte Mitglieder der Gruppe, die sich den gleichgeschalteten sogenannten Deutschen Christen entgegenstellte, wie Dietrich Bonhoeffer (* 1906, hingerichtet 1945), Paul Schneider (*1897, 1939 im KZ Buchenwald ermordet), Martin Niemöller (1892-1984), Julius von Jan (1897-1964) und Hermann Stöhr (*1898, hingerichtet 1940) leisteten heftigen passiven und aktiven Widerstand.

Zu einem „Staatsstreich”, der den Staat augenblicks umgewälzt hätte, wäre erst die Organisation um den 20. Juli fähig gewesen. Sie setzte sich allerdings zu einem großen Teil aus Funktionseliten des „Dritten Reichs” zusammen. Und die wiederum hatten das System und die Verfolgung der Arbeiterbewegung mitgetragen solange ein siegreicher Ausgang des Krieges möglich schien.

Nach 1945 diente der Hinweis auf den Widerstand besonders oft jenen, die von 1933 bis 1945 mindestens bei den braunen Machthabern mitgelaufen waren oder sogar aktiv bei ihnen mitgemacht hatten, als Legitimation für von ihnen ins Leben gerufene neue Organisationen und Systeme. So bezog und bezieht sich die Bundeswehr stark auf den 20. Juli 1944. Der „kommunistische Widerstand“ während der NS-Zeit hingegen war eine der Hauptrechtfertigungen für die Existenz der DDR. Das hat dazu geführt, dass die eine oder die andere Form des Widerstandes, jeweils nach geschichtlichem Erinnern, überbetont beziehungsweise ins Abseits geschoben worden ist.

Der Widerstand des Johann Georg Elser und der der „Edelweißpiraten”, verschwanden fast genauso aus dem kollektiven Gedächtnis wie die Tatsache, dass die mit der Internationalen Transportarbeiterföderation (ITF) verbundenen Widerstandsgruppen von Eisenbahnern, Seeleuten und Hafenarbeitern in Deutschland und im Exil alles taten, was in ihrer Macht stand, um das NS-Regime zu schwächen. Die Gewerkschafter Wilhelm Leuschner (*1890, 1944 Tod durch den Strang im Zuchthaus Berlin-Plötzensee) und Jakob Kaiser (1888-1961) und ihr Kreis aus Nazi-Gegnern sind in Sachen Widerstand so wenig präsent wie der „Gewerkschaftliche Freiheitsbund gegen das Hakenkreuz”.

Im Bewusstsein der meisten Deutschen und politisch Denkender sonstwo ist nur der Name des Befehlshabers des Ersatzheeres, Oberst Claus Philipp Maria Schenk Graf von Stauffenberg (*1907, erschossen 1944). Der hatte sich zwar im April 1932 bei der Reichspräsidentenwahl gegen Paul von Hindenburg und für Adolf Hitler ausgesprochen. Und Hitlers Ernennung zum Reichskanzler sogar ausdrücklich begrüßt. Er war überdies an der militärischen Ausbildung der Mitglieder der Sturmabteilung (SA) beteiligt.

Erst anlässlich der Niederlage der Wehrmacht in Stalingrad sei ihm klar geworden, eine Katastrophe sei nur abzuwenden, wenn Hitler beseitigt werde. Deshalb habe er am 20. Juli 1944 das erfolglose Attentat auf den „Führer” ausgeführt. Der damit eingeleitete Versuch eines Staatsstreiches (Operation Walküre) scheiterte noch am selben Tag. Die meisten seiner Mitstreiter sind längst vergessen. Dabei gäbe ihr Leben und Einsatz ebenso wie die von Helmuth Hübener, Willi Sander, Artur Burmester und den vielen anderen namenlosen Widerständler, mit Sicherheit einen spannenden und lehrreichen Film über Zivilcourage ab.

Hanjo Seißler

aus: The Atlantic Times - A Monthly Newspaper from Germany 

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