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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

14.09.07

Konstantin Wecker: "Sag nein" aber wozu?

Gedanken zu Pazifismus und Antifaschismus

Was ist Faschismus? Wie sieht er aus, was macht ihn kenntlich?

Es gibt ihn als gruseligen Mummenschanz in historischen Uniformen, als braune Bewegung auf der Straße, als zu Parteien geronnenen Mob. Mit diesem Faschismus haben wir seit nahezu einem Jahrhundert zu tun. Man kannte und kennt ihn in der italienischen und deutschen Originalausgabe, aber auch als NPD der sechziger und siebziger Jahre, als REPs und DVU in den Achtzigern und Neunzigern, und jetzt wieder als NPD.

Schon die faschistischen Offensiven der westdeutschen Nachkriegszeit waren allesamt gefährlicher, als es hinterher, nachdem viele Mutige die Bestie wieder zurückgeworfen hatten, jeweils aussah. Jeder, der beispielsweise Deutschland Anfang der 90erjahre erlebt hat, wird mir beipflichten, dass es in diesen Jahren der übelsten rassistischen Hetze und reaktionären Mobilmachung durchaus die reelle Gefahr einer faschistischen Massenorganisierung gab. Durch ebenfalls massenhafte antifaschistische Gegenwehr, von der die berühmten Lichterketten nur der spektakulärste Ausdruck waren, konnte diese Welle zurückgeworfen werden. Und als sie abgeebbt war, hieß es dann von denen, die sich an dieser Anstrengung nicht beteiligt hatten, die Nazis wären auch ohne antifaschistische Bewegung nicht weit gekommen, unsereins habe hysterisch übertrieben.

Immerhin, und trotz der nachträglichen Besserwisserei verantwortungsloser Beschwichtiger, hat regelmäßige antifaschistische "Hysterie" über Jahrzehnte hinweg diverse faschistische Anläufe zu Fall bringen können. Als eine Bewegung, deren Ziel und Name lautet, das Gegengift zum Faschismus zu sein, kann der Antifaschismus der deutschen Nachkriegszeit deshalb behaupten, erfolgreich gewesen zu sein: Er hat seine Aufgabe, uns den braunen Mob vom Hals zu halten, wieder und wieder erfüllt,

Bis dato. Schon in dieser Feststellung nämlich lauert eine Gefahr: Die Idee, man könne sich auf diese antifaschistische Gegenwelle verlassen wie auf die Gezeiten, als hätten wir einen Automatismus gepachtet, demzufolge jede faschistische Aufbauphase ihr antifaschistisches Gegenteil hervorbringen müsste. Nein, es ist und war nie ein Automatismus. Auch der Antifaschismus muss organisiert und immer wieder aufs Neue aufgebaut werden.

Halberstadt

Was auch heute schon passieren kann, wenn die antifaschistische Mobilisierung ausbleibt oder auf der Straße und in vielen Köpfen unterliegt, können wir in den vieldiskutierten "national befreiten Zonen" besichtigen wobei der Kampf um die Köpfe bereits bei den Begriffen beginnt, weshalb ich vorschlage von "angstbesetzten" oder "hassverseuchten Zonen" zu sprechen.

Der Vorfall in Halberstadt 2006, als ein Konzert im Rahmen meiner Antifa-Tour mit meinem Liedermacherkollegen Heinz Ratz unter Druck und Drohungen der NPD von örtlichen Behörden kurzerhand abgesagt wurde, ging durch die bundesweite Presse. Er war, günstig in Sommerloch und einen beginnenden Landtagswahlkampf fallend, sogar Gegenstand einer Debatte im Deutschen Bundestag. Ich will deshalb nicht die Details wiederholen und auch darauf verzichten, die Kritik an einzelnen Amtsträgern erneut auszubreiten.

Halberstadt ist noch nicht so weit, dass man von einer effektiven Besatzung durch Nazis sprechen könnte. Aber der Ostharz ist durchaus eine Hochburg der neofaschistischen Organisierung; Kameradschaften treiben ihr Unwesen und die Übergriffe gegen die üblichen Opfergruppen sind Legion. Halberstadt ist eben auch eine schöne, alte Stadt mit Fachwerk und viel mittelalterlich Sehenswürdigern, Bischofsresidenz und für Touristen durchaus ein lohnendes Ziel.

Ich halte mich also im Allgemeinen und sage: Die Mitte der Gesellschaft hat in Halberstadt zumindest bewiesen, dass man als antifaschistischer Künstler nicht darauf zählen kann, von ihr effektive Unterstützung zu erhalten, wenn eine Drohung von Nazis im Raum steht.

Nun könnte ich die Geschichte im Nachhinein aber auch ganz anders berichten. Schließlich gab es am Ende ein Konzert in Halberstadt, ein großes sogar, unterstützt auch von Hannes Wader und Hans Ekhardt Wenzel. Und siehe da: Es hingen Transparente einer örtlichen Brauerei in den Hauptstraßen, die Hannes und mich in der Stadt willkommen hießen. Da gab es ein Grußwort vom Bürgermeister und auch sonst allerhand Freundlichkeiten. Halberstadt ganz anders. Gestern behördlich abgesagt, heute offiziös hofiert was war passiert?

Zweifellos hatte die skandalöse Absage auch das andere, bessere Halberstadt auf den Plan gerufen. Trotzdem sage ich es unumwunden: Ich vermute in vielen Fällen weniger antifaschistische Erkenntnis, als vielmehr Sorge um den örtlichen Tourismus als Grund für die wundersame Wendung der Dinge. Solange die Angst im Vordergrund stand, durch eine Konfrontation mit den heimischen Nazis die beschauliche Kleinstadtidylle zu gefährden, wurde abgesagt. Als die negativen Schlagzeilen aufgrund der Konzertabsage Halberstadt weitaus mehr Schaden zufügten, wurde hofiert, wurden öffentlich "Zeichen gegen rechts" gesetzt.

Diese ziemlich nüchterne Erklärung soll nicht bedeuten, dass ganz Halberstadt voller Nazis steckt. Aber es bestätigt, was die antifaschistische Gruppe ZORA e.V, an die die Einnahmen aus dem Konzert gingen, uns berichtet hat: Es gibt eine kleine, aber wachsende Nazi-Szene, daneben eine schweigende, bequeme Mehrheit; und diejenigen, die sich aktiv und mutig gegen Nazis wehren, stehen weitgehend alleine da. Sie werden von der Mitte der Gesellschaft als die eigentlichen Störenfriede an den Rand gedrängt. Die Aufrechten sind die Unbequemen.

Hoffnung und Verzweiflung

Mit anderen Worten ist, was für die einen eine Frage des Prinzips und des Überlebens ist, für andere den jeweiligen Geschäftsinteressen untergeordnet. Antifaschismus als existenzieller Widerstand hüben und Antifaschismus als eine Frage der konjunkturellen Wetterlage drüben.

Nun will ich hier den bekannten Zusammenhang von Kapitalismus und Faschismus nicht ausführen. Das können andere besser. Ich will eher eine emotionale Ableitung dieser Funktion wagen. Denn bevor der Faschismus als Ideologie in einem Kopf, einer Clique, einer Stadt oder Region greifen kann, muss es eine innere, geistige und gefühlsmäßige Offenheit für den Faschismus geben.

Noch einmal also die Frage: Was ist der Faschismus? Was ist sein emotionaler Gehalt? Dietrich Bonhoeffer hat als eine innere Voraussetzung des Faschismus eine besondere Art der Dummheit beschrieben. Diese besteht gerade nicht in mangelnder Schulbildung, sondern resultiert daraus, dass man innerlich kapituliert und jeden Versuch, eine eigene Meinung und Weltsicht zu entwickeln, aufgegeben hat. In eine ähnliche Richtung argumentiert Leo Trotzki, der in seinen immer wieder lesenswerten Schriften über Deutschland sagt: "Wie der Kommunismus die Bewegung der revolutionären Hoffnung ist, ist der Faschismus die Bewegung der konterrevolutionären Verzweiflung."

So lässt es sich in der Tat beschreiben: Faschismus ist die in Marsch gesetzte kapitalistische Hoffnungslosigkeit. Und was auch immer man nun vom Kommunismus als Begriff, als Tradition, Denkrichtung oder Zukunftsvision halten mag: dass, in Bertolt Brechts Worten, der Schoß, aus dem der Faschismus kroch, immer noch fruchtbar ist, liegt an einem System, das die Frustration seiner Bevölkerung als kollektive Disziplierungsmaßnahme einsetzt und permanent erzeugt. Die gnadenlose Konkurrenz der kapitalistischen Profitmaschine übt einen immerwährenden Druck auf den Einzelnen aus, zum Rädchen der großen, fremden Maschine zu werden eben 'indem er innerlich kapituliert und äußerlich pariert. Wer aber den perfiden Mechanismen der kapitalistischen Frustration nachgibt, wer sich die Raubtiergesetze der Konkurrenz ins Herz prägen lässt, der lässt auch jede Hoffnung auf eine bessere Welt

fahren. Und ein Mensch ohne Hoffnung im Kapitalismus ist zwar nicht automatisch ein Faschist, er kann aber einer werden. Während die intakte Hoffnung auf gemeinsame Lösungen gegen Sündenbockreflexe immunisiert, ist der hoffnungslose Einzelne immer gefährdet. Frust und Hass liegen nahe beieinander, genauso wie Hoffnung und Liebe.

Krieg und Frieden

Pazifismus und Antifaschismus bewegen mich, seit ich politisch denke und agiere. Und diese beiden Themenfelder zu behandeln mit Liedern, Gedichten und Konzerten, aber auch durch Demonstrationen, Kundgebungen und Aufrufe, ergaben sich ja reichlich Gelegenheiten in den vergangenen Jahrzehnten. Und so sind Pazifismus und Antifaschismus wahrscheinlich die einzigen beiden "Ismen", zu denen auch eine gegen drohende Vereinnahmungen stets misstrauische Künstlernatur wie ich jederzeit und aus vollem Herzen sagen konnte: Ja! Da gehöre ich dazu!

Das war nun keine sonderlich originelle politische Prägung meinerseits. "Nie wieder Krieg!" und "Nie wieder Faschismus!" schienen jahrzehntelang eine selbstverständliche Einheit darzustellen. Aus guten historischen Gründen waren diese Parolen eins auf unzähligen Demo-Transparenten, egal ob es gegen Alt- und Neonazis, gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik oder die Stationierung von Atomsprengköpfen ging. Der entsprechende Zusammenhang von Krieg und Faschismus war im Bewusstsein mehrerer deutscher Nachkriegsgenerationen fest verankert, denn die Mobilmachung nach außen hatte der vorherigen Mobilmachung nach innen bedurft, und erst die totale Zerschlagung der Opposition ebnete den Weg für den totalen Krieg.

Dass ich den Zusammenhang zwischen Pazifismus und Antifaschismus in den Mittelpunkt meines Beitrages für dieses Buch stellen möchte, hat viele Gründe. Zunächst den, dass Faschismus und Krieg dieselbe emotionale Voraussetzung haben: die Demoralisierung der Bevölkerung. In erster Linie aber empfinde ich es als eine unerhört gefährliche Entwicklung, dass eines der zentralen Projekte herrschender Politik über Jahrzehnte, die Zerstörung dieser so heilsamen Allianz zwischen Pazifismus und Antifaschismus nämlich, leider erfolgreich war. Die Wiederherstellung und Erneuerung dieser Allianz muss demzufolge eine zentrale, hartnäckig zu betreibende Aufgabe unsererseits sein.

Die Einheit von "Nie wieder Krieg!" und "Nie wieder Faschismus!" auf dem Altar militaristischer "Regierungsfähigkeit" geschlachtet zu haben, war nun nicht das Werk von Neonazis. Das gehört zu den fatalen Errungenschaften der Rot Grünen Koalition. Und nur rechtsgewendeten Sozialdemokraten und machtversessenen Grünen, mit Biermann im Gepäck, konnte die ideologische Modernisierung des deutschen Militarismus auch durchgreifend gelingen. Ein Joschka Fischer, der Krieg zur "realpolitischen pazifistischen Konsequenz" erklärte und Parallelen zwischen dem NATO-Krieg gegen Serbien und dem Spanischen Bürgerkrieg gegen Franco zog, war bereits ein Schauspiel, dessen inhaltliche Verantwortungslosigkeit nur noch von der charakterlichen Verkommenheit des Protagonisten übertroffen wurde. Einem Franzjosef Strauß, Alfred Dregger oder gar einem Franz Schönhuber aber wäre dieses Propaganda-Kunststück schlichtweg unmöglich gewesen. Nur eine Politikergeneration und -richtung, die selbst nicht 'in die Verbrechen des Dritten Reichs verstrickt war, sondern Holocaust Mahnmäler einweiht und "die Anständigen" zum Aufstand gegen Neonazis ruft, konnte daran gehen, Auschwitz zum Argumentationsknüppel gegen die Antikriegsbewegung umzufunktionieren.

Die Rehabilitierung des Militärischen war deshalb einer jener "Tabubrüche", an der sich die Kohl Regierung mit nur mäßigem Erfolg abgearbeitet hatte, bevor SPD und Grüne sich als ideologische Rammböcke im bundesdeutschen Geschichtsbuch verewigten.

Wie ernst es SPD und Grünen dann andererseits mit ihrem antifaschistischen Anstand war, sollte sich ebenfalls erweisen. Das mit Lustlosigkeit und erstaunlichem Dilettantismus betriebene, unter skandalträchtigen Umständen gescheiterte Verbotsverfahren gegen die NPD, an deren faschistischem Charakter kein ernsthafter Beobachter nur den leisesten Zweifel hegen kann, war eine Kardinalsünde dieser Regierung und im Ergebnis eine regelrechte Werbekampagne für die NPD, auf Regierungskosten.

Auch in diesem Fall musste die Verantwortungslosigkeit der politisch Verantwortlichen selbst jene überraschen, die nach den wiederholten Ausfällen Gerhard Schröders und Otto Schilys gegen "kriminelle Ausländer" in den vorangegangenen Wahlkämpfen bereits Schlimmes befürchtet hatten. Auch hier aber sehen wir eine Parallele: Wer Krieg und Frieden für eine Frage der Regierungstaktik hält, wer derartig leichtfertig mit dem Erbe der deutschen Geschichte umspringt, der ist offenbar auch in seinem Antifaschismus eher von PR-Interessen als von Prinzipien geleitet.

"Sag Nein" aber wozu?

Die Situation wird nicht weniger kompliziert durch die Tatsache, dass sich neuerdings auch Neofaschisten als Kriegsgegner gerieren, wenn es gilt, Israel oder die USA zu kritisieren oder mehr außenpolitische Unabhängigkeit Deutschlands einzufordern. Spiegelbildlich und in der Tat: Bei Spiegel und bei Springer, dem Verlag der Bild! hat sich eine Tendenz ehemaliger Linker herausgebildet, deren angeblich antifaschistisch inspirierter Gestus der Verteidigung demokratischer Errungenschaften des Westens als Hintergrundfolie für unverhohlene Kriegshetze und blindwütige Islamophobie dient.

Diese Pulverfässer will ich hier nicht aufmachen, aber feststellen, dass dieses ganze fatale Durcheinander erst dadurch ermöglicht wurde, dass rot grüne Ideologen ihren vermeintlichen Antifaschismus als Kriegsgrund missbrauchten und vor den NATO Wagen spannten. Die hierdurch erzeugte Begriffsverwirrung erlaubt neofaschistischen Ideologen, ihre angebliche Kriegsgegnerschaft von den Lautsprecherwagen zu verkünden, und wirren Kriegstreibern, als "antideutsch" daherzukommen.

Nun sehen NPD Nazis mit Friedenstaube nicht allzu überzeugend aus, und der Hype um die "Anti Deutschen" scheint sich totgelaufen zu haben. Auch der moralische Bankrott der verflossenen Regierungskoalition, versinnbildlicht in der prinzipienlosen Geschäftemacherei ihres Altkanzlers, wird inzwischen weithin anerkannt. All das sollte uns aber nicht unterschätzen lassen, wie weit die Spaltung von "Nie wieder Faschismus!" und "Nie wieder Krieg!<, im Bewusstsein selbst der engagierten Minderheit vorgedrungen ist.

Ich habe da regelmäßigen Anschauungsunterricht auf meinen eigenen Konzerten. Von meinem recht kämpferisch geratenen Lied "Sag Nein!" gibt es nämlich zwei Textversionen. Die eine richtet sich gegen Neofaschismus, die andere gegen Kriegstreiber. Die erste Version habe ich Anfang der 90er angesichts der rassistischen Pogrome und Anschläge von Hoyerswerda bis Solingen geschrieben, die zweite im Zuge des Kosovo Krieges. Beide Versionen schenken sich wenig an Wut und Deutlichkeit der Aussage, und je nach politischer Situation singe ich die eine oder andere Textfassung.

Nun würde ich für die politische Gesinnung meines Publikums mehrheitlich die Hand ins Feuer legen. Nach einigen Jahrzehnten auf der Bühne kennt man auch seine Pappenheimer. Ich weiß ganz einfach, dass sich die Zahl begeisterter Militaristen in meinen Konzerten in sehr überschaubaren Grenzen hält. Und ich bin, in vollem Bewusstsein der mit diesem Wort einhergehenden Polemik, stolz darauf zu wissen, dass es sich bei den allermeisten meiner Konzertbesucher um Leute handelt, die den Titel "Gutmensch" redlich verdienen. Was das Streben um eine bessere, friedliche und gerechte Welt angeht, sind diese Menschen nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung.

Trotzdem stelle ich immer wieder fest, dass sich auch die politisch gefilterte Öffentlichkeit eines Wecker Konzerts mit einem klaren, kompromisslosen Kurs gegen Nazis wesentlich leichter tut, als wenn ich mit der gleichen Deutlichkeit gegen unsere neudeutschen Kriegstreiber ansinge. Während ich mit der Anti Nazi Version von "Sag Nein!" auch und gerade auf dem Höhepunkt der rassistischen Propagandawelle gegen Flüchtlinge mein Publikum geschlossen hinter mir und viele davon auch bei den zahlreichen antifaschistischen Demonstrationen auf den Straßen wusste, ernte ich für die Anti Kriegs-Version bis heute so manches "Ja, aber?" Sogar durfte ich etwa bis zur regierungsamtlichen Ablehnung des Irak Krieges wiederholt die erstaunliche Erfahrung machen, mich in der Kriegsfrage auf meinen eigenen Konzerten 'in der Minderheit zu befinden.

Die offensichtliche Katastrophe der westlichen Kriegsstrategie in Afghanistan und dem Irak und mein beharrlicher, "konzertanter Pazifismus" konnten das Blatt zumindest in diesem Bereich in der Zwischenzeit wenden. Ich habe also in meinen eigenen Konzerten die pazifistische Mehrheit zurück gewonnen. Summa summarum muss man aber schonungslos feststellen, dass zwischen Antifaschisten und Pazifisten heute keine annähernde Deckungsgleichheit mehr besteht. Die Kette zwischen "Nie wieder Krieg!" und "Nie wieder Auschwitz!" wurde effektiv gesprengt und es war die "Neue Mitte", die dafür verantwortlich zeichnete.

Mit Gandhi gegen Hitler?

Allerdings wäre es zu einfach, die Schuld für diese Entwicklung ausschließlich bei denen zu suchen, die hier mit List, Tücke und Moralismus an den Kettengliedern gesägt haben. Die gezielte Verwirrungsstrategie der "Neuen Mitte" konnte nur so weit tragen, weil die Einheit zwischen Pazifismus und Antifaschismus längst porös geworden war. Und besteht hier nicht tatsächlich ein erhebliches Widerspruchspotential?

Immer wieder jedenfalls kocht in Diskussionen über die richtige Strategie gegen Nazis die so genannte "Gewaltfrage" hoch. Es gab schon in der Deutschen Friedensgesellschaft der Weimarer Republik, noch kurz vor der Machtübertragung an Hitler, Konflikte, ob man die Selbstverteidigung der Arbeiterbewegung gegen den Terror der SA als Pazifist gutheißen könne. Ich glaube zwar kaum, dass irgendein Pazifist diese Debatte im Nachhinein, mit dem Wissen um die Verbrechen des Faschismus, noch in dieser Weise führen würde. Aber auch die Ikone der Gewaltlosigkeit, Mahatma Gandhi, fand auf den Umgang mit Hitler keine befriedigende Antwort.

Gandhis Methode der Gewaltlosigkeit mag aus verschiedenen Gründen in Indien funktioniert haben, gegen Hitler und seine Mörderbanden wäre sie dagegen völlig zwecklos gewesen. Die Antifa hat diese Lehre scheinbar sehr inbrünstig verinnerlicht. "Antifa heißt Angriff" ist eine beliebte Parole; auf antifaschistischen Demonstrationen kann man von zumeist schwarz gekleideten Teilnehmern mitunter Sprechchöre hören wie "Für die Freiheit, für das Leben Nazis auf die Fresse geben!" oder auch: "Glatzen klatschen bis sie platzen!" Nun ist mir fraglich, wie viele dieser Rufenden dann auch in der Praxis losziehen, um "Glatzen zu klatschen." Mir scheint in den meisten Fällen eher ein blutleeres Maulheldenturn vorzuliegen, gepaart mit einem politisch verbrämten Hurra-Mechanismus.

Es ist auch nicht so, dass diese Strategie nicht ebenfalls erprobt worden wäre. Hitler selbst hat gesagt, dass nur eines seine Bewegung stoppen hätte können: wenn ihre Gegner deren Charakter begriffen und ihren Kern mit aller Brutalität zerschlagen hätten. Freilich ist einem chronischen Lügner auch in diesem Fall nicht automatisch zu trauen. Aber die Nazis wurden in der Weimarer Republik physisch angegriffen. Der Rotfrontkämpferbund der KPD attackierte die Sturmlokale der SA und lieferte Hitlers Bürgerkriegsarmee eine mutige Abwehrschlacht. Rein militärisch aber war den Nazis, gestärkt durch die heimliche und offene Schützenhilfe der Staatsorgane, nicht beizukommen. Wie es in Karl Retzlaws Buch "Spartakus Aufstieg und Niedergang" heißt: "Die SA schlug härter." Das bedeutet nicht automatisch, dass es falsch war, auch in dieser Form dagegen zu halten. Es ist aber eine Tatsache, dass der Weimarer Straßenkampf gegen die NSDAP in einer kompletten Niederlage endete.

Gleichzeitig ist die Reduzierung der indischen Befreiungsbewegung auf erstens Gandhi und zweitens die Methode der Gewaltlosigkeit eine grobe Verkürzung der historischen Tatsachen. Einmal gab es zur gleichen Zeit auch einen massiven Aufschwung der indischen Gewerkschaftsbewegung, linke Massenparteien und zahlreiche Streikwellen. Außerdem beschränkte sich der Ansatz Gandhis nicht darauf, sich willenlos niederknüppeln zu lassen. Die Bewegung hatte, beispielsweise mit dem Salzmarsch zum Meer, eine ökonomische Dimension, um das Monopol der englischen Kolonialmacht zu unterminieren.

Dazu kam, was die deutsche Linke vielleicht nicht gerne hört oder albern finden wird, eine spirituelle Komponente: der Versuch, sich mit Mantras, Meditation und Gebeten aus dem inneren Gefängnis der

Frustration zu befreien, die massenhafte Erzeugung von Hoffnung, Zukunftsvisionen, von Glauben an die eigene Stärke. Autosuggestion, mag man einwerfen. Nun, ich habe nichts dagegen, sich gegenseitig zu bestärken. Als politischer Künstler versuche ich genau das auf jedem meiner Konzerte. Und ohne positive Schwingungen und gemeinsame Hoffnung verkämen auch die bestgemeinten antifaschistischen Lieder zu leeren Widerstandsposen. Wer von der Hoffnung nichts wissen will, braucht über die Verzweiflung nicht zu schimpfen...

Gemeinsam, aber entschlossen

Da passiert außerdem etwas Neues. Da ist ein Faschismus in ganz anderem Gewand, in neuen Kleidern, mit neuen Codes und Parolen. Er ist noch nicht völlig ausgeformt, man kann ihn erst erahnen, diesen neuen Faschismus. Verorten kann man ihn im Umfeld der Neokonservativen, sein wesentlichstes Kennzeichen ist mit dem Begriff "Sozialrassismus" gut beschrieben. Dieses neue Phänomen zu analysieren und Gegenstrategien zu entwickeln, ist eine eminent wichtige Aufgabe.

Die NPD aber ist derzeit die Sammlungsbewegung der extremen Reaktion. Altbekannte Nazis, rassistische Gewalttäter alles, was militant und reaktionär ist, wird in den Orbit dieser Partei gezogen.

Ich will zusammenfassen, was mir für eine effektive Bekämpfung der NPD wichtig erscheint.

Am Anfang steht der Aufbau einer antifaschistischen Massenbewegung. Das Warten darauf, dass der Staat uns dieses Problem von Halse schafft, ist fatal und illusorisch. Wir müssen es selber tun, uns selbst massenhaft entgegenstellen, wo immer die NPD marschiert.

Zweitens halte ich die "Gewaltfrage" für ziemlich überschätzt. Die Lösung ist an sich einfach: Je mehr Menschen sich dem Gegner stellen, desto weniger Gewalt ist nötig, um Nazis zu stoppen. Wenn eine ganze Stadt aufsteht, kann man auch gewaltfrei jeden Nazi Aufmarsch unmöglich machen. Erst wenn sich viel zu wenige entgegenstellen, rückt die Frage der Gewalt ins Zentrum.

Masse ohne Entschlossenheit aber bringt uns ebenso wenig weiter wie Entschlossenheit ohne Masse. Medienwirksam "Zeichen" zu setzen, fernab der Nazi Aufmärsche, ist nicht gut genug. Man muss sich in den Weg stellen.

Das heißt, drittens: Antifaschistische Gegenwehr braucht Mut - und weil es Mut braucht, ist die emotionale und psychologische Voraussetzung einer antifaschistischen Massenbewegung, dass man ein Gefühl der gemeinsamen Stärke, des unzerstörbaren Zusammenhalts pflegt und schützt.

Dieses Gefühl kann nicht entstehen, wenn die Kultur der antifaschistischen Bewegung sich im Neu Texten von Fußballsprechchören erschöpft. Antifaschismus braucht Mut und Hoffnung, und dafür braucht es eine gute, antifaschistische Kultur.

Schließlich aber wird jede Abwehr von NPD und anderen Nazi-Organisationen nur halbe Arbeit sein, wenn wir die Allianz zwischen Antifaschismus und Pazifismus nicht wiederherstellen. Krieg und Faschismus sind der Januskopf jener Bestie, die unsere Existenz als Menschen bedroht.

Beide müssen gemeinsam bekämpft werden.

Aus: Gebhardt (Hg.): Rosen auf den Weg gestreut, Papyrossa, Köln 2007