18.06.07
Ulrich Sander: Der General und der Onkel
Aus Ossietzky Nr. 12 vom 16. Juni 2007
Der Kommandeur der 10. Panzerdivision, Manfred Engelhardt,
sprach: „Wir brauchen keine Nachhilfe, wir erinnern uns der
Täterschaft der Gebirgsjäger im Zweiten Weltkrieg sehr genau.“
Seine Soldaten wolle er nicht als Nachfolger von Mördern
verunglimpft wissen, schließlich leisteten sie ihren Dienst für
die Demokratie. Zwei Jahre zuvor starben vier Soldaten seiner
Division im afghanischen Kabul, 28 wurden verletzt. So berichtete
der Münchner Merkur über den General, nachdem dieser zu Pfingsten
2004 vor dem Traditionsverein Kameradenkreis der Gebirgsjäger aus
Wehrmacht und Bundeswehr die Festrede gehalten hatte. Zum
allpfingstlichen Gedenken für die toten Kameraden am Hohen Brendten
bei Mittenwald gehört auch regelmäßig eine Würdigung der
zahlreichen Kriegsverbrecher aus ihren Reihen und aus der SS.
Das ARD-Magazin Kontraste fragte ihn damals angesichts der
angetretenen Bundeswehrtruppe auf einem Wehrmachts- und SS-Treffen:
„Wie erklären Sie so eine Ehrenformation für einen ehemaligen
SS-Polizeigebirgsjäger?“ Manfred Engelhardt, Generalmajor der
Bundeswehr: „Das kann ich zur Zeit nicht bewerten, weil mir dazu
keine Informationen vorliegen.“ Also doch Nachhilfe nötig.
Kontraste: „Warum hat man nie den Kameradenkreis und von sich aus
mal die Einheiten und die Zugehörigkeiten überprüft?“ Antwort
des Generals: „Das entzieht sich jetzt meiner Kenntnis. Ich kann
nicht im einzelnen sagen, zu welchen Einheiten und Verbänden der
Gebirgstruppe der ehemaligen Deutschen Wehrmacht
Forschungsergebnisse vorliegen.“
Solche Forschungsergebnisse liegen bei den Zentralstellen für
die Bearbeitung von NS-Massenverbrechen in Dortmund und Ludwigsburg
vor, ferner im Bundesarchiv Koblenz und bei antifaschistischen
Vereinigungen. Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund
der Antifaschisten und die Historikergruppe Angreifbare
Traditionspflege haben sie wiederholt veröffentlicht und sogar 196
mutmaßliche Kriegsverbrecher bei der Justiz angezeigt. Doch der
General verbittet sich die Nachhilfe. Er verweist auf den Tod seiner
Soldaten in Afghanistan. Jedoch die könnten noch leben, wenn sie
nicht – wie ihre älteren Wehrmachtskameraden – wieder mal den
oberen Militärs gedankenlos gefolgt wären.
An den Dialog mit den Medien drei Jahre zuvor fühle ich mich
erinnert, als ich das Bild des Generalmajors Engelhardt in der
Tageszeitung junge Welt am Pfingstsamstag 2007 im Zelt der gegen das
Kriegsverbrechertreffen Protestierenden vor dem Bahnhof in
Mittenwald entdecke. Es zeigt den General bei seiner Rede auf dem
Hohen Brendten. Er sieht aus wie einer Karikatur von Georg Grosz
entsprungen.
Auf dem Protest-Podium sitzen Kinder und Zeitgenossen der Opfer
der Wehrmachtsverbrechen. Einem, dem Sohn Enzo des beim Massaker an
4.000 italienischen Kriegsgefangenen in Kephallonia ermordeten
Hauptmanns Francesco De Negri, kommen offenbar auf einmal ähnliche
Gedanken wie mir, denn er zitiert in Angesicht des Zeitungsfotos
fehlerfrei aus Bert Brechts „Kriegsfibel“:
Wenn es zum Marschieren kommt, wissen viele nicht
Daß ihr Feind an ihrer Spitze marschiert.
Die Stimme, die sie kommandiert,
Ist die Stimme ihres Feindes.
Der da vom Feind spricht,
Ist selber der Feind.
Da Ossietzky keine Fotos bringt, muß ich auch den folgenden Fall
unbebildert schildern. Das Garmisch Partenkirchner Tagblatt brachte
nach den diesjährigen alpinen militaristischen wie auch
antifaschistischen Treffen – die Polizei hielt beide auf gut fünf
Kilometer Distanz – ein Titelfoto vom Gedenkgottesdienst auf dem
Hohen Brendten. Mitten unter den alten und jungen Militaristen ein
alter Mann, zu dem mir ein Leser einen privaten Kommentar sandte:
„Das ist mein Onkel Sepp.“
Ich hatte den Neffen in Mittenwald kennen gelernt. Plötzlich
stand er mitten unter uns. Er hatte Trachtenzeug an und hielt ein
Schild hoch: „Mein Onkel Sepp“; es folgten kleingedruckte
Zeilen. Wir dachten schon, nun kommt da einer und will uns von der
Unschuld eines armen alten Verwandten überzeugen. Doch dann lasen
wir: „Mein Onkel Sepp, Josef S. aus Ottobrunn, ist wegen eines
Massakers von Falzano (Tötung von 13 Zivilisten) zu
lebenslänglicher Haft in Italien seit September 2006 verurteilt (SZ
vom 30.9.06). Die deutsche Justiz hat diesen Mord an Zivilisten nie
bearbeitet. Es gab keine Verurteilung. Es gab keine Verhandlung. Er
wurde weder verurteilt, noch freigesprochen. Folglich ist Onkel Sepp
ein lebenslänglicher Freigänger.“
Dies war der Text eines Plakats, das Heinrich Schwarzmayr,
Diplom-Ingenieur aus Ottobrunn, auf der Kundgebung und Demonstration
gegen das Kriegsverbrechertreffen am Hohen Brendten zu Pfingsten
2007 in Mittenwald trug. Heinrich Schwarzmayr sagte mir noch, er
habe seinen Onkel auf dem Hohen Brendten beim Gebirgsjägertreffen
gesehen. Er habe auch acht unserer Demonstranten dort getroffen, die
mit Transparenten gegen die faktische Strafbefreiung für die
Mörder aus der Gebirgstruppe protestierten. Sie wurden abgeführt
und inhaftiert. Nicht abgeführt wurde sein Onkel Sepp, der
vielfache Mörder.
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