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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

20.05.07

Anklage in Mittenwald: Namen der 4.000 Kephallonia-Opfer werden verlesen 

Gemeinde Mittenwald besinnt sich der Vergangenheit - Pfingsten wieder Aktionen gegen "Traditionspflege" der Gebirgsjäger 

Von Ernst Antoni und Ulrich Sander 

Zum Beispiel General Konrad 

Bundeswehr-Tradition in Bad Reichenhall 

Auch der Fall des Generals der Gebirgstruppe Rudolf Konrad (1891 bis 1964) zeigt, welcher Geist noch in den sechziger Jahren bei der Bundeswehr herrschte. Während der "Winterkrise" im Dezember 1941, als der "Blitzkrieg" gegen die Rote Armee bereits gescheitert war, wurde Konrad von Hitler persönlich zum Kommandierenden General eines Armeekorps ernannt. Gleich darauf, zu Weihnachten, bekundete ihm Konrad in glühenden Worten die Treue: "Dem Führer und seinem Werk gehört unsere ganze Hingabe." Zu Hitlers Geburtstag am 20. April 1942 versammelte sich Konrads Korpsstab zu einer Feierstunde. "Es war das Feldherrngenie des Führers", wurde Hitler aus der Ferne angehimmelt, "welches die deutschen Heere von Sieg zu Sieg eilen ließ. Sein Verdienst war es, das Eindringen der bolschewistischen Horden nach Europa im richtigen Augenblick zu erkennen und den Stoß blitzschnell zu parieren." 

Von Ende 1941 bis Anfang 1944 war die Krim von den Deutschen besetzt; die Halbinsel sollte zu einem Mustergebiet nationalsozialistischer Herrschaft werden. Partisanen machten der Truppe hier, auch im Befehlsbereich der Gruppe Konrad, seit Ende Oktober 1943 schwer zu schaffen. Konrad schlug gnadenlos zurück, ließ ganze Ortschaften südlich der Linie Karassubasar-Suja in Grund und Boden bombardieren. Gern arbeitete er auch mit SS- und Polizeiführern zusammen.

Schon bald nach dem Krieg war der General "wieder dabei". Im Mai 1953 trafen sich 10.000 Gebirgsjäger ("Kameraden unter'm Edelweiß") in München zum "Tag der Treue". In Erwartung der nahenden Wiederbewaffnung sprach man bereits zukunftsfroh von der "neuen Wehrmacht". Konrad war der Anführer der Veteranen: "Wir hoffen, dass in der neuen Schale die gleichen Männer, die alten Soldaten stecken, die einst Kraft und Ruhm des deutschen Heeres und Stolz des deutschen Volkes waren." 

In Bad Reichenhall wohnen Bundeswehrsoldaten heute noch in einer General-Konrad-Kaserne; eine Studie des Militärgeschichtlichen Forschungsamts in Potsdam zum Casus Konrad bleibt unter Verschluss. 

In Bad Reichenhall gibt es auch eine "Kretabrücke", die an den kühnen Angriffsgeist der Gebirgsjäger erinnert; denn als die Wehrmacht im Mai 1941 Kreta angriff, da waren auch Gebirgsjäger aus Bad Reichenhall mit dabei. Ihr Kommandeur war Generalmajor Julius "Papa" Ringel (1889 bis 1967); er befahl, "für jeden deutschen Verwundeten oder Gefallenen zehn Kreter zu erschießen, Gehöfte und Dörfer, in denen deutsche Truppen beschossen werden, niederzubrennen, in allen Orten Geiseln sicherzustellen." Angesichts dieser kriegerischen Tüchtigkeit erhielt Ringel im Juni 1941 das Ritterkreuz. Zum 10. Jahrestag der "Machtergreifung" wurde u.a. den Nazi-Generälen Eduard Dietl (Füssen), Julius Ringel (Bad Reichenhall) und Ferdinand Schörner (Mittenwald) das Goldene Parteiabzeichen der NSDAP verliehen. Ringel verbrachte seinen Ruhestand in Bad Reichenhall.

Jakob Knab

"Für uns in der Lagergemeinschaft, für uns ehemalige Verfolgte des Faschismus, ist dieses ‚Nie wieder!' Aufgabe, so lange wir leben. Dabei sehen wir in den 22 Mahnmalen entlang der Todesmarsch-Strecke eine große Hilfe. Auch dieses Mahnmal wird uns bei dem Kampf um das ‚Nie wieder!' helfen, wenn ich es auch lieber an einem zentralen Platz in Ihrer Gemeinde gesehen hätte." 

Ernst Grube sagte das, als er Ende April eingeladen war, als Vertreter der Lagergemeinschaft Dachau und KZ-Überlebender in Mittenwald/Oberbayern zur Einweihung eines neuen Mahnmals auf dem Friedhof der Marktgemeinde Mittenwald zu sprechen. Nach langen Diskussionen, meist - wie in der örtlichen Presse kritisiert - unter Ausschluss der Öffentlichkeit, hatten die politisch Verantwortlichen in dem höchst gelegener Kurort Deutschlands beschlossen, auch in ihrer Gemeinde der Opfer der KZ-Todesmärsche zu gedenken. An einer auf dem Friedhof bereits vorhandenen Figur einer Trauernden wurde eine Tafel angebracht, die in würdiger Form an die Naziverbrechen erinnert. Die Errichtung eines Todesmarsch-Mahnmals an einem zentraleren Platz im Ort war im Gemeinderat jedoch nicht durchzusetzen gewesen. 

Zu den Pfingsttagen wird Ernst Grube wieder in Mittenwald sein. Wie schon seit einigen Jahren: Als Landessprecher der bayerischen VVN-BdA und als Zeitzeuge beim internationalen Hearing, wenn über die "Traditionspflege" der Gebirgsjägerkameradschaft verhandelt und gegen deren nach wie vor von der Bundeswehr unterstütztes Treffen protestiert wird. Nunmehr in einer Gemeinde, die ein - wenn auch noch recht zögerliches - Zeichen gesetzt hat, sich des Vergangenen erinnern zu wollen. 

Soll daraus ein wirkliches "Erinnern für die Zukunft" werden, wäre allerdings schon noch ein weiteres Umdenken der am Bundeswehrstandort Mittenwald Verantwortlichen - und das sind vor allem die Bundeswehr und der Gebirgsjäger Kameradenkreis - wünschenswert. Die bisherige "Traditionspflege" der Gebirgsjägerkameradschaft und deren alljährliche "Pfingstwallfahrt" in dem Geigenbauort betreffend. 

Über die Unzahl der ungesühnten Kriegsverbrechen der Gebirgsjäger in ganz Europa während des Zweiten Weltkriegs haben die Medien seit 2002 wiederholt berichtet. Über die nicht gesühnten Massenmorde an Frauen und Kindern, über Täter, die bis heute ihrer Strafe entgangen sind und sich in den Reihen ihrer "Kameradschaft" wohl fühlen, und über die Opfer und deren Nachkommen. Und auch über die neuen Kriege, in denen die Bundeswehr sich immer öfter engagiert. Die Leichenschändungen in Afghanistan, an denen junge, aus dem Standort Mittenwald kommende Gebirgsjäger beteiligt waren, sind nur ein Beispiel dafür, wohin solche Kriege und eine nach wie vor propagierte schreckliche "Tradition" führen. 

Bei den Veranstaltungen in Mittenwald geht es dieses Jahr um den Protest gegen den 50. Jahrestag der Kriegsverbrecherehrung am nahen Berg Hohen Brendten und auch um ein Klageerzwingungsverfahren wegen des Wehrmachtsmassakers im September 1943 auf der griechischen Insel Kephallonia. Die Massenexekution durch Mitglieder des Gebirgsjägerregiments 98 der 1. Gebirgsdivision gilt als eines der schwersten Kriegsverbrechen der Hitler-Truppen. Über 4.000 unbewaffnete italienische Kriegsgefangene waren damals ermordet worden. Ihre Namen werden in einer Gedenkveranstaltung auf einem Platz in Mittenwald verlesen. Ihre Mörder blieben in Deutschland unbehelligt. 

"Gegen die Straflosigkeit der NS-Kriegsverbrecher", so ist das Zeitzeugengespräch überschrieben, an dem Marcella und Enzo de Negri, die Tochter und der Sohn des auf Kephallonia von Gebirgsjägern ermordeten Hauptmanns Cap.Francesco De Negri teilnehmen werden. Weiterhin erwartet wird der ehemaligen Partisanen Nikos Fofas aus Kephallonia, der in der griechischen Widerstandsbewegung ELAS kämpfte und italienischen Soldaten zur Flucht in die Berge verhalf. Mit Richard Wadani (Wien) wird ein Widerstandskämpfer, der 1944 in Frankreich aus der deutschen Wehrmacht desertierte und in tschechischer Uniform als alliierter Soldat Österreich befreien half, dabei sein. 

Nachdem inzwischen mehrere Kriegsverbrecher aus der NS-Gebirgstruppe in Italien zu lebenslänglichen Zuchthausstrafen verurteilt wurden, setzen sich "Angreifbare Traditionspflege" und VVN-BdA verstärkt dafür ein, dass diese Personen, die in Deutschland Straffreiheit genossen, entweder nach Italien ausgeliefert werden oder in Deutschland verhaftet und ihrer Strafe zugeführt werden. Wie die zuständige Zentralstelle für die Bearbeitung von NS-Massenverbrechen in Dortmund der VVN-BdA durch Oberstaatsanwalt Ulrich Maaaß mitteilte, ist es möglich, in Deutschland die Strafen zu verbüßen, die in Italien verhängt wurden. Besonders geht es um die Fälle Othmar Mühlhauser aus Dillingen an der Donau und Josef Scheungraber in Ottobrunn bei München. Mühlhauser hatte am 24. September 1943 auf Kephallonia das Kommando gegeben, den italienischen General Antonio Gandin und mindestens zwölf seiner Offiziere zu erschießen, darunter auch de Negri. Der ehemalige Kompanieführer im Gebirgspionierbataillon 818 Scheungraber ist für die grausame Ermordung von 14 Menschen im Juni 1944 in dem toskanischen Dorf Falzano bei Arezzo verantwortlich. Vor den Wohnhäusern der beiden Verurteilten sind vor Pfingsten Kundgebungen angekündigt worden. 

Die VVN-BdA wird sich auch dieses Jahr wieder mit den Freundinnen und Freunden von der Initiative "Angreifbare Traditionspflege" am Pfingstsamstag und Pfingstsonntag gegen das Treffen der Gebirgsjägerkameradschaft in Mittenwald engagieren. Mit einem Informationsstand am Samstag, 26. Mai 2007 ab 10.00, beim Zeitzeugen-Hearing, das ebenfalls um 10.00 Uhr in einem Zelt am Bahnhof beginnen soll, und überall dort am 26. und 27. Mai, wo - so die VVN-BdA-Sprecher vieldeutig - "wir es für nötig halten".