26.08.07
Oberstes Verwaltungsgericht
NRW:
Nazis nicht durch Grundgesetz legitimiert
Das höchste Verwaltungsgericht von Nordrhein-Westfalen, das
Oberverwaltungsgericht Münster, hat immer wieder betont und sich
auch im Streit mit dem Bundesverfassungsgericht nicht davon
abbringen lassen: „Eine rechtsextremistische Ideologie lässt sich
auch nicht mit den Mitteln des Demonstrationsrechts legitimieren.“
(Beschluss OVG NRW, Az 5 B B 585/01).
Oft wurde die VVN-BdA nach dem Wortlaut des Urteils gegen die
Neonazis gefragt. Hier ist er.
5 B 585/01
14 L 830/01 Gelsenkirchen
B e s c h l u s s
In dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren
wegen Versammlungsrechts
hier: Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes
hat der 5. Senat des
OBERVERWALTUNGSGERICHTS FÜR DAS LAND NORDRHEIN-WESTFALEN
am 30. April 2001
durch
den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Dr. B e r t r a m s
,
den Richter am Oberverwaltungsgericht J a e n e c k e ,
den Richter am Oberverwaltungsgericht F r e n z e n
beschlossen:
Die Beschwerde wird zugelassen.
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 30. April
2001 wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.
Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihres
Widerspruchs vom 23. April 2001 gegen die Verfügung des
Antragsgegners vom 3. April 2001 wiederherzustellen, wird in vollem
Umfang abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden
Instanzen.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 8.000,-- DM
festgesetzt.
Der Beschluss soll den Beteiligten vorab per Fax bekannt gegeben
werden.
G r ü n d e :
Der Antrag des Antragsgegners auf Zulassung der Beschwerde hat
Erfolg.
Die Beschwerde ist zuzulassen, weil die Rechtssache besondere
tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten aufweist (§ 146 Abs. 4
i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und grundsätzliche Bedeutung hat
(§ 146 Abs. 4 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
Die zugelassene Beschwerde ist begründet.
Der Antrag der Antragstellerin,
die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs vom 23. April 2001
gegen die Verfügung des Antragsgegners vom 3. April 2001 insoweit
wiederherzustellen, als die für den 1. Mai 2001 angemeldete
Versammlung verboten worden ist,
ist unbegründet.
Der Antragsgegner hat die von der Antragstellerin für den 1. Mai
2001 angemeldete Versammlung wegen unmittelbarer Gefährdung der
öffentlichen Ordnung gemäß § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes
(VersammlG) zu Recht verboten.
Nach der Rechtsprechung des Senats lässt sich eine
rechtsextremistische Ideologie wie der Nationalsozialismus unter dem
Grundgesetz nicht - auch nicht mit den Mitteln des
Demonstrationsrechts - legitimieren; bei der Auslegung des
Grundrechts der Demonstrationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1, 8 Abs. 1 GG)
ist dieser verfassungsimmanenten Beschränkung auch unterhalb der
Schwelle strafrechtlicher und verfassungsgerichtlicher Verbots- und
Verwirkungsentscheidungen Rechnung zu tragen, so dass Versammlungen,
die durch ein Bekenntnis zum Nationalsozialismus geprägt sind,
wegen Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung gemäß § 15 Abs. 1
des Versammlungsgesetzes (VersammlG) verboten werden können.
OVG NRW, Beschlüsse vom 23. März 2001 - 5 B 395/01 - und vom
12. April 2001 - 5 B 492/01 -
Diese Rechtsprechung hat die 1. Kammer des Ersten Senats des
Bundesverfassungsgerichts durch Beschlüsse vom 24. März 2001 - 1
BvQ 13/01 - und vom 12. April 2001 - 1 BvQ 19/01 - sowie 1 BvQ 20/01
- im Wesentlichen mit der Begründung verworfen, die vom
beschließenden Senat bejahten verfassungsimmanenten Schranken gebe
es nicht. Eine Grenze der Meinungsäußerung bildeten gemäß Art. 5
Abs. 2 GG die Strafgesetze, die zum Rechtsgüterschutz ausnahmsweise
bestimmte geäußerte Inhalte untersagten. Daneben kämen
zusätzliche verfassungsimmanente Grenzen der Inhalte von
Meinungsäußerungen entgegen der Auffassung des beschließenden
Senats nicht zum Tragen. Eine Äußerung aber, die nach Art. 5 Abs.
2 GG nicht unterbunden werden dürfe, könne auch nicht Anlass für
versammlungsbeschränkende Maßnahmen nach Art. 8 Abs. 2 GG
sein.
Nach dieser Bewertung des Bundesverfassungsgerichts fallen
grundsätzlich auch das öffentliche Auftreten neonazistischer
Gruppierungen und die Verbreitung nationalsozialistischen
Gedankengutes in öffentlichen Versammlungen und Aufzügen, soweit
sie die Strafbarkeitsschwelle nicht überschreiten, unter den Schutz
des Grundgesetzes.
Der beschließende Senat teilt diese Auffassung nicht und hält
die mit ihr verbundenen Konsequenzen für problematisch. Vor dem
Hintergrund der jüngeren deutschen Geschichte werden durch das
öffentliche Auftreten von neonazistischen Gruppierungen und das
Verbreiten entsprechenden Gedankenguts grundlegende soziale und
ethische Anschauungen einer Vielzahl von Menschen - zumal der in
Deutschland lebenden ausländischen und jüdischen Mitbürger - in
erheblicher Weise verletzt. Dieser Befund gilt nicht nur an Tagen
mit gewichtiger Symbolkraft und "spezifischer
Provokationswirkung" wie dem Holocaust-Gedenktag, sondern an
jedem Tag des Jahres. Dies ist ein wesentlicher Aspekt der
Verfassungswirklichkeit im wiedervereinten Deutschland, den es bei
der Auslegung und Anwendung der hier in Rede stehenden Normen zu
berücksichtigen gilt. Der Hinweis der 1. Kammer des Ersten Senats
des Bundesverfassungsgerichts im Beschluss vom 24. März 2001 (a.a.O.)
auf die vom Grundgesetz getroffenen Vorkehrungen der Gefahrenabwehr
als Ausdruck einer wehrhaften und streitbaren Demokratie trägt dem
nicht hinreichend Rechnung. Die in Art. 9 Abs. 2, Art. 18, Art. 21
Abs. 2 GG enthaltenen Regelungen dienen zwar auch dem Ziel, ein
Wiederaufleben des Nationalsozialismus zu verhindern. Angesichts der
nahezu unüberwindbaren Hürden, die das Bundesverfassungsgericht
insoweit aufgestellt hat, können jene Vorkehrungen in der
Verfassungswirklichkeit jedoch nur in den seltensten Fällen ihre
Schutzwirkung entfalten. Sie erweisen sich jedenfalls als
ungeeignet, die mit dem Auftreten von neonazistischen Gruppierungen
verbundenen - hier in Rede stehenden - Verletzungen grundlegender
sozialer und ethischer Anschauungen einer Vielzahl von Menschen zu
verhindern.
Der beschließende Senat verkennt nicht, dass durch das
Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) auch und gerade die
"politisch missliebige Meinung" geschützt wird. Entgegen
der Auffassung der 1. Kammer des Ersten Senats des
Bundesverfassungsgerichts geht es bei dem Gedankengut von Neonazis -
hier: der NPD - jedoch nicht um eine lediglich "politisch
missliebige Meinung", sondern um Anschauungen, denen das
Grundgesetz selbst eine klare Absage erteilt hat. Rassismus,
Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit - und dafür steht die
NPD - sind nicht irgendwelche unliebsamen, politisch unerwünschten
Anschauungen, sondern solche, die mit grundgesetzlichen
Wertvorstellungen schlechterdings unvereinbar sind. Der Ausschluss
gerade dieses Gedankenguts aus dem demokratischen
Willensbildungsprozess ist ein aus der historisch bedingten
Werteordnung des Grundgesetzes ableitbarer Verfassungsbelang, der
geeignet ist, die Freiheit der Meinungsäußerung, bezogen und
beschränkt auf dieses Gedankengut, auch jenseits
verfassungsrechtlicher Verbots- und Verwirkungsentscheidungen nach
Art. 21 Abs. 2, 18 Satz 2 GG inhaltlich zu begrenzen.
Vgl. dazu ausführlich OVG NRW, Beschluss vom 24. März 2001 - 5
B 492/01 -.
Dieses historische Gedächtnis der Verfassung, das in der
ausdrücklichen Erwähnung der zur Befreiung vom Nationalsozialismus
und Militarismus erlassenen Rechtsvorschriften in Art. 139 GG seinen
weiteren verfassungsrechtlichen Niederschlag gefunden hat,
vgl. dazu ausführlich Battis/Grigoleit, NVwZ 2001, 121, 124
f.,
wird übergangen, wenn man das öffentliche Eintreten für
nationalsozialistisches Gedankengut als politisch unerwünscht und
missliebig bagatellisiert und wie jede andere Meinungsäußerung als
Ausübung eines für die Demokratie konstituierenden Freiheitsrechts
einstuft.
In diesem Sinne aber: BVerfG, Beschluss vom 24. März 2001 - 1
BvQ 13/01 -.
Der weiteren Frage, ob es sich beim 1. Mai 2001 um ein Datum mit
gewichtiger Symbolkraft und einer "spezifischen
Provokationswirkung" handelt, kann danach dahingestellt
bleiben. Die grundgesetzliche Werteordnung gilt nicht nur an
Gedenktagen mit gewichtiger Symbolkraft oder "spezifischer
Provokationswirkung", sondern an jedem Tag des Jahres.
Überdies ist der 1. Kammer des Ersten Senats des
Bundesverfassungsgerichts in diesem Zusammenhang entgegenzuhalten,
dass sie in Widerspruch zu ihrer sonstigen Rechtsprechung an
derartigen Symboltagen der Sache nach auf eine konkrete
Gefahrenprognose verzichtet.
Vgl. die Ausführungen im Beschluss des BVerfG vom 26. Januar
2001 - 1 BvQ 9/01 - zum Holocaust-Gedenktag, bei dem bereits das
Auftreten einer Gruppierung aus dem Umfeld der sog. freien
Kameradschaften unabhängig von der Äußerung bestimmter Meinungen
als nicht zulässig erachtet wurde.
Hinzu kommt, dass der in einer späteren verfassungsgerichtlichen
Entscheidung geprägte Begriff der "spezifischen
Provokationswirkung"
vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. April 2001 - 1 BvQ 19/01 -,
einen aus der Werteordnung des Grundgesetzes ableitbaren
verfassungsrechtlichen Bezug nicht erkennen lässt.
Nach dem übereinstimmenden Votum der Verfassungsorgane
Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung, deren Einschätzung der
beschließende Senat folgt, nimmt die Antragstellerin eine
aktivkämpferische, aggressive Grundhaltung ein, mit der sie die
freiheitlich demokratische Grundordnung des Grundgesetzes
überwinden will. Sie ist mitverantwortlich für ein geistiges
Klima, das den Boden für gewaltsame Übergriffe von
Rechtsextremisten auf Ausländer sowie andere Minderheiten in
Deutschland schafft. Mit diesen Zielen wird die Partei in der
Öffentlichkeit ohne Weiteres identifiziert. Dies wäre auch bei der
für den 1. Mai geplanten Veranstaltung der Fall.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1
Satz 2, 14 Abs. 1 und 3 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs.
3 Satz 2 GKG).
Dr. Bertrams
Jaenecke
Frenzen
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