09.09.07
Die V-Leute sind nützlich für die NPD und
gefährlich für die Demokratie
Rede der VVN-BdA auf der
Kundgebung gegen den Naziaufmarsch in Bocholt am 08.09.2007
Mit insgesamt rund 1.700 Teilnehmern (Polizeizahl) war die
antifaschistische Gegenkundgebung in Bocholt am 8. 9. 07 gut
besucht. (Die Nazis sollen nur 40 Personen gewesen sein.) Der
Bochumer Historiker Wolfgang Dominik sprach für die VVN-BdA. Er ist
Vorstandsmitglied der Vereinigung der Verfolgten des
Naziregimes-Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten
Kreisvereinigung Bochum.
Der Wortlaut seiner Rede auf einer Veranstaltung von „Bocholt-stellt-sich-quer“
(www.bocholt-stellt-sich-quer.de
zum Thema "NPD-Verbot jetzt":
Während mich der Anruf aus Bocholt erreichte, heute hier im
Auftrag der VVN-BdA NRW einige Worte zu sagen, hatte ich meinen
Bochumer Antifaschistischen Stadtrundgang organisiert von VHS in
Zusammenarbeit mit der VVN-BdA gerade mal wieder in Arbeit.
Ich las gerade in Bochumer Dokumenten: In der Nacht vom 9. zum
10. November 1938 standen, obwohl es Mitternacht war, die Bochumer
BürgerInnen dicht gedrängt in der Bochumer Innenstadt und sahen zu
, wie der aktiv faschistische Teil der Bevölkerung die Synagoge in
Brand steckte. Sie sahen auch ein dramatisches Schauspiel: Weil die
Kuppel der Synagoge nicht recht brennen wollte, wurde eine
Feuerwehrleiter wieder ausgefahren, und ein Feuerwehrmann kletterte
mit einem Kanister Benzin über die Feuerwehrleiter zur Kuppel hoch
und schüttete das Benzin über die Kuppel und steckte es an. Danach
brannte die Synagoge lichterloh. Die Zeitungen meldeten am nächsten
Tag helle Begeisterung der Bochumer Bevölkerung.
Auf einer Stele, die heute in der Nähe des Ortes steht, an dem
bis 1938 die Synagoge stand, steht geschrieben, dass Widerstand aus
der Bevölkerung gegen irgendwelche antisemitischen, aber auch
anderen rassistischen Aktionen z.B. in Bochum gegen Roma und Sinti
nicht bekannt wurden.
Das war 1938.
Was war 1933? Das deutsche Großkapital hatte z.T. schon in den
zwanziger Jahren die faschistische NSDAP gesponsert. Nach einem in
der Wahlgeschichte relativ kurzem Aufstieg von einer sog.
Splitterpartei zur alles beherrschenden Regierungspartei setzten die
Faschisten sofort um, was sie versprochen hatten. Wo blieb der
Widerstand beim Boykott jüdischer Geschäfte am 1.4.1933? Wie war
das eigentlich in Bocholt? Aus Bochum ist von Widerstand nichts
bekannt – jetzt könnte ich fortfahren bis zur „Aktion 3“,
Deutsche verwerten jüdisches Eigentum. Kaum waren die jüdischen
MitbürgerInnen aus ihren Wohnungen vertrieben worden, schon wurde
an sog. reinrassig arische Nachbarn das Eigentum der gerade
Vertriebenen versteigert – alles unter Aufsicht ordentlicher
Bochumer Finanzbeamter.
Je länger die faschistische Propaganda dauert, desto intensiver
werden die Inhalte offensichtlich geglaubt. Oder als Lehre aus der
Geschichte: Je länger die NPD ihre verbrecherischen Parolen unter
dem Deckmantel des Parteienprivilegs mit staatlichen Geldern,
unseren Steuergeldern, verbreiten darf, desto mehr Menschen fallen
auf ihre Propaganda rein.
Warum erzähle ich das?
Ich bin Jahrgang 1944. Ich habe ab ihrer Gründung 1964 bewusst
den Aufstieg der NPD erlebt. Ich habe erlebt, wie von der Seite
veröffentlichter Meinung und von Seiten der jeweiligen Regierungen
und vor allem von Polizei und Gerichten die NPD verharmlost wurde,
wie immer wieder das auch gewalttätige Treiben von NPD-Anhängern
als jugendlicher Übermut oder Alkoholhandlungen gewertet wurden,
wie rechte Verbrechen oft als Dumme-Jungen –Streiche (so hat es
Ralf Giordano mal ausgedrückt) hingestellt wurden. Das war für uns
68er auch nicht verwunderlich: Damals saßen in allen möglichen
Ämtern bis hin zum Bundespräsidenten und Bundeskanzler noch
Ex-Nazis in allen Ämtern. Die ungefähr 770 Richter des
faschistischen Volksgerichtshofs haben nach 1951, als der Artikel
131 des Grundgesetzes faktisch die Wiedereinstellung aller
ehemaligen treuen Diener des faschistischen Staats in den
öffentlichen Dienst ermöglichte, alle wieder ihre Karrieren
fortsetzen dürfen – falls sie nicht sofort nach 1945/46/47 schon
wieder ihren Dienst in den damaligen Westzonen antreten durften. Das
galt genauso für Lehrer und Polizisten, für Geheimdienstler und
etwas später endgültig für die Militärs.
An die faschistische Vergangenheit zu erinnern, galt als
äußerst unfein dem Land, in dem ich groß geworden bin. Das habe
ich in der eigenen Familie, im Verwandtenkreis, von Lehrern und
Hochschullehrern immer wieder bewusst erfahren können.
Die NPD begleitete mich eigentlich immer – bis hin zu
nächtlichen Terroranrufen. Natürlich hat sich da keiner mit NPD
gemeldet, sondern nur mit „Hier spricht Adolf Hitler und du bist
auch bald tot“ und ein paar wüster Beschimpfungen. Wer genau
dahinter steckte , wurde natürlich von der Polizei nie aufgeklärt.
Der zuständige Polizeikommissar riet mir, auf eigene Kosten eine
Fangschaltung zu installieren und vor allem nach Anbruch der
Dunkelheit besonders aufzupassen. Das war alles.
Anfang 2001 wurde ein Verbotsantrag von Bundesregierung,
Bundestag und Bundesrat beim Bundesverfassungsgericht gegen die NPD
eingereicht. Hintergrund waren Aufsehen erregende Gewalttaten und
vor allem ein Anschlag auf russische Juden in Düsseldorf und ein
Brandanschlag auf die Synagoge in Düsseldorf wenige später. Das,
was vorher so klar nur z.B. von der VVN-BdA gesagt wurde, „Faschismus
ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“, wurde faktisch die
Anschauung eines Teils der sog. rot-grünen Regierungskoalition.
Organisierter Antisemitismus, organisierter Rassismus, organisierte
Aufstachelung zu Hass und Gewalt gegen Minderheiten müssen verboten
werden.
Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen! Aber: Bis dahin war die
NPD eher in den Berichten des Verfassungsschutzes verharmlost
worden! Jetzt sandte die Regierung also an alle Ämter den Auftrag,
schnell belastendes Material zusammen zu suchen, um ein Verbot
unterfüttern zu können. Dazu hätte man 40 Jahre lang Zeit
gehabt!!
Im Laufe des Verfahrens kamen dann immer mehr Details über die
Zusammenarbeit von NPD und Verfassungsschutzämtern raus. Etwa 30
der 200 NPD-Vorstandsmitglieder waren Geheimdienstler, das Peinliche
war nur, dass sie – nach Rolf Gössner – an Brandstiftung,
Totschlag, Mordaufrufen, Waffenhandel, Gründung einer
terroristischen Vereinigung direkt beteiligt waren. (Seit vorgestern
kann man gerade wieder in den Zeitungen lesen, dass ein
schwerkrimineller V-Mann des Verfassungsschutzes NRW aufgeflogen ist
und 12 weitere V-Männer in Dortmund und Ostwestfalen enttarnt
worden sind.) Die kriminellen Karrieren zahlreicher
Verfassungsschützer hatten die Verfassungsschützer zum Teil des
NPD-Problems gemacht und nicht ansatzweise zur Lösung des Problems
beigetragen.
Im März 2003 wurde der NPD-Verbotsprozess eingestellt.
Die Konsequenz heute heißt eindeutig: V-Leute in der NPD sind
nicht nur nutzlos, sondern auch schwer gefährlich.
UnionspolitikerInnen und sog. ExpertInnen aus dem
Schäuble-Ministerium warnen vor dem Risiko eines neuen
Verbotsantrages, weil man ja dann die Geheimdienstler vorher
abziehen müsse. Und ohne Geheimdienstler gäbe es ja keine
Informationen aus den Führungsetagen der NPD. Ich mache hier
keinerlei Parteipolitik, muss aber doch erwähnen, dass allein „Die
Linke“ im Bundestag fragt, welche Informationen jemals von
Verfassungsschützern gekommen sind? Jede Frau und jeder Mann hier,
der lesen und hören kann, kann in der Parteipresse nachlesen, dass
dort Rassismus, Antisemitismus und Aufrufe zu Gewalttaten
öffentlich gepredigt werden! Jede Antifa-Gruppe hat auf lokaler
Ebene mehr Informationen gesammelt als die Polizei und die
Geheimdienste! Jede(r) , die (der) Nazi-Musik hört, hört die
Aufrufe zu Verbrechen. Jeder, der die Neofaschisten-Seiten im
Internet aufruft, weiß über alles Bescheid! Dazu braucht man keine
Geheimdienste!
Die Geheimdienste haben je nach Regierungsauftrag über die NPD
oft genug nur Oberflächlichkeiten, Halbwahrheiten und Ignoranz
verbreitet und meist zur Verharmlosung der neofaschistischen Szene
beigetragen. Geheimdienstler haben oft Desinformationen verbreitet
und dafür noch viel Steuergeld erhalten, das wohl dann auch wieder
der NPD zu gute kommt. Manche ExpertInnen haben schon gefragt, ob
nicht die Geheimdienste die Hauptsponsoren der NPD sind, ohne die
die NPD pleite wäre.
Ich muss noch einmal „Die Linke“ erwähnen: Sie hat
vorgeschlagen, unabhängige NPD- und Neo-Nazi-Beobachtungsstellen
einzurichten mit den finanziellen Mitteln, die jetzt die
Geheimdienstler in der NPD verschlingen. Der entsprechende Antrag
wurde im Bundestag allerdings abgelehnt: Das Geld, unsere
Steuergelder, bekommt weiterhin der Verfassungsschutz, dessen
Treiben in der NPD unkontrollierbar geworden ist – wie der 1.
Verbotsprozess deutlich gezeigt hat.
Wir in der VVN-BdA haben immer und immer wieder den Artikel 139
des Grundgesetzes hervorgehoben – und das seit 1964. Der Artikel
139 des GG heißt „Befreiungsgesetz“ und beinhaltete, dass alle
Rechtsvorschriften der Alliierten zur „Befreiung des deutschen
Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus“ Bestandteil des
GG sind. Danach sind neofaschistische Parteien und Organisationen
verboten. Ihre Gründung, die Verbreitung ihrer Ideologien usw. sind
unter Strafe zu stellen.
Als Mitglied der VVN-BdA meine ich also, dass die NPD verboten
werden muss. Ich weiß allerdings als Historiker, Soziologe und
Psychologe, dass damit nicht die neofaschistische Gefahr beseitigt
ist und plötzlich alle Neo-Nazis lammfromme Demokraten werden.
Aber ein neuer Verbotsantrag oder sogar ein Verbot kann
politische Zeichen setzen. Ich zähle einige auf:
- Ein Verbot würde der NPD das Parteienprivileg entziehen, d.h.
die NPD könnte die Möglichkeit zur Mitwirkung bei der
politischen Willensbildung, die sie bisher für ihre
menschenverachtende Politik und rassistische Propaganda nutzen
kann, nicht mehr in Anspruch nehmen. Z.B. habe ich jahrelang mit
einem NPD-Funktionär in einem Lehrerkollegium zusammen arbeiten
müssen. Dieser NPD-Funktionär unterrichtete auch Geschichte.
Bis zur seiner Pensionierung konnte der den Faschismus sehr viel
anders als z.B. ich darstellen! Aber die NPD war eine
ordentliche Partei! Einem NPD-Lehrer fuhr man deshalb nicht „an
die Karre“. Oder: Die Schulkonferenz einer
Erwachsenenbildungsstätte in Dortmund hatte 1990 beschlossen,
einzuladen (!) zur Teilnahme an einer Veranstaltung der „Gesellschaft
für Christlich-jüdische Zusammenarbeit“ zum Thema: “ Was
tun...? Der Schoß ist fruchtbar noch – Rechtsextremismus und
Schulen.“ Es ging um die Republikaner damals, die in manchen
Dortmunder Wahlbezirken zweistellige Wählerzahlen erhielten!
Der Regierungspräsident in Arnsberg hat diese Einladung, selbst
die Einladung zu einer Veranstaltung am Wochenende, als nicht in
der Schulzeit, verboten, weil erwachsene Studierende zu einer
Parteinahme gegen die Republikaner verführt werden könnten –
das ist mit der politischen Neutralität der Schule unvereinbar!
Im Prinzip ging es da auch um das Parteienprivileg.
- Jede NPD-Versammlung, Demonstration und ähnliches wäre eine
Straftat und könnte geahndet werden. Dann würden die NPDler,
die jetzt am Bocholter Bahnhof im Schutz des Parteienprivilegs
reden und demonstrieren, alle erst mal in den Knast
gesteckt!
- M.E. ganz wichtig: Die Partei NPD bekommt viele Millionen aus
dem Steuertopf als Wahlkampfkosten erstattet. Diese Millionen
würden zur Verbreitung ihrer Propaganda schon mal fehlen. Und
damit der finanziellen Stabilisierung des neofaschistischen
Spektrums zumindest einen gehörigen Schlag versetzen.
- Das Vermögen der Partei würde gemeinnützigen Organisationen
zu gute kommen: Ich könnte mir das Geld bei der VVN-BdA gut
angelegt vorstellen! (Aber das Bocholter Bündnis
Bocholt-stellt-sich-quer soll natürlich auch berücksichtigt
werden!).
- In manchen Bundesländern sitzt die NPD in Landtagen und
anderen Gremien, bekommt staatlich finanzierte
Landtagsabgeordnete, Wahlkreisbüros, Referenten und sonstige
Gelder. Das widerspricht jeder antifaschistischen Arbeit.
- Eine dauernde verfassungswidrige Verletzung der Verfassung
sowohl der Länder als des Bundes würde durch ein Verbot
beendet.
- Die neofaschistischen Strukturen würden also insgesamt
geschwächt, z.T. auch zerstört.
- Selbstverständlich müsste das alles begleitet werden durch
eine intensive Aufklärung über den Faschismus, durch
sozial-ökonomische Programme vor allem auch für die Regionen,
in denen eine Faschisierung jetzt schon auf vollen Touren
läuft.
Das ist nicht die Lösung des Problems. Alle hier wissen, dass
eine mörderische sozialdarwinistische neoliberale globalisierte
kapitalistische Wirtschaft dafür sorgt, dass Menschen in aller Welt
in Armut, Angst und Verzweiflung gestürzt werden. Neofaschistische
Heilsprediger der NPD z.B. können dann, wir kennen das historische
deutsche Beispiel, den Faschismus als Lösung propagieren.
Als Antifaschisten müssen wir uns – so denke ich – spreche
damit aber nicht für alle in der VVN-BdA, immer um alternative
wirtschaftliche Lösungen bemühen. Auch unter kapitalistischen
Bedingungen sind z.B. ein Stopp des Sozialraubs, sinnvolle
Beschäftigungsverhältnisse, Senkung der Rüstungs- und
Kriegskosten, denkbar. Allein für die Bundeswehr in Afghanistan
werden täglich 1,5 Millionen Euro ausgegeben! Ich könnte mir als
Antifaschist und Anti-Militarist das Geld besser angelegt
vorstellen. Es sind meine Steuergelder und eure hier natürlich
auch!
Aber: Der Kapitalismus und in seinem Gefolge Krieg nach außen
und Krieg nach innen kann nicht das Ende der Geschichte sein. Max
Horkheimer hat in einem berühmten Aufsatz von 1938 gesagt, dass
der, der vom Faschismus spricht und den Kapitalismus als Ursache
verschweigt, auch nicht über den Faschismus reden sollte.
Ich danke Ihnen und übermittle der heutigen Demonstration auch
die Grüße der VVN-BdA NRW.
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