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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

17.02.07

Widerstand und Verfolgung der Jugend 

Conrad Taler über Anne Frank, Weiße Rose und Hübener-Gruppe

Conrad Taler (das ist Kurt Nelhiebel), geb. 1927, lebt in Bremen und arbeitet für in- und ausländische Printmedien und den Hörfunk. "Die Verharmloser" ist der Titel seines 1996 bei Donat in Bremen erschienenen Buches über den falschen Umgang in diesem Lande mit den Ultrarechten. Talers Buch „Zweierlei Maß – oder Juristen sind zu allem fähig“ (papy rossa, Köln 2002) schildert den vernichtenden Umgang mit dem juristischen Personal der DDR und die Schonung der blutigen Nazijuristen durch Bundesdeutschland. Auch der „Braune Faden – zur verdrängten Geschichte der BRD“ (papy rossa Köln 2005) zeigt die lange Geschichte der Verharmlosung des Einflusses alter und neue Nazis. „Asche auf vereisten Wegen. Bericht vom Auschwitzprozess“ (papy rossa Köln 2003) fasst seine Berichte vom Auschwitzprozess von 1963 bis 1965 zusammen, eine Chronik des Grauens, die unvorstellbare Tatsachen zu Tage förderte. Unzählig seine Artikel und Funkbeiträge, die sich vor allem mit der Wirkung des Vergangenen, das nicht vergeht, auf das Heute befassen. Wir geben hiermit seine Hörfunkbeiträge über jugendliche Widerstandskämpfer und NS-Opfer wieder, die er 1977 in Radio Bremen präsentierte. Die übliche Praxis der Medien, wenn überhaupt über Jugend im NS zu berichten, dann nur über Anne Frank und die Geschwister Scholl (weil aus dem Ausland bekannt), wird von Taler durchbrochen mit seinem Beitrag über den 17jährig hingerichteten Helmuth Hübener.

Conrad Taler: Über den Widerstand gegen Hitler

Einleitender Text für die Jugendfunksendung am 8. Mai 1971

Als ich mich daranmachte, diesen Text über den Widerstand gegen Hitler zu konzipieren, wurde ich mir unversehens, einer großen Schwierigkeit bewusst: sie besteht in der Unkenntnis vor allem junger Menschen. Sie haben so wenig über Hitler und sein Regime der Unfreiheit erfahren, daß ihnen die Notwendigkeit des Widerstandes gar nicht so ohne weiteres einleuchten kann. Deshalb ist es erforderlich, jene Zeit von 1933 bis 1945 ein wenig zu charakterisieren.

Damals vertrauten sich die Deutschen einem Mann und einer Partei an, die versprachen, endlich für Ruhe, Ordnung und Arbeit zu sorgen. Die neuen Machthaber verboten die demokratischen Parteien und die freien Gewerkschaften. Grundlegende demokratische Freiheiten wurden abgeschafft. Es gab weder Meinungsfreiheit noch Pressefreiheit. Andersdenkende wurden unterdrückt, eingesperrt und getötet. Zugleich entstand in Deutschland eine gigantische Rüstungsindustrie, die Hitlers Armee jene Waffen lieferte, mit denen Ende der dreissiger, Anfang der vierziger Jahre nahezu alle Länder Europas überfallen und unterjocht wurden. Das Ergebnis war der zweite Weltkrieg, der für Deutschland ein schlimmes Ende nahm.

Neben den Anhängern Hitlers gab es auch Deutsche, die sich gegen die Terrorherrschaft auflehnten. Die Anfänge des Widerstandes reichen weit zurück in die Zelt vor der Machtübernahme der sogenannten Nationalsozialisten. Der Erfolg blieb ihm versagt, weil die Demokraten in den unterschiedlichen Parteien ihr gegenseitiges Misstrauen nicht überwinden und weil sie nicht zum, gemeinsamen Handeln gegen die heraufziehende Gefahr zusammenfinden konnten.

Erst später gab es sozusagen im Schatten der Konzentrationslager und des Fallbeils vereinzelt das Zusammenwirken von Patrioten aus verschiedenen politischen Lagern. So kam es denn, dass mitunter ein Kommunist der Zellennachbar eines inhaftierten katholischen Priesters war, oder dass auf den Appellplatz eines Konzentrationslagers ein sozialdemokratischer Gewerkschaftsfunktionär Schulter an Schulter mit einem Intellektuellen bürgerlicher Herkunft stand. Dies war nämlich das Risiko des Widerstandskämpfers: inhaftiert, gefoltert oder gar getötet zu werden.

Der Entscheidung zum Widerstand lagen unterschiedlichste Motive zugrunde. Angefangen von der politischen Überzeugung bis hin zur christlichen Ethik. Niemand wurde zur aktiven Gegnerschaft gegenüber dem nationalsozialistischen Gewaltregime gezwungen. Die Entscheidung traf jeder für sich allein oder sie fiel in einer Gruppe Gleichgesinnter.

Obwohl die Widerstandskämpfer sich einer Welt der Gewalt gegenübersahen, war ihr Tun im wesentlichen von Gewaltlosigkeit bestimmt. Das Sprengstoffattentat auf Hitler vom 2o. Juli 1944 gehört zwar zu den am häufigsten zitierten Widerstandshandlungen, aber es ist gleichwohl nicht typisch für die Kampfesweise der Antifaschisten. Ihre Waffe war das Wort. Der Widerstand gegen Hitler war im wesentlichen ein Kampf um die Hirne der Menschen, er war eine Suche nach Verbündeten; Widerstand war Kampf zur Verbreitung der Wahrheit in einer Welt der Lüge und der Täuschung. Hierin widerspiegelt sich die humanistische Grundidee der deutschen Widerstandsbewegung und ihr demokratischer Charakter.

Unter den Opfern und aktiven Gegnern des Gewaltregimes waren verhältnismässig viele junge Frauen und Männer. Nach einer unvollständigen Übersicht wurden in der Zeit von Februar 1933 bis Mai 1945 insgesamt 469 Widerstandskämpfer im Alter zwischen 16 und 3o Jahren getötet. Die meisten starben in Konzentrationslagern, Zuchthäusern und Gefängnissen. Von einigen soll im Laufe dieser Sendung noch die Rede sein.

Anlass dieser Erinnerung ist der 8. Mai, also das Datum von heute. Am 8. Mai 1945 brach das Hitler-Regime zusammen. Gleichzeitig ging der zweite Weltkrieg zu Ende. Zur dreissigsten Wiederkehr jenes Tages richtete Bundespräsident Scheel eine Mahnung an die Jugend von heute. Er sagte:

"Die ältere Generation wünscht, dass Ihnen, den Jungen, erspart bleibt, was sie verfehlt, verschuldet, erlitten hat. Unsere Bitte an Sie ist: Lassen Sie sich nicht verführen von Demagogen und Wirrköpfen, die Ihnen weismachen wollen, dass der Zweck die Mittel heiligt...Kein Staat ist vollkommen. Auch der unsere nicht. Doch vergleichen Sie ihn. Helfen Sie, diesen Staat besser zu machen, Misstände, Verstaubtes, Ungerechtes zu beseitigen... Dieser Staat ist es wert, dass Sie sich um ihn bemühen..."

Soweit Bundespräsident Scheel. Seine Mahnung gilt sicher für alle. Und wenn es ein Erbe des Widerstandes gibt, dann ist es der Appell, die demokratischen Freiheiten konsequent zu schützen und gegen jede Aushöhlung zu verteidigen.

Conrad Taler: Anne Frank Ein Leben im Untergrund

In den nächsten Minuten soll von Anne Frank die Rede sein, jenem jüdischen Mädchen, das während des zweiten Weltkrieges im Untergrund leben musste und dort sein Tagebuch über die Verfolgung der Juden durch die Schergen Hitlers schrieb. Streng genommen war Anne Frank keine Widerstandskämpferin. Sie wandte sich mit ihren Texten nicht an die Öffentlichkeit und suchte nicht nach Verbündeten, um das eigene Schicksal zu wenden. Aber sie ragt heraus aus der Millionenschar der Gepeinigten und Verfolgten. Anne Frank liess sich nicht passiv dahintreiben. Sie beobachtete mit wachem Verstand das Geschehen und brachte die innere Auflehnung zu Papier. Die stumme Anklage verwandelte sich später in einen Schrei des Entsetzens, als das Tagebuch der Anne Frank weltweit Zeugnis ablegte von der Qual der Unterdrückten und der Grausamkeit ihrer Peiniger.

Die eigentliche Geschichte des Mädchens ist rasch erzählt. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten flieht die jüdische Familie aus Deutschland. Sie findet Asyl in Holland, wo der Vater als Direktor eines Unternehmens arbeitet. Doch dann besetzen die Truppen Hitlers auch Holland und die Verfolgung der Juden setzt auch dort ein. Um der Verschleppung zu entgehen, versteckt sich die Familie in einen Hinterhaus der Prinzengracht in Amsterdam. Auf engem Raum verbringt sie dort mehr als zwei Jahre. Über diese Zeit berichtet das frühreife Mädchen Anne in seinem Tagebuch.

Die Eintragungen enthalten nicht nur Angaben über den Ablauf des familiären Lebens, sondern auch über das Schicksal der Juden allgemein. Von den Schikanen, die am Anfang der Judenverfolgung standen, haben heute nur noch wenige Menschen eine Vorstellung. Die Juden mussten eine gelben Stern tragen, damit sie äusserlich erkenntlich waren. Anne Frank hält fest, dass sie ihre Fahrräder abgehen mussten und nicht mehr mit der Elektrischen fahren durften, von Autos gar nicht zu reden. "Juden durften nur (nachmittags) zwischen drei und fünf Uhr einkaufen, und dann nur in jüdischen Geschäften. Sie durften nach acht Uhr abends nicht mehr auf die Strasse. Juden durften weder ins Theater noch ins Kino gehen. Sie durften auch nicht mehr schwimmen, Tennis oder Hockey spielen, Überhaupt keinen Sport mehr betreiben."

Dreizehn Jahre alt war Anne, als sie diese Zeilen schrieb. Ihre Auffassungsgabe und ihr Ausdrucksvermögen widerspiegeln einen Reifeprozess, den junge Menschen sonst viel später durchmachen. Das Mädchen wird als warmherzig und lebhaft beschrieben, als aufgeschlossen, hilfsbereit und humorvoll. Sein Wesen dürfte zum Teil auch davon geprägt worden sein, dass es in einer gebildeten, wohlhabenden Familie heranwuchs. Das aus Deutschland stammende Kind spricht längst fliessend holländisch und beherrscht auch Englisch. Anne hört Rundfunksendungen aus London und kann sich so ein Bild vom Kriegsgeschehen machen.

Bedrückt hält sie in ihrem Tagebuch fest, was sonst noch geschieht. "Unsere jüdischen Freunde und Bekannten werden in Mengen weggeholt", notiert sie am 9. Oktober 1942. "Sie werden in Viehwagen geladen und nach dem Judenlager Westerbork gebracht." Weiter heisst es: "Wenn es hier in Holland schon so schlimm ist, wie furchtbar wird es dort in der Ferne sein, wohin sie verschickt werden. Das englische Radio berichtet von Gaskammern..."

Als es im Einwohnermeldeamt von Amsterdam brennt und zugleich wichtige Kartotheken verschwinden, jubelt das Mädchen: Etwas feines ist passiert." Nun sei das Aufrufen und Auffinden der Menschen die verschleppt werden sollen, sehr erschwert. Und als das Attentat auf Hitler am 2o. Juli 1944 gemeldet wird, spricht Anne spontan von "tollen Berichten". Zugleich vermerkt sie ironisch, der Anschlag sei nicht einmal von "jüdischen Kommunisten oder englischen Kapitalisten" verübt worden, sondern von einem "edel-germanischen General, der Graf ist und überdies noch jung..." Damit glossiert Anne Frank eine besondere Propagandamethode der Nationalsozialisten. Sie bestand darin, für alle Übel der Welt die Juden oder die Kommunisten verantwortlich zu machen, und wenn gar nichts mehr half, dann musste die Synthese alles Bösen her. Der jüdische Kommunist.

Den psychologischen Schlüssel zu ihren umfangreichen Aufzeichnungen hat Anne Frank selbst geliefert. Sie notierte eines Tages: "Mit dem Schreiben löst sich alles, mein Kummer schwindet, der Mut lebt wieder auf." Die letzte Eintragung trägt das Datum des 1. August 1944, und zwar erläutert Anne hier, weshalb sie sich selbst "ein Bündelchen Widerspruch" nennt.

Am 4. August wurde die Familie Frank vor der Polizei entdeckt und verschleppt. Nur der Vater kehrte zurück. Anne Frank starb im März 1945 im Konzentrationslager Bergen-Belsen. Sie war knapp 16 Jahre alt.

Conrad Taler: Helmuth Hübener Enthauptet wegen Verbreitung der Wahrheit

Im Sommer des Jahres 1941 tauchten in Hamburger Arbeitervierteln Flugblätter auf, die Hitlers militärische Niederlage prophezeiten und zum Widerstand gegen das Völkermorden aufriefen. Dies geschah zu einer Zeit, in der die Streitkräfte des nationalsozialistischen Deutschlands ihre grössten Erfolge verbuchten. Wer in einer solchen Situation den Untergang des Hitlerregimes voraussagte, musste weitsichtig und mutig zugleich sein. Urheber der Flugblätter waren vier Lehrlinge, junge Arbeiter und Angestellte. Der geistige Kopf dieser Widerstandsgruppe hiess Helmuth Hübener, von Beruf Verwaltungslehrling und 1941 sechzehn Jahre alt. Seine Mitstreiter waren der 16 Jahre alte Schlosserlehrling. Rudolf Wobbe, der 18 Jahre alte Malergeselle Karl-Heinz Schübbe und der 17 alte Verwaltungslehrling Gerhard Düwer.

Helmuth Hübener wuchs in einfachen Verhältnissen heran. Der begabte und aufgeschlossene Junge absolvierte die mittlere Reife und arbeitete von 1941 an als Lehrling der gehobenen. Verwaltungslaufbahn bei der Sozialbehörde Hamburg. Wie andere Gleichaltrige war er Mitglied der Organisation "Hitler-Jugend", in der er begeistert mitarbeitete. In Konflikt kam Helmuth mit der offiziellen Ideologie aus religiösen Gründen, und zwar weil seine Glaubensgemeinschaft, die Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage, also die Mormonen, unterdrückt wurde. Sehr bald erkannte er auch politische Zusammenhänge und der in der Hitler-Jugend ausgeübte Zwang wurde ihm verhasst.

Im Schwimmbad bekam der Heranwachsende Kontakt zu einer Gruppe kommunistischer Jugendlicher. Dabei erfuhr er zum erstenmal, dass. Gegner Hitlers in, sogenannte Konzentrationslager gesperrt und dort jahrelang ohne Gerichtsurteil festgehalten wurden. Die zunehmende Abneigung gegen die offiziellen Ansichten veranlasste Helmuth Hübener, die Nachrichten ausländischer Sender zu hören, ein damals strafwürdiges Verbrechen. Er verglich diese Nachrichten mit Veröffentlichungen der Nazipresse und entdeckte dabei die abgrundtiefe Verlogenheit der nationalsozialistischen Propaganda.

Von da an war es nicht mehr weit bis zu dem Entschluss, die Wahrheit auf Flugblättern unter die Menschen zu bringen. Helmuth stellte die Flugschriften zunächst allein her. Später verfasste und verbreitete er sie gemeinsam mit drei Freunden. Von August 1941 an gaben sie in Abständen von acht bis 14 Tagen längere Berichte heraus, auf denen die nationalsozialistische Propaganda dem tatsächlichen Kriegsverlauf gegenüberstellt wurde.

Kampferprobte ältere Hitlergegner hoben später rühmend hervor, nur wer selbst in der Widerstandsbewegung tätig gewesen sei, könne ermessen, was es bedeute, mehr als 35 Aufklärungsschriften in wenigen Monaten zu verfassen, zu vervielfältigen und zu verbreiten.

Aufgrund einer Denunziation wurden die vier jungen Antifaschisten am 5. Februar 1942 verhaftet. Es spricht für Helmuth Hübeners Lauterkeit, dass er alles auf sich nahm, um die Freunde zu entlasten. Die Geheime Staatspolizei, kurz Gestapo genannt, konnte sich nicht vorstellen, dass ein 17Jähriger so qualifizierte Flugblätter verfasst hatte. Sie vermutete erwachsene Hintermänner und folterte den jugendlichen Häftling, um ihn zur Preisgabe von Namen und Adressen zu bewegen. Aber es gab keine Hintermänner.

Der Volksgerichtshof in Berlin konstatierte bei Helmuth Hübener eine weit über dem Durchschnitt liegende Intelligenz und charakterisierte die Tätigkeit des jungen Mannes als besonders schwerwiegend. Das Gericht verurteilte ihn wegen wie es hiess - Vorbereitung zum Hochverrat und landesverräterischer Feindbegünstigung zum Tode. Am 27. Oktober 1942 wurde Helmuth Hübener im Gefängnis Plötzensee enthauptet. Sein Grab ist unbekannt.

Leider gilt dies nicht nur für das Grab, sondern auch für der Namen Helmuth Hübener schlechthin. Obwohl es sich hier um einen exemplarischen Fall handelt, wurde er ganz offensichtlich weder von Politikern und Publizisten noch von Pädagogen in ausreichendem Maße herangezogen, um jungen Menschen das Thema Widerstandsrecht und Widerstandspflicht nahezubringen. Aber das hindert niemand daran, bei passender Gelegenheit darüber zu wehklagen, dass es der Jugend von heute an Vorbildern fehle...

Vielleicht ist es ganz nützlich, an das zu erinnern, was der Schriftsteller Ernst Wiechert über die Widerstandskämpfer schrieb: "Die Helden und Märtyrer jener Jahre, sie sind nicht diejenigen, die mit dem Kriegslorbeer aus den eroberten Ländern zurückkehrten. Sie sind diejenigen, die hinter Gittern und Stacheldraht zur Ehre des deutschen Namens starben und verdarben.

Conrad Taler: Die Widerstandsgruppe "Weisse Rose"

Als die Nationalsozialisten in Deutschland die Regierungsverantwortung übernahmen, waren die meisten späteren Mitglieder der Widerstandsgruppe "Weisse Rose" noch Kinder. Hans und Sophie Scholl, Alexander Schmorell, Christoph Probst und Willi Graf unterschieden sich damals keineswegs von anderen Gleichaltrigen. Die Eltern waren gutsituierte Bürger, die es bei der Erziehung der Kinder an nichts fehlen liessen.

Hans und Sophie Scholl, die hier stellvertretend für die anderen vorgestellt werden sollen, empfanden zunächst eine schwärmerische Zuneigung für die Parolen Hitlers. Dass der Führer der neuen Regierung versprach, Deutschland zu Grösse, Glück und Wohlstand führen zu wollen, fanden sie natürlich gut. Sie stimmten auch damit überein, dass jeder Arbeit und Brot haben sollte. Den Warnungen des Vaters, die neuen Herren seien Wölfe im Schafspelz, schenkten die Geschwister keine grosse Beachtung.

Dennoch fielen bald die ersten Schatten auf das scheinbar rosige Bild. Die Vorliebe von Hans für Volkslieder aus aller Welt kollidierte mit den engherzigen Ansichten der parteioffiziellen Jugend. Von da an veränderte sich das Wesen des Jungen auf merkwürdige Weise, wie seine Schwester Inge später berichtete. Seine Unbekümmertheit schwand und er begann, vieles mit anderen Augen zu sehen.

Diese Entwicklung verstärkte sich, nachdem die Geschwister ebenso wie ihre späteren Mitstreiter ein Medizinstudium in München aufgenommen hatten und Zugang zu Schätzen der Weltliteratur bekamen, die der Allgemeinheit nicht mehr zugänglich waren. Die in christlichem Geiste erzogenen jungen Menschen fühlten sich angesprochen von der Gedankenwelt des Humanismus, die sich ihnen da erschloss. Damit setzte zugleich eine zunehmende Distanzierung von den völkischen Parolen der Nationalsozialisten ein, die schliesslich in geistige und politische Gegnerschaft einmündete, als die Studenten erfuhren, dass die Machthaber Andersdenkende willkürlich in Konzentrationslager sperrten. Vertieft wurde der Wille zum Widerstand, nachdem Hans Scholl bei einem Einsatz als Mediziner an der Ostfront die Grausamkeit des Krieges kennengelernt und zugleich von den Massenmorden an Juden erfahren hatte.

Vom Sommer 1942 an erschienen in München illegale Flugschriften, die sich "Flugblätter der weissen Rose" nannten. Die mit Schreibmaschine geschriebenen Texte riefen zum passiven Widerstand gegen die wie es hiess atheistische Kriegsmaschine auf. Täglich würden Tausende in Russland fallen. Zugleich gaben die Verfasser davon Kenntnis, dass seit der Eroberung Polens 300 000 Juden auf bestialische Weise ermordet worden seien.

Der Widerstand der jungen Leute erfolgte überwiegend aus moralisch-sittlichen Motiven. Davon zeugen Formulierungen wie diese: "Wir suchen eine Erneuerung des schwerverwundeten deutschen Geistes von innen her zu erreichen. Zerreist den Mantel der Gleichgültigkeit den ihr um Euer Herz gelegt habt. Unterstützt die Widerstandsbewegung. Glaubt nicht der nationalsozialistischen Propaganda, die Euch den Bolschewistenschreck in die Glieder gejagt hat."

Über viele Monate hinweg verbreiteten Hans und Sophie zusammen mit ihren Helfern, , zu denen auch Prof. Kurt Huber gehörte, auf verschiedene Weise die Flugblätter der weissen Rose. Am 18. Februar 1943 wurden sie beim Auslegen von Flugschriften im Gebäude der Münchner Universität entdeckt und kurz darauf festgenommen. Im Prozess vor dem Volksgerichtshof nahmen die Geschwister alles auf sich. Ihr nobles Auftreten beeindruckte selbst feindlich gesonnene Prozessbeobachter.

Wahrscheinlich war es der Edelmut dieser jungen Menschen, der die Blutjustiz des Drittes Reiches bewog, im wahrsten Sinne des Wortes kurzen Prozess zu machen. Insgesamt wurden sechs Todesurteile gefällt. Bereits vier Tage nach der Verhaftung erfolgte am 22. Februar 1943 in München-Stadelheim die Hinrichtung von Hans und Sophie Scholl sowie von Christoph Probst.

Im Juli jenes Jahres starb Alexander Schmorell von Henkershand und im Oktober folgten Willi Graf sowie Professor Kurt Huber, der Vertraute und Mentor der jungen Widerstandskämpfer. In seinem Schlusswort vor Gericht hatte Professor Huber erklärt: "Wir wollten die Rückkehr zu sittlichen Grundsätzen, zum Rechtsstaat, zu gegenseitigem Vertrauen von Mensch zu Mensch." Und Sophie Scholl hielt den Richtern entgegen: "Was wir sagten und schrieben, denken ja so viele. Nur wagen sie nicht, es auszusprechen."

Vielleicht ist dies die fortdauernde Mahnung der Widerstandskämpfer: es niemals an Zivilcourage fehlen zu lassen.

Literatur zum Thema Jugend im Widerstand

Jugend contra Nationalsozialismus 
Verfasser: Hans Ebeling und Dieter Hespers 
Bartmann-Verlag 1968

Helmuth Hübener 
Herausgeber: Franz Ahrens 
Hermes-Verlag 1946

Entscheidungen Jugend im Widerstand 
Verfasser: Karl-Heinz Jahnke 
Röderberg-Verlag Frankfurt/M.

Gegen den Strom 
Verfasser: Arno Klönne 
Norddeutsche Verlagsanstalt

Die evangelische Jugendverbände Württembergs und die Hitlerjugend 1933/1934 
Verlag Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 1958

Jugend im Feuerofen 
Verfasser: Ferdinand Oertel 
Paulus-Verlag Recklinghausen 1960

Die weisse Rose 
Verfasserin: Inge Scholl 
Fischer Bücherei 1956

Das Tagebuch der Anne Frank 
Fischer Bücherei 1955, Union Verlag 1961

Der antifaschistische Widerstand 
Bildband 
Röderberg-Verlag