03.09.07
Das "historische Gedächtnis" der
Verfassung wieder aktivieren
In Guntersblum und Mügeln wurde
die "deutsche Ausländerpolitik" von der „Volksgemeinschaft"
in die eigenen Hände genommen
Von Ulrich Sander (VVN-BdA-Bundessprecher)
Strategisches Ziel des deutschen Neofaschismus ist die
völkisch-rassistische Erhebung, ausgelöst durch lokale Aufstände.
Diese flackerten in Ansätzen in den letzten beiden Wochen wieder
mal auf, so in Mügeln/Sachsen und Guntersblum/Rheinland-Pfalz. Dazu
kamen gewalttätige Ausschreitungen in Bützow/
Mecklenburg-Vorpommern.
Es gibt einen fremdenfeindlichen Konsens im Lande – und der
reicht von den Nazis bis zur „Mitte“. So stellte die „Süddeutsche
Zeitung“ am 24. August zu Mügeln fest: „Merkt denn keiner, wie
furchtbar das Argument ist,“ mit dem sie nun alle von Thierse und
Milbradt bis zu den Arbeitgeberverbänden kommen, man fürchte um
die „Attraktivität des ‚Wirtschaftsstandorts Deutschland’“.
Es spreche aus diesem Satz die "pädagogische" Absicht :„Seht
ihr denn nicht, dass ihr der Nation schadet, die ihr angeblich so
liebt.“
Die „ Süddeutsche“ trifft noch weitere kluge Feststellungen:
„Jemand, der, wie Georg Milbradt, erst einmal ermitteln lassen
will, ob sich hinter dem exklusiven Verprügeln von acht Indern
durch fünfzig Deutsche rassistische Motive verbergen, bevor er
dieses Unternehmen tatsächlich für praktizierten Rassismus hält,
wird es in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus nicht
weit bringen.“ Da fragt man sich, so das Blatt: „Das Furchtbare
an solchen Überfällen bestehe also darin, dass hier ein paar
Dutzend Betrunkene die deutsche Ausländerpolitik in die eigenen
Hände genommen und ihrem privaten Rassismus freien Lauf gelassen
haben?“
Auch der Mügelner Bürgermeister meinte, „Ausländer raus“,
das rutsche doch jedem mal so raus. Und „Ausländer raus“ ist
– nach höchstem Gerichtsurteil – auch wirklich nicht
volksverhetzend. Die Nazis brüllen schon lange „Ausländer raus“,
- die Etablierten brüllen nicht. Sie ließen sich - wie der
CDU-Landeschef Jürgen Rüttgers - landesweit auf Plakaten der Reps
im Sinne der Reinhaltung des deutschen Blutes zitieren: „Kinder
statt Inder.“ Nun wurden die Inder gejagt - von den deutschen
blonden Kindern.
Schon im Mai 1988 hatte ein Sprecher der VVN-BdA eine
Strafanzeige gegen die Volksverhetzung seitens zweier Nazis aus
Nordrhein-Westfalen eingereicht. Von der Staatsanwaltschaft Dortmund
kam unter 31 Js 103/88 die Antwort: „Die Beschuldigten haben sich
durch das von Ihnen beigefügte Flugblatt nicht der Volksverhetzung
schuldig gemacht. Entsprechend der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofes vom 14. 03. 1984 erfüllt die Parole ‘Ausländer
raus’ nicht den Tatbestand der Volksverhetzung, so dass trotz des
ausländerfeindlichen Inhalts des Flugblattes eine Straftat nicht
festgestellt werden kann.“
Von höchsten Richtern und Politikern ermuntert, belassen es die
Nazis nicht bei Flugblättern, um „Ausländer raus“ Nachdruck zu
verschaffen. Seit Jahren greifen sie auch zum Terror. Wie jetzt
wieder auf "Volksfesten". Und wenn dann gesagt wird: Aber
wir haben in Mügeln gar keine rechte Szene, so macht es die Sache
nur noch schlimmer. Das hieße ja: Die Saat, die von Nazis gelegt
und von der Mitte gedüngt wurde, sie ging auf.
Für den Bundesgerichtshof ist „Ausländer raus“ keine
Volksverhetzung. Für das Bundesverfassungsgericht, stellen
Aufmärsche, bei denen derartiges gerufen wird, nur die Verbreitung
von „missliebigen“ Meinungen dar. Das Verharmlosen wird zum
Hauptprogrammpunkt der Politik und Justiz. Doch es gibt auch
bürgerlichen Widerspruch seitens hoher Richter und nun –
angesichts der von hohen Politikern aufgegriffenen Forderung nach
NPD-Verbot – auch „in der Politik“. Das höchste
Verwaltungsgericht von Nordrhein-Westfalen, das
Oberverwaltungsgericht Münster, hat immer wieder betont und sich
auch im Streit mit dem Bundesverfassungsgericht nicht davon
abbringen lassen: „Eine rechtsextremistische Ideologie lässt sich
auch nicht mit den Mitteln des Demonstrationsrechts legitimieren.“
(Beschluss OVG NRW, Az 5 B B 585/01).
In dem Urteil heißt es: „Vor dem Hintergrund der jüngeren
deutschen Geschichte werden durch das öffentliche Auftreten von
neonazistischen Gruppierungen und das Verbreiten entsprechenden
Gedankenguts grundlegende soziale und ethische Anschauungen einer
Vielzahl von Menschen - zumal der in Deutschland lebenden
ausländischen und jüdischen Mitbürger - in erheblicher Weise
verletzt. (...) Entgegen der Auffassung des
Bundesverfassungsgerichts geht es bei dem Gedankengut von Neonazis -
hier: der NPD - jedoch nicht um eine lediglich ‚politisch
missliebige Meinung’, sondern um Anschauungen, denen das
Grundgesetz selbst eine klare Absage erteilt hat. Rassismus,
Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit - und dafür steht die
NPD - sind nicht irgendwelche unliebsamen, politisch unerwünschten
Anschauungen, sondern solche, die mit grundgesetzlichen
Wertvorstellungen schlechterdings unvereinbar sind. Der Ausschluss
gerade dieses Gedankenguts aus dem demokratischen
Willensbildungsprozess ist ein aus der historisch bedingten
Werteordnung des Grundgesetzes ableitbarer Verfassungsbelang. (...)
Dieses historische Gedächtnis der Verfassung, das in der
ausdrücklichen Erwähnung der zur Befreiung vom Nationalsozialismus
und Militarismus erlassenen Rechtsvorschriften in Art. 139 GG seinen
weiteren verfassungsrechtlichen Niederschlag gefunden hat, wird
übergangen, wenn man das öffentliche Eintreten für
nationalsozialistisches Gedankengut als politisch unerwünscht und
missliebig bagatellisiert und wie jede andere Meinungsäußerung als
Ausübung eines für die Demokratie konstituierenden Freiheitsrechts
einstuft.“ Im weiteren Text des Urteils bekennt sich das Gericht
aus Münster zu den Verbotsgründen aus dem ersten Verbotsverfahren
gegen die NPD. Es gilt, diesen Text all jenen zu zeigen, die meinen,
es lasse sich juristisch und politisch nichts wirksames gegen die
Nazis ausrichten. Es muss nur gewollt werden! Es muss auch der neue
Paragraph 130 StGB angewendet werden, nachdem schwer bestraft wird,
„wer öffentlich oder in einer Versammlung den öffentlichen
Frieden in einer Weise dadurch stört, dass er die
nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt,
verherrlicht oder rechtfertigt.“ Nach Lage der Dinge ist eine
justizförmige Handlungsweise gegen die Nazis durchaus zielführend.
Aber sie kommt nicht von allein – es bedarf zum Beispiel Tausender
Unterschriften zur VVN-BdA-Aktion „NoNPD“ und es bedarf der
Wachsamkeit der Nazigegner im Lande, damit ein Verbot auch wirklich
durchgesetzt wird und nicht so verfahren wird, wie beim FAP-Verbot,
dem so viele „Kameradschaften“ nachfolgten, gut geschützt vom
V-Leute-System des Verfassungsschutzes. Auch dieses V-Leute-System
muss verschwinden.
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