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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

04.07.07

Grundgesetz wird Makulatur

Hunderttausende Reservisten ziehen zusätzlich in die Einsätze der Bundeswehr im In- und Ausland

Von Ulrich Sander

Als das Gesetz über die Neuordnung der Reserve der Streitkräfte und zur Rechtsbereinigung des Wehrpflichtsgesetzes im Februar 2005 zu mitternächtlicher Stunde beschlossen wurde, da sagte Links-MdB Petra Pau: "Wir sind dagegen, weil sie (die Änderungen) ein trojanisches Pferd in Stellung bringen." Das bedeute den Versuch, den Bundeswehreinsatz im Innern durch die Hintertür zu ermöglichen. Weiter sagte Petra Pau: "Der Gesetzentwurf entspringt einer inhaltlichen Logik, der wir nicht folgen. Es geht darum, den Status und die Pflichten von Reservistinnen und Reservisten an die offensiven militärpolitischen Leitlinien anzupassen. Noch klarer gesagt: Reservistinnen und Reservisten sollen in den Umbau der Bundeswehr von einer Verteidigungsarmee zu einer weltweit agierenden Interventionsarmee aktiv einbezogen werden. Die PDS ist gegen weltweite Militäreinsätze der Bundeswehr. ... Also sind wir auch dagegen, dass dieser Fehler auch noch auf die Reservistinnen und Reservisten ausgedehnt wird." 

Die Durchsetzung eines neuen Reservistenkonzepts und die Schaffung des Zivil-Militärischen Zusammenarbeit auch im Innern (ZMZi) hat sich beim Gipfel G8 erstmals im größeren Maße bemerkbar gemacht. So wie die ZMZ Äußeres die Reservisten sogar nach Afghanistan ziehen lässt, wo dann - wie kürzlich geschehen - drei von ihnen bei einem Anschlag ums Leben kamen. Das neue Konzept sieht vor: 4,3 Millionen Reservisten bis 45 Jahren haben sich zur Verfügung zu halten; zusätzlich nunmehr 800.000 zwischen 45 und 60 Jahren, davon 4.800 Frauen (laut Bundesverteidigungsministerium Auskunft an Büro MdB Ulla Jelpke). Die Heraufsetzung des Reservistenalters führte zu einer erheblichen Zunahme der zur Verfügung stehenden Reservisten. "Der Status Reservist ist an eine konkrete Wehrdienstleistung gebunden; vor diesem Hintergrund gibt es keine ungedienten Wehrpflichtigen mit dem Status Reservistin/Reservist" (lt. BMV). Das heißt: Wer jemals bei der Bundeswehr diente, gilt als Reservist und kann herangezogen werden. Zudem: Im Verteidigungsfall können auch ungediente Gemusterte ohne Kriegsdienstverweigererstatus zu einer "konkreten Wehrdienstleistung" einberufen werden.

Immer neue Reservistengruppen werden ausgemacht, die auch zwangsweise herangezogen werden können. Laut Soldatengesetz können sich ehemalige Wehrpflichtige, die nicht Zeit- oder Berufssoldaten waren, "auf Grund freiwilliger schriftlicher Verpflichtung" zur Teilnahme an Übungen verpflichten. Wenn Sie dann im Rahmen dieser Übungen höhere Dienstgrade erwerben - also den Zeitsoldaten gleichgestellt werden -, können sie anschließend bis 60 Jahren auch noch ohne ihre Zustimmung zu solchen Übungen herangezogen werden. Das gilt auch für die derzeit vorzeitig in Ruhestand versetzten Offiziere und Unteroffiziere im Alter um die 50 Jahre. Als Reservisten sind sie jederzeit rückholbar.

Mit § 6c des Gesetzes wird der Einsatz der Bundeswehr im Inneren der Bundesrepublik Deutschland erleichtert. Reservistinnen und Reservisten werden entsprechende Aufgaben zugewiesen, indem eine neue Art von Wehrdienst mit der Bezeichnung "Hilfeleistung im Inland" für Reservisten geschaffen wird. Inlandeinsätze der Bundeswehr sind jedoch grundgesetzwidrig. Über zwei Jahre nach Annahme des Gesetzes meldet die Bundeswehrzeitschrift "Y": "Seit Jahresbeginn stellt sich die Bundeswehr in der Fläche der Republik neu auf." Sie zitiert Minister Franz Josef Jung: "Die flächendeckende Einführung der Zivilmilitärischen Zusammenarbeit im Inland stellt sicher, dass die Bundeswehr in unsrer Heimat jederzeit und an jedem Ort unseres Landes Hilfe und Unterstützung leisten kann." Die Reservisten werden im Rahmen von ZMZi den zivilen Behörden "zur Seite gestellt" (lt. Bundeswehr-WebSite).

Im Wehrpflichtgesetz wurde in § 17 ein zehnter Absatz mit folgendem Wortlaut eingefügt: "Bleibt der Wehrpflichtige der Musterung unentschuldigt fern und scheitert eine polizeiliche Vorführung oder verspricht diese keinen Erfolg, ist nach Aktenlage zu entscheiden. Dies gilt auch dann, wenn der Wehrpflichtige sich nicht untersuchen lässt." Im Klartext heißt das (laut Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen): Ist ein Mitarbeiter im Kreiswehrersatzamt der Meinung, es habe keinen Sinn, extra die Polizei zu bemühen, dann kann die Tauglichkeit ohne ärztliche Untersuchung - auch ohne den Mann je gesehen zu haben - willkürlich festgelegt werden. Ist die Tauglichkeit festgelegt, kann er anschließend zum Grundwehrdienst einberufen werden. Die Tauglichkeitseinstufung nach Aktenlage macht nur Sinn, wenn der Wehrpflichtige anschließend einberufen werden soll. Die Zentralstelle fragt: "Will man diejenigen in die Truppe holen, die sich hartnäckig weigern, zur Musterung zu erscheinen - die Punks von der Straße, die wohnungslosen Stadtstreicher?

Nach dem G8-Gipfel und dem Einsatz von ca. 1.200 Soldaten im Innern, u. a. mit Tornado-Flugzeugen, Kriegsmarine und Panzerfahrzeugen, wurde der Begriff der "Amtshilfe" nach Artikel 35 GG für die Begründung des Verfassungsbruchs bemüht. Es bürgert sich ein, aus diesem Artikel 35 eine Allzweckwaffe zu machen: Die Bundeswehr wird nicht nur zu den beiden dort genannten Aufgaben (Naturkatastrophen und Unglücksfälle) im Innern eingesetzt, sondern wie eine Behörde behandelt, - und Behörden haben einander Amtshilfe zu leisten. Das öffnet dem Verfassungsbruch Tür und Tor. Bis hin zur Behauptung, der Antiterrorkampf gebiete den Einsatz der Bundeswehr im Innern. Anti-Terror wird von der Bundeswehrführung auch als Einsatz gegen "Chaosgruppen wie z.B. die Gruppe der Globalisierungsgegner" (siehe "Information für die Truppe" IfdT 3/2002) angesehen.

Im Grunde genommen geht es um die Anwendung des Notstandsrechtes von 1968, ohne dass es zum Verteidigungsfall kommt. So wird das Grundgesetz gebrochen, begründet mit dem Artikel 35 Abs. 1. Dort ist von "Amtshilfe" die Rede. Die Streitkräfte werden jedoch nicht in Absatz 1 aus dem Jahr 1949 aufgeführt, sondern nur in den Absätzen 2 und 3 von 1968, - und dort kommt nun der Begriff Amtshilfe nicht vor. Nur bei Naturkatastrophen und Unglücksfällen darf die Bundeswehr im Inland eingesetzt werden, das steht in diesen Absätzen in Artikel 35 GG. Heiligendamm war aber keine Naturkatastrophe und kein Unglücksfall, - und daher bemüht man verfassungswidrig den Begriff der Amtshilfe.