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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

29.04.07

Die Opfer vom 13. April 1945 und unser Handeln heute - Nachdenken über die Erinnerungskultur

Rede auf der Wenzelnberg-Gedenkfeier am 22. April 2007

I. 

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kameradinnen und Kameraden, Kolleginnen und Kollegen, Genossinnen und Genossen, Freundinnen und Freunde

Die folgende kurze Notiz über die erste Gedenkfeier hier in der Wenzelnbergschlucht vertraute der Hauptangeklagte im Berliner Katholikenprozess von 1937, Kaplan Dr. Joseph Cornelius Rossaint, am 14.4.1946, also ein Jahr nach dem Massaker, seinem Tagebuch an: 

"Heute, ich konnte fast das Weinen nicht mehr zurückhalten, als ich in den Sandbergen stand und an die Erschossenen dachte, den Regierungsrat begrüßte und jemand erzählen hörte, man habe noch einige Mützen und Lederpantinen in dem Sand gefunden - froh, dass ich sprechen konnte. Ich glaube, die Rede ging." 

Im Mai 1937 war Dr. Rossaint nach seiner Verurteilung in das Zuchthaus Lüttringhausen verlegt worden, wo er fast 8 Jahre inhaftiert war. Dramatisch gestalteten sich die letzten Hafttage. Rossaint stand auf der Gestapo-Liste der zur Ermordung vorgesehenen Häftlinge. Angestellte des Zuchthauses befolgten die Auslieferungsanweisung nicht und versteckten ihn im Brotschneideraum. Das rettete ihm das Leben. Am 17. April 1945 wurde er durch die US-Truppen befreit. Am 1. Oktober 1945, also etwas mehr als 5 Monate nach seiner Befreiung notiert er in seinem Tagebuch: "Vor zwei Monaten war ich nochmals im Zuchthaus Lüttringhausen. Da meine Düsseldorfer Sachen alle verbrannt waren…suchte ich dort etwas Bettwäsche zu erhalten. In der Anstalt traf ich einen der Gebrüder Viehoff, in deren Bast- und Taschenbetrieb ich drei einhalb Jahre als Näher und ein Jahr als Gehilfe des Meisters gearbeitet hatte…Ich bat ihn, mir als altem Arbeiter seines Betriebes ein Stück von den Resten zu geben…Meine Bitte lehnte Viehoff ab." 

Mit Empörung vermerkt Rossaint: "Die Firmen haben…an uns ihr Geld verdient, den Gefangenen 20 - 40 Pfennig pro Tag bezahlt…" 

Als Rossaint sich im Herbst 1945 in seinem Erzbistum Köln "zurückmeldete" und darum bat, eine Pfarrei zu erhalten, wurde ihm im Auftrag des Kardinals mitgeteilt, dass die Ausübung eines geistlichen Amtes an zwei Bedingungen geknüpft sei. Rossaint dürfe sich künftig nicht politisch betätigen und die im Zuchthaus geknüpften Beziehungen zu Nazigegnern, von denen die meisten Kommunisten waren, könnten nicht aufrechterhalten werden. Nach sorgfältiger Prüfung hat Dr. Rossaint geantwortet, dass er auf diese Bedingungen nicht eingehen könne, da sie in völligem Gegensatz zu seinen Erfahrungen in der Nazizeit stünden. 

Fortan widmete er sich seinem Hauptanliegen, das darin bestand, über den Hitlerfaschismus, seine Ursachen und Folgen aufzuklären. Gleichzeitig wollte er helfen, Kräfte für eine demokratische Umgestaltung Deutschlands zu sammeln. 

Als im März 1947 in Frankfurt am Main die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) gegründet wurde, schloss sich Dr. Rossaint ihr an. 

Ein Zitat aus einer Rede, die er Pfingsten 1947 vor Jugendlichen gehalten hat, verdeutlichte seine innere Einstellung. Er sagte u.a.: "In diesem Zusammenhang denke ich an die Kameraden der deutschen Jugend, die nicht mehr leben…Wenn diese Toten ein Wort sprechen könnten, dann würden sie, glaube ich, sagen: War unser Tod umsonst? Wer wird das, was wir eigentlich wollten, nämlich das Glück unseres Volkes und eigentlich auch den Frieden der Menschen nun verwirklichen? Sie werden euch und uns so fragen, zuallererst die erwachsene Generation. Sie hat diese Aufgabe nicht erfüllt. Darum werden die Toten diese Frage nicht nur an die Erwachsenen stellen, sondern sie werden sie auch an uns richten, denn sie denken an ihre eigenen Kinder, die noch leben und die heranwachsen. Es ist ja gar nicht so in der Welt, dass die Kriege nun aufhören. Es gibt in der Welt auch Kriegstreiber, und wenn das Gros der Menschheit auch damit nicht einverstanden ist, es genügt nicht, wenn wir nicht mit aller Kraft dafür sorgen und mit all den realen Mitteln, die im Augenblick vorhanden sind, solche Entwicklungen zu verhüten." 

Wie aktuell das klingt! 

Trotz des hohen Einsatzes von Dr. Rossaint und vielen anderen war in der folgenden Zeit unübersehbar, dass die Entwicklung in Deutschland anders als von ihm und vielen anderen erstrebt verlief. Immer deutlicher zeichnete sich ab, dass keine Neugestaltung, sondern eine Restauration der alten Besitz- und Machtverhältnisse stattfand. 

Darauf hat mein Freund und Kamerad Jürgen Schuh im letzten Jahr bereits faktenreich und eindrucksvoll hingewiesen. 

Rossaint fasste seine niederschmetternde Einschätzung der Situation in einem Tagebucheintrag vom 13. April 1958 so zusammen: "Man darf in der Bundesrepublik alles gewesen sein, erst recht aktiver Nationalsozialist, Richter, Staatsanwalt im typischen Sinn des Hitlersystems, man erhält eine besondere Stellung, man kann Minister werden, wie es fast dutzendfach der Fall ist, aber man darf kein Gegner des Nationalsozialismus gewesen sein, dann sind alle Stellen verschlossen…Wir gehören zum Abfall. Man lässt ihnen einen Platz als menschlichem Abfall, es gibt sogar eine Unfallrente! Eventuell wird man von einem einzelnen noch bedauert oder als dumm angesehen." 

Trotz dieser wenig ermutigenden Erfahrungen suchte Dr. Rossaint bis zu seinem Tod am 16. April 1991 immer wieder nach neuen Möglichkeiten in das politische Geschehen einzugreifen. Sein Name ist mit verschiedenen Bewegungen gegen Wiederaufrüstung und Remilitarisierung sowie für das Verbot von Atomwaffen verbunden. Seit dem V. Bundeskongress, der vom 12. bis 14. Juni 1959 in Frankfurt am Main tagte, ist sein Wirken in den verschiedensten Funktionen unvergessen mit der VVN verbunden. Die Arbeit für und in der VVN hat drei Jahrzehnte lang das Leben und Handeln von Dr. Rossaint entscheidend bestimmt. Erst in seinen späten Lebensjahren erreichten ihn zahlreiche Ehrungen aus dem In- und Ausland: So wurde er am 1. September 1989 mit dem Aachener Friedenspreis geehrt. 

Charakteristisch für seine Grundhaltung ist auch ein kurzes Zitat aus seinem Schlusswort auf einem Bundeskongress der VVN. Er sagte: "Niemand soll kommen und uns vorwerfen, wir würden die Gefahr der Re-Faschisierung, die Gefahr des Militarismus übertreiben. Wir übertreiben gar nichts. Wir wissen, und wir haben das Recht es auszusprechen, weil wir die ersten waren, die vor 1933 schon darauf hingewiesen hatten, welche Gefahr Faschismus und Nationalsozialismus bedeuten, wir wissen, dass es darauf ankommt, den Giftsamen auszurotten. Alles andere ist unwichtig."

II. 

Verehrte Anwesende… 

Warum erinnere ich hier und heute, im Jahr 2007 - also 62 Jahre danach - an das Leben dieses Mannes? Nicht nur, weil es mit dem Leben eines unmittelbar Beteiligten an den Ereignissen hier in der Wenzelnbergschlucht am 13. April 1945 zu tun hat, nicht nur, weil Dr. Rossaint im Gegensatz zu anderen ein wahrer Widerständler gegen den Faschismus war und auch nicht, weil er ein hervorragender Aktivist unserer Organisation war - ich erinnere an ihn, weil sein Leben und das Leben der hier Ermordeten uns Anlass dafür sein sollten, nein - muss - darüber nachzudenken, wie wir heute mit dem Vermächtnis dieses Mannes und dem der 71 Menschen, die hier brutal und kaltblütig ermordet wurden, umgehen. Was tun wir?

Das bedeutet vor allem die Augen nicht davor zu verschließen, dass es allein in diesem einen Jahr, seit der Gedenkfeier aus dem Jahre 2006 zahlreiche besorgniserregende Aktivitäten und Entwicklungen gegeben hat. 

Ich möchte/ ich kann nur an einige erinnern. 

Fangen wir mit dem jüngsten Skandal an. 

Da hält also ein amtierender Ministerpräsident - der einem Fernsehbericht zufolge bei Saufgelagen seiner Burschenschaft wie selbstverständlich alle drei Strophen des "Deutschlandliedes" grölt - eine Trauerrede für einen ehemaligen Ministerpräsidenten. Dabei wird aus einem überzeugten und überführten Nazi und Blutrichter, ein Widerstandskämpfer. Nach tagelangem Druck nimmt er schließlich diese Teile seiner Rede zurück. Wir sollten uns aber nicht der Illusion hingeben, dass das einer neuen, einer besseren Einsicht geschuldet ist. Nein, der befürchtete Imageschaden für die CDU im In- und vor allem im Ausland war es, der die scheinbare Kehrtwende bewirkt hat. 

Der Fall ist ein schlagender Beweis für die Richtigkeit des Resümees einer Studie, die von Leipziger Wissenschaftlern im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung erarbeitet und veröffentlicht wurde. Ihr Fazit lautet "Die Rechte ist vom Rand in die Mitte gerückt." (WZ, 10.11.2006) Eine ähnliche Bielefelder Langzeitstudie kommt zu dem Ergebnis: "Die Menschenfeindlichkeit ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen." (FASZ, 13.3.2005) 

Und der Professor für Systematische Theologie an der Humboldt-Universität in Berlin, Richard Schröder, leitet am 23. Februar 2007 einen Beitrag für die FAZ Mit der Feststellung ein: "Brutale Übergriffe auf Einwanderer, Ausschreitungen auf Fußballplätzen, Angriffe auf Polizisten, Erfolge rechtsradikaler und -extremistischer Parteien bei Kommunal- und Landtagswahlen - viele Nachrichten …passen perfekt in das Bild einer weithin gewaltbereiten, rechtsextremen und ausländerfeindlich eingestellten Bevölkerung." (FAZ, 23.2.2007)

Dagegen fallen solche Meldungen schon fast gar nicht mehr auf:

  • In Stuttgart wird ein Händler verurteilt, weil er eindeutige Anti-Nazi-Symbole vertreibt. Auch wenn das Urteilt kassiert wurde - es bleibt ein Skandal. 
  • Im Februar 2007 sitzen zwei Männer in Magdeburg auf der Anklagebank, weil sie acht Monate zuvor die Verbrennung des "Tagebuchs der Anne Frank" inszeniert hatten. 
  • Den Neofaschisten um Holger Apfel wurde am 27. Januar 2007, dem Internationalen Holocaust-Gedenktag von der Polizei der Weg für eine Demonstration durch Frankfurt Oder freigemacht. Sie hatten bewusst diesen Tag gewählt, um ihre demagogischen Losungen zu brüllen. 
  • In Verden an der Aller stecken Neofaschisten einen Deportations-Waggon an, der als Mahnmal aufgestellt war. 
  • Nach einer Gedenkveranstaltung zur Reichs-Pogromnacht in Frankfurt/Oder haben am 9. November 2006 18 Jugendliche Neonazis begleitet von "Heil Hitler"-Rufen den Gedenkstein geschändet. Sie rissen Blumengebinde von dem Stein und warfen Kerzen auf die Straße. 
  • - In Berlin findet im November 2006, geschützt von der Polizei, ein "Reichsparteitag" der NPD statt. 
  • - In der Berliner Polizeischule wurde im März 2007 ein antisemitischer Vorfall bekannt. Schüler haben im Unterricht erklärt, sie wollten "nicht dauernd mit dem Holocaust belästigt" werden und außerdem seien die "Juden reiche Leute". 
  • Zwischen dem Bundesminister für Verkehr, Wolfgang Tiefensee, und dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn AG, Hartmut Mehdorn, kam es im Oktober 2006 zu einem Eklat. Tiefensee verließ eine gemeinsame Besprechung, als sich Mehdorn trotz wiederholten Drängens kategorisch weigerte, die deutschen Bahnhöfe für das Gedenken an die internationalen Opfer der NS-Deportationsverbrechen zu öffnen. 
  • In ihrer Antwort auf eine Anfrage der Fraktion die Linke gibt die Bundesregierung zu: "Im November 2006 wurden insgesamt 1100 Straftaten gemeldet, die dem Phänomenbereich ‚Politisch motivierte Kriminalität - rechts' zugeordnet wurden. Darunter waren 64 Gewalttaten und 781 Propagandadelikte. Bei 180 Straftaten, darunter 46 Propagandadelikte und 33 Gewalttaten, wurde ein fremdenfeindlicher Hintergrund festgestellt. Zur Erinnerung: Das ist die Bilanz nur eines Monats! Jeder von uns kann das auf das Jahr hochrechnen. 
  • In ihrer Antwort auf eine weitere Anfrage gibt die Bundesregierung zu: "Im dritten Quartal 2006 fanden im Bundesgebiet über 40 rechtsextremistische Skinhead-Konzerte und sechs Liederabende statt." 

Beenden möchte ich die Aufzählung, die sich ohne Mühe erweitern ließe, mit dem Hinweis auf einen Skandal, der sich in unserer un-mittelbaren Nachbarschaft abgespielt hat. Er hat zu tun mit dem Hotel Gravenberg, das nur 300 Meter hier von der Gedenkstätte entfernt ist. Der Parkplatz war vor einigen Minuten der Start für unsere kleine Demonstration. In dieses Hotel hatte am 13. Januar der bekannte und berüchtigte Solinger Bauunternehmer Günther Kissel zu seinem 90. Geburtstag eingeladen. Mit der Einladung hatte er eine "nicht gehaltene Rede" verschickt, die nur so strotzt von widerwärtigem neofaschistischem Gedankengut. Es ekelt mich, daraus zu zitieren. Dagegen ist das, was Oettinger gesagt hat, Kinderkram. Kissel hatte alle aufgefordert, diese Rede zu lesen um dann zu entscheiden, ob man seine Einladung zur Geburtstagsfeier annehme oder nicht. Ein Skandal wurde daraus deswegen, weil zahlreiche Solinger Politiker - unter ihnen auch Oberbürgermeister Franz Haug höchstpersönlich - der Einladung Folge leisteten. Haug sagte, er habe die Rede bewusst nicht gelesen und könne unterscheiden zwischen dem Unternehmer und dem Privatmann. 

Es kam darüber zu einer heftigen öffentlichen Auseinandersetzung. Der Stadtrat beschäftigte sich am 8. Februar damit und verabschiedete eine Erklärung, die mit den Worten schließt: "Vor diesem Hintergrund distanziert sich der Rat der Stadt Solingen von den in der ‚nicht gehaltenen Rede' Günther Kissels enthaltenen Thesen." 

Schärfer noch hat der DGB-Regions-Vorsitzende Bergisch-Land, der Kollege Hans Peters reagiert. Ich zitiere aus seinem Schreiben: 

" …Wenn Sie in unmittelbarer Nähe zum Veranstaltungsort ‚Wenzelnberg' sich die, von Herrn Kissel bezahlten ‚Leckereien' schmecken lassen, nehme ich Ihre Aussagen bei der jeweils stattfindenden Erinnerungsfeier an die Gräueltaten der Nazi's am Wenzelnberg nicht mehr ernst…Jeder, der nach Kenntnis der ‚ungelesenen Rede' bewusst sich zu Herrn Kissel durch seine Anwesenheit bekennt, ist für mich ein stillschweigender Unterstützer einer neofaschistischen Ideologie, die nach Berichten des Verfassungsschutzes jährlich stärker und brutaler wird und allmählich, auch durch Ihre Anwesenheit den Anspruch auf ‚Normalität' durch politische Repräsentanten für sich in Anspruch nimmt." 

Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Natürlich ist damit die Frage aufgeworfen, ob wir wollen, dass Franz Haug auf einer der nächsten Gedenkfeiern, die von der Stadt Solingen organisiert wird, reden soll. Ich kann mir das nicht gut vorstellen…

Verehrte Anwesende….! 

Ja, es stimmt, und es muss zurecht auch darauf hingewiesen werden, dass sich gegen die neonazistischen Aktivität immer wieder beträchtlicher, politisch und weltanschaulich breiter Widerstand rührt. Aber, und auch das muss gesehen werden, die neofaschistischen Gefahren werden größer. Darauf verweisen nicht nur mit Recht führende Vertreterinnen und Vertreter des Zentralrats der jüdischen Gemeinden Deutschlands. 

Wir sollten davor nicht die Augen und Ohren verschließen. 

Denn schon zeichnen sich neue Provokationen ab. So wurde bekannt, dass der NPD-Landesverband NRW, zusammen mit diversen Nazi-"Kameradschaften" und der niederländischen "Volksunion" am 1. Mai in Dortmund die Gewerkschaften und die ganze Arbeiterbewegung mit einem Aufmarsch provozieren wollen. 

Ihre Route berührt den Jüdischen Friedhof, die Standorte der Judendeportationen und diverse "Stolpersteine" und den Ort, an dem im Jahr 2000 der 31jährige Neonazi Michael Berger einen Polizeibeamten (anschließend zwei weitere in Waltrop) erschoss.

III. 

Verehrte Anwesende… 

Angesichts dieser Situation wird überdeutlich: Wir verlieren unsere Glaubwürdigkeit, wenn wir das alles lediglich mit Abscheu registrieren. Wir werden dem Vermächtnis der 71 hier ermordeten wie der glücklich Überlebenden nicht gerecht, wenn wir unter Erinnerungsarbeit verstehen, dass wir uns hier einmal im Jahr zu einer Gedenkfeier treffen. Es führt kein Weg daran vorbei: Die aufgezeigten neonazistischen Aktivitäten mahnen uns, unablässig dagegen tätig zu werden - immer und immer wieder! 

Was kann, was sollte man konkret machen? 

1.) Ich denke, wir müssen die sozial-ökonomischen Ursachen für Neofaschismus erkennen. Wir dürfen nicht dabei stehen bleiben, uns nur den Neonazis in den Weg zu stellen, wo immer es erforderlich ist. Das müssen wir auch weiterhin tun. Wir müssen aber auch unseren antifaschistischen Kampf mit dem Kampf gegen soziale Ausgrenzung, gegen Perspektivlosigkeit, gegen Arbeitslosigkeit, gegen die dramatisch anwachsende Armut verbinden. Und das besonders mit Blick auf die Kinder und die Jugendlichen. Gerade auf diesem Gebiet versuchen die rechten Rattenfänger zu fischen. Da waren sie leider auch schon vor 1933 erfolgreich. Hier glauben sie auch heute ihr Nachwuchspotential zu finden. Und das Schlimme ist: Sie sind ja nicht ohne Erfolg. Das ist ja gerade das Beängstigende an der derzeitigen Entwicklung! 

Um es zusammenzufassen: Wichtig erscheint mir inhaltlich, dass wir den Zusammenhang zwischen wachsender Armut und völliger Perspektivlosigkeit großer Teile unserer Bevölkerung - ins besonderer der Jugend - und wachsender neofaschistischer Gefahr erkennen und aufzeigen und daraus für unseren Kampf die erforderlichen Schlussfolgerungen ziehen, die da lauten: 

Verbindung von Kampf gegen Neofaschismus, Rassismus, Antisemitismus…Mit dem Kampf gegen Armut, sozialer Ausgrenzung, Perspektivlosigkeit 

2.) Wir alle können und müssen uns engagieren in der von der VVN in Gang gesetzten Unterschriften-Kampagne zum Verbot der NPD. Es hat bereits einen Verbotsantrag gegeben. Der scheiterte, weil diese Partei und vor allem seine Führung durchsetzt war und ist mit V-Leuten des so genannten Verfassungsschutzes, die sich zur eigenen Tarnung auch an schweren Straftaten beteiligten. Seit über 40 Jahren agiert diese Partei nun schon in der Bundesrepublik nahezu unbehelligt. Dabei steht sie in der Tradition der NSDAP, ihre Aussagen sind rassistisch, antisemitisch und fremden-feindlich. Sie propagiert Gewalt und bietet Gewalttätern eine politische und soziale Heimat. Zigtausende besorgte Bürgerinnen und Bürger, darunter zahlreiche Künstler, Gewerkschafter, Oberbürgermeister verschiedener Städte, das Präsidium des 1. FC Nürnberg, der katholische Bischof von Regensburg haben sich bereits mit ihrer Unterschrift für ein Verbot ausgesprochen. 

Deswegen erhebe ich auch an dieser Stelle die Forderung: Auflösung aller Nazi-Organisationen! Mit der NPD beginnen! "Neonazi-Kameradschaften" zerschlagen! Rassismus und Revanchismus bekämpfen!

3.) Wir können teilnehmen an der Landesweiten Konferenz antifaschistischer Initiativen und Organisationen in NRW am 5. Mai in Leverkusen. Dort wird in einem breiten Meinungsaustausch darüber beraten, wie der antifaschistische Kampf in der Zukunft weitergeführt werden muss.

Verehrte Anwesende… Ich möchte meinen Beitrag mit einem Gedicht von Erich Fried beenden.

Gegen Vergessen

Ich will mich erinnern 
dass ich nicht vergessen will 
denn ich will ich sein 
Ich will mich erinnern 
dass ich vergessen will 
denn ich will nicht zuviel leiden

Ich will mich erinnern 
dass ich nicht vergessen will 
dass ich vergessen will 
denn ich will mich kennen

Denn ich kann nicht denken 
ohne mich zu erinnern 
denn ich kann nicht wollen 
ohne mich zu erinnern 
denn ich kann nicht lieben 
denn ich kann nicht hoffen 
denn ich kann nicht vergessen 
ohne mich zu erinnern

Ich will mich erinnern 
an alles was man vergisst 
denn ich kann nicht retten 
ohne mich zu erinnern 
auch mich nicht und meine Kinder

Ich will mich erinnern 
an die Vergangenheit und an die Zukunft 
und ich will mich erinnern 
wie bald ich vergessen muss 
und ich will mich erinnern 
wie bald ich vergessen sein werde.

Ich danke Ihnen für ihre Aufmerksamkeit.

Es sprach für die VVN-BdA Dr. Dirk Krüger, Wuppertal