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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

03.08.07

„Schäuble will Guantanamo-Zustände in Deutschland schaffen“ 

Reservistengesetz von SPD und Grünen ist eine Grundlage für gesellschaftliche Militarisierung 

Interview mit Ulrich Sander, Bundessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) und ihres antimilitaristischen Arbeitskreises 

Die VVN-BdA fordert ein neues NPD-Verbotsverfahren. Beachtet man die neuesten rechtsextremen Vorschläge des Bundesinnenministers Wolfgang Schäuble (CDU), so ist zu fragen: Warum sollte ausgerechnet er dieser Forderung nachkommen? 

Wir richten unsere Forderungen an das Verfassungsorgan Bundestag. Wer in Sachen Demokratie und Antifaschismus auf Schäuble baut, ist verloren. Vielmehr muss die Kritik aller Demokraten endlich gegen diesen heimlichen Chef des neuen Reichssicherheitshauptamtes, bestehend aus Armee, Geheimdienste, Polizei, gerichtet sein. 

Wie bewertet die VVN die sich gegen die Grund- und Freiheitsrechte der Bürger richtenden Attacken des Bundesinnenministers? 

Mit dem G-8-Gipfel und dem erstmaligen Einsatz von Marine, Heer und Luftwaffe plus Bundespolizei und Länderpolizei - keine Waffengattung wurde ausgelassen - sowie mit dem Schäuble-Katatalog aus dem „Spiegel“ vom 9. Juli ist eine neue Lage entstanden. Es wurde bekundet: 

Der Bundesinnenminister ist bereit, entgegen dem Grundgesetz, Guantanamo- Zustände in Deutschland zu schaffen, staatsterroristischen politischen Mord zu begehen, Straflager einzurichten und das Spitzelnetz mittels Online- Durchsuchungen und Rasterfahndungen immer enger zu knüpfen. Er deutet an, notfalls auch ohne Gesetze zu handeln. Da schlägt das rechte Herz doch höher. 

Bereitet Schäuble mit seinen verfassungsfeindlichen Forderungen nicht erst den Boden für die erstarkenden Neofaschisten? 

Der Boden ist schon lange bereitet. Schon 1993 wurde das Asylrecht nach den Vorstellungen der „Republikaner“ abgebaut, 1994 - lange vor dem 11. September 2001 - schrieb Schäuble, im Zeichen „weltweiter Wanderbewegungen und internationalen Terrorismus“ verwischten die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit, und die Bundeswehr habe im Innern „zur Verfügung“ zu stehen. 1995 verlangte Schäuble den verstärkten Schutz „vor Überwanderung und Überfremdung“. Heute übernimmt die gesamte CDU/CSU die Forderung nach Bundeswehreinsätzen im Innern und Äußern, „am Hindukusch und in Hindelang“. 

Wie konnte es dazu kommen? 

Nach Ende der Systemauseinandersetzung war der Bundeswehr der äußere Feind abhanden gekommen, aber nicht gelöst war die Frage: Was tun mit dem inneren Feind, mit möglicherweise aufmuckenden unzufriedenen Massen? Dieses Potential war ja noch immer da. 

Wie äußert sich das in der Praxis der Bundeswehr? 

Es wurde mit Hilfe des Reservistengesetzes von Rot-Grün aus dem Februar 2005 eine „Zivil-Militärische Zusammenarbeit Inneres“ aus dem Boden gestampft und jetzt erstmals wirksam. Dazu gehören neue Machtbefugnisse für den ultrarechten Reservistenverband und neue Planstellen für 5500 Offiziere zur Koordination des Einsatzes im Innern. 

In jeder Großstadt und jedem Landkreis wurde der Verwaltung ein „Verbindungskommando“ von zwölf Reserveoffizieren „zur Seite gestellt“. Solche Kommandos können innerhalb von Stunden bundesweit die Reservisten bis zum Alter von 60 Jahren, und davon gibt es ca. fünf Millionen, mobilisieren – und zwar nicht nur in Unglücks- und Katastrophenfällen, sondern auch gegen „den Terrorismus“, wobei in der Bundeswehr zu Terroristen auch immer die Blockierer und Globalisierungsgegner gezählt werden. Der DGB stellte zu Recht die Frage: Und morgen geht’s bewaffnet gegen die Streikenden und die Gewerkschaften?

Inwiefern wäre ein Erfolg der NoNPD-Kampagne auch ein Erfolg gegen die repressive Politik des Bundesinnenministers? 

Es wäre zunächst ein Stoppsignal gegeben für die Praxis des Wegsehens gegenüber der rechten Gewalt und den Trägern dieser Gewalt, vor allem der NPD und der sogenannten Kameradschaften. Denn Schäuble sieht ja überall Terror – nur nicht auf der Seite, wo der täglich auf der Straße praktiziert wird, auf der rechten Seite. Dagegen hält er keine Anti-Terror- Maßnahme bereit. 

Die NPD zu verbieten, würde auch bedeuten, den umfassenden rechtsextremen Überwachungs- und Willkürkatalog zu tabuisieren, der von Schäuble geplant wird. 

Aber hat es nicht gegen Schäubles „Spiegel“-Interview auch heftige Proteste in der SPD gegeben? 

Ich sehe da fast nur Wortgeplänkel. SPDChef Kurt Beck sagt, Schäuble solle seine Forderungen auf das Normalmaß zurechtstutzen, und der innenpolitische Sprecher der SPD, Dieter Wiefelspütz, ist sogar dafür, verdächtige Flugzeuge als aggressive Eindringlinge abzuschießen. Dagegen haben sich jetzt Bundeswehrpiloten zu Wort gemeldet. Es müssen sich aber viel mehr Menschen zu Wort melden. 

Bundeswehr raus aus Afghanistan ist die Losung. Aber es muss auch heißen: Raus aus Mecklenburg-Vorpommern, Bundeswehr weg vom Hindukusch, aber auch weg von Hindelang und Heiligendamm. Dazu bedarf es der Proteste der Gewerkschaften, der Jugend und Studenten. Ver.di München hat dazu bereits ein Konzept vorgelegt. 

Interview: Markus Bernhardt

aus: antifaschistische nachrichten, 16/2007