Logo VVN/BdA NRW

Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

18.04.07

Mord an 1016 NS-Gefangenen

Rede von Ulrich Sander an der Gedenkstätte Feldscheune Isenschnibbe bei Gardelegen/Sachen-Anhalt

Gehalten am 13.4.07, dem 62. Jahrestag des Kriegsendphasenverbrechens 

Im Namen des Internationalen Rombergparkkomitees und der nordrhein-westfälischen VVN-BdA danke ich für die Möglichkeit, hier einige Wort an Sie richten zu dürfen.

Unserem Komitee gehören Vertreterinnen und Vertreter aus den sieben Ländern an, aus denen die Opfer der Dortmunder Gestapo-Morde im Rombergpark und der Bittermark vom Frühjahr 1945 kamen. Damals wurden mindestens 300 deutsche und ausländische Antifaschisten, Widerstandskämpfer, bisher versteckte Jüdinnen, Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter in den Wäldern rund um Dortmund ermordet, die letzten am Morgen des Tages, an dem die US-amerikanischen Truppen unsere Stadt befreiten.

„Sie werden mit uns verrecken“, hatte Heinrich Himmler im März 1945 angekündigt und den Mord an Tausenden NS-Opfern befohlen. Während zahlreiche geheime Bemühungen von Nazioberen zu verzeichnen waren, um eine Wende des Krieges - eine Wende zu einer Einigung mit dem Westen zur Fortsetzung des Krieges gegen die Sowjetunion – zu erreichen, ist gleichzeitig ein Mordfeldzug gegen deutsche und ausländische Antifaschisten und gegen wehrunwillige deutsche Soldaten gestartet worden. Viele Tausend kamen ums Leben. Die Nazis fürchteten, diese Nazigegner, vor allem Arbeiterinnen und Arbeiter, könnten sich die Früchte des Sieges über den Faschismus durch gemeinsames Handeln für eine Zukunft in Frieden und Demokratie sichern wollen.

Der von der SS angestrebte, aber vom Westen abgelehnte Frontwechsel, hätte die Widerstandskämpfer und die ausländischen Antifaschisten als Hindernisse vorgefunden. Das Regime hatte Angst, es könnte eine revolutionäre Situation wie 1918 entstehen. Deshalb der Massenmord an vielen Orten. Die Ermordeten waren sowohl die letzten Opfer des zweiten Weltkrieges als auch die ersten des neuen Kalten Krieges. Sie standen der Wiederherstellung der alten Besitz- und Machtverhältnisse im Wege. Dass ein hoher Politiker wie Hans Filbinger noch nach Kriegsende mit Genehmigung der Engländer einen deutschen Marinesoldaten verurteilte (dieser Verurteilte wurde nicht erschossen), der nicht mehr mitmachen wollte – wie wir jetzt erneut erfuhren -, das gab einen Ausblick auf die spätere Lage: Filbinger, der furchtbare Jurist, wurde Ministerpräsident, die Widerstandskämpfer wurden politisch ausgeschaltet.

Was war das Verbrechen der Kriegsendphasenopfer? Nach unserer Gedenkveranstaltung in Dortmund vom Karfreitag schrieb eine Dortmunder Zeitung: „Ihr einziges Verbrechen war es, sich Gedanken darüber zu machen, wie es nach dem Nationalsozialismus politisch weitergeht.“ (WR/WAZ 7.4.07) Ja, sie sehnten sich nach dem Zuhause, so sie Ausländer waren. Sie sehnten sich nach einem Deutschland des Friedens, nach einem Leben ohne faschistische Unterdrückung. Das einte die deutschen wie die ausländischen Opfer.

Vor zwei Jahren haben wir in Dortmund den Kontakt zu vielen Orten der Kriegsendphasenverbrechen hergestellt. Insgesamt sind Gruppen von Hinterbliebenen aus 60 Orte mit grausamer Geschichte um das Jahr 1945 herum nun mit uns verbunden. Auch mit Freunden aus Gardelegen sind wir seitdem in Kontakt. Es geht uns darum, das Vermächtnis derer hoch zu halten, die noch kurz vor Kriegsende so grausam umgebracht wurden. Ihre Mörder blieben zumeist straffrei. Doch im Schwur von Buchenwald heißt es: Wir dürfen nicht ruhen, bis auch die letzten Schuldigen vor den Richtern der Völker stehen. Und wir dürfen nicht ruhen, zu verhindern, dass die Täter von damals in Gestalt ihrer Nachfolger wieder zu Einfluß gelangen.

Dazu gehört für uns, dass wir entschieden Stellung nehmen gegen den sich ausbreitenden nazistischen Ungeist. Für Dortmund bedeutet es, den Plan der deutschen Neonazis, am 1. Mai in Dortmund einen Aufmarsch durchzuführen, zu verhindern. Die Tagung des Internationalen Rombergparkkomitees forderte das Verbot der NPD, und sie schloss sich der noNPD-Kampagne der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten an.

Gestatten Sie mir aus einer Erklärung von der Tagung des Internationalen Rombergparkkomitees zu zitieren, die von Siegmund Gingold aus Paris, dem Bruder unseres unvergessenen Peter Gingold, formuliert wurde: „Wir müssen gemeinsam wachsam sein!

Bedroht sind diese Welt und der Frieden von Armut, von täglichem Hungertod. ... Es gilt Widerstand zu leisten gegen die heutige Weltherrschaft, die Not und Ungerechtigkeit zustande bringt. Wir wollen dazu beitragen zu verhindern, dass die junge Generation von rassistischem Hass und Gewalt beeinflusst wird. Es gilt, die Jugend zu überzeugen, auf dass sie für eine bessere Welt ohne Armut, für Frieden, Solidarität, für soziale Gerechtigkeit und die Menschenrechte eintritt. Ohne diese Hoffnung werden wir eine sehr schwere Zukunft erleben.“

Eine Welt des Friedens und der Freiheit aufzubauen, das sind wir den ermordeten Kameraden schuldig, heißt es in dem Schwur von Buchenwald. Nie wieder Krieg und nie wieder Faschismus – das sind wir den Ermordeten der Scheune von Isenschnibbe, von Dortmund-Bittermark, aus der Wenzelnbergschlucht, von Penzberg und von vielen weiteren Mordstätten schuldig.