17.02.07
Widerstand und Verfolgung der Jugend
Conrad Taler über Anne Frank,
Weiße Rose und Hübener-Gruppe
Conrad Taler (das ist Kurt Nelhiebel), geb. 1927, lebt in Bremen
und arbeitet für in- und ausländische Printmedien und den
Hörfunk. "Die Verharmloser" ist der Titel seines 1996 bei
Donat in Bremen erschienenen Buches über den falschen Umgang in
diesem Lande mit den Ultrarechten. Talers Buch „Zweierlei Maß –
oder Juristen sind zu allem fähig“ (papy rossa, Köln 2002)
schildert den vernichtenden Umgang mit dem juristischen Personal der
DDR und die Schonung der blutigen Nazijuristen durch
Bundesdeutschland. Auch der „Braune Faden – zur verdrängten
Geschichte der BRD“ (papy rossa Köln 2005) zeigt die lange
Geschichte der Verharmlosung des Einflusses alter und neue Nazis.
„Asche auf vereisten Wegen. Bericht vom Auschwitzprozess“ (papy
rossa Köln 2003) fasst seine Berichte vom Auschwitzprozess von 1963
bis 1965 zusammen, eine Chronik des Grauens, die unvorstellbare
Tatsachen zu Tage förderte. Unzählig seine Artikel und
Funkbeiträge, die sich vor allem mit der Wirkung des Vergangenen,
das nicht vergeht, auf das Heute befassen. Wir geben hiermit seine
Hörfunkbeiträge über jugendliche Widerstandskämpfer und NS-Opfer
wieder, die er 1977 in Radio Bremen präsentierte. Die übliche
Praxis der Medien, wenn überhaupt über Jugend im NS zu berichten,
dann nur über Anne Frank und die Geschwister Scholl (weil aus dem
Ausland bekannt), wird von Taler durchbrochen mit seinem Beitrag
über den 17jährig hingerichteten Helmuth Hübener.
Conrad Taler: Über den Widerstand
gegen Hitler
Einleitender Text für die Jugendfunksendung am 8. Mai 1971
Als ich mich daranmachte, diesen Text über den Widerstand gegen
Hitler zu konzipieren, wurde ich mir unversehens, einer großen
Schwierigkeit bewusst: sie besteht in der Unkenntnis vor allem
junger Menschen. Sie haben so wenig über Hitler und sein Regime der
Unfreiheit erfahren, daß ihnen die Notwendigkeit des Widerstandes
gar nicht so ohne weiteres einleuchten kann. Deshalb ist es
erforderlich, jene Zeit von 1933 bis 1945 ein wenig zu
charakterisieren.
Damals vertrauten sich die Deutschen einem Mann und einer Partei
an, die versprachen, endlich für Ruhe, Ordnung und Arbeit zu
sorgen. Die neuen Machthaber verboten die demokratischen Parteien
und die freien Gewerkschaften. Grundlegende demokratische Freiheiten
wurden abgeschafft. Es gab weder Meinungsfreiheit noch
Pressefreiheit. Andersdenkende wurden unterdrückt, eingesperrt und
getötet. Zugleich entstand in Deutschland eine gigantische
Rüstungsindustrie, die Hitlers Armee jene Waffen lieferte, mit
denen Ende der dreissiger, Anfang der vierziger Jahre nahezu alle
Länder Europas überfallen und unterjocht wurden. Das Ergebnis war
der zweite Weltkrieg, der für Deutschland ein schlimmes Ende nahm.
Neben den Anhängern Hitlers gab es auch Deutsche, die sich gegen
die Terrorherrschaft auflehnten. Die Anfänge des Widerstandes
reichen weit zurück in die Zelt vor der Machtübernahme der
sogenannten Nationalsozialisten. Der Erfolg blieb ihm versagt, weil
die Demokraten in den unterschiedlichen Parteien ihr gegenseitiges
Misstrauen nicht überwinden und weil sie nicht zum, gemeinsamen
Handeln gegen die heraufziehende Gefahr zusammenfinden konnten.
Erst später gab es sozusagen im Schatten der Konzentrationslager
und des Fallbeils vereinzelt das Zusammenwirken von Patrioten aus
verschiedenen politischen Lagern. So kam es denn, dass mitunter ein
Kommunist der Zellennachbar eines inhaftierten katholischen
Priesters war, oder dass auf den Appellplatz eines
Konzentrationslagers ein sozialdemokratischer
Gewerkschaftsfunktionär Schulter an Schulter mit einem
Intellektuellen bürgerlicher Herkunft stand. Dies war nämlich das
Risiko des Widerstandskämpfers: inhaftiert, gefoltert oder gar
getötet zu werden.
Der Entscheidung zum Widerstand lagen unterschiedlichste Motive
zugrunde. Angefangen von der politischen Überzeugung bis hin zur
christlichen Ethik. Niemand wurde zur aktiven Gegnerschaft
gegenüber dem nationalsozialistischen Gewaltregime gezwungen. Die
Entscheidung traf jeder für sich allein oder sie fiel in einer
Gruppe Gleichgesinnter.
Obwohl die Widerstandskämpfer sich einer Welt der Gewalt
gegenübersahen, war ihr Tun im wesentlichen von Gewaltlosigkeit
bestimmt. Das Sprengstoffattentat auf Hitler vom 2o. Juli 1944
gehört zwar zu den am häufigsten zitierten Widerstandshandlungen,
aber es ist gleichwohl nicht typisch für die Kampfesweise der
Antifaschisten. Ihre Waffe war das Wort. Der Widerstand gegen Hitler
war im wesentlichen ein Kampf um die Hirne der Menschen, er war eine
Suche nach Verbündeten; Widerstand war Kampf zur Verbreitung der
Wahrheit in einer Welt der Lüge und der Täuschung. Hierin
widerspiegelt sich die humanistische Grundidee der deutschen
Widerstandsbewegung und ihr demokratischer Charakter.
Unter den Opfern und aktiven Gegnern des Gewaltregimes waren
verhältnismässig viele junge Frauen und Männer. Nach einer
unvollständigen Übersicht wurden in der Zeit von Februar 1933 bis
Mai 1945 insgesamt 469 Widerstandskämpfer im Alter zwischen 16 und
3o Jahren getötet. Die meisten starben in Konzentrationslagern,
Zuchthäusern und Gefängnissen. Von einigen soll im Laufe dieser
Sendung noch die Rede sein.
Anlass dieser Erinnerung ist der 8. Mai, also das Datum von
heute. Am 8. Mai 1945 brach das Hitler-Regime zusammen. Gleichzeitig
ging der zweite Weltkrieg zu Ende. Zur dreissigsten Wiederkehr jenes
Tages richtete Bundespräsident Scheel eine Mahnung an die Jugend
von heute. Er sagte:
"Die ältere Generation wünscht, dass Ihnen, den Jungen,
erspart bleibt, was sie verfehlt, verschuldet, erlitten hat. Unsere
Bitte an Sie ist: Lassen Sie sich nicht verführen von Demagogen und
Wirrköpfen, die Ihnen weismachen wollen, dass der Zweck die Mittel
heiligt...Kein Staat ist vollkommen. Auch der unsere nicht. Doch
vergleichen Sie ihn. Helfen Sie, diesen Staat besser zu machen,
Misstände, Verstaubtes, Ungerechtes zu beseitigen... Dieser Staat
ist es wert, dass Sie sich um ihn bemühen..."
Soweit Bundespräsident Scheel. Seine Mahnung gilt sicher für
alle. Und wenn es ein Erbe des Widerstandes gibt, dann ist es der
Appell, die demokratischen Freiheiten konsequent zu schützen und
gegen jede Aushöhlung zu verteidigen.
Conrad Taler: Anne Frank Ein Leben
im Untergrund
In den nächsten Minuten soll von Anne Frank die Rede sein, jenem
jüdischen Mädchen, das während des zweiten Weltkrieges im
Untergrund leben musste und dort sein Tagebuch über die Verfolgung
der Juden durch die Schergen Hitlers schrieb. Streng genommen war
Anne Frank keine Widerstandskämpferin. Sie wandte sich mit ihren
Texten nicht an die Öffentlichkeit und suchte nicht nach
Verbündeten, um das eigene Schicksal zu wenden. Aber sie ragt
heraus aus der Millionenschar der Gepeinigten und Verfolgten. Anne
Frank liess sich nicht passiv dahintreiben. Sie beobachtete mit
wachem Verstand das Geschehen und brachte die innere Auflehnung zu
Papier. Die stumme Anklage verwandelte sich später in einen Schrei
des Entsetzens, als das Tagebuch der Anne Frank weltweit Zeugnis
ablegte von der Qual der Unterdrückten und der Grausamkeit ihrer
Peiniger.
Die eigentliche Geschichte des Mädchens ist rasch erzählt. Nach
der Machtübernahme der Nationalsozialisten flieht die jüdische
Familie aus Deutschland. Sie findet Asyl in Holland, wo der Vater
als Direktor eines Unternehmens arbeitet. Doch dann besetzen die
Truppen Hitlers auch Holland und die Verfolgung der Juden setzt auch
dort ein. Um der Verschleppung zu entgehen, versteckt sich die
Familie in einen Hinterhaus der Prinzengracht in Amsterdam. Auf
engem Raum verbringt sie dort mehr als zwei Jahre. Über diese Zeit
berichtet das frühreife Mädchen Anne in seinem Tagebuch.
Die Eintragungen enthalten nicht nur Angaben über den Ablauf des
familiären Lebens, sondern auch über das Schicksal der Juden
allgemein. Von den Schikanen, die am Anfang der Judenverfolgung
standen, haben heute nur noch wenige Menschen eine Vorstellung. Die
Juden mussten eine gelben Stern tragen, damit sie äusserlich
erkenntlich waren. Anne Frank hält fest, dass sie ihre Fahrräder
abgehen mussten und nicht mehr mit der Elektrischen fahren durften,
von Autos gar nicht zu reden. "Juden durften nur (nachmittags)
zwischen drei und fünf Uhr einkaufen, und dann nur in jüdischen
Geschäften. Sie durften nach acht Uhr abends nicht mehr auf die
Strasse. Juden durften weder ins Theater noch ins Kino gehen. Sie
durften auch nicht mehr schwimmen, Tennis oder Hockey spielen,
Überhaupt keinen Sport mehr betreiben."
Dreizehn Jahre alt war Anne, als sie diese Zeilen schrieb. Ihre
Auffassungsgabe und ihr Ausdrucksvermögen widerspiegeln einen
Reifeprozess, den junge Menschen sonst viel später durchmachen. Das
Mädchen wird als warmherzig und lebhaft beschrieben, als
aufgeschlossen, hilfsbereit und humorvoll. Sein Wesen dürfte zum
Teil auch davon geprägt worden sein, dass es in einer gebildeten,
wohlhabenden Familie heranwuchs. Das aus Deutschland stammende Kind
spricht längst fliessend holländisch und beherrscht auch Englisch.
Anne hört Rundfunksendungen aus London und kann sich so ein Bild
vom Kriegsgeschehen machen.
Bedrückt hält sie in ihrem Tagebuch fest, was sonst noch
geschieht. "Unsere jüdischen Freunde und Bekannten werden in
Mengen weggeholt", notiert sie am 9. Oktober 1942. "Sie
werden in Viehwagen geladen und nach dem Judenlager Westerbork
gebracht." Weiter heisst es: "Wenn es hier in Holland
schon so schlimm ist, wie furchtbar wird es dort in der Ferne sein,
wohin sie verschickt werden. Das englische Radio berichtet von
Gaskammern..."
Als es im Einwohnermeldeamt von Amsterdam brennt und zugleich
wichtige Kartotheken verschwinden, jubelt das Mädchen: Etwas feines
ist passiert." Nun sei das Aufrufen und Auffinden der Menschen
die verschleppt werden sollen, sehr erschwert. Und als das Attentat
auf Hitler am 2o. Juli 1944 gemeldet wird, spricht Anne spontan von
"tollen Berichten". Zugleich vermerkt sie ironisch, der
Anschlag sei nicht einmal von "jüdischen Kommunisten oder
englischen Kapitalisten" verübt worden, sondern von einem
"edel-germanischen General, der Graf ist und überdies noch
jung..." Damit glossiert Anne Frank eine besondere
Propagandamethode der Nationalsozialisten. Sie bestand darin, für
alle Übel der Welt die Juden oder die Kommunisten verantwortlich zu
machen, und wenn gar nichts mehr half, dann musste die Synthese
alles Bösen her. Der jüdische Kommunist.
Den psychologischen Schlüssel zu ihren umfangreichen
Aufzeichnungen hat Anne Frank selbst geliefert. Sie notierte eines
Tages: "Mit dem Schreiben löst sich alles, mein Kummer
schwindet, der Mut lebt wieder auf." Die letzte Eintragung
trägt das Datum des 1. August 1944, und zwar erläutert Anne hier,
weshalb sie sich selbst "ein Bündelchen Widerspruch"
nennt.
Am 4. August wurde die Familie Frank vor der Polizei entdeckt und
verschleppt. Nur der Vater kehrte zurück. Anne Frank starb im März
1945 im Konzentrationslager Bergen-Belsen. Sie war knapp 16 Jahre
alt.
Conrad Taler: Helmuth Hübener
Enthauptet wegen Verbreitung der Wahrheit
Im Sommer des Jahres 1941 tauchten in Hamburger Arbeitervierteln
Flugblätter auf, die Hitlers militärische Niederlage prophezeiten
und zum Widerstand gegen das Völkermorden aufriefen. Dies geschah
zu einer Zeit, in der die Streitkräfte des nationalsozialistischen
Deutschlands ihre grössten Erfolge verbuchten. Wer in einer solchen
Situation den Untergang des Hitlerregimes voraussagte, musste
weitsichtig und mutig zugleich sein. Urheber der Flugblätter waren
vier Lehrlinge, junge Arbeiter und Angestellte. Der geistige Kopf
dieser Widerstandsgruppe hiess Helmuth Hübener, von Beruf
Verwaltungslehrling und 1941 sechzehn Jahre alt. Seine Mitstreiter
waren der 16 Jahre alte Schlosserlehrling. Rudolf Wobbe, der 18
Jahre alte Malergeselle Karl-Heinz Schübbe und der 17 alte
Verwaltungslehrling Gerhard Düwer.
Helmuth Hübener wuchs in einfachen Verhältnissen heran. Der
begabte und aufgeschlossene Junge absolvierte die mittlere Reife und
arbeitete von 1941 an als Lehrling der gehobenen.
Verwaltungslaufbahn bei der Sozialbehörde Hamburg. Wie andere
Gleichaltrige war er Mitglied der Organisation
"Hitler-Jugend", in der er begeistert mitarbeitete. In
Konflikt kam Helmuth mit der offiziellen Ideologie aus religiösen
Gründen, und zwar weil seine Glaubensgemeinschaft, die Kirche Jesu
Christi der Heiligen der letzten Tage, also die Mormonen,
unterdrückt wurde. Sehr bald erkannte er auch politische
Zusammenhänge und der in der Hitler-Jugend ausgeübte Zwang wurde
ihm verhasst.
Im Schwimmbad bekam der Heranwachsende Kontakt zu einer Gruppe
kommunistischer Jugendlicher. Dabei erfuhr er zum erstenmal, dass.
Gegner Hitlers in, sogenannte Konzentrationslager gesperrt und dort
jahrelang ohne Gerichtsurteil festgehalten wurden. Die zunehmende
Abneigung gegen die offiziellen Ansichten veranlasste Helmuth
Hübener, die Nachrichten ausländischer Sender zu hören, ein
damals strafwürdiges Verbrechen. Er verglich diese Nachrichten mit
Veröffentlichungen der Nazipresse und entdeckte dabei die
abgrundtiefe Verlogenheit der nationalsozialistischen Propaganda.
Von da an war es nicht mehr weit bis zu dem Entschluss, die
Wahrheit auf Flugblättern unter die Menschen zu bringen. Helmuth
stellte die Flugschriften zunächst allein her. Später verfasste
und verbreitete er sie gemeinsam mit drei Freunden. Von August 1941
an gaben sie in Abständen von acht bis 14 Tagen längere Berichte
heraus, auf denen die nationalsozialistische Propaganda dem
tatsächlichen Kriegsverlauf gegenüberstellt wurde.
Kampferprobte ältere Hitlergegner hoben später rühmend hervor,
nur wer selbst in der Widerstandsbewegung tätig gewesen sei, könne
ermessen, was es bedeute, mehr als 35 Aufklärungsschriften in
wenigen Monaten zu verfassen, zu vervielfältigen und zu verbreiten.
Aufgrund einer Denunziation wurden die vier jungen Antifaschisten
am 5. Februar 1942 verhaftet. Es spricht für Helmuth Hübeners
Lauterkeit, dass er alles auf sich nahm, um die Freunde zu
entlasten. Die Geheime Staatspolizei, kurz Gestapo genannt, konnte
sich nicht vorstellen, dass ein 17Jähriger so qualifizierte
Flugblätter verfasst hatte. Sie vermutete erwachsene Hintermänner
und folterte den jugendlichen Häftling, um ihn zur Preisgabe von
Namen und Adressen zu bewegen. Aber es gab keine Hintermänner.
Der Volksgerichtshof in Berlin konstatierte bei Helmuth Hübener
eine weit über dem Durchschnitt liegende Intelligenz und
charakterisierte die Tätigkeit des jungen Mannes als besonders
schwerwiegend. Das Gericht verurteilte ihn wegen wie es hiess -
Vorbereitung zum Hochverrat und landesverräterischer
Feindbegünstigung zum Tode. Am 27. Oktober 1942 wurde Helmuth
Hübener im Gefängnis Plötzensee enthauptet. Sein Grab ist
unbekannt.
Leider gilt dies nicht nur für das Grab, sondern auch für der
Namen Helmuth Hübener schlechthin. Obwohl es sich hier um einen
exemplarischen Fall handelt, wurde er ganz offensichtlich weder von
Politikern und Publizisten noch von Pädagogen in ausreichendem
Maße herangezogen, um jungen Menschen das Thema Widerstandsrecht
und Widerstandspflicht nahezubringen. Aber das hindert niemand
daran, bei passender Gelegenheit darüber zu wehklagen, dass es der
Jugend von heute an Vorbildern fehle...
Vielleicht ist es ganz nützlich, an das zu erinnern, was der
Schriftsteller Ernst Wiechert über die Widerstandskämpfer schrieb:
"Die Helden und Märtyrer jener Jahre, sie sind nicht
diejenigen, die mit dem Kriegslorbeer aus den eroberten Ländern
zurückkehrten. Sie sind diejenigen, die hinter Gittern und
Stacheldraht zur Ehre des deutschen Namens starben und verdarben.
Conrad Taler: Die Widerstandsgruppe
"Weisse Rose"
Als die Nationalsozialisten in Deutschland die
Regierungsverantwortung übernahmen, waren die meisten späteren
Mitglieder der Widerstandsgruppe "Weisse Rose" noch
Kinder. Hans und Sophie Scholl, Alexander Schmorell, Christoph
Probst und Willi Graf unterschieden sich damals keineswegs von
anderen Gleichaltrigen. Die Eltern waren gutsituierte Bürger, die
es bei der Erziehung der Kinder an nichts fehlen liessen.
Hans und Sophie Scholl, die hier stellvertretend für die anderen
vorgestellt werden sollen, empfanden zunächst eine schwärmerische
Zuneigung für die Parolen Hitlers. Dass der Führer der neuen
Regierung versprach, Deutschland zu Grösse, Glück und Wohlstand
führen zu wollen, fanden sie natürlich gut. Sie stimmten auch
damit überein, dass jeder Arbeit und Brot haben sollte. Den
Warnungen des Vaters, die neuen Herren seien Wölfe im Schafspelz,
schenkten die Geschwister keine grosse Beachtung.
Dennoch fielen bald die ersten Schatten auf das scheinbar rosige
Bild. Die Vorliebe von Hans für Volkslieder aus aller Welt
kollidierte mit den engherzigen Ansichten der parteioffiziellen
Jugend. Von da an veränderte sich das Wesen des Jungen auf
merkwürdige Weise, wie seine Schwester Inge später berichtete.
Seine Unbekümmertheit schwand und er begann, vieles mit anderen
Augen zu sehen.
Diese Entwicklung verstärkte sich, nachdem die Geschwister
ebenso wie ihre späteren Mitstreiter ein Medizinstudium in München
aufgenommen hatten und Zugang zu Schätzen der Weltliteratur
bekamen, die der Allgemeinheit nicht mehr zugänglich waren. Die in
christlichem Geiste erzogenen jungen Menschen fühlten sich
angesprochen von der Gedankenwelt des Humanismus, die sich ihnen da
erschloss. Damit setzte zugleich eine zunehmende Distanzierung von
den völkischen Parolen der Nationalsozialisten ein, die
schliesslich in geistige und politische Gegnerschaft einmündete,
als die Studenten erfuhren, dass die Machthaber Andersdenkende
willkürlich in Konzentrationslager sperrten. Vertieft wurde der
Wille zum Widerstand, nachdem Hans Scholl bei einem Einsatz als
Mediziner an der Ostfront die Grausamkeit des Krieges kennengelernt
und zugleich von den Massenmorden an Juden erfahren hatte.
Vom Sommer 1942 an erschienen in München illegale Flugschriften,
die sich "Flugblätter der weissen Rose" nannten. Die mit
Schreibmaschine geschriebenen Texte riefen zum passiven Widerstand
gegen die wie es hiess atheistische Kriegsmaschine auf. Täglich
würden Tausende in Russland fallen. Zugleich gaben die Verfasser
davon Kenntnis, dass seit der Eroberung Polens 300 000 Juden auf
bestialische Weise ermordet worden seien.
Der Widerstand der jungen Leute erfolgte überwiegend aus
moralisch-sittlichen Motiven. Davon zeugen Formulierungen wie diese:
"Wir suchen eine Erneuerung des schwerverwundeten deutschen
Geistes von innen her zu erreichen. Zerreist den Mantel der
Gleichgültigkeit den ihr um Euer Herz gelegt habt. Unterstützt die
Widerstandsbewegung. Glaubt nicht der nationalsozialistischen
Propaganda, die Euch den Bolschewistenschreck in die Glieder gejagt
hat."
Über viele Monate hinweg verbreiteten Hans und Sophie zusammen
mit ihren Helfern, , zu denen auch Prof. Kurt Huber gehörte, auf
verschiedene Weise die Flugblätter der weissen Rose. Am 18. Februar
1943 wurden sie beim Auslegen von Flugschriften im Gebäude der
Münchner Universität entdeckt und kurz darauf festgenommen. Im
Prozess vor dem Volksgerichtshof nahmen die Geschwister alles auf
sich. Ihr nobles Auftreten beeindruckte selbst feindlich gesonnene
Prozessbeobachter.
Wahrscheinlich war es der Edelmut dieser jungen Menschen, der die
Blutjustiz des Drittes Reiches bewog, im wahrsten Sinne des Wortes
kurzen Prozess zu machen. Insgesamt wurden sechs Todesurteile
gefällt. Bereits vier Tage nach der Verhaftung erfolgte am 22.
Februar 1943 in München-Stadelheim die Hinrichtung von Hans und
Sophie Scholl sowie von Christoph Probst.
Im Juli jenes Jahres starb Alexander Schmorell von Henkershand
und im Oktober folgten Willi Graf sowie Professor Kurt Huber, der
Vertraute und Mentor der jungen Widerstandskämpfer. In seinem
Schlusswort vor Gericht hatte Professor Huber erklärt: "Wir
wollten die Rückkehr zu sittlichen Grundsätzen, zum Rechtsstaat,
zu gegenseitigem Vertrauen von Mensch zu Mensch." Und Sophie
Scholl hielt den Richtern entgegen: "Was wir sagten und
schrieben, denken ja so viele. Nur wagen sie nicht, es
auszusprechen."
Vielleicht ist dies die fortdauernde Mahnung der
Widerstandskämpfer: es niemals an Zivilcourage fehlen zu lassen.
Literatur zum Thema Jugend im
Widerstand
Jugend contra Nationalsozialismus
Verfasser: Hans Ebeling und Dieter Hespers
Bartmann-Verlag 1968
Helmuth Hübener
Herausgeber: Franz Ahrens
Hermes-Verlag 1946
Entscheidungen Jugend im Widerstand
Verfasser: Karl-Heinz Jahnke
Röderberg-Verlag Frankfurt/M.
Gegen den Strom
Verfasser: Arno Klönne
Norddeutsche Verlagsanstalt
Die evangelische Jugendverbände Württembergs und die
Hitlerjugend 1933/1934
Verlag Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 1958
Jugend im Feuerofen
Verfasser: Ferdinand Oertel
Paulus-Verlag Recklinghausen 1960
Die weisse Rose
Verfasserin: Inge Scholl
Fischer Bücherei 1956
Das Tagebuch der Anne Frank
Fischer Bücherei 1955, Union Verlag 1961
Der antifaschistische Widerstand
Bildband
Röderberg-Verlag
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