11.06.07
"Dies ist wie eine Ohrfeige in das Gesicht
tausender Dortmunder Gewerkschafter"
Offener Brief von ver.di zum 1. Mai 2007 an den Dortmunder
Polizeipräsidenten, den Vorstand der DSW21 sowie den OB der
Stadt
Sehr geehrte Damen und Herren, sicherlich ist Ihnen bekannt, dass
wir uns als Dortmunder Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter in den
letzten Jahren sehr häufig an unsere Mitglieder und die Dortmunder
Öffentlichkeit gewandt haben, um unseren unmissverständlichen
Protest, unsere Wut, unseren Abscheu zu formulieren.
Die Rede ist von dem seit Jahren betriebenen Versuch der
Neofaschisten, unsere Stadt zu einer ihrer braunen Hochburgen
auszubauen.
Hier zur Erinnerung der Karfreitag 2000: Die Teilnehmer der
alljährlichen Gedenkkundgebung, zu der ja auch regelmäßig die
Stadt Dortmund aufruft, waren gerade zu Hause, als eine Gruppe von
Neonazis ausländische Mitbürger, darunter auch Kinder, mitten in
der Nordstadt angriff. Als Reaktion kam es zu einer großen
Demonstration im Anschluss an den 1. Mai, die sowohl vom Dortmunder
DGB als auch vom Oberbürgermeister persönlich unterstützt wurde.
Seitdem ist viel geschehen. Vor allem reihte sich eine
Naziprovokation an die andere. Mal wurde gegen den Bau einer Moschee
gehetzt, dann gegen die Einweihung einer Synagoge (Bochum),
Dortmunder Antifaschisten, darunter bekannte Gewerkschafter und
ehemalige Betriebsräte bekamen Drohbriefe wegen ihres Engagements.
Immer wieder wurden die Dortmunder Bürger, die in ihrer großen
Mehrzahl klar formulierten, was sie von dem braunen Spuk in ihrer
Stadt hielten, durch ständige Naziaufmärsche provoziert und die
Opfer des deutschen Faschismus in unerträglicher Weise
verunglimpft.
Unter dem massiven Schutz hunderter, oft auch tausender
Polizeibeamter wurde dafür gesorgt, dass den "Damen und Herren
Faschisten" auch nicht ein Härchen gekrümmt wurde.
Unterdessen konnten die Nazis in Parlamente einziehen, ihre
Infrastruktur, wie aktuell der "Donnerschlag", wurde
aufgebaut. Vor einigen Jahren starben 3 Polizeibeamte bei der
Kontrolle eines Rechtsradikalen, danach tauchten Aufkleber "3:1
- Michael Berger war ein Freund von uns" auf, ein Punker wurde
von Anhängern rechtsradikaler Ideen erstochen. Dies alles in
Dortmund, einer Stadt der Arbeiterbewegung, einer Stadt, die nicht
zu Unrecht stolz ist auf den antifaschistischen Widerstand in den
Jahren 1933 - 1945, einer Stadt, die das Andenken daran pflegt.
Und nun dies: Lange vor dem 1. Mai 2007 kündigt die NPD
gemeinsam mit niederländischen Faschisten und mit freien
Kameradschaften einen demonstrativen Umzug mit braunem Volksfest an.
Ausgerechnet am 1. Mai, dem Tag der internationalen
Arbeiterbewegung, dem Tag des Kampfes für die Rechte der
arbeitenden Menschen! Sicherlich ist Ihnen bekannt, dass zahlreiche
Gewerkschafter von den Nazis verfolgt, gefoltert, getötet wurden.
Die Gewerkschaften wurden kurz nach Machtübernahme der Nazis
verboten, ihrer Häuser und Zeitungen beraubt, die Rechte und
Interessen der gesamten Arbeiterbewegung wurde mit Füßen getreten.
Und nun am 1. Mai 2007, unserem Feiertag: Kein Verbot der
Naziprovokation, statt dessen Tausende Polizeibeamte, die mit den
neuesten technischen Hilfsmitteln und unter Zuhilfenahme von
martialisch wirkender Ausstattung eine ganze Stadt in eine Art
Belagerungszustand verwandeln. Wir mussten daher bei unserer
Demonstration, bei der DGB-Kundgebung immer wieder auf das Treiben
der braunen Brut eingehen. Sowohl der örtliche DGB-Vorsitzende
Eberhard Weber als auch der DGB-Bundesvorsitzende Michael Sommer
forderten unter dem Beifall tausender Versammlungsteilnehmer das
Verbot der NPD, forderten die Dortmunder Bürger zu noch mehr
Engagement im Kampf gegen Rechts auf.
Doch dann: Hunderte von angereisten Faschisten sitzen fest, da
sie die entsprechende S-Bahn nicht benutzen können, Tausende
Dortmunder Bürger protestieren mit den unterschiedlichsten
Organisationen in Dortmund-Brackel gegen den Naziaufmarsch, da wird
auch noch aktive Demonstrationshilfe durch Polizei und Dortmunder
Stadtwerke geleistet! Fassungslos mussten wir nach dem 1. Mai zur
Kenntnis nehmen, dass die Polizei nicht nur im Vorfeld dafür
sorgte, dass der geplante Aufmarschraum der Nazis weiträumig
abgesperrt und gegen den Protest der Bürger "gesichert"
wurde, nein, damit an aktiver Unterstützung nicht genug! Hunderte
von NPD-Mitgliedern und andere Faschisten wurden mit Bussen der
Dortmunder Stadtwerke auf Initiative und mit Hilfe der Dortmunder
Polizei sicher zu ihrem geplanten Aufmarschort chauffiert. An
fassungslosen Dortmundern vorbei leistete "ihre" Polizei
mit "ihren" Bussen den Braunen die Hilfe, die sie
brauchten, um an ihrem Versammlungsort ihre dumpfen Parolen des
Rassismus, des Antisemitismus von sich zu geben. Wir fragen Sie
daher direkt: Welche Überlegungen haben die Verantwortlichen von
Dortmunder Polizei und Dortmunder Stadtwerken dazu gebracht, die
angereisten und unerwünschten Nazis so massiv und so aktiv zu
unterstützen? Dies ist wie eine Ohrfeige in das Gesicht tausender
Dortmunder Gewerkschafter, die zeitgleich im Dortmunder
Westfalenpark ihren 1. Mai begingen. Dieser stand ja nicht von
ungefähr unter dem Motto "Augen auf gegen Rechts"! Es
handelt sich bei dem geschilderten Vorfall um eine so unglaubliche
aktive Unterstützung der Neofaschisten, dass man mit Recht
fürchten muss, dass Dortmund als Stadt bekannt wird, in der die
Neofaschisten nicht nur unbehelligt sondern bei Schwierigkeiten von
den Verantwortlichen auch noch sicher durch das ganze Stadtgebiet
chauffiert werden, damit sie dann ihre Parolen wie beispielsweise
"Ali, Mehmet, Mustafa - geht zurück nach Ankara"
brüllen. "Welch ein Skandal, welch eine Schande", dass
sich unsere ausländischen Kolleginnen und Kollegen von den Neonazis
beleidigen und bedrohen lassen müssen! Wir sind stolz darauf, dass
viele unserer ausländischen Kolleginnen und Kollegen in unserer
Gewerkschaft ver.di organisiert sind.
Ist es bei den Verantwortlichen nicht bekannt, welch schlimme
Rolle Polizei, Justiz und andere staatliche Behörden in der
deutschen Geschichte bereits einmal spielten? War dies nicht schlimm
genug? Warum weigert man sich, die entsprechenden Lehren aus der
Geschichte zu ziehen?!
Damit hier kein Missverständnis aufkommt: Wir verurteilen nicht
die Busfahrer, nicht die Polizeibeamten, die sich gezwungen sahen,
diesen widerlichen Hilfsdienst zu erbringen. Unsere Kritik, unser
Protest, gilt den Verantwortlichen bei Polizei und Stadtwerken und
auch der Stadt Dortmund, die ja auch dafür sorgten, dass ein mit
Gülle bedeckter Platz kurzfristig gesäubert wurde, damit den
darauf sich sammelnden Nazis kein unangenehmer Geruch in ihre
braunen Nasen steige!
Ein Gespür für das was richtig und was falsch ist, war weder
bei dem einen noch bei dem anderen Verantwortlichen anzutreffen.
Leider steht solch ein Gespür bzw. solche moralischen Regeln in
keinem Gesetz und in keinem Handbuch, sie erfordern Zivilcourage.
Eine Gabe die gerade jene Verantwortlichen tagtäglich (zu Recht)
von uns einfordern. So wurden entgegen dieser Regel weder Kosten
noch Mühen in Dortmund gescheut, um für die Naziaktionen, die
bereits einen Tag vor dem 1. Mai in Dortmund begannen, den Boden
für Naziprovokationen zu bereiten. Dies aber ist nicht gelungen und
wird nicht gelingen.
Der 1. Mai ist und bleibt der internationale Kampftag der
Arbeiterbewegung. Es ist unser Tag! Wir werden uns aber mit einer
solchen Praxis nicht abfinden. Wir verlangen Konsequenzen für die
skandalöse Entscheidung der Verantwortlichen. Wir sagen, bereits
heute mit Blick auf die kommenden Landtags- und Kommunalwahlen:
"Augen auf gegen Rechts! Unsere
Stadt hat Nazis satt!"
Dieser offene Brief ist in den betrieblichen Gewerkschaftsgremien
der unten genannten und aufgeführten Absendern beschlossen worden.
Stellvertretend für alle unten genannten ver.di-Vertrauensleute
Martin Steinmetz (ver.di Bezirk Dortmund)
Horst Kortwittenborg (Sprecher der Vertrauensleute bei der Stadt
Dortmund)
ver.di-Vertrauensleute der Stadt Dortmund,
der EDG, des Sozialgerichts, des Amtsgerichts, der Universität
Dortmund, der Dortmunder Justizverwaltung
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