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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

06.08.07

Je mehr Not - desto mehr Notstand oder: 

Der Staatsumbau seit 1990

Von Hedwig Krimmer, Gewerkschaftssekretärin, Mitglied des von ver.di initiierten Einladerkreises "Rettet die Grundrechte - gegen den Notstand der Republik", München.

Fast täglich finden wir inzwischen in den Zeitungen Meldungen, die auf eine Ausweitung der Macht der Exekutive und des Militärs zulasten der Bürger und der Parlamente hinweisen. Nehmen wir z.B. die Süddeutsche Zeitung vom 4. Juli 2007, so finden wir zwei Schlagzeilen:

  1. Der Armee-Einsatz in Heiligendamm - Tornados und Spähpanzer wurden bei den Demonstrationen gegen den G 8-Gipfel eingesetzt.
  2. Das Bundesverfassungsgericht billigte den Tornado-Einsatz in Afghanistan. Es begründet dies so, dass es sich selbst und das Parlament entmachtet, nämlich: Wenn die Regierung einen Einsatz für rechtens hält, darf man davon ausgehen, dass er auch rechtens ist.

Tags darauf erklärt Angela Merkel, Bundeskanzlerin und oberste Kriegsherrin der BRD, die Schranken des Grundgesetzes in Sachen Bundeswehreinsatz für "Vergangenheit" und propagierte den schrankenlosen Einsatz der Bundeswehr nach Außen und nach Innen.

Solche Vorstöße kommen inzwischen fast täglich, erst gestern wieder die Schlagzeile aller Zeitungen: Schäuble will auf Verdacht potentielle Terroristen und Extremisten einsperren und töten lassen können. (Spiegel-Interview vom 9. Juli 2007)

Nun kann man sagen, alles lauter Einzelfälle, zufällige Anhäufungen. Man kann sagen: Immer der wahnsinnige Schäuble. (Wobei man hier dann schon sagen müsste: Dann war der Otto Schily auch wahnsinnig. Oder es ist anders herum: Sobald man Innenminister der Bundesrepublik Deutschland wird, wird man offensichtlich wahnsinnig....)

Oder aber die Sachlage stellt sich so dar: Ist es auch Wahnsinn - so hat es doch Methode.

All diese Vorstöße - sie sind Spitzen eines Eisberges, der ständig und mehr und mehr diese Spitzen hervorbringt. Schauen wir uns dazu den Bundeswehreinsatz in Heiligendamm an.

Das war nicht Zufall, im Gegenteil: Das war vorher sogar geprobt. Der Norddeutsche Rundfunk berichtete im Vorfeld: "In diesem Zusammenhang ist für März in Rostock und den benachbarten Landkreisen die erste Sicherheitsübung für den Gipfel in Heiligendamm geplant. Dabei werden das Zusammenwirken von Sicherheits- und Hilfskräften etwa bei Demonstrationen oder Auseinandersetzungen mit militanten Globalisierungsgegnern trainiert, sagte Oberst Manfred Pape als Chef des Bundeswehr-Landeskommandos in Schwerin. Bei den Übungen würden auch die neuen zivilmilitärischen Verbindungskommandos einbezogen."

Kurz zuvor, im Februar 2007, ist in der Militärzeitschrift "Europäische Sicherheit" ein Artikel vom Oberstleutnant im Generalstab Philipp Leyde zu Übungen der Bundeswehr zu lesen. Auf einem Foto sind Soldaten und Panzerfahrzeuge zu sehen. Die Bildunterschrift lautet: "Soldaten des JgBtl 292 bei der Ausbildung gegen Demonstranten". Sämtliche Demonstranten tragen Blaumann. Von wegen Schwarzer Block....

Der Einsatz der Bundeswehr in Heiligendamm war also kein Zufall. Er war die Folge des Konzepts der sog. "Zivilmilitärischen Zusammenarbeit" ZMZ.

Was verbirgt sich dahinter?

Seit Januar 2007 wird der Aufbau eines flächendeckenden militärischen Heimatschutzes von Bundeswehr, Reservisten und zivilen Organisationen vorangetrieben. Allen 16 Landesregierungen stellt der deutsche Generalstab Bundeswehroffiziere zur Seite, sogenannte "Landeskommandos"; - so am 18. April in der Münchner Residenz abgeschirmt von der Öffentlichkeit die "Feierliche Indienststellung" des bayerischen Landeskommandos. Es ist vom "Ansprechpartner der Landesregierung in allen Fragen der möglichen Unterstützungsleistungen der Bundeswehr" die Rede (Streitkräftebasis der Bundeswehr).

In allen 426 Landkreisen und kreisfreien Städten werden "Verbindungskommandos" ortsansässiger Reservisten installiert. (anfangs je 12, also insgesamt ca. 5.000; die CDU/CSU verlangt als Ziel eine Gesamtzahl von 250 000.) Zur ständigen Präsenz sollen sie in den Rathäusern und Landratsämtern Räume erhalten. Da reicht ein Gang ins nächste Zimmer, um sich eine Anforderung im Rahmen der "Amtshilfe" zu organisieren. Auch in Heiligendamm wurde der Einsatz der Bundeswehr mit der sog. Amtshilfe legitimiert. Dutzendweise wurden im voraus sozusagen auf "Vorrat" Amtshilfegesuche gestellt. Die decken keinen verfassungsgemäßen militärischen Bundeswehreinsatz ab, - aber wer weiß das schon. "Per Amtshilfe" kann nicht verfassungswidrig der Einsatz der Bundeswehr angefordert werden. Wenn dem so wäre, hatte es ja die Notstandsgesetze nie gebraucht, und müsste Schäuble keine Grundgesetzänderung wollen. (Siehe Kasten)

Weiter sollen die Verbindungsoffiziere dieser Heimatschutzkommandos ständig die zivilen Hilfsorganisationen wie Feuerwehren, Arbeiter-Samariter-Bund, Rotes Kreuz etc. bis hin zur DLRG in das Bundeswehr-Konzept der "zivilmilitärischen Zusammenarbeit" einbinden. Diese Hilfsorganisationen umfassen 3,5 Millionen Menschen, die sich für die Lebensrettung engagieren. Jetzt sollen sie jenen zuarbeiten, deren Handwerk im Töten und Kriegführen besteht. Keine einzige dieser Organisationen ist gefragt worden, ob sie in dieses Konzept einbezogen werden will, geschweige denn die 3,5 Millionen Helfer.

Auch die Sanitäter in den Betrieben werden in diese ZMZ, Zivilmilitärische Zusammenarbeit, einbezogen. Bei Opel Rüsselsheim z.B. machen nun die Sanitäter ihre Kurse in der Kaserne. In Heiligendamm wurde im Rahmen der ZMZ die Klinik von Doberan unter die faktische Kontrolle der Bundeswehr gestellt. Siehe auch unter: www.streitkraeftebasis.de.

Mit im Einsatz in Heiligendamm war die Bundespolizei. Eine Kollegin aus München hat fotografiert wie ein Hubschrauber der Bundespolizei gerade ein bis zwei 2 Meter über dem Boden über die Wiese gemäht ist. "Wir wurden regelrecht gejagt."

Die Bundespolizei ist ein klarer Widerspruch zum Grundsatz "Polizei ist Ländersache". Sie ist ein Verstoß gegen das Gebot der Alliierten, die dies in ihren Polizeibriefen so festgelegt haben. Entstanden ist sie aus dem Bundesgrenzschutz, der nach der Angliederung der DDR Stück für Stück zur Bundespolizei ausgebaut wurde. Entscheidender Schritt war dabei die Übertragung der Aufgaben der Bahnpolizei, wodurch der Weg "weg von den Grenzen" auf das komplette Land vollzogen wurde. Dabei handelt es sich um eine paramilitärische Einheit, die im Ausland wie die Bundeswehr eingesetzt wird, womit das Parlament umgangen wird: Für den weltweiten Einsatz der Bundespolizei benötigt es keinen Bundestagsbeschluss, sondern lediglich das Ja des Innenministers. Erst nachdem diese Bundespolizei komplett unter dem Firmenschild "Bundesgrenzschutz" aufgestellt war, wurde das Bundespolizeigesetz zum 1.8.2005 verabschiedet und die Schilder ausgewechselt. Im Grundgesetz steht im Übrigen weiterhin kein Wort von der Bundespolizei .

Bundespolizei und Bundeswehr wiederum wurden weiter zusammengeschoben mit den Geheimdiensten in den sog. Lage- und Führungszentren, die seit 2004 aufgebaut werden und die Trennung von Polizei- und Geheimdienst zur Farce machen. Das heißt: Genau das, was mit dem Trennungsgebot verhindert werden sollte, eine neues Reichssicherheitshauptamt mit einer Geheimdienst und Polizei vereinigenden Geheimen Staatspolizei, genau das wird hier wieder wörtlichst unter ein Dach gebracht.

Heribert Prantl spricht nicht zufällig von der Gefahr eines Bundessicherheitshauptamtes.

In der Broschüre von ver.di "Je mehr Not - desto mehr Notstand" und dem dort abgedruckten Beitrag der Rechtsanwältin Gabriele Heinecke sind diese Lagezentren beschrieben. Z.B. das Gemeinsame Terrorismus-Abwehrzentrum GTAZ in Berlin Treptow, das im Jahr 2004 gegründet wurde. Über 200 Mitarbeiter vom Bundeskriminalamt, Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst, Zollkriminalamt und Militärischem Abschirmdienst sowie Vertreter der Landeskriminalämter, der Bundespolizei und des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge sind dort beschäftigt. Mitte 2005 wird das Zentrum um eine Informations- und Analysezentrum "Internationaler Terrorismus" und dem Zuzug weiterer Beamter des Verfassungsschutzes erweitert. Mit der Macht des Faktischen wurde hier an gemeinsamen Projekten und Indexdateien gearbeitet, ehe es überhaupt die dafür notwendige Rechtsgrundlage der Anti-Terrror-Datei gab. Seit Dezember letzten Jahre ist sie da.

Diese Anti-Terror-Datei, die - Zitat Süddeutsche Zeitung: "erstmals seit der Nazizeit wieder Erkenntnisse von Polizei und Geheimdiensten vereint" (SZ, 31.3.07), ermöglicht allen in den Zentren vereinigten Organen - insgesamt 38 Staatsorgane - den Zugriff auf die gespeicherten Datensätze. Nach dem Wortlaut des Gesetzes, sind zu speichern: "Personen, die rechtswidrig Gewalt als Mittel zur Durchsetzung international ausgerichteter politischer oder religiöser Belange anwenden oder eine solche Gewaltanwendung unterstützen, vorbereiten befürworten oder durch ihre Tätigkeit vorsätzlich hervorrufen".

Es ist ein Leichtes, in der BRD einen Streik zur "rechtswidrigen Gewalt als Mittel zur Durchsetzung politischer Belange" zu erklären. Wir haben in der BRD kein schriftlich verankertes Streikrecht sowie eine - wenn auch relativ alte - Rechtssprechung gegen das politische Streikrecht. So hat z.B. der Arbeitgeberpräsident Hundt Anfang dieses Jahres die Streiks gegen die Rente mit 67 als verfassungswidrige Gewalt bezeichnet . (Und bei dem von Arbeitergeberpräsident Hundt vertretenen Personenkreis handelt es sich ja nicht um irgendeine einflusslose Randgruppe der Gesellschaft - zumindest noch nicht ...)

Nach dieser Rechtsauffassung gehören alle Metaller, die im Dezember und Januar gestreikt haben, in die Anti-Terror-Datei. Auch all diejenigen, die die Streiks unterstützt oder befürwortet haben. Und, weil's noch nicht genug ist, auch jeder, der einen kennt, der rechtswidrig Gewalt befürwortet - selbst wenn er das gar nicht weiß. Jede Kontaktperson darf nämlich ebenso gespeichert werden.

Wie viele bereits jetzt unter diese Kriterien fallen, spricht Bände. Nach Polizei-Einschätzung gibt es in der BRD etwa 100 "Gefährder". Allein in der nachrichtendienstlichen Verbunddatei sind aber 1 035 514 Datensätze, in der BKA-Datei Innere Sicherheit sind 1 451 605 Datensätze. Allein diese beiden Dateien ergeben 2,5 Millionen Terrorverdächtigte. Bei ca. 40 Millionen Erwachsenen zwischen 20 und 60 - jeder 16. - aber ich kann Euch versichern, in diesem Saal sind es noch einige mehr.

Dies ist jetzt nur ein Aspekt von einem Gesetz. Allein über dieses Gesetz und seine weiteren skandalösen Aspekte kann problemlos ein Abend gefüllt werden. Doch inzwischen gibt es fast täglich solche Gesetze, die jedes einzelne problemlos eine eigenen Abend füllen würden. Gesetze, die nur noch darin bestehen, bereits geschaffene Fakten zu beschreiben und den Fakten den Stempel der Legalität aufzudrücken. Eine Flut von Gesetzen, die im Übrigen nicht einmal mehr von den Abgeordneten überblickt werden. Auch so kann man ein Gesetzgebungsverfahren ad absurdum führen und damit aushebeln. Oder es gibt ganze Bereiche wie die Heimatschutzkommandos, die gleich gar nicht mehr den Parlamenten vorgelegt werden. Die Bundeswehr macht das einfach so und welcher Landrat in der BRD würde der Bundeswehr die Zusammenarbeit verweigern.

Wie schnell man mit Spähpanzern und Tornados konfrontiert werden kann, haben die Kolleginnen und Kollegen gesehen, die nach Heiligendamm gefahren sind. Wie schnell es wirklich jeden Kollegen an seinem Arbeitsplatz treffen kann, erfuhr der Kollege Armin Bauer, der Betriebsrat draußen am Münchner Flughafen bei einem Auftragnehmer der Lufthansa war.

Der Kollege Armin Bauer (Name auf Wunsch des Kollegen geändert) ist Lagerarbeiter und arbeitet seit vielen Jahren am Flughafen München bei der Firma CXX. Er ist Mitglied des Betriebsrats und dessen stellvertretender Vorsitzender. Eines Tages flattert ihm ein Schreiben der Regierung von Oberbayern ins Haus: Im Rahmen der Zuverlässigkeitsüberprüfung gemäß § 29 d LuftVG (Wiederholungsüberprüfung) sei die Erkenntnis zu Tage getreten, dass er vor mehr als 20 Jahren als Aktivist einer im bayerischen Verfassungsschutzbericht genannten Organisation aufgetreten sei. Weiter heißt es wörtlich: "Desweiteren liegen uns geheimhaltungsbedürftige Erkenntnisse vor, die Ihnen nicht offenbart werden dürfen. Das Ergebnis der Zuverlässigkeitsüberprüfung kann unter Umständen zur Folge haben, dass Ihnen die o.g. Zutrittsberechtigung entzogen wird." Er solle binnen 14 Tagen Stellung nehmen. Die von ver.di beauftragte Rechtsanwältin fordert die "geheimhaltungsbedürftigen Erkenntnisse" an, um Stellung nehmen zu können. Daraufhin antwortet die Regierung von Oberbayern: "Weitere Angaben zu den die Zweifel an der Zuverlässigkeit Ihres Mandanten begründenden Erkenntnissen können wir nicht machen". Kurz darauf erreicht ihn tatsächlich der Bescheid über den Entzug der Zugangsberechtigung. Der Kollege darf ab sofort seinen Arbeitsplatz nicht mehr betreten. Von der Lufthansa, für die Firma CXX arbeitet, erhält er ein Hausverbot für den kompletten Flughafen. Die Firma CXX kündigt ihn fristlos. Die Betriebsratssitzungen müssen außerhalb des Flughafens stattfinden. Die Kollegen, die ihn gewählt haben, darf er nicht mehr während der Arbeit aufsuchen. Im Eilverfahren erreicht die Rechtsanwältin, dass der sofortige Vollzug des Entzugs der Zutrittsberechtigung aufgehoben wird. Die Lufthansa aber bleibt bei ihrem Hausverbot bis zum Ende des Hauptverfahrens. Auch dagegen wird eine einstweilige Verfügung durchgesetzt und schließlich nach fast einem halben Jahr kann der Kollege wieder seinen Arbeitsplatz betreten. Doch die Lufthansa entzieht der Firma CXX den Werk-Auftrag. die bald darauf schließt. Zwar wird im Hauptsacheverfahren der Entzug der Zutrittsgenehmigung für rechtsunwirksam erklärt, doch der Kollege hat keinen Arbeitsplatz mehr. Die Klage gegen die Firma CXX auf entgangenen Lohn wird abgewiesen, da kein Annahmeverzug vorgelegen habe - es war ja die Regierung Oberbayern, die die Zutrittsgenehmigung entzog und die Lufthansa, die das Hausverbot erteilte. Mit viel Glück findet der Kollege einen neuen Arbeitsplatz. Soweit die Geschichte des Kollegen Armin Bauer. Sie zeigt uns: Alle Kolleginnen und Kollegen sind vom Staatsumbau betroffen und die viele Kolleginnen und Kollegen im ver.di-Organisationsbereich noch doppelt, weil sie zugleich die Ausführenden in Verwaltung, Schulen, Sozialbehörden, sind oder direkt in der Arbeit betroffen sind, wie die Beschäftigten bei Post und Telekom, im Verkehr, einfach in allen Bereichen, die zu sicherheitsrelevanten Bereichen erklärt werden.

Es ist deswegen dringendst notwendig, dass wir eine kontinuierliche Aufklärungsarbeit in den Betrieben machen. So wie die Gewerkschaften gegen die Notstandsgesetze mobilisiert haben. Damals hieß die Losung: Gegen den Notstand der Demokratie. Geht man auf die Wikipediaseite "Notstandsgesetzgebung", so liest man dort.

Die Notstandsgesetzgebung ist die Art, wie in einem Notstand Gesetze, abweichend vom normalen Weg, erlassen werden können... Allerdings besteht dabei die Gefahr, dass der Notstand zur Regel wird, und damit der normale Weg der demokratischen Gesetzgebung ausgehebelt wird. Man spricht dann vom Notstand der Republik.

Kolleginnen und Kollegen, lasst uns dies tun. Lasst uns die Dinge beim Namen nennen - Lasst uns sprechen vom Notstand der Republik.

Hedwig Krimmer 
Gewerkschaftssekretärin
 verdi Bayern Fachbereich 10 
Postdienste Speditionen Logistik 
10. Juli 2007

Das Widerstandsrecht und wie es dazu kam

Gegen den Einsatz der Bundeswehr im Innern 

Die Notstandsgesetze wurden geschaffen gegen den massenhaften Protest vor allem der Gewerkschaften und der 68er Jugend. Auf Grund ihrer speziellen Forderungen wurde damals im am 24. Juni 1968 der Artikel 20 Abs. 4, der Widerstandsartikel, eingefügt: "Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist." Dieses Widerstandsrecht - eine Errungenschaft der 68er! - gilt es wie den Grundrechtekanon und die antimilitaristischen Aussagen (Artikel 25/26) politisch anzuwenden, - gerade jetzt, da ein wesentlicher Teil des Notstands(un)rechts unter Missachtung sogar des Wortlauts des Grundgesetzes in die Tat umgesetzt wurde: Durch Einsatz der Bundeswehr im Innern mittels Schaffung der Zivil-militärischen Zusammenarbeit im Innern (ZMZi), erstmals umfassend mit allen drei Waffengattungen beim G8-Gipfel in Heiligendamm gegen Demonstranten praktiziert. Dieser Bruch des Grundgesetzes geschieht, indem der Einsatz der Bundeswehr mit dem Artikel 35 Abs. 1, mit der "Amtshilfe", begründet wird. Diese "Begründung" wird auch in der Kommunalpolitik den fragestellenden Abgeordneten zugemutet. Die Bundeswehr wird darin zur Behörde erklärt, die Amtshilfe zu leisten habe. Aber die Bundeswehr ist keine Behörde. Die Streitkräfte werden nicht in Absatz 1 aus dem Jahr 1949 aufgeführt, sondern nur in den Absätzen 2 und 3 vom Juni 1968 - und dort kommt nun der Begriff Amtshilfe nicht vor. Nur bei Naturkatastrophen und Unglücksfällen darf die Bundeswehr im Inland eingesetzt werden, steht in diesen Absätzen in Artikel 35 GG. Heiligendamm war aber keine Naturkatastrophe und kein Unglücksfall - und daher bemühen Militär und Polizei verfassungswidrig den Begriff der Amtshilfe. für alles und jedes. Wenn die Amthilfe der Bundeswehr, der Einsatz des Militärs im Innern, nach Artikel 35 in der Form von 1949 möglich gewesen wäre, dann hätte es 1968 nicht der Ergänzung des Artikels 35 bedurft. Und damals konnte man es sich nicht leisten, mehr als Naturkatastrophen und Unglücksfälle als Begründungen für diesen Einsatz nach Artikel 35 zu nennen. Heute wird von Regierenden und Militärs plötzlich der Begriff "Großschadensereignis" als mögliche Begründung für den verfassungswidrigen Einsatz herangezogen. Ja es heißt sogar, diesem "Großschadensereignis" müsse durch Truppeneinsatz vorgebeugt werden. Auch Vorbeugung ist in Artikel 35 nicht vorgesehen. Und so werden Demonstranten mit Hubschraubern, Kriegsschiffen, Panzerfahrzeugen und Tornado-Flugzeugen drangsaliert, damit diese Demonstranten davon abgehalten werden, "Großschadensereignisse" herbeizuführen und gar den "Terrorismus" zu fördern. Terrorismus ist alles und nichts: Die Bundeswehr hält, so steht es in ihren Schriften, Globalisierungskritiker grundsätzlich für Terroristen. Und dagegen wird dann die Truppe aufgeboten. Die Demokraten hingegen müssen dagegen von ihrem Widerstandsrecht gebrauch machen. 

Ulrich Sander

Das neue Reservistengesetz von Rot-Grün machte die ZMZ der Großen Koalition möglich 

Millionen zusätzliche Kräfte können zum Einsatz gebracht werden 

Als das Gesetz über die Neuordnung der Reserve der Streitkräfte und zur Rechtsbereinigung des Wehrpflichtsgesetzes im Februar 2005 zu mitternächtlicher Stunde beschlossen wurde, da sagte Links-MdB Petra Pau: "Wir sind dagegen, weil sie (die Änderungen) ein trojanisches Pferd in Stellung bringen." Das bedeute den Versuch, den Bundeswehreinsatz im Innern durch die Hintertür zu ermöglichen. Weiter sagte Petra Pau: "Der Gesetzentwurf entspringt einer inhaltlichen Logik, der wir nicht folgen. Es geht darum, den Status und die Pflichten von Reservistinnen und Reservisten an die offensiven militärpolitischen Leitlinien anzupassen. Noch klarer gesagt: Reservistinnen und Reservisten sollen in den Umbau der Bundeswehr von einer Verteidigungsarmee zu einer weltweit agierenden Interventionsarmee aktiv einbezogen werden. Das neue Konzept sieht vor: 4,3 Millionen Reservisten bis 45 Jahren haben sich zur Verfügung zu halten; zusätzlich nunmehr 800.000 zwischen 45 und 60 Jahren, davon 4.800 Frauen (laut Bundesverteidigungsministerium Auskunft an Büro MdB Ulla Jelpke). Die Heraufsetzung des Reservistenalters führte zu einer erheblichen Zunahme der zur Verfügung stehenden Reservisten. "Der Status Reservist ist an eine konkrete Wehrdienstleistung gebunden; vor diesem Hintergrund gibt es keine ungedienten Wehrpflichtigen mit dem Status Reservistin/Reservist" (lt. BMV). Das heißt: Wer jemals bei der Bundeswehr diente, gilt als Reservist und kann herangezogen werden. Immer neue Reservistengruppen werden ausgemacht, die auch zwangsweise herangezogen werden können. Laut Soldatengesetz können sich ehemalige Wehrpflichtige, die nicht Zeit- oder Berufssoldaten waren, "auf Grund freiwilliger schriftlicher Verpflichtung" zur Teilnahme an Übungen verpflichten. Wenn Sie dann im Rahmen dieser Übungen höhere Dienstgrade erwerben - also den Zeitsoldaten gleichgestellt werden -, können sie anschließend bis 60 auch noch ohne ihre Zustimmung zu solchen Übungen herangezogen werden. Das gilt auch für die derzeit vorzeitig in Ruhestand versetzten Offiziere und Unteroffiziere im Alter um die 50 Jahre. Als Reservisten sind sie jederzeit rückholbar.

Mit § 6c des Gesetzes wird der Einsatz der Bundeswehr im Inneren der Bundesrepublik Deutschland erleichtert. Reservistinnen und Reservisten werden entsprechende Aufgaben zugewiesen, indem eine neue Art von Wehrdienst mit der Bezeichnung "Hilfeleistung im Inland" für Reservisten geschaffen wird. Inlandeinsätze der Bundeswehr sind jedoch grundgesetzwidrig. Über zwei Jahre nach Annahme des Gesetzes meldet die Bundeswehrzeitschrift "Y": "Seit Jahresbeginn stellt sich die Bundeswehr in der Fläche der Republik neu auf." Sie zitiert Minister Franz Josef Jung: "Die flächendeckende Einführung der Zivilmilitärischen Zusammenarbeit im Inland stellt sicher, dass die Bundeswehr in unsrer Heimat jederzeit und an jedem Ort unseres Landes Hilfe und Unterstützung leisten kann." Die Reservisten werden im Rahmen von ZMZi den zivilen Behörden "zur Seite gestellt" (lt. Bundeswehr-WebSite).

Ulrich Sander