12.03.07
Ein Schatten neben der schillernden Anne?
Über Anne Franks Schwester Margot
Von Heide Kramer, März 2007
"Margot ist in der Schule immer "summa cum
laude"", beurteilte Anne Frank in einer Tagebucheintragung
ehrfürchtig ihre drei Jahre ältere Schwester. --- Trotz aller
Bewunderung verwies Anne dennoch ihre Schwester Margot
jahrzehntelang ungewollt in eine "Schattenecke". Denn Anne
Frank hinterließ der Nachwelt mit ihren Tagebuchaufzeichnungen aus
der Periode 1942 bis 1944 einen wichtigen Zeitzeugenbericht.
Nachweislich hat jedoch auch Margot Frank im Amsterdamer Versteck
intensiv Tagebucheintragungen vorgenommen. Aber sie vollzog das
unauffälliger. Niemand hat jemals diese Schriften lesen können, da
Margots Dokumente in den Verhaftungs- und Plünderungswirren durch
die Nazis verloren gingen. Sie blieben im Gegensatz zu Annes
Papieren verschollen. Wenn nun auch das Tagebuch der Margot Frank
hätte offeriert werden können? Bedauerlicherweise muss diese Frage
unbeantwortet bleiben.
Margot --- ein Schatten neben der schillernden Anne -- 'nur' ein
selbstverständliches Familienmitglied Frank? -- Weit gefehlt!
"Die Schwestern Margot und Anne Frank, 1933"
Tusch-/Wachszeichnung von ©Heide Kramer, Hannover, 1999 |
Richtet man sein Augenmerk gezielt auf diese stille Schwester,
wird man schnell gewahr, dass Margot Frank keineswegs ein
Schattendasein geführt hat. Bereits in Frankfurt am Main, wo sie am
16. Februar 1926 geboren wurde, gibt es Hinweise auf Margot. Sie
ging hier seit 1932 in die Ludwig-Richter-Schule am Eschersheimer
Lindenbaum.1) Frau Gertrud Trenz-Naumann, die erste Frankfurter
Jugendfreundin der Kinder Frank wusste, dass sich ehemalige
Mitschülerinnen an die in die Emigration gegangene Freundin Margot
erinnerten.2)
Margot Frank, ein zurückhaltendes, sanftes, wunderschönes Kind
mit ausdrucksvollen schwarzen Augen, fiel sofort durch ihre guten
Leistungen in der Schule auf. Margot war eine beliebte
Mitschülerin. Offensichtlich hatte Frau Edith Frank mit ihrer
Erstgeborenen keine Schwierigkeiten. Das dokumentierte ein Babybuch,
worin Edith sorgfältig ihre Beobachtungen zum Entwicklungsstand
ihrer gehüteten kleinen Tochter festhielt. Aus der ersten
Lebensphase der Kinder Frank in Frankfurt am Main existieren sehr
anrührende Fotos, die vom Vater Otto aufgenommen wurden. Einige
zeigen die dreijährige Margot, wie sie die am 12. Juni 1929
nachgeborene Schwester Annelies Marie umsorgt und beschützt. Die
Nachbarskinder, darunter vorrangig die neunjährige Gertrud Naumann,
spielten zunächst mit Margot, später wurde auch die kleine
Schwester einbezogen.
Als die Familie Frank 1933 Deutschland verlassen musste, machte
sich 'Omi Frank' aus der Ferne Sorgen um ihre Enkelkinder. 'Omi
(Alice) Frank', die Mutter Otto Franks, lebte zu diesem Zeitpunkt
bereits in der Schweiz. Sie äußerte angstvoll in einem Brief an
die Frankfurter Freundin Gertrud Naumann, nun müssten die Kinder
zwangsläufig eine neue Sprache erlernen und Margot hätte ja auch
in eine neue Schule zu gehen. Was solle nur werden, sie seien doch
noch so klein.3) Aber die Schwestern Frank bewältigten alles
hervorragend. Die Eltern schickten Margot in das Städtische
Mädchenlyzeum Amsterdam-Süd, das einen sehr guten Namen hatte.
Auch Anne sollte in diese Schule gehen, doch die
Schreckensherrschaft der Faschisten machte dieses Vorhaben
zunichte.4) Anne besuchte dann Montessori-Kindergarten und -schule
in Amsterdam-Süd. Da jüdischen Kindern der Schulbesuch
"normaler" Schulen nach dem Einfall der Deutschen
Wehrmacht am 10. Mai 1940 verboten wurde, wechselten Margot und Anne
zwangsläufig in das Jüdische Lyzeum über. Inzwischen entwickelte
sich Margot zur attraktiven Sechzehnjährigen. Die noch kindhafte
Anne fühlte sich der älteren Schwester mit den nun ernsteren
Interessen häufig unterlegen und von den Eltern benachteiligt. Aber
Margot Frank durfte ihr Leben nicht auskosten. Ihr galt im Juli 1942
unverhofft ein Aufruf von der SS für einen
"Arbeitseinsatz" nach Deutschland. In Wahrheit sollte sie
einem Konzentrationslager überstellt werden. Edith und Otto Frank
verließen ihre Wohnung am Merwedeplein und flüchteten
unverzüglich mit den beiden Töchtern in das seit 1941 heimlich
vorbereitete Versteck im Hinterhaus der Prinsengracht 263. Zunächst
schien es, dass die lebenslustige Anne diese Umstrukturierung besser
verkraften würde als ihre Schwester. Wie Anne Frank in ihrem
Tagebuch berichtete, stand jedoch ihre Schwester Margot sehr bald
unter dem psychischen Druck der gegebenen Realitäten. Ähnlich auch
die Mutter. Edith und Margot zogen sich deprimiert in sich selbst
zurück, Margot vergrub sich in Arbeit. Hatte sie vielleicht eher
das Naturell ihrer Mutter, obgleich sie vom Äußeren dem Vater Otto
ähnelte, während Anne ihrem Vater in vielen Wesenszügen glich? Im
Gegensatz zu Anne wurde Margot von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen als
diszipliniert charakterisiert: Ordentlich, systematisch auf ihre
Arbeit konzentriert. Die lebhafte Anne war dagegen kaum zu bändigen
und fast immer in Bewegung.
Doch allmählich fühlte sich Anne von den mit ihr im Versteck
lebenden Mitgliedern unverstanden. Sie wusste zwar durchaus um die
Hintergründe des Geschehens, war jedoch zu jung für die
schrecklichen Belastungen, die für sie und die übrigen
Eingesperrten zunehmend zur Lebensbedrohung wurden. Hinzu kam die
sich allmählich entwickelte Zuneigung zu ihrem jugendlichen
Mitbewohner Peter van Pels. Anne mag ihrerseits ihre Schwester
Margot und auch die Eltern wohl ebenso häufig missverstanden haben.
Sie schrieb aber in ihr Tagebuch, dass Margot im Laufe der Zeit
offener wurde und auch für Scherze bereit. Vielleicht hätte sich
Margot doch gern enger an Anne und Peter geschlossen obwohl sie
dieses - entgegen Annes Vermutungen - widerrief? Im Versteck
äußerte Margot einmal gegenüber ihrer Schwester den Berufswunsch,
nach dem Krieg in Palästina Krankenschwester werden zu wollen, was
Anne etwas herablassend kommentierte. Im Laufe der Zeit verbesserte
sich vermutlich das Verhältnis der erwachsener werdenden Schwestern
Frank.
Margot und Anne kamen nach ihrer Verhaftung am 4. August 1944
gemeinsam mit den Eltern und den anderen Mitbewohnern aus dem
Hinterhausversteck zunächst in das Gestapogefängnis Amsterdam und
von dort über das Durchgangslager Westerbork nach Auschwitz. Die
Menschen wurden dort unmittelbar nach ihrer Ankunft voneinander
getrennt. Der Vater Otto verblieb im Stammlager Auschwitz I. Die
Mutter Edith geriet mit ihren Töchtern in das Frauenlager
Auschwitz-Birkenau. Edith Frank umsorgte ihre Kinder bis zuletzt.
Die Schwestern Frank wurden Ende Oktober 1944 mit weiteren
Häftlingen von Auschwitz-Birkenau nach Bergen-Belsen deportiert.
Edith Frank blieb allein in Auschwitz zurück und starb dort völlig
vereinsamt am 6. Januar 1945. Otto Frank überlebte als einziger.
Ihn befreite am 27. Januar 1945 in Auschwitz die Rote Armee. Er
kehrte auf Umwegen in die Niederlande zurück und übersiedelte
Anfang der fünfziger Jahre mit seiner zweiten Ehefrau Fritzi in die
Schweiz. Die Mitbewohner aus dem Amsterdamer Hinterhausversteck
(Familie van Pels mit dem Sohn Peter und der Zahnarzt Dr. Pfeffer)
überlebten Konzentrationslager und Todesmarsch nicht. Im März 1945
gingen Margot und Anne Frank in Bergen-Belsen an den Folgen von
Hunger, Kälte und Typhus elend zu Grunde. Anne starb einige Tage
später als Margot. Mithäftlinge aus Bergen-Belsen, die zu
Zeitzeugen geworden sind, haben überliefert, Anne sei am Tod ihrer
Schwester Margot gestorben. Vielleicht aber hätte beide die
Gewissheit vom Überleben des Vaters am Leben gehalten.
© by H. Kramer
Quelle 1) © Anne aus Frankfurt", Historisches Museum der
Stadt Frankfurt am Main, 1990.
2)-3) © Frau Gertrud Trenz,
Frankfurt am Main, verstorben am 1. Dezember 2002 in Frankfurt am
Main.
4) © Internetbeitrag: http://projet.comenius.free.fr/allemagne/amsterdam.htm
(United Document).
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