06.08.07
Je mehr Not - desto mehr Notstand oder:
Der Staatsumbau seit 1990
Von Hedwig Krimmer, Gewerkschaftssekretärin, Mitglied des von
ver.di initiierten Einladerkreises "Rettet die Grundrechte -
gegen den Notstand der Republik", München.
Fast täglich finden wir inzwischen in den Zeitungen Meldungen,
die auf eine Ausweitung der Macht der Exekutive und des Militärs
zulasten der Bürger und der Parlamente hinweisen. Nehmen wir z.B.
die Süddeutsche Zeitung vom 4. Juli 2007, so finden wir zwei
Schlagzeilen:
- Der Armee-Einsatz in Heiligendamm - Tornados und Spähpanzer
wurden bei den Demonstrationen gegen den G 8-Gipfel eingesetzt.
- Das Bundesverfassungsgericht billigte den Tornado-Einsatz in
Afghanistan. Es begründet dies so, dass es sich selbst und das
Parlament entmachtet, nämlich: Wenn die Regierung einen Einsatz
für rechtens hält, darf man davon ausgehen, dass er auch
rechtens ist.
Tags darauf erklärt Angela Merkel, Bundeskanzlerin und oberste
Kriegsherrin der BRD, die Schranken des Grundgesetzes in Sachen
Bundeswehreinsatz für "Vergangenheit" und propagierte den
schrankenlosen Einsatz der Bundeswehr nach Außen und nach Innen.
Solche Vorstöße kommen inzwischen fast täglich, erst gestern
wieder die Schlagzeile aller Zeitungen: Schäuble will auf Verdacht
potentielle Terroristen und Extremisten einsperren und töten lassen
können. (Spiegel-Interview vom 9. Juli 2007)
Nun kann man sagen, alles lauter Einzelfälle, zufällige
Anhäufungen. Man kann sagen: Immer der wahnsinnige Schäuble.
(Wobei man hier dann schon sagen müsste: Dann war der Otto Schily
auch wahnsinnig. Oder es ist anders herum: Sobald man Innenminister
der Bundesrepublik Deutschland wird, wird man offensichtlich
wahnsinnig....)
Oder aber die Sachlage stellt sich so dar: Ist es auch Wahnsinn -
so hat es doch Methode.
All diese Vorstöße - sie sind Spitzen eines Eisberges, der
ständig und mehr und mehr diese Spitzen hervorbringt. Schauen wir
uns dazu den Bundeswehreinsatz in Heiligendamm an.
Das war nicht Zufall, im Gegenteil: Das war vorher sogar geprobt.
Der Norddeutsche Rundfunk berichtete im Vorfeld: "In diesem
Zusammenhang ist für März in Rostock und den benachbarten
Landkreisen die erste Sicherheitsübung für den Gipfel in
Heiligendamm geplant. Dabei werden das Zusammenwirken von
Sicherheits- und Hilfskräften etwa bei Demonstrationen oder
Auseinandersetzungen mit militanten Globalisierungsgegnern
trainiert, sagte Oberst Manfred Pape als Chef des
Bundeswehr-Landeskommandos in Schwerin. Bei den Übungen würden
auch die neuen zivilmilitärischen Verbindungskommandos
einbezogen."
Kurz zuvor, im Februar 2007, ist in der Militärzeitschrift
"Europäische Sicherheit" ein Artikel vom Oberstleutnant
im Generalstab Philipp Leyde zu Übungen der Bundeswehr zu lesen.
Auf einem Foto sind Soldaten und Panzerfahrzeuge zu sehen. Die
Bildunterschrift lautet: "Soldaten des JgBtl 292 bei der
Ausbildung gegen Demonstranten". Sämtliche Demonstranten
tragen Blaumann. Von wegen Schwarzer Block....
Der Einsatz der Bundeswehr in Heiligendamm war also kein Zufall.
Er war die Folge des Konzepts der sog. "Zivilmilitärischen
Zusammenarbeit" ZMZ.
Was verbirgt sich dahinter?
Seit Januar 2007 wird der Aufbau eines flächendeckenden
militärischen Heimatschutzes von Bundeswehr, Reservisten und
zivilen Organisationen vorangetrieben. Allen 16 Landesregierungen
stellt der deutsche Generalstab Bundeswehroffiziere zur Seite,
sogenannte "Landeskommandos"; - so am 18. April in der
Münchner Residenz abgeschirmt von der Öffentlichkeit die
"Feierliche Indienststellung" des bayerischen
Landeskommandos. Es ist vom "Ansprechpartner der
Landesregierung in allen Fragen der möglichen
Unterstützungsleistungen der Bundeswehr" die Rede
(Streitkräftebasis der Bundeswehr).
In allen 426 Landkreisen und kreisfreien Städten werden "Verbindungskommandos"
ortsansässiger Reservisten installiert. (anfangs je 12, also
insgesamt ca. 5.000; die CDU/CSU verlangt als Ziel eine Gesamtzahl
von 250 000.) Zur ständigen Präsenz sollen sie in den Rathäusern
und Landratsämtern Räume erhalten. Da reicht ein Gang ins nächste
Zimmer, um sich eine Anforderung im Rahmen der "Amtshilfe"
zu organisieren. Auch in Heiligendamm wurde der Einsatz der
Bundeswehr mit der sog. Amtshilfe legitimiert. Dutzendweise wurden
im voraus sozusagen auf "Vorrat" Amtshilfegesuche
gestellt. Die decken keinen verfassungsgemäßen militärischen
Bundeswehreinsatz ab, - aber wer weiß das schon. "Per
Amtshilfe" kann nicht verfassungswidrig der Einsatz der
Bundeswehr angefordert werden. Wenn dem so wäre, hatte es ja die
Notstandsgesetze nie gebraucht, und müsste Schäuble keine
Grundgesetzänderung wollen. (Siehe Kasten)
Weiter sollen die Verbindungsoffiziere dieser
Heimatschutzkommandos ständig die zivilen Hilfsorganisationen wie
Feuerwehren, Arbeiter-Samariter-Bund, Rotes Kreuz etc. bis hin zur
DLRG in das Bundeswehr-Konzept der "zivilmilitärischen
Zusammenarbeit" einbinden. Diese Hilfsorganisationen umfassen
3,5 Millionen Menschen, die sich für die Lebensrettung engagieren.
Jetzt sollen sie jenen zuarbeiten, deren Handwerk im Töten und
Kriegführen besteht. Keine einzige dieser Organisationen ist
gefragt worden, ob sie in dieses Konzept einbezogen werden will,
geschweige denn die 3,5 Millionen Helfer.
Auch die Sanitäter in den Betrieben werden in diese ZMZ,
Zivilmilitärische Zusammenarbeit, einbezogen. Bei Opel Rüsselsheim
z.B. machen nun die Sanitäter ihre Kurse in der Kaserne. In
Heiligendamm wurde im Rahmen der ZMZ die Klinik von Doberan unter
die faktische Kontrolle der Bundeswehr gestellt. Siehe auch unter: www.streitkraeftebasis.de.
Mit im Einsatz in Heiligendamm war die Bundespolizei. Eine
Kollegin aus München hat fotografiert wie ein Hubschrauber der
Bundespolizei gerade ein bis zwei 2 Meter über dem Boden über die
Wiese gemäht ist. "Wir wurden regelrecht gejagt."
Die Bundespolizei ist ein klarer Widerspruch zum Grundsatz
"Polizei ist Ländersache". Sie ist ein Verstoß gegen das
Gebot der Alliierten, die dies in ihren Polizeibriefen so festgelegt
haben. Entstanden ist sie aus dem Bundesgrenzschutz, der nach der
Angliederung der DDR Stück für Stück zur Bundespolizei ausgebaut
wurde. Entscheidender Schritt war dabei die Übertragung der
Aufgaben der Bahnpolizei, wodurch der Weg "weg von den
Grenzen" auf das komplette Land vollzogen wurde. Dabei handelt
es sich um eine paramilitärische Einheit, die im Ausland wie die
Bundeswehr eingesetzt wird, womit das Parlament umgangen wird: Für
den weltweiten Einsatz der Bundespolizei benötigt es keinen
Bundestagsbeschluss, sondern lediglich das Ja des Innenministers.
Erst nachdem diese Bundespolizei komplett unter dem Firmenschild
"Bundesgrenzschutz" aufgestellt war, wurde das
Bundespolizeigesetz zum 1.8.2005 verabschiedet und die Schilder
ausgewechselt. Im Grundgesetz steht im Übrigen weiterhin kein Wort
von der Bundespolizei .
Bundespolizei und Bundeswehr wiederum wurden weiter
zusammengeschoben mit den Geheimdiensten in den sog. Lage- und
Führungszentren, die seit 2004 aufgebaut werden und die
Trennung von Polizei- und Geheimdienst zur Farce machen. Das heißt:
Genau das, was mit dem Trennungsgebot verhindert werden sollte, eine
neues Reichssicherheitshauptamt mit einer Geheimdienst und Polizei
vereinigenden Geheimen Staatspolizei, genau das wird hier wieder
wörtlichst unter ein Dach gebracht.
Heribert Prantl spricht nicht zufällig von der Gefahr eines Bundessicherheitshauptamtes.
In der Broschüre von ver.di "Je mehr Not - desto mehr
Notstand" und dem dort abgedruckten Beitrag der Rechtsanwältin
Gabriele Heinecke sind diese Lagezentren beschrieben. Z.B. das Gemeinsame
Terrorismus-Abwehrzentrum GTAZ in Berlin Treptow, das im Jahr
2004 gegründet wurde. Über 200 Mitarbeiter vom Bundeskriminalamt,
Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst, Zollkriminalamt und
Militärischem Abschirmdienst sowie Vertreter der
Landeskriminalämter, der Bundespolizei und des Bundesamts für
Migration und Flüchtlinge sind dort beschäftigt. Mitte 2005 wird
das Zentrum um eine Informations- und Analysezentrum
"Internationaler Terrorismus" und dem Zuzug weiterer
Beamter des Verfassungsschutzes erweitert. Mit der Macht des
Faktischen wurde hier an gemeinsamen Projekten und Indexdateien
gearbeitet, ehe es überhaupt die dafür notwendige Rechtsgrundlage
der Anti-Terrror-Datei gab. Seit Dezember letzten Jahre ist
sie da.
Diese Anti-Terror-Datei, die - Zitat Süddeutsche Zeitung: "erstmals
seit der Nazizeit wieder Erkenntnisse von Polizei und Geheimdiensten
vereint" (SZ, 31.3.07), ermöglicht allen in den Zentren
vereinigten Organen - insgesamt 38 Staatsorgane - den Zugriff auf
die gespeicherten Datensätze. Nach dem Wortlaut des Gesetzes, sind
zu speichern: "Personen, die rechtswidrig Gewalt als Mittel
zur Durchsetzung international ausgerichteter politischer oder
religiöser Belange anwenden oder eine solche Gewaltanwendung
unterstützen, vorbereiten befürworten oder durch ihre Tätigkeit
vorsätzlich hervorrufen".
Es ist ein Leichtes, in der BRD einen Streik zur
"rechtswidrigen Gewalt als Mittel zur Durchsetzung politischer
Belange" zu erklären. Wir haben in der BRD kein
schriftlich verankertes Streikrecht sowie eine - wenn auch relativ
alte - Rechtssprechung gegen das politische Streikrecht. So
hat z.B. der Arbeitgeberpräsident Hundt Anfang dieses Jahres die
Streiks gegen die Rente mit 67 als verfassungswidrige Gewalt
bezeichnet . (Und bei dem von Arbeitergeberpräsident Hundt
vertretenen Personenkreis handelt es sich ja nicht um irgendeine
einflusslose Randgruppe der Gesellschaft - zumindest noch
nicht ...)
Nach dieser Rechtsauffassung gehören alle Metaller, die im
Dezember und Januar gestreikt haben, in die Anti-Terror-Datei. Auch
all diejenigen, die die Streiks unterstützt oder befürwortet
haben. Und, weil's noch nicht genug ist, auch jeder, der einen
kennt, der rechtswidrig Gewalt befürwortet - selbst wenn er das gar
nicht weiß. Jede Kontaktperson darf nämlich ebenso gespeichert
werden.
Wie viele bereits jetzt unter diese Kriterien fallen, spricht
Bände. Nach Polizei-Einschätzung gibt es in der BRD etwa 100
"Gefährder". Allein in der nachrichtendienstlichen
Verbunddatei sind aber 1 035 514 Datensätze, in der BKA-Datei
Innere Sicherheit sind 1 451 605 Datensätze. Allein diese beiden
Dateien ergeben 2,5 Millionen Terrorverdächtigte. Bei ca. 40
Millionen Erwachsenen zwischen 20 und 60 - jeder 16. - aber ich kann
Euch versichern, in diesem Saal sind es noch einige mehr.
Dies ist jetzt nur ein Aspekt von einem Gesetz.
Allein über dieses Gesetz und seine weiteren skandalösen Aspekte
kann problemlos ein Abend gefüllt werden. Doch inzwischen gibt es
fast täglich solche Gesetze, die jedes einzelne problemlos eine
eigenen Abend füllen würden. Gesetze, die nur noch darin bestehen,
bereits geschaffene Fakten zu beschreiben und den Fakten den Stempel
der Legalität aufzudrücken. Eine Flut von Gesetzen, die im
Übrigen nicht einmal mehr von den Abgeordneten überblickt werden.
Auch so kann man ein Gesetzgebungsverfahren ad absurdum führen und
damit aushebeln. Oder es gibt ganze Bereiche wie die
Heimatschutzkommandos, die gleich gar nicht mehr den Parlamenten
vorgelegt werden. Die Bundeswehr macht das einfach so und welcher
Landrat in der BRD würde der Bundeswehr die Zusammenarbeit
verweigern.
Wie schnell man mit Spähpanzern und Tornados konfrontiert werden
kann, haben die Kolleginnen und Kollegen gesehen, die nach
Heiligendamm gefahren sind. Wie schnell es wirklich jeden Kollegen
an seinem Arbeitsplatz treffen kann, erfuhr der Kollege Armin Bauer,
der Betriebsrat draußen am Münchner Flughafen bei einem
Auftragnehmer der Lufthansa war.
Der Kollege Armin Bauer (Name auf Wunsch des Kollegen geändert)
ist Lagerarbeiter und arbeitet seit vielen Jahren am Flughafen
München bei der Firma CXX. Er ist Mitglied des Betriebsrats und
dessen stellvertretender Vorsitzender. Eines Tages flattert ihm ein
Schreiben der Regierung von Oberbayern ins Haus: Im Rahmen der
Zuverlässigkeitsüberprüfung gemäß § 29 d LuftVG
(Wiederholungsüberprüfung) sei die Erkenntnis zu Tage getreten,
dass er vor mehr als 20 Jahren als Aktivist einer im bayerischen
Verfassungsschutzbericht genannten Organisation aufgetreten sei.
Weiter heißt es wörtlich: "Desweiteren liegen uns
geheimhaltungsbedürftige Erkenntnisse vor, die Ihnen nicht
offenbart werden dürfen. Das Ergebnis der
Zuverlässigkeitsüberprüfung kann unter Umständen zur Folge
haben, dass Ihnen die o.g. Zutrittsberechtigung entzogen wird."
Er solle binnen 14 Tagen Stellung nehmen. Die von ver.di beauftragte
Rechtsanwältin fordert die "geheimhaltungsbedürftigen
Erkenntnisse" an, um Stellung nehmen zu können. Daraufhin
antwortet die Regierung von Oberbayern: "Weitere Angaben zu
den die Zweifel an der Zuverlässigkeit Ihres Mandanten
begründenden Erkenntnissen können wir nicht machen". Kurz
darauf erreicht ihn tatsächlich der Bescheid über den Entzug der
Zugangsberechtigung. Der Kollege darf ab sofort seinen Arbeitsplatz
nicht mehr betreten. Von der Lufthansa, für die Firma CXX arbeitet,
erhält er ein Hausverbot für den kompletten Flughafen. Die Firma
CXX kündigt ihn fristlos. Die Betriebsratssitzungen müssen
außerhalb des Flughafens stattfinden. Die Kollegen, die ihn
gewählt haben, darf er nicht mehr während der Arbeit aufsuchen. Im
Eilverfahren erreicht die Rechtsanwältin, dass der sofortige
Vollzug des Entzugs der Zutrittsberechtigung aufgehoben wird. Die
Lufthansa aber bleibt bei ihrem Hausverbot bis zum Ende des
Hauptverfahrens. Auch dagegen wird eine einstweilige Verfügung
durchgesetzt und schließlich nach fast einem halben Jahr kann der
Kollege wieder seinen Arbeitsplatz betreten. Doch die Lufthansa
entzieht der Firma CXX den Werk-Auftrag. die bald darauf schließt.
Zwar wird im Hauptsacheverfahren der Entzug der Zutrittsgenehmigung
für rechtsunwirksam erklärt, doch der Kollege hat keinen
Arbeitsplatz mehr. Die Klage gegen die Firma CXX auf entgangenen
Lohn wird abgewiesen, da kein Annahmeverzug vorgelegen habe - es war
ja die Regierung Oberbayern, die die Zutrittsgenehmigung entzog und
die Lufthansa, die das Hausverbot erteilte. Mit viel Glück findet
der Kollege einen neuen Arbeitsplatz. Soweit die Geschichte des
Kollegen Armin Bauer. Sie zeigt uns: Alle Kolleginnen und Kollegen
sind vom Staatsumbau betroffen und die viele Kolleginnen und
Kollegen im ver.di-Organisationsbereich noch doppelt, weil sie
zugleich die Ausführenden in Verwaltung, Schulen, Sozialbehörden,
sind oder direkt in der Arbeit betroffen sind, wie die
Beschäftigten bei Post und Telekom, im Verkehr, einfach in allen
Bereichen, die zu sicherheitsrelevanten Bereichen erklärt werden.
Es ist deswegen dringendst notwendig, dass wir eine
kontinuierliche Aufklärungsarbeit in den Betrieben machen. So wie
die Gewerkschaften gegen die Notstandsgesetze mobilisiert haben.
Damals hieß die Losung: Gegen den Notstand der Demokratie. Geht man
auf die Wikipediaseite "Notstandsgesetzgebung", so liest
man dort.
Die Notstandsgesetzgebung ist die Art, wie in einem
Notstand Gesetze, abweichend vom normalen Weg, erlassen werden
können... Allerdings besteht dabei die Gefahr, dass der Notstand
zur Regel wird, und damit der normale Weg der demokratischen
Gesetzgebung ausgehebelt wird. Man spricht dann vom Notstand der
Republik.
Kolleginnen und Kollegen, lasst uns dies tun. Lasst uns die Dinge
beim Namen nennen - Lasst uns sprechen vom Notstand der Republik.
Hedwig Krimmer
Gewerkschaftssekretärin
verdi Bayern Fachbereich 10
Postdienste Speditionen Logistik
10. Juli 2007
Das Widerstandsrecht und wie
es dazu kam
Gegen den Einsatz der
Bundeswehr im Innern
Die Notstandsgesetze wurden geschaffen gegen den
massenhaften Protest vor allem der Gewerkschaften und der 68er
Jugend. Auf Grund ihrer speziellen Forderungen wurde damals im
am 24. Juni 1968 der Artikel 20 Abs. 4, der
Widerstandsartikel, eingefügt: "Gegen jeden, der es
unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen
das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich
ist." Dieses Widerstandsrecht - eine Errungenschaft der
68er! - gilt es wie den Grundrechtekanon und die
antimilitaristischen Aussagen (Artikel 25/26) politisch
anzuwenden, - gerade jetzt, da ein wesentlicher Teil des
Notstands(un)rechts unter Missachtung sogar des Wortlauts des
Grundgesetzes in die Tat umgesetzt wurde: Durch Einsatz der
Bundeswehr im Innern mittels Schaffung der
Zivil-militärischen Zusammenarbeit im Innern (ZMZi), erstmals
umfassend mit allen drei Waffengattungen beim G8-Gipfel in
Heiligendamm gegen Demonstranten praktiziert. Dieser Bruch des
Grundgesetzes geschieht, indem der Einsatz der Bundeswehr mit
dem Artikel 35 Abs. 1, mit der "Amtshilfe",
begründet wird. Diese "Begründung" wird auch in
der Kommunalpolitik den fragestellenden Abgeordneten
zugemutet. Die Bundeswehr wird darin zur Behörde erklärt,
die Amtshilfe zu leisten habe. Aber die Bundeswehr ist keine
Behörde. Die Streitkräfte werden nicht in Absatz 1 aus dem
Jahr 1949 aufgeführt, sondern nur in den Absätzen 2 und 3
vom Juni 1968 - und dort kommt nun der Begriff Amtshilfe nicht
vor. Nur bei Naturkatastrophen und Unglücksfällen darf die
Bundeswehr im Inland eingesetzt werden, steht in diesen
Absätzen in Artikel 35 GG. Heiligendamm war aber keine
Naturkatastrophe und kein Unglücksfall - und daher bemühen
Militär und Polizei verfassungswidrig den Begriff der
Amtshilfe. für alles und jedes. Wenn die Amthilfe der
Bundeswehr, der Einsatz des Militärs im Innern, nach Artikel
35 in der Form von 1949 möglich gewesen wäre, dann hätte es
1968 nicht der Ergänzung des Artikels 35 bedurft. Und damals
konnte man es sich nicht leisten, mehr als Naturkatastrophen
und Unglücksfälle als Begründungen für diesen Einsatz nach
Artikel 35 zu nennen. Heute wird von Regierenden und Militärs
plötzlich der Begriff "Großschadensereignis" als
mögliche Begründung für den verfassungswidrigen Einsatz
herangezogen. Ja es heißt sogar, diesem
"Großschadensereignis" müsse durch Truppeneinsatz
vorgebeugt werden. Auch Vorbeugung ist in Artikel 35 nicht
vorgesehen. Und so werden Demonstranten mit Hubschraubern,
Kriegsschiffen, Panzerfahrzeugen und Tornado-Flugzeugen
drangsaliert, damit diese Demonstranten davon abgehalten
werden, "Großschadensereignisse" herbeizuführen
und gar den "Terrorismus" zu fördern. Terrorismus
ist alles und nichts: Die Bundeswehr hält, so steht es in
ihren Schriften, Globalisierungskritiker grundsätzlich für
Terroristen. Und dagegen wird dann die Truppe aufgeboten. Die
Demokraten hingegen müssen dagegen von ihrem Widerstandsrecht
gebrauch machen.
Ulrich Sander |
Das neue Reservistengesetz von
Rot-Grün machte die ZMZ der Großen Koalition möglich
Millionen zusätzliche Kräfte
können zum Einsatz gebracht werden
Als das Gesetz über die Neuordnung der Reserve der
Streitkräfte und zur Rechtsbereinigung des
Wehrpflichtsgesetzes im Februar 2005 zu mitternächtlicher
Stunde beschlossen wurde, da sagte Links-MdB Petra Pau:
"Wir sind dagegen, weil sie (die Änderungen) ein
trojanisches Pferd in Stellung bringen." Das bedeute den
Versuch, den Bundeswehreinsatz im Innern durch die Hintertür
zu ermöglichen. Weiter sagte Petra Pau: "Der
Gesetzentwurf entspringt einer inhaltlichen Logik, der wir
nicht folgen. Es geht darum, den Status und die Pflichten von
Reservistinnen und Reservisten an die offensiven
militärpolitischen Leitlinien anzupassen. Noch klarer gesagt:
Reservistinnen und Reservisten sollen in den Umbau der
Bundeswehr von einer Verteidigungsarmee zu einer weltweit
agierenden Interventionsarmee aktiv einbezogen werden. Das
neue Konzept sieht vor: 4,3 Millionen Reservisten bis 45
Jahren haben sich zur Verfügung zu halten; zusätzlich
nunmehr 800.000 zwischen 45 und 60 Jahren, davon 4.800 Frauen
(laut Bundesverteidigungsministerium Auskunft an Büro MdB
Ulla Jelpke). Die Heraufsetzung des Reservistenalters führte
zu einer erheblichen Zunahme der zur Verfügung stehenden
Reservisten. "Der Status Reservist ist an eine konkrete
Wehrdienstleistung gebunden; vor diesem Hintergrund gibt es
keine ungedienten Wehrpflichtigen mit dem Status
Reservistin/Reservist" (lt. BMV). Das heißt: Wer jemals
bei der Bundeswehr diente, gilt als Reservist und kann
herangezogen werden. Immer neue Reservistengruppen werden
ausgemacht, die auch zwangsweise herangezogen werden können.
Laut Soldatengesetz können sich ehemalige Wehrpflichtige, die
nicht Zeit- oder Berufssoldaten waren, "auf Grund
freiwilliger schriftlicher Verpflichtung" zur Teilnahme
an Übungen verpflichten. Wenn Sie dann im Rahmen dieser
Übungen höhere Dienstgrade erwerben - also den Zeitsoldaten
gleichgestellt werden -, können sie anschließend bis 60 auch
noch ohne ihre Zustimmung zu solchen Übungen herangezogen
werden. Das gilt auch für die derzeit vorzeitig in Ruhestand
versetzten Offiziere und Unteroffiziere im Alter um die 50
Jahre. Als Reservisten sind sie jederzeit rückholbar.
Mit § 6c des Gesetzes wird der Einsatz der Bundeswehr im
Inneren der Bundesrepublik Deutschland erleichtert.
Reservistinnen und Reservisten werden entsprechende Aufgaben
zugewiesen, indem eine neue Art von Wehrdienst mit der
Bezeichnung "Hilfeleistung im Inland" für
Reservisten geschaffen wird. Inlandeinsätze der Bundeswehr
sind jedoch grundgesetzwidrig. Über zwei Jahre nach Annahme
des Gesetzes meldet die Bundeswehrzeitschrift "Y":
"Seit Jahresbeginn stellt sich die Bundeswehr in der
Fläche der Republik neu auf." Sie zitiert Minister Franz
Josef Jung: "Die flächendeckende Einführung der
Zivilmilitärischen Zusammenarbeit im Inland stellt sicher,
dass die Bundeswehr in unsrer Heimat jederzeit und an jedem
Ort unseres Landes Hilfe und Unterstützung leisten
kann." Die Reservisten werden im Rahmen von ZMZi den
zivilen Behörden "zur Seite gestellt" (lt.
Bundeswehr-WebSite).
Ulrich Sander |
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