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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

09.02.07

Antifaschismus in der Auseinandersetzung um Extremismus, Totalitarismus und Stalinismus

Zwei Vorträge von Ludwig Elm, Jena

Zu Fragen von Antifaschismus und Stalinismus, zur Totalitarismuskonzeption im heutigen Diskurs um Extremismus nahm Prof. Ludwig Elm, Historiker aus Jena und Mitglied des VVN-BdA-Bundesausschusses, in zwei Vorträgen Stellung, die wir hiermit dokumentieren.

Antifaschismus nach dem "Jahrhundert der Extreme" - Das Totalitarismuskonzept als europäische Herausforderung

Beitrag auf der Tagung "Zukunft des Gedenkens - Perspektiven antifaschistischer Gedenkarbeit", veranstaltet von der Lagergemeinschaft Ravensbrück/Freundeskreis e. V. und des Sachsenhausenkomitees, Potsdam, 17. - 19. Juni 2005

Prof. Ludwig Elm, Jena
Prof. Ludwig Elm zum Thema: "Geiselnahme und -tötung war rechtens!" - Juristische Aufarbeitung der Wehrmachtsverbrechen in Mittenwald, Pfingsten, 7.6.2003, beim Protest gegen die 'Traditionspflege' der Gebirgsjäger von Wehrmacht und Bundeswehr
Foto: arbeiterfotografie.com

Auf der Zentralen Gedenkfeier der Bundesrepublik zum 60. Jahrestag der Befreiung der nationalsozialistischen Konzentrationslager am 10. April 2005 im Nationaltheater Weimar forderte Jorge Semprún, der Zukunft eines vereinten Europa auch dadurch einen Weg zu bahnen, dass unsere "bislang getrennten Erinnerungen" geeint und die Vergangenheit miteinander geteilt werde. Er verwies auf jene zehn Länder, die aus "dem anderen Europa, das im sowjetischen Totalitarismus gefangen war", zur Europäischen Union gekommen sind und äußerte: "Hoffen wir, dass bei der nächsten Gedenkfeier in zehn Jahren, 2015, die Erfahrung des Gulag in unser kollektives europäisches Gedächtnis eingegliedert worden ist."1

Die Problemstellung war - mit anderen Prämissen und Zielsetzungen - am 60. Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz durch die Sowjetarmee bereits im Leitartikel der tonangebenden großbürgerlich-konservativen Tageszeitung dieses Landes erörtert worden. Es gäbe Versuche, so bemerkte der Autor mäkelnd, den Holocaust zum negativen Gründungsmythos der Bundesrepublik und "sogar Europas im allgemeinen und der Europäischen Union im besonderen zu machen." Das triebe den Kontinent jedoch "in einen unwürdigen Aufrechnungsstreit" und es träten "zwei Opfergeschichten in eine hässliche Konkurrenz: "Wenn denn Europa, mit gutem Grund osterweitert, einen Gründungsmythos braucht, dann müsste es einer sein, in dem, ohne irgend etwas am Holocaust zu schmälern, das zweite europäische Großverbrechen des 20. Jahrhunderts angemessen gewürdigt würde."2 Es erscheint als symptomatisch, dass ausgerechnet von einflussreichen Kreisen in Deutschland eine Sicht auf die europäische Zeitgeschichte favorisiert wird, die die Erfahrungen aller europäischer Völker und das erschütternde geschichtliche Tatsachenmaterial über die kontinentale Eroberungs- und Vernichtungspolitik der NS-Diktatur und ihrer Verbündeten revidieren und antikommunistisch kanalisieren soll.

Die perspektivische Erwartung von Semprún als ehemaligem Buchenwaldhäftling und namhaftem Schriftsteller - bei einem solchen Anlass und vor diesem Auditorium ausgesprochen - , wäre allein bereits hinlänglicher Grund, sich zu solchen Erwägungen eine Meinung zu bilden und dazu Stellung zu beziehen. Erst recht fordern die erkennbaren geschichtsideologischen Konzepte im vorherrschen Konservatismus zum Widerspruch heraus. Das alles berührt direkt Thema und Hauptanliegen unserer Tagung. Die Umstände und Gründe der Kontroversen sind älter als die aktuelle Veranlassung und sie bewegen uns selbst längst als historisch-politische Sachverhalte sowie als Streitfragen der Geschichte und Gegenwart. Ausdrücklich habe ich mich beispielsweise zu diesem Problemkreis in Thesen zum Antifaschismus im Herbst 1999, in Beiträgen zu den Ravensbrück-Häftlingen Margarete Buber-Neumann und Milena Jesenská (2002/04) sowie in einem Beitrag auf der Geschichtskonferenz der VVN-BdA im Oktober 2004 in (s.u.) Buchenwald geäußert.3

Vorrangig sollte es in unserer Erörterung um folgendes gehen:

  1. Welche tatsächlichen geschichtlichen Vorgänge und Erfahrungen werden vom Totalitarismuskonzept erfasst und welche geschichtsideologischen und geschichtspolitischen Ziele werden damit verfolgt? Wie sind dabei "sowjetischer Totalitarismus" und "Stalinismus" in antifaschistischer Sicht zu beurteilen? Sind das Begriffe, auf die wir zur Einschätzung historischer Erscheinungen und aktueller Probleme zurückgreifen können oder sollten? 
  2. Woraus ergibt sich die neue Dringlichkeit dieser Fragen auf europäischer Ebene? Liegt es vor allem an der Erweiterung der EU und der NATO? Welche inneren Beweggründe und Triebkräfte liegen dafür in der jetzigen und absehbaren Phase des europäischen Integrationsprozesses? 
  3. Worin besteht die spezifische Verantwortung der Bundesrepublik und was ergibt sich daraus für die antifaschistischen Kräfte, für die demokratische Linke sowie linksliberal-pazifistische und humanistische Kräfte?

Die Ausführungen orientieren sich an den drei genannten Fragen und Schwerpunkten.

Ursprung und Differenzierung des Totalitarismuskonzepts

Zu erstens: Welche tatsächlichen geschichtlichen Vorgänge und Erfahrungen werden vom Totalitarismuskonzept erfasst und welche geschichtsideologischen und geschichtspolitischen Ziele werden damit verfolgt? Wie sind dabei "sowjetischer Totalitarismus" und "Stalinismus" in antifaschistischer Sicht zu beurteilen? Sind das Begriffe, auf die wir zur Einschätzung historischer Erscheinungen und aktueller Probleme zurückgreifen können oder sollten? Es geht um unseren Standort in diesen Debatten und darum, ihn möglichst überzeugend zu begründen und zu vertreten.

Das Totalitarismuskonzept entstand in den zwanziger Jahren in der Auseinandersetzung mit höchst unterschiedlichen bis gegensätzlichen politischen Ideen und Systemen, die sich gegen das liberale, bürgerlich-parlamentarische und rechtsstaatliche Modell wandten und radikale Alternativen zu verwirklichen suchten. Das war einerseits die aus der Oktoberrevolution 1917 hervorgegangene Sowjetmacht und die seit 1919 entstandene kommunistische Weltbewegung. Andererseits waren das rechtsextreme Bewegungen und Regimes, die sich ab Anfang der zwanziger Jahre in Europa als faschistische, militärfaschistische und autoritär-antidemokratische Herrschaftssysteme rasch verbreiteten und in Teilen der Oberschichten aller kapitalistischen Länder Sympathien und Rückhalt genossen.

Eric Hobsbawm hat in seiner "Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts" den vorherrschenden, rechtsgerichteten Prozess der Zwischenkriegszeit - 1919-1939 - im Kapitel "Der Untergang des Liberalismus" sehr eindringlich und differenziert beschrieben: "Die 'natürliche' Allianz der Rechten zwischen den Kriegen bestand demnach also aus traditionellen Nationalkonservativen - unter Einbeziehung der Reaktionäre alten Stils - bis hin zu den äußersten Randgruppen der faschistischen Pathologie. Der Faschismus bot ihnen nicht nur Dynamik, sondern, was vielleicht noch wichtiger war, auch die Möglichkeit eines Sieges über die Mächte der Zersetzung."4 In diesem Spektrum bildeten die Errichtung der Diktaturen Mussolinis (Italien 1922) und Hitlers (Deutschland 1933) die Schlüsselereignisse.

Für unser Herangehen ist wesentlich, dass das Verständnis vom Totalitarismus linker oder rechter Prägung in den zwanziger und dreißiger Jahren einen wesentlichen Ursprung in sozialdemokratischen und sozialistischen, unabhängigen kommunistischen sowie linksliberal-pazifistischen Richtungen und Gruppierungen hatte. Vielfach gab es bei ihnen einen eindeutigen Primat des Antifaschismus und sozialen Demokratismus. Aus verschiedenen, durchaus nachvollziehbaren Gründen, blieben sie jedoch zugleich kritisch und distanziert gegenüber dem rigorosen kommunistischen Führungsanspruch und der Praxis des von Moskau repräsentierten Herrschaftsmodells. Die Ausprägung dessen stalinistischer Züge ab Ende der zwanziger Jahre gab dieser Haltung Auftrieb. Diese muss mit unserem heutigen Wissen über die Art, die Größenordnung und die Dauer der Verbrechen des Stalinismus über fast drei Jahrzehnte als eine berechtigte Suche nach einer demokratischen oder sozialistischen Alternative gewürdigt werden.

Der Stalinismus in dem damit angedeuteten, strengeren politischen und wissenschaftlichen Sinn und im wesentlichen an das persönliche Regime und die Lebenszeit Stalins gebunden, erfüllte wesentliche Merkmale des Totalitären. Dazu gehören massenhafter und kaum verhüllter Terror, die Rechtswillkür und der Machtmissbrauch, das Lagersystem (Gulag) und das Ausmaß der Bevormundung, Überwachung und Entrechtung der BürgerInnen, die Missachtung elementarer Menschenrechte und generell grundsätzliche Tendenzen der Menschenverachtung. In der Regel vervollständigte ein irrationaler sowie antidemokratischer, patriarchalisch-emanzipationsfeindlicher Personenkult diese hauptsächlichen Merkmale. Sinngemäß und auf Grund historisch-politischer Zusammenhänge und naheliegender Analogien sind dieser Bewertung des Stalinismus auch die ihm verwandten Phasen und Erscheinungsformen des Maoismus, das Pol-Pot-Regime und weitere ähnliche Sachverhalte zuzuordnen.

Eine fundierte Aufarbeitung und schonungslose Verurteilung des Stalinismus und ihm verwandter Erscheinungen ist für Antifaschisten notwendig, um die Glaubwürdigkeit ihres humanistischen und menschenrechtlichen Anspruchs zurückzugewinnen und diesen künftig überzeugend vertreten zu können. Diese Position muss Teil unseres grundsätzlichen Selbstverständnisses sein. Sie kann nicht nur gelegentlich bei bestimmten Anlässen und Angriffen defensiv und rechtfertigend, vielleicht gar halbherzig, eingenommen werden.

Anlässlich der Verleihung der Carl-von Ossietzky-Medaillen 2004 der Internationalen Liga für Menschenrechte an Esther Bejarano, Peter Gingold und Martin Löwenberg - alle Repräsentanten der VVN-BdA - kam es beispielsweise in der Liga zu Kritik an der Vergangenheit der VVN und an deren fehlender kritischer Darstellung im Zusammenhang mit der Auszeichnung. Carmen Lange schrieb an Rolf Gössner, die Darstellung der Geschichte der VVN sei dabei "historisch falsch und einseitig": "Tragisch ist doch gerade, dass die in der NS-Zeit und später in der BRD politisch Verfolgten sich selber an der politischen Verfolgung (vermeintlich) Andersdenkender beteiligten - dass z. B. kommunistische NS-Opfer, die in der Zeit stalinistischer Säuberungen in der SED und der KPD Anfang der 50er Jahre aus irgendwelchen Gründen aus der SED oder KPD ausgeschlossen wurden, danach auch von der VVN ausgeschlossen wurden, man ihnen also quasi die Verfolgteneigenschaft aberkannt hat, abgesehen davon, dass man sowieso nie alle Verfolgten anerkannte".5

Im weiteren Briefwechsel mit Gössner äußerte C. Lange, "dass jeder Verstoß gegen die Menschenrechte genauso zu kritisieren, jedes Verbrechen genauso zu bekämpfen ist, unabhängig davon, welche Farbe die Fahne hat, die am Lagertor weht. Und dafür steht die VVN leider gerade nicht." Das Bild werde schief, "wenn man nichts zur Verfolgung missliebiger NS-Verfolgter in der DDR sagt."

Wir sind mit diesem großen Problemkreis sowohl im Prinzipiellen, als auch auf wichtigen Einzelfeldern herausgefordert. Zu Letzteren gehören nach meiner Überzeugung als spezifische Verpflichtungen insbesondere:

  • Es ist eine Schuld und die Pflicht zu einer zumindest politisch-moralischen und geschichtlichen Wiedergutmachung gegenüber denjenigen deutschen, österreichischen, jüdischen und Antifaschisten anderer Nationalitäten, Konfessionen und politischer Überzeugungen, die in den dreißiger bis frühen fünfziger Jahren Opfer stalinistischer Verfolgung und Vernichtungsorgien wurden. Das ist nur unter Einschluss von Kritik und Selbstkritik der aus nachvollziehbaren Gründen eng mit der kommunistischen Bewegung verbundenen Richtungen, Organisationen und Persönlichkeiten des Antifaschismus möglich. Die kritische Erörterung sollte der geschichtlichen Bedingtheit und der Widersprüchlichkeit der damaligen Vorgänge und den unverkennbaren Momenten des Tragischen für viele Betroffene gerecht zu werden bestrebt sein.
  • Die Deformation und geistig-moralische Verwahrlosung antifaschistischer Grundeinsichten und Leitbilder in der Sowjetunion zwischen dem Abschluss des Nichtangriffspaktes mit Hitlerdeutschland (Ende August 1939) und dessen Überfall (22. Juni 1941) sind uneingeschränkt aufzuklären und darzustellen. Die vom sowjetischen Geheimdienst im Auftrag der Partei- und Staatsführung erfolgte Auslieferung zahlreicher deutscher und österreichischer Antifaschisten an die Gestapo bezeichnet wahrscheinlich die tiefste Stufe solcher Verhaltensweisen. Margarete Buber-Neumann ist auf diesem Weg aus dem Lager Karaganda (Kasachstan) über Moskau und - in Brest-Litowsk übergeben - Berlin (Gestapozentrale) nach Ravensbrück gekommen. Stellvertretend für das Schicksal Hunderter, in der Sowjetunion verbliebener, entrechteter Immigranten sei das von Krezentia (Zensl) Mühsam genannt: Nach der Ermordung ihres Ehemanns, des Schriftstellers und Anarchisten Erich Mühsam - am 10. Juli 1934 im KZ Sachsenhausen - emigrierte sie 1935 in die Sowjetunion. Der ersten willkürlichen Verhaftung 1936 folgte eine zweite 1938, die zu jahrelanger Haft im Gulag führte. Inzwischen wurde bekannt, dass ursprünglich auch Zensl Mühsam und die 1936 zu 10 Jahren Lager verurteilte, im Juni 1942 siebenunddreißigjährig im Gulag verstorbene Schauspielerin Carola Neher, für die Übergabe an die Gestapo vorgesehen waren. Z. Mühsam konnte entgegen ihrem Willen erst 1955 in die Heimat zurückkehren. In der uneingeschränkten Aufarbeitung sollte es uns neben den individuellen Schicksalen und Tragödien auch um die machtpolitischen und ideologischen Ursachen solcher Fehlentwicklungen sowie die Erfahrungen und Folgerungen gehen, mit denen solchen substanziellen Beschädigungen von Sozialismus, Demokratie und Menschlichkeit wirksam zu begegnen ist.
  • Es ist mit unseren Bemühungen dazu beizutragen, dass fortgesetzte Menschenrechtsverletzungen und antijüdische Exzesse nach dem Mai 1945 und bis in die fünfziger Jahre sowie deren Opfer nicht der Vergessenheit anheimfallen. Dazu gehören die Diskriminierung ehemaliger sowjetischer Kriegsgefangener, KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter nach ihrer Rückkehr in die Heimat, die jahrelange Fortdauer willkürlicher Haft und Rechtlosigkeit sowjetischer wie ausländischer BürgerInnen und die antisemitischen Verfolgungen während der letzten Lebensjahre Stalins und deren Opfer. Zu Letzteren gehören beispielsweise die Ermordung des Schauspielers und Vorsitzenden des 1942 gegründeten Jüdischen Antifaschistischen Komitees (JAK), Salomo Michoels, im Januar 1949 in Minsk, die Auflösung des JAK im November 1948 sowie die Verfolgung und Verurteilung (zumeist Hinrichtung) einer Reihe seiner führenden Köpfe - jiddisch schreibender Autoren - im Juli/August 1952.6
  • Die nach 1945 in der Sowjetunion und in der internationalen kommunistischen Bewegung andauernde sowie damit auch in antifaschistischen Organisationen wie der VVN und der bis Anfang 1953 in der DDR bestehenden VdN verbreitete Verleugnung des Gulagsystems und seiner Opfer, aber auch weiterer stalinistischer Untaten (Katyn), sind als kritikwürdige Momente unserer eigenen Geschichte nicht länger zu tabuisieren oder unzulässig zu relativieren, sondern schonungslos aufzuarbeiten und darzustellen. Das gilt auch für Episoden, die für das von Moskau inszenierte und erpresste Leugnen und Lügen symptomatisch sind, darunter der Krawtschenko-Prozess 1949 in Paris, der publizistische und Justizstreit zwischen Emil Carlebach und M. Buber-Neumann (1950-52), die auf diese Streitfragen bezogenen Fehlurteile von namhaften linken Intellektuellen Europas wie Frédéric Joliot-Curie, Georg Lukács oder Jean-Paul Sartre u. a. m.
  • Die Kritik muss auch den Halbheiten und Inkonsequenzen in der Erforschung und Aufhellung der stalinistischen Fehlentwicklungen und Verbrechen nach dem 20. Parteitag der KPdSU (Anfang 1956) gelten, die schließlich bis zu den Wandlungen um 1990 andauerten - oder sich mancherorts bis heute fortsetzen. Das alles bedeutet auch eine Pflicht zur moralischen Wiedergutmachung gegenüber allen, deren Weg als Opfer des Faschismus, als Verfolgte und Widerstandskämpfer, unter den genannten Voraussetzungen der Nachkriegsjahrzehnte und des Kalten Krieges sowie damit vielfach auf Grund politischer Differenzen, nicht hinreichend anerkannt oder gar missachtet worden ist.

Andererseits gilt es festzuhalten: In der Bundesrepublik haben seit ihrer Gründung bis in die späten sechziger Jahre konservative, militant antikommunistische Spielarten des Totalitarismuskonzepts dominiert. Sie erwiesen sich für die restaurativen Kräfte nach dem Dritten Reich und unter den Bedingungen des Kalten Krieges auf deutschem Boden und in Europa als äußerst brauchbar für das antikommunistische Hauptanliegen. Dieses Konzept hat in modernisierten oder auch bloß vordergründig aktualisierten Versionen wiederum seit Anfang der neunziger Jahre einen vorherrschenden Einfluss gewonnen. Dagegen vor allem richtet sich unsere Kritik, insbesondere in folgenden Richtungen und Aspekten:

Diese Versionen - einschließlich der offiziösen Angebote und Legenden vom "antitotalitären Konsens" dieses Landes - sind primär antikommunistisch. Antifaschistische Traditionen, Programme und Bestrebungen werden antikommunistisch ausgewählt, bewertet und eingeordnet. Nicht der über traditionsreiche extremistische Antisozialismus und nicht konservativ-nationalistische Apologien des Faschismus, sondern antifaschistische Initiativen und Bestrebungen, selbst die VVN-BdA, erscheinen in den Verfassungsschutzberichten dieses Landes. Ein selbst weit rechts wurzelndes, offiziöses Verständnis von rechtem und linkem Extremismus setzt das Totalitarismuskonzept in antidemokratische Herrschaftspraxis um. Zu den großen Konstanten der politischen Ideologie der deutschen bürgerlichen Gesellschaft seit 1871 und über die Brüche von 1918/19, 1933 und 1945 hinweg, gehört das Einvernehmen, dass der Feind links steht. Die Erklärung findet sich in sozioökonomischen, politischen und geistig-kulturellen Kontinuitäten der vergangenen anderthalb Jahrhunderte. Das ist die ordinäre, alltägliche Wirklichkeit des "antitotalitären Konsenses".

Der rechtsgerichtete Antitotalitarismus der Adenauer-Ära entbehrte nicht nur einer grundsätzlichen, geschweige denn vorrangigen, antifaschistischen Komponente. Mittels der Priorität antikommunistischer Leitbilder und Ziele wurde er im Prozess der Restauration ab 1948/49 zugunsten der Schlussstrich-Mentalität, der Verdrängung der NS-Vergangenheit und des jahrelangen Verzichts auf die Ermittlung und Sühne von Nazi- und Kriegsverbrechen wirksam. Er diente dem "großen Frieden mit den Tätern", wie es Ralph Giordano vor Jahren zutreffend formulierte. Bereits ab 1950 wurde dieser rabiat antikommunistische Antitotalitarismus für die Diskriminierung und offene politische Verfolgung kommunistischer Antifaschisten und weiterer Demokraten, Pazifisten und Sozialisten instrumentalisiert.

Seit den neunziger Jahren fungiert der mobilisierte militante Antikommunismus in der geschichts- und politikwissenschaftlichen Gestalt des Totalitarismuskonzepts zugunsten erneuter politischer Ausgrenzung, Entrechtung und zeitgeistiger Formierung. In Gestalt des "Diktaturenvergleichs" kommt dem Konzept eine Schlüsselrolle im Rahmen der aktuellen Grundtendenzen des nationalkonservativen, tendenziell rechtsextremistischen Geschichtsrevisionismus zu. 

Der Innenausschuss des Bundestages tagte unter Beteiligung der Enquete-Kommission "Aufarbeitung der Geschichte und der Folgen der SED-Diktatur" am 7. März 1994 auf dem Gelände des ehemaligen KZ Sachsenhausen zum Thema "Beteiligung des Bundes an Mahn- und Gedenkstätten". Erstmalig seit Gründung der Bundesrepublik hatte ein Bundestagsausschuss den Ort eines ehemaligen KZ und ein einschlägiges Thema zur Beratung gewählt. Wer darin eine, obgleich verspätete, aber dennoch bemerkenswerte Zuwendung zur Faschismusanalyse erkennen wollte, wurde bald naiver Hoffnungen überführt. Vorbereitende Fragen, Teilnehmer- und Rednerkreis sowie Ablauf der Veranstaltung offenbarten: Der Hauptzweck bestand darin, an einem Ort mit "doppelter Vergangenheit" (KZ und sowjetisches Internierungslager) die DDR optisch neben die NS-Diktatur zu stellen. Die Vorgänge und Verbrechen in den KZ bis Frühjahr 1945 waren viereinhalb Jahrzehnte für alle maßgeblichen Kräfte des Bundestages kein hinreichender Anlass für eine solche politisch-parlamentarische Initiative gewesen. Dieser antikommunistischen Logik unbeirrt folgend, führte die nächste Enquete-Kommission zur DDR im Oktober 1996 eine Anhörung im ehemaligen KZ Buchenwald durch.

Totalitarismusdebatte auf europäischer Ebene

Zu zweitens: Woraus ergibt sich die neue Dringlichkeit dieser Fragen auf europäischer Ebene? Liegt es vor allem an der Erweiterung der EU und der NATO? Welche inneren Beweggründe und Triebkräfte liegen dafür in der jetzigen und absehbaren Phase des europäischen Integrationsprozesses?

Ausgangspunkt ist zunächst, dass die im Totalitarismusdiskurs zum vergangenen Jahrhundert thematisierten Bewegungen, Ideologien, Regimes und Ereignisse mindestens von europäischer, weithin jedoch sogar von weltweiter Dimension und Wirkung sind. Letzteres wird spätestens beim Blick auf Vorgeschichte und Verlauf sowie auf die Wirkungen des Zweiten Weltkriegs unübersehbar. Es gilt auch für die kommunistische Weltbewegung, die weltpolitische Autorität der UdSSR nach 1945 sowie die Herausbildung des realsozialistischen Weltsystems einschließlich beispielsweise des Phänomens des Maoismus.

Die nach dem Tode Stalins im März 1953 eingeleitete Entstalinisierung eröffnete die posttotalitären Entwicklungen im internationalen Realsozialismus, die selbst langwierig und widersprüchlich sowie in den einzelnen Ländern höchst differenziert verliefen. Die Fortexistenz oder Neuerrichtung rechtestgerichteter Diktaturen in Europa nach 1945 (Spanien, Portugal, Türkei, Griechenland) sowie in Asien, Lateinamerika und Afrika nährten von der anderen Seite solche politischen und wissenschaftlichen Debatten. Die Kolonialpolitik, der Neokolonialismus, der moderne Militarismus und bestimmte Erscheinungen und Wirkungen des Neoliberalismus verdienten es dringend, in eine zeitgemäße Erörterung totalitärer Tendenzen und Sachverhalte einbezogen zu werden.

Das Europäische Parlament bekannte sich in seiner Entschließung vom 11. Februar 1993 zur Verantwortung im Hinblick auf die Erhaltung und öffentlichkeitswirksame Nutzung der KZ-Gedenkstätten. Das erfolgte unter Verweis auf "ihre ganz besondere geschichtliche Bedeutung" sowie unter "Ablehnung jeder willkürlichen Verquickung zwischen der Realität der nationalsozialistischen Lager und ihrer etwaigen Nutzung nach dem Krieg". Das Europäische Parlament forderte "die Mitgliedstaaten, den Rat und die Kommission auf, alle Initiativen, u. a. auch finanziell, zu unterstützen, die darauf abzielen, die ganz besondere Bedeutung der von den Nationalsozialisten errichteten Konzentrationslager zu bewahren, und diese Stätten unter europäischen und internationalen Schutz zu stellen."

Die Erweiterung der EU vor allem aus dem jahrzehntelang zum sowjetischen Einflussbereich gehörenden Kreis baltischer sowie ost- und südosteuropäischer Länder bringt zwangsläufig neue Stimmen und Gewichte in die Geschichtsdebatten ein. Das wurde erneut und eindringlich im Vorfeld und im Verlauf des 60. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus sichtbar. Die restaurativen Kräfte in diesen Ländern stimulieren über die legitime und notwendige kritische Geschichtsaufarbeitung hinaus konservative und entschieden antisozialistische Sichtweisen auf ihre Herkunft, Traditionen und Ansprüche. Darin begegnen sie sich mit entsprechenden Positionen und Bestrebungen der Rechten in den Gründungs- und Stammländern von EU und NATO, insbesondere in der Bundesrepublik.

Inzwischen zeitigt auch die Einbeziehung rechtspopulistischer, teilweise direkt aus dem Erbe faschistischer Bewegungen erwachsener Parteien in Regierungskoalitionen - beispielsweise in Österreich und Italien - erhebliche Auswirkungen zugunsten der Verharmlosung oder gar Rechtfertigung des historischen Faschismus, Rassismus und Antisemitismus. Auch das gewinnt an Einfluss durch die fließenden Übergänge zu national- und rechtskonservativen, nationalistischen und militaristischen Richtungen und Konzepten. Einerseits die gegen die Menschheit gerichtete nazistische Barbarei zu relativieren und andererseits den Kommunismus insgesamt mit Stalinismus gleichzusetzen und zu dämonisieren, lässt mittel- und langfristige Tendenzen der angestrebten Geschichtsinterpretation erkennen.

Die konservative Europäische Volkspartei (EVP) brachte Anfang Februar 2004 im Europaparlament eine Resolution zur "Verurteilung des totalitären Kommunismus" ein. Sie fordert darin die Sammlung und Bewertung kommunistischer Menschenrechtsverletzungen auf europäischer Ebene, eine offizielle Erklärung zur internationalen Verurteilung des "totalitären Kommunismus", die Einrichtung eines Forschungs- und Dokumentationszentrums, einen "Tag der Opfer" und ein ihnen gewidmetes Erinnerungsmuseum. In einer gründlichen Analyse des Antrags bemerkte Ekkehard Lieberam: "Die für das Totalitarismus-Konzept der Resolution typische Gleichsetzung von Kommunismus und Faschismus findet gleich am Anfang der PPE-Resolution ihren Ausdruck in den Worten von den 'zwei gleich inhumanen totalitären Regimes Kommunismus und Nazismus'. Ansonsten ist aber vom Nazismus oder von Nazideutschland nicht mehr die Rede. Weder wird auf dessen Verbrechen in Europa eingegangen noch werden etwa Untersuchungen über diese Verbrechen in den osteuropäischen Staaten befürwortet. Auch von der Gefahr anwachsender neofaschistischer und antisemitischer Tendenzen in einigen europäischen Staaten ist nicht die Rede."7 Die Handschrift der deutschen Konservativen und damit den Nazifaschismus entlastende Bemühungen sind in dem Papier unverkennbar.

Die von allen Fraktionen des Europäischen Parlaments - mit Ausnahme der Linksfraktion - am 12. Mai 2005 angenommene Entschließung zum 60. Jahrestag des Endes des Zeiten Weltkriegs enthält analoge geschichtsrevisionistische Grundtendenzen, darunter durch begriffliche Gleichsetzung von Nazideutschland und Sowjetunion, die daraus folgende Relativierung der NS-Verbrechen und die Leugnung des maßgeblichen Befreiungsbeitrags der UdSSR. Bei diesem Anlass die Veränderungen von 1989/90 als eigentliche Befreiung Europas darzustellen, setzt die menschheitsgeschichtliche Tragweite der Zäsur vom Mai 1945 herab.

Mit solchen Begründungen lehnten es die Präsidenten Estlands und Litauens ab, die Einladung zu den Befreiungsfeiern am 9. Mai in Moskau anzunehmen. Die lettische Präsidentin, Vaira Vike-Freiberga, die in der Bundesrepublik aufgewachsen war und lange in Kanada lebte, nahm in Moskau teil, verhehlte jedoch nicht ihre analogen Geschichtsbilder. In einem Interview im März 2005 äußerte sie zum 9. Mai 1945, dass halb Europa unter sowjetischer Herrschaft blieb, "entweder okkupiert wie die baltischen Staaten oder als Satelliten. Die drei baltischen Staaten stimmen völlig darin überein, dass es den Verlust unserer Freiheit und den Beginn unbeschreiblichen Leids (Hervorhebungen - L. E.) unserer Völker bedeutete."8 In diesem Geschichtsbild werden faktisch die völkisch-nationalistischen Bewegungen und Diktaturen in den baltischen Staaten seit den zwanziger Jahren, aber auch die hitlerfaschistische Okkupation ab Sommer 1941 - das "Reichskommissariat Ostland (RKO) - der angeblichen Freiheitsgeschichte zugerechnet. Die fast vollständige Liquidierung des lettischen, litauischen und estnischen Judentums - unter Mithilfe einheimischer Hilfskräfte von Polizei und SS sowie weiterer Akteure bei Pogromen - und das damit verbundene massenhafte Leiden und Sterben werden als nicht erwähnenswert abgetan.

Bundesrepublik und europäische Geschichtspolitik

Zu drittens: Worin besteht die spezifische Verantwortung der Bundesrepublik und was ergibt sich daraus für die antifaschistischen Kräfte, für die demokratische Linke sowie linksliberal-pazifistische und humanistische Kräfte?

Die Bundesrepublik gehört nach ihrem Potential und ihrer geostrategischen Lage zu den wichtigsten Ländern der EU und der NATO; sie nimmt direkt und vermittelt einen wesentlichen Einfluss auf alle zwischenstaatlichen und internationalen Beziehungen und Arbeitsgebiete. Die außen- und wirtschaftspolitischen Bestrebungen werden von zielstrebigen kultur- und geschichtspolitischen Bemühungen flankiert. Das gilt auch für den Erwerb von Verlagen und Zeitungen in Osteuropa, das Wirken von Stiftungen, die Kooperationen im akademischen Bereich sowie Werbe- und Schulungsveranstaltungen der Gauck/Birthler-Behörde im Ausland. Dabei werden folgerichtig die von uns im bundesdeutschen Inland analysierten geschichtspolitischen Prozesse und ideologischen Tendenzen nach außen verfolgt bzw. bei den Partnern maximal zu fördern versucht.

Beim Vergleich des nachsichtigen Umgangs mit Putin und Russland - beispielsweise hinsichtlich der Verbrechen in Tschetschenien - einerseits und den anmaßenden, historisch und ethisch halt- und maßlosen Auftritten gegenüber Tschechien andererseits wird sichtbar, wie bedenkenlos auch in Fragen der Geschichte und der Vergangenheitsbewältigung Interessen- und Machtpolitik exekutiert wird. Es geht nicht primär um Wahrheit und Menschenrechte, sondern darum, erreichbar erscheinende Einflusssphären in jeder Hinsicht gefügig zu machen.

Die Enquete-Kommission "Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit" des 13. Deutschen Bundestages führte am 25. Januar 1998 eine öffentliche Sitzung mit internationaler Beteiligung durch zum Thema: "Herausforderungen und Perspektiven der Vergangenheitsaufarbeitung in Mittel-, Ost- und Südosteuropa". Nebenbei: Es gab nie ein vergleichbares Gremium zur "Überwindung der Folgen der NS-Diktatur" und selbstredend nie eine solch hochrangige internationale geschichtspolitische Bemühung, um die "Vergangenheitsaufarbeitung" nach Franco, Salazar, türkischen Junten und griechischen Putschisten-Generälen oder gar nach den Kolonialkriegen Belgiens, der Niederlande, Großbritanniens und Frankreichs öffentlichkeitswirksam zu unterstützen.

Der Vorsitzende Rainer Eppelmann bemerkte einleitend: "Wir Deutschen haben in diesem Jahrhundert zwei totalitäre Regime erlebt. Das eine, der Nationalsozialismus, war selbstgewählt, das andere von der Sieger- und anfänglichen Besatzungsmacht Sowjetunion implantiert, von deutschen Gesinnungsgenossen dann allerdings auch willig exekutiert. In ganz Europa wird heute die Frage diskutiert, ob es zulässig ist, die faschistische und die kommunistische Diktatur unter einem Oberbegriff zusammenzufassen, dem Begriff 'totalitär' bzw. 'Totalitarismus'."9 Dies seien wohl die geeigneten Begriffe, das vergangene Zeitalter zu ordnen und zu bewerten.

Anna Wolff-Poweska, Poznan, entsprach allerdings in ihrem Referat nicht dem erwarteten, ebenso schlichten wie rigorosen, rechtsgestrickten Totalitarismusschema, als sie sagte: "Zur Aufarbeitung gehört nicht nur, dass man der vergangenen Epoche sowie ihren wichtigsten Akteuren und ihren Mitläufern Gerechtigkeit widerfahren lässt. Es liegt nicht im wohlverstandenen Interesse des neuen demokratischen Rechtsstaats, die Legitimierung des neuen Systems auf der Basis einer vereinfachenden Schwarz-Weiß-Konfrontation der alten Diktatur mit der neuen Demokratie zu suchen. Die Kultur der Abwendung vom Kommunismus wird in hohem Maße die Kultur und die Qualität des demokratischen Staates bestimmen." So wie damals der Antifaschismus nicht ausgereicht habe, den Kommunismus zu legitimieren, so reiche "es heute nicht, Antikommunist zu sein, wenn man Demokrat werden will. Eine neue demokratische Identität verlangt ein historisches Gedächtnis."10 Es gehe in der Geschichtsdiskussion auch um politische Ziele und um Machtfragen.

Der Kommunismus weise, fuhr Frau Wolff-Poweska fort, wie die Demokratie unterschiedliche Formen und Schattierungen auf: "Wer heute das System, das zum Beispiel von 1945 bis 1989 für Polen verbindlich gewesen ist, als verbrecherisch qualifiziert, kommt mit der Wahrheit in Konflikt. Fast überall in Mittelosteuropa hatte der Kommunismus in der Zeit nach Stalin eine bedeutende Evolution durchgemacht." Die "Detotalisierung" im Sowjetblock sei, glaube sie, in Polen am weitesten fortgeschritten. "Nach 1956 herrschte hier eine Version eines posttotalitären autoritären Kommunismus."11 Schließlich mahnten die Erfahrungen mit der Abkehr vom Kommunismus zur Bescheidenheit, da es "dafür weder Patentlösungen noch fertige Rezepte" gäbe.

In der Bundesrepublik wird das primär und entschieden antisowjetische Geschichtsbild maßgeblicher Gruppen der baltischen sowie weiterer ost- und südosteuropäischer Länder bereitwillig und intensiv aufgenommen, verbreitet und nach eigenen Kräften und Interessen maximal gefördert. Die Thüringer CDU hat Ende der neunziger Jahre mit Hilfe ihrer Landtagsfraktion und Landesregierung aus Haushaltsmitteln die Stiftung Ettersberg für international vergleichende Diktaturforschung gegründet. Nach dem Personal und dem Konzept erscheint die Stiftung als eine Filiale der Konrad-Adenauer-Stiftung. Seit diesem Jahr erhält sie eine jährliche institutionelle Förderung. Ost- und Südosteuropa sind bevorzugte Wirkungsfelder; der Vorstandsvorsitzende Hans-Joachim Veen äußerte 2004, dass er den thematischen Schwerpunkt auf die "sozialistischen Diktaturen" lege. Dem Stiftungsrat gehören auch Professoren aus Warschau und Budapest an. Ehrenmitglieder sind Jorge Semprun und Bernhard Vogel.

Das 2. Internationale Symposium im Oktober 2003 beschäftigte sich mit dem Wechsel, Wandel und Kontinuitäten der Eliten in den neuen Bundesländern sowie in Polen, Ungarn und Rumänien. Das 3. Internationale Symposium wurde in Zusammenarbeit mit der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur im Oktober 2004 in Weimar zum Thema "Der Kommunismus im Museum" durchgeführt. Die jeweiligen LeiterInnen stellten in Wort und Bild ihre Museen vor: Zeitgeschichtliches Forum Leipzig (Rainer Eckert), Haus des Terrors Budapest (Mária Schmidt), Memorial Sighet/Rumänien (Ana Blandiana), die Okkupationsmuseen Tallinn und Riga (Heike Ahonen und Gudega Michel), Genocidmuseum Vilnius (Eugenijus Peikstenis) sowie die Stiftung Socland und das Zentrum KARTA, beide Warschau (Marek Kozicki und Piotr Filipkowski).

Neben der Herabsetzung des sowjetischen Beitrags zur Befreiung vom Faschismus nehmen in den Medien sowie in Bildung und Forschung in der Bundesrepublik Schilderungen zur Kollaboration in den besetzten Ländern, Relativierungen der Resistance sowie Angriffe auf die Partisanenbewegungen und die Parteinahme für deren "Opfer" zu.

Gelegentlich zeitigt die Polemik gegen Stalin groteske Züge. Der sowjetische Diktator hatte bis 1948/49, gestützt auf Aussagen von deutschen Kriegsgefangenen, die zum engeren Mitarbeiterkreis des "Führers" gehört hatten, ein Dossier über Hitler anfertigen lassen. Das für die Veröffentlichung bearbeitete Dokument erschien Anfang 2005 in deutscher Übersetzung. Der Rezensent einer renommierten Wochenzeitung merkte entrüstet an: "Von dem Jahrhundertverbrechen der nationalsozialistischen Judenvernichtung ist überhaupt keine Rede."12 Die Herausgeber würden dies in der Rückschau als "empörend" einschätzen. An der Haltung Stalins ist sicher auch bei diesem Thema nichts zu beschönigen.

Dem Rezensenten wie den Herausgebern ist der folgende vergleichbare Sachverhalt jedoch offenbar völlig unbekannt: "Von dem Jahrhundertverbrechen der nationalsozialistischen Judenvernichtung" war auch in der etwa zeitgleich - am 20. September 1949 - abgegebenen Regierungserklärung des frisch gewählten Bundeskanzlers Konrad Adenauer keine Rede. Beiträge von Rednern seiner Koalitionsparteien CDU/CSU, FDP und Deutsche Partei haben das skandalöse ideell-moralische Bild beim Antritt der ersten bundesdeutschen Regierung nach Hitler noch verschlimmert. Die Ehrenrettung erfolgte in der Debatte zur Regierungserklärung durch die Reden von Kurt Schumacher und Carlo Schmid (beide SPD), Max Reimann und Walter Fisch (beide KPD) sowie Helene Wessel (Zentrum). Der kritische Leser ahnt angesichts eklatanter Wissenslücken einmal mehr, warum die Frühgeschichte der Bundesrepublik - von einzelnen ausgezeichneten Studien abgesehen - in Bildung, Medien und öffentlicher historisch-politischer Diskussion völlig unzureichend gegenwärtig ist.

Antifaschismus in die Europäische Verfassung! Das war und bleibt im Grundsatz eine legitime und wesentliche Forderung der VVN-BdA und anderer antifaschistischer Kräfte. Die Erfahrungen der vergangenen Wochen mit dem Befreiungstag 8. Mai als europäischem Gedenktag bestätigen diese Position und bestärken uns darin. Entscheidend ist dabei nicht das Schicksal des konkreten, vielleicht schon gescheiterten Verfassungsvorschlags, sondern, dass Antifaschismus als entscheidende Voraussetzung und als politisch-moralische wie kulturelle Grundlage aller friedlichen und zivilisatorischen Chancen und Entwicklungen in Europa seit 1945 anerkannt und im öffentlichen Bewusstsein tief und fest verankert wird. Das kann und muss den Befreiungsbeitrag der Sowjetunion und des kommunistischen Widerstands ebenso selbstverständlich und uneingeschränkt einschließen wie die Wahrheit über die geistigen Urheber, die Täter sowie alle Nutznießer, Handlanger und Mitläufer der Nazibarbarei.

Anmerkungen

1. Zentrale Gedenkfeier zum 60. Jahrestag der Befreiung der nationalsozialistischen Konzentrationslager am 10. April 2005 in Weimar. Hrsg.: Thüringer Staatskanzlei. Abt. Öffentlichkeitsarbeit, Erfurt 2005, S. 26

2. Thomas Schmid: Auschwitz, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), 27. Januar 2005

3. Ludwig Elm: Antifaschismus an der Schwelle des neuen Jahrtausends - 11 Thesen zur Diskussion, in: antifa, 10, Oktober 1999, S. 17-20; ders.: Im "Zeitalter der Extreme": Leben am Abgrund und Zufälle des Überlebens, in: Von Potsdam nach Moskau und zurück. Aus Anlass des 100. Geburtstages von Margarete Buber-Neumann, Schkeuditz 2002, S. 89-104; ders.: Milena Jesenská - Solidarität und Widerstand angesichts Flucht und Vertreibung 1933 - 1940, in: Flucht, Vertreibung und Erinnern, Jena 2004, S. 83-91; ders.: Zum Beispiel DDR - totalitär und stalinistisch? Anmerkungen zu Herkunft und Differenzierung der Totalitarismus-Konzeption sowie ihrer erneuten politischen Instrumentalisierung, Jena 2004, 12 S. (Rosa-Luxemburg-Stiftung in Thüringen e. V. - TEXTE & ARGUMENTE).

4. Eric Hobsbawm: Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, Darmstadt o. J., S. 161

5. Zit. nach: Liga-Report. Informationsbrief der Internationalen Liga für Menschenrechte, 1/2005, S. 32

6. Vgl. Susanne Klingenstein: Gekommen in Hoffnung, geendet im Justizmord. Der lange Krieg Stalins gegen die Literatur einer Minderheit: Vor fünfzig Jahren wurden die Angeklagten im sowjetischen Schauprozess gegen jiddische Schriftsteller hingerichtet, in: FAZ, 10. August 2002

7. Ekkehard Lieberam: "Verurteilung des totalitären Kommunismus". Bewertung einer Resolution der Europäischen Volkspartei vom 3./4. Februar 2004, in: ICARUS. Zeitschrift für soziale Theorie und Menschenrechte, Berlin, H. 3/2004, S. 31

8. FAZ, 22. März 2005

9. Materialien der Enquete-Kommission "Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit" (13. Wahlperiode des Deutschen Bundestages). Hrsg. vom Deutschen Bundestag, Bd. VII: Herausforderungen für die künftige Aufarbeitung der SED-Diktatur. Perspektiven der internationalen Zusammenarbeit bei der Aufarbeitung totalitärer Diktaturen, Baden-Baden - Frankfurt a. M. 1999, S. 889

10. Ebenda, S. 904

11. Ebenda, S. 906f. Wie kritische Anmerkungen zur offiziösen deutschen Debatte liest sich die anschließende Aussage: "Auch der Wille zum Totalitarismus war bei den Führern des Landes abgebröckelt. Deswegen wäre eine Verurteilung der gesamten Zeitspanne en bloc und eine Gleichsetzung der stalinistischen Funktionäre mit denen, die am Ende als Postkommunisten frei von ideologischen Bindungen an das alte System in gutem Glauben bemüht waren, für ihr Land zu arbeiten, ein ahistorisches und sehr oberflächliches Fehlurteil. Häufig führt eine Dämonisierung des alten Systems dazu, dass der öffentlichen Meinung nach dem Munde geredet und nur der eigene Konformismus gerechtfertigt wird." (S. 907)

12. Klaus Hildebrand: Mit den Augen des Dieners, in: Die Zeit, Nr. 16, 14. April 2005

Totalitarismuskonzeption heute 

Beitrag auf der Geschichtskonferenz der VVN-BdA, Weimar-Buchenwald, 2.-3. Oktober 2004

Einleitende Bemerkungen

In diesem Beitrag nur ausgewählte Aspekte des umfangreichen Themas:

  1. Zur Geschichte 
  2. Differenzierte Einschätzung der Konzepte und unsere Auseinandersetzungen 
  3. Instrumentalisierungen seit den neunziger Jahren und in absehbaren Phasen

I. Einige Bemerkungen zur Geschichte des Totalitarismuskonzepts

Ausgangspunkt sind die historisch-politischen Voraussetzungen für die Entstehung der Totalitarismus-Konzeption in den zwanziger Jahren. Es sind zwei herausragende Ereignisse, die zu erklären und zu bewerten damals vordringliche und schwierige Herausforderungen waren: Die Oktoberrevolution und die Entstehung der Sowjetmacht in Russland 1917 auf der einen, die Errichtung der faschistischen Diktatur Mussolinis im Oktober 1922 in Italien auf der anderen Seite. In vielen Ländern nahmen Strömungen, Leitbilder und Herrschaftskonzepte auffällig zu, die sich auf solche Herrschaftsmodelle orientierten. Die NS-Diktatur 1933 gab diesen Interpretationen weiter Auftrieb.

Als Schlüsselbegriff der neuen politischen Theorie oder auch bloß einer entsprechenden kritischen Haltung zu diesen neuartigen Entwicklungen setzte sich der des Totalitarismus durch. "Totalitarismus" bezeichnet somit von Anbeginn höchst unterschiedliche bis gegensätzliche Richtungen und Regimes und fasst diese nach wirklichen oder vermeintlichen Gemeinsamkeiten und Analogien, schließlich nach bestimmten Kriterien und in Versuchen zu ihrer Definition zusammen. Eine unbestreitbare Übereinstimmung bestand in der Wahrnehmung von Zeitgenossen offenkundig darin, dass Bolschewismus wie Faschismus mit liberalen Traditionen und darauf gegründeten bürgerlich-parlamentarischen, rechtsstaatlichen politischen Systemen und Prinzipien, also mit der bürgerlichen Demokratie und ihren Institutionen, brachen oder ihnen als möglicher Perspektive Absagen erteilten.

Übergreifend wird als "totalitär" im Kern der mehr oder weniger unbeschränkte Zugriff auf die Mitglieder der Gesellschaft angesehen und bezeichnet, der auf Kosten ihrer Würde, ihrer Rechte und Freiheiten sowie ihrer Individualität realisiert wird.

Das schloss bei beiden neuartigen Herrschaftskonzepten im einzelnen Konsequenzen ein wie die Abschaffung der Gewaltenteilung und das Entstehen eines mehr oder weniger unbeschränkten Machtmonopols in den Händen einer Partei bzw. kleiner Gruppen oder sogar bloß einer Person der einen, der herrschenden politischen Richtung. Daraus erwuchs die Abschaffung oder erhebliche Beschränkung von politischen Rechten und Freiheiten sowie des Pluralismus der Meinungen und Konzepte, aber auch das Aufkommen von umfassenden und meist nahezu unkontrollierten Überwachungs- und Sicherheitsapparaten.

Die in den zwanziger Jahren zunächst vor allem im liberalen und sozialdemokratischen Spektrum aufkommenden Totalitarismus-Konzepte nahmen vorrangig solche antiliberalen und autoritären bis diktatorischen Wesenszüge und Strukturen der politischen Ordnungen in ihre Charakteristik "totalitärer Systeme" auf. In der Regel vernachlässigten sie dabei die erheblichen Unterschiede oder Gegensätze im Ursprung, in den sozialen und ideellen Grundlagen sowie in der Gesellschaftsstrategie der jeweiligen Bewegungen oder Regimes.

Es begann die nunmehr rund achtzigjährige Geschichte dieses geschichts- und politikwissenschaftlichen Theorems. Dabei entstanden Differenzierungen, die von der positiven Selbstcharakteristik des Faschismus durch Politiker und Ideologen - beispielsweise im Begriff des "totalen Staates" in Italien und bei Carl Schmitt, Ernst Forsthoff u. a. in Deutschland, als "totale Mobilmachung" bei Ernst Jünger und schließlich mit dem von Goebbels verkündeten "totalen Krieg" - über faschismuskritische konservative Versionen bis zu sozialistischen und unabhängigen - antistalinistischen - kommunistischen Richtungen und Gruppierungen reichten. Eine weitere auffällige Erscheinung dieser Theoriegeschichte ist, dass der Einfluss und die jeweiligen Ausprägungen sehr von den gegebenen historisch-politischen Rahmenbedingungen und konkreten Situationen abhängig sind. Darin wird die jeweilige politische Funktionalisierung der Theorie sichtbar. Das ist ein Punkt, an dem die Kritiker des Totalitarismus-Konzepts immer wieder anknüpfen. Nachdem es beispielsweise in den dreißiger Jahren auch in den USA erheblichen Einfluss gewonnen hatte, schienen der Hitler-Stalin-Pakt vom August 1939 und die anschließende Periode der Beziehungen zwischen beiden Staaten bis Juni 1941 dieses politikwissenschaftliche Deutungsmodell völlig zu bestätigen. Dem entsprach die vorherrschende Sichtweise auf einer Konferenz US-amerikanischer Politikwissenschaftler im November 1939 in Philadelphia

Mit dem Überfall Hitlerdeutschlands auf die UdSSR am 22. Juni 1941 und der Herausbildung der Anti-Hitler-Koalition brachen diese, das sowjetische mit dem hitlerdeutschen Regime parallelisierenden Wertungen, plötzlich ab und verschwanden bis 1945/46 in der Versenkung der Bibliotheken oder der unveröffentlichten Manuskripte.

Wenig später, mit dem Ausbruch des Kalten Krieges, kam die Totalitarismus-Theorie in der westlichen Welt ab 1946/47 zu einer neuen Konjunktur und sie wurde in der Bundesrepublik der fünfziger und frühen sechziger Jahre in Politik, Wissenschaft, Bildung und Medien zur vorherrschenden meinungsbildenden Strömung der Politik- und Geschichtswissenschaft. Dabei traten situationsbedingt rechte Versionen in den Vordergrund: Das Konzept bewährte sich für die daran interessierten Kräfte erneut als politisch instrumentalisierbar. Vordenker des Neoliberalismus wie Ludwig von Mises, Wilhelm Röpke, Friedrich August von Hayek u. a. leisteten ab Ende der dreißiger Jahre - zunächst in der Emigration - mit ihren Ausarbeitungen ebenfalls theoretische Grundlagen und politisch-ideologische Beiträge zu rechten, militanten Spielarten des Totalitarismuskonzepts. Das waren praktisch Beiträge zur Anpassung des Konservatismus und Antikommunismus an veränderte Bedingungen. Das mündete ab 1947/48 in die Strategien der Restauration und in die Grundlagen der Bundesrepublik.

Das bedeutete in den Jahren des Kalten Krieges - in der Adenauer-Ära - vor allem, dass sich ein unumgänglicher, jedoch im Gefolge der Restauration weithin halbherziger Antinazismus mit verschiedenen, auch militanten Spielarten des Antikommunismus in beliebigen, totalitarismustheoretischen Kombinationen verbinden und dabei auch dem letzteren unterordnen ließ. Die in Deutschland, Europa und der Welt allgegenwärtige Konfrontation mit der UdSSR und ihren Verbündeten erleichterte die gewünschte Priorität des Antikommunismus. Der zehnte Jahrestag des 20. Juli 1944 konnte beispielsweise im Sommer 1954 in Beziehung zum 17. Juni 1953 gesetzt und auch dadurch für das offiziöse bundesdeutsche Selbstverständnis aufgewertet werden.

Die direkte Abhängigkeit vor allem des konservativen totalitaristischen Modells von politischen Bedingungen und Interessen bestätigte sich in den siebziger Jahren: Mit dem Übergang zur Entspannungs- und europäischen Vertragspolitik der siebziger Jahre kam es zu einem rapiden Verlust an Glaubwürdigkeit und Einfluss sowie fast zum Ableben der Totalitarismus-Konzepte. Auch im Verhältnis zur Sowjetunion und zur DDR traten beispielsweise Industriegesellschafts-, Modernisierungs- und Konvergenztheorien in den Vordergrund. Der deutschen Zweistaatlichkeit wurde mit Thesen von der fortbestehenden deutschen Kulturnation begegnet.

II. Zur Differenzierung innerhalb der Totalitarismuskonzepte und zu Konsequenzen für unsere Auseinandersetzung mit ihren Vertretern und Thesen

In der marxistisch-leninistischen Lehre wurde das Totalitarismuskonzept vom Ursprung her und in allen Erscheinungsformen als Spielart des Antikommunismus rundum abgelehnt - es wurde prinzipiell kritisiert oder ignoriert. Diese Haltung nimmt weiterhin ein nicht unbeträchtlicher Teil der Linken ein. Erklärbar ist dies aus der bundesdeutschen Erfahrung, dass das Konzept überwiegend entschieden antikommunistisch benutzt und auf Kosten des Antifaschismus verfochten und verbreitet wurde und wird. Das reicht von dem vielfach behaupteten, jedoch kritisch zu hinterfragenden angeblichen "antitotalitären Gründungskonsens" der Bundesrepublik bis in die heutigen offiziösen Angebote von "antitotalitärem Konsens". Es lässt sich als ideologisch-politische Arbeitsgrundlage des Verfassungsschutzes und damit beispielsweise auch in dem in der Bundesrepublik vorherrschenden konservativen Extremismusbegriff nachweisen. Die Unterschiede zu dem in Westeuropa dominierenden Verständnis sind gravierend und nicht zu übersehen. Die verkürzte Formel "Rot gleich Braun" kann begreiflicherweise ohnehin nicht auf Zustimmung von links rechnen.

Ein Entweder-Oder scheint jedoch auch in diesem Fall - Totalitarismustheorie - ja oder nein? - nicht überzeugend und hinlänglich begründet zu sein. Vielmehr kommt der erheblichen Differenzierung unter den Vordenkern und Anhängern dieses Modells entscheidende Bedeutung zu.

Aufmerksamkeit und Anerkennung verdienen vor allem die liberal-pazifistischen und die sozialdemokratisch-sozialistischen Traditionslinien und Vorstellungen von Antitotalitarismus seit den zwanziger Jahren. Hier sind Gruppen der sozial- und geisteswissenschaftlichen Emigration zu nennen - beispielsweise Herbert Marcuse und Franz Neumann; darüber hinaus antifaschistische Sozialdemokraten, Sozialisten und unabhängige Kommunisten sowie stellvertretend aus dem Kreis der Schriftsteller und Publizisten: Hellmut von Gerlach, Erika, Klaus und Heinrich Mann, Walter Mehring, Carl von Ossietzky, Kurt Tucholsky und Stefan Zweig.

Karl Jaspers reflektierte in seiner berühmten Schrift "Die geistige Situation der Zeit" von 1931 das Empfinden der Krise der "gegenwärtigen Daseinsordnung" und schrieb: "Es ist begreiflich, dass wir fast alle versagen. Wie Auswege zu leichterer Möglichkeit erscheinen Bolschewismus und Faszismus. Man kann wieder einfach gehorchen und alles Handeln jeweils dem Einen überlassen, der das Regiment sich erobert hat. Diese Formen weltlicher Diktatur sind Ersatz für die Autorität; aber sie sind es um den Preis des Verzichts fast aller, selbst zu sein." (Jaspers 1949, 94)

Bei allen Unterschieden ist den Genannten gemeinsam, dass ihr Antitotalitarismus einerseits wesentlich antinazistisch, antirassistisch und nicht nationalistisch ist sowie andererseits ihre Kritik an Kommunismus und Bolschewismus vor allem liberal, rechtsstaatlich und menschenrechtlich begründet wurde. Diese Kritik am sowjetischen Modell, an der kommunistischen Bewegung und am Marxismus-Leninismus ist durch den Verlauf der Geschichte in hohem Maße bestätigt worden. Diese antitotalitäre Grundhaltung steht - im Unterschied zu den Konservativen - nicht in der Tradition des Antisozialismus Bismarckscher oder alldeutsch-wilhelminischer Prägung, ist auch keine Verkleidung autoritär-antidemokratischer oder einer anderen Variante hegemonial-militaristischer Politik und ist schließlich kein Erbe oder Fortsetzer der verschiedenen antimarxistischen Schulen seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Es ist eine weitere notwendige Differenzierung in den heutigen Kontroversen zum Totalitarismus-Konzept anzusprechen. Es ist unzulässig - wie es sehr oft geschieht - , den Begriff des Kommunismus mehr oder weniger mit dem des Stalinismus gleichzusetzen, also beide Begriffe - sei es fahrlässig, sei es absichtsvoll - weitgehend synonym zu gebrauchen. Das geschieht hauptsächlich dadurch, dass das Verständnis von Stalinismus extensiv ausgeweitet wird.

Der Kommunismus zwischen 1900 und 1990 kann als epochale und globale, weltweit, regional und in einzelnen geschichtlichen Phasen höchst heterogene Strömung oder Herrschaftsform ebenso wenig als monolithische, vorwiegend oder gar ausschließlich stalinistische, Einheit angesehen werden wie der Weltkapitalismus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts pauschal als mehr oder weniger faschistisch bezeichnet werden könnte.

Ian Kershaw äußerte in einem Aufsatz über "Nationalsozialistische und stalinistische Herrschaft. Möglichkeiten und Grenzen des Vergleichs": "Der Begriff 'Stalinismus' sollte auf die Herrschaft der Sowjetunion zu Lebzeiten Stalins beschränkt werden." (Kershaw 1999, 222) Diese Position erscheint stichhaltig.

Das schließt zugleich ein, dass es zwischen Nationalsozialismus und einem so charakterisierten Stalinismus, der etwa die drei Jahrzehnte von 1923 bis 1953 umfasst, zeitweilig und partiell eine große Nähe und einige Übereinstimmungen gab: 

Persönliche Diktatur und Machtmissbrauch, Rechtlosigkeit und Willkür, Menschenverachtung, Massenterror und Lagersystem (Gulag/KZ). Im strengen Sinn darauf bezogen. ist eine reale historisch-politische Substanz der Grundidee des Totalitarismus gegeben.

Das war der Abgrund für Margarete Buber-Neumann und andere, den sie im Herrschaftsbereich Stalins wie Hitlers am eigenen Leib erfahren mussten. Mit ihrer authentischen Erfahrung in den Lagern Stalins hat sie beim Streit mit Kommunistinnen in Ravensbrück, dann ungeachtet der Widerrede höchst prominenter Zeitgenossen - darunter Jean Frédéric Joliot-Curie und Jean-Paul Sartre - als Zeugin im Krawtschenko-Prozess in Paris 1949, in der Auseinandersetzung mit dem Kommunisten und ehemaligen Buchenwaldhäftling, Emil Carlebach, (1951/52) und anderen Zeitgenossen und Gegnern recht gehabt. Leider sind solche bis 1945 gemeinsam Verfolgte und Leidende auch spätestens nach 1956 oder 1985 nicht zu einer klärenden und versöhnenden Begegnung gekommen.

Unrecht hatte auch Georg Lukács, der in seinem 1954 erschienenen Hauptwerk in einem Nachwort "Über den Irrationalismus der Nachkriegszeit" die Krawtschenko-Frage, die der Arbeitsstraflager in der Sowjetunion", geradezu als exemplarischen Fall für die ideologischen Konfrontationen im beginnenden Kalten Krieg stilisierte - allerdings als vermeintlichen Beweis für "das ständig sinkende Niveau der Antisowjetpropaganda". Er sprach vom "Krawtschenko-Prinzip" und der "Methode Krawtschenko" sowie über "ordinäre Polizeiagenten von der Art der Krawtschenko, Ruth Fischer usw." und deutete es als Beleg für die antisowjetische Rolle der Renegaten der kommunistischen Bewegung. (Lukács 1954, 621ff.) Aus dieser voreingenommenen Grundhaltung heraus, hielt Lukács die Hauptzeugin im Krawtschenko-Prozess, Margarete Buber-Neumann, für nicht der Erwähnung wert.

Die geschichtliche Hauptverantwortung für solche Irrtümer und Fehlurteile seitens vieler überzeugter Kommunisten liegt bei der Führung der KPdSU, des Sowjetstaates und der internationalen kommunistischen Bewegung, die die Lebenslüge der marxistisch-leninistischen Ideologie und Herrschaftspraxis - das Leugnen oder Verdrängen des Charakters und der Dimension der stalinistischen Verbrechen - letztlich über Jahrzehnte und damit bis in die Phase des Scheiterns des Systems in dieser oder jener Weise aufrechterhalten hat.

Selbst angesichts weitreichender Analogien zwischen dem Regime Stalins und der NS-Diktatur ist jedoch zugleich auf fundamentale Unterschiede zu verweisen. Dazu gehören die Gegensätze in den Ursprüngen, Grundlagen und gesellschaftlichen Zielen, die schließlich auch in der Gegensätzlichkeit ihres Scheiterns und der Art und Weise der Überwindung des jeweiligen "totalitären Systems" sichtbar wurden.

Die Nazibarbarei war die Verwirklichung des völkisch-rassistischen - insbesondere antisemitischen - , des hegemonial-militaristischen und überhaupt terroristisch-menschenverachtenden Programms der faschistischen Bewegung und beträchtlicher Teile der gesamten deutschen bürgerlichen Gesellschaft. Weder in ihrer Herkunft noch in ihren Nachlässen gibt es Bewahrenswertes. Faschismus ist Aufkündigung der Humanität und aller elementaren Errungenschaften der Zivilisation, ist ein Verbrechen und das Dritte Reich war ein "Verbrecherstaat" (Karl Jaspers).

Dagegen ist das Schreckensregiment Stalins und seines Umfeldes nicht die Verwirklichung sozialistischer oder kommunistischer Vorstellungen und Ziele, sondern im Gegenteil der radikale Bruch mit Herkunft und Wesen dieser Strömungen, insbesondere mit ihrem ursprünglich und konstitutiv demokratischen und humanistischen Wesen. Es war der Bruch auch mit dem originären Denken und Streben von Marx und Engels sowie verschiedener Schulen und Richtungen des seitherigen marxistischen und sozialistischen Denkens.

Im April 2001 hatte in New York eine Tagung zum "Kleineren Übel" (Lesser Evil) in der Geschichte des 20. Jahrhunderts, zu Bedeutung und Geschichte des Vergleichs von Nationalsozialismus und Stalinismus, stattgefunden. In einem Konferenzbericht war über den Eröffnungsvortrag von Tzvetan Todorow (Paris) zu lesen: "Todorov berief sich auf Margarete Buber-Neumanns Memoiren 'Als Gefangene bei Stalin und Hitler', um die Unterscheidung zu belegen, dass die Sowjets ihre Häftlinge zwar als Sklaven, die Nazis ihre Opfer jedoch nicht mehr als Menschen behandelt hätten. Das russische Kolyma ähnelt Buchenwald, doch es gab nie etwas wie Treblinka in der Sowjetunion." (Baer 2001, 55)

Bei der Offenlegung der Geschichte der sowjetischen "Speziallager" von 1945-1950 in der SBZ wurde deutlich, dass hier das Gulag-System übergegriffen und diese Lager in zunehmenden Maße der antifaschistischen Intention alliierter Beschlüsse über zeitweilige Internierungslager im Nachkriegsdeutschland entfremdet hatte. In den Kontroversen zum Vergleich von KZ und Speziallager - nicht zuletzt am Beispiel der Lager mit "doppelter Vergangenheit" wie Buchenwald und Sachsenhausen - kamen die gleichen grundsätzlichen Streitfragen der Totalitarismusdebatte auf.

Außer den wesentlichen Unterschieden, die sich aus den Fragen, was Ursache und was Wirkung im Verhältnis beider Lagertypen war, ergeben, bleibt die Differenz, dass die hohe - viel zu hohe - Sterberate beispielsweise in Buchenwald zwischen 1945 und 1950 nicht durch Mord und Totschlag, nicht mittels Tod durch Arbeit, sondern aus den katastrophalen Ernährungs- und hygienischen Verhältnissen resultierte. Aus der Opferperspektive mögen solche Differenzierungen bedeutungslos, vielleicht sogar makaber erscheinen. Sie sind es jedoch nicht, wenn über die geschichtlichen, sozialen und politisch-moralischen Bedingungen und Ursachen humanitärer Katastrophen, über den Charakter der daran ursächlich beteiligten Bewegungen und Ideologien und über gesellschaftliche wie ethische Schlussfolgerungen nachzudenken ist.

Hannah Arendt und andere Autoren haben in Terror und Lagersystem hauptsächliche Kennzeichen des Totalitarismus gesehen. Das spricht für die hier vertretene These über die Nähe von Faschismus und Stalinismus, aber auch für die unumgängliche Unterscheidung von Stalinismus und Post-Stalinismus. Bei der seit einigen Jahren geradezu konjunkturellen Berufung auf die berühmteste Denkerin der Totalitarismus-Theorie geraten - keineswegs zufällig - Hauptthemen und Kernpositionen ihres Lebenswerks an die Peripherie oder werden völlig verdrängt.

In der ernstzunehmenden internationalen Debatte nimmt längst die Differenzierung zwischen dem im Sinne Kershaws definierten Stalinismus einerseits und poststalinistischen Regimes und Verhältnissen andererseits einen wesentlichen Platz ein. Das betrifft auch die Reichweite des Totalitarismus-Vorwurfs und die dafür maßgeblichen Kriterien. Kershaw selbst äußerte, dass das Potential eines fruchtbaren Vergleichs wesentlich geringer werde, "wenn der Begriff 'Stalinismus' bzw. 'stalinistische Herrschaft' auf das sowjetische System nach dem Tod Stalins erweitert oder gar als Synonym für die marxistisch-leninistische Herrschaft schlechthin verwendet wird. Wesentliche Merkmale des 'post-stalinistischen Stalinismus' lassen sich mit den Charakteristiken der NS-Herrschaft wie mit denen der stalinistischen Herrschaft deutlich kontrastieren." Daher könne man "mit Recht daran zweifeln, ob der Totalitarismus-Begriff für beides benutzt werden kann." (Kershaw 1999, 214)

Juan L. Linz hat diese Sichtweise mit seinen Beiträgen zur Differenzierung zwischen totalitären und autoritären Regimes untersetzt. Er führte den Begriff des "posttotalitären politischen Regimes" ein: "26 der 27 postkommunistischen Staaten in Europa (die einzige Ausnahme ist Polen) hatten sich während des Stalinismus bzw. vor der jugoslawischen 'Häresie' jeweils dem totalitären Idealtypus angenähert.. Die meisten von ihnen kamen später auch dem posttotalitären Idealtypus nahe. Der Terminus posttotalitär als solcher besagt, dass dieser Regimetyp von seinen Gründern ursprünglich nicht als ein bestimmter Typ politischer Ordnung wahrgenommen worden war, sondern dass er im Ergebnis von Veränderungen in einem System entstand, das einmal dem totalitären System nahegestanden hatte." (Linz 2000, 252)

Das entgegengesetzte, in diesem Land bisher auch dank großer Bemühungen staatlicher Geschichtspolitik vorherrschende Konzept, wurde bei der deutschen Ausgabe des "Schwarzbuchs des Kommunismus" durchgesetzt. Nicolas Werth schließt seinen umfangreichen Beitrag über die UdSSR mit dem "Ende des Stalinismus" in den fünfziger Jahren ab und bezieht die poststalinistischen Jahrzehnte nicht mehr als bloße, angeblich unveränderte Fortsetzung von "Gewalt, Unterdrückung und Terror in der Sowjetunion" ein.

Dagegen wurden in die deutsche Ausgabe zwei Beiträge zur DDR aufgenommen, die nie eine Diktatur à la Stalin war und deren Lebenszeit ganz überwiegend der post-totalitären Geschichte zuzuordnen ist. In seinem Beitrag "Politische Verbrechen in der DDR" ist Ehrhart Neubert mit einem weitgehenden Verzicht auf ein Mindestmaß an Objektivität bemüht, die DDR als durchweg kriminelles Unternehmen darzustellen und die erwünschte Platzierung neben Stalin, Mao und Pol Pot zu rechtfertigen. Das geschichtliche Tatsachenmaterial wie die internationale Forschung und Diskussion ignorierend, behauptet er: "Die kommunistische Herrschaft von 1917 bis 1991, in Ostdeutschland von 1945 bis 1989, war aus einem Guss." (Neubert 1998, 834)

III. Platz der Totalitarismuskonzeptionen im rechten Geschichtsrevisionismus und politische Instrumentalisierung seit den neunziger Jahren

Seit 1990 kam es zu einer bereits häufig und nicht unzutreffend so genannten "Renaissance" und diese Tendenz dauert zum jetzigen Zeitpunkt unverkennbar an. Sie gedieh im Zusammenhang mit der kritischen Aufarbeitung von mehr als sieben Jahrzehnten realsozialistischem Herrschaftssystem und Marxismus-Leninismus. Die in der Bundesrepublik nach dem Ende der DDR gegebene Asymmetrie der Debatte führte dazu, dass die Rigorosität des Feindbildes vielfach an die rabiat antikommunistische Atmosphäre der fünfziger Jahre erinnerte. Dafür wurden eine Reihe von Institutionen und Foren geschaffen, umfangreiche Mittel für Forschungen, Stipendien, Tagungen und Publikationen bereitgestellt. Seit 1998 geschieht dies weithin unter dem Dach der Stiftung zur "Aufarbeitung der SED-Diktatur".

Dazu haben zwei Enquete-Kommissionen des Deutschen Bundestages zur "SED-Diktatur" maßgeblich beigetragen. Die Enquete-Kommission des 12. Deutschen Bundestages "Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland" veranstaltete am 3. und 4. Mai 1994 in Berlin eine öffentliche Anhörung "Zur Auseinandersetzung mit den beiden Diktaturen in Deutschland in Vergangenheit und Gegenwart". Horst Möller, Direktor des Instituts für Zeitgeschichte in München, vertrat im einleitenden Referat das Totalitarismus-Konzept im Sinne der Nivellierung von Stalinismus und Post-Stalinismus - also eines extensiven Stalinismus-Begriffs - sowie einer weitgehenden Parallelisierung von DDR und Drittem Reich. Jürgen Kocka, Sigrid Meuschel und Rainer Lepsius widersprachen den politisch motivierten, wissenschaftlich fragwürdigen Positionen. So äußerte Kocka, dass es zwischen DDR und NS-Regime "zahllose, erhebliche, ins Gewicht fallende Unterschiede" gäbe: "Je genauer man hinblickt, je gründlicher man das Herrschaftssystem, die Sozial- und Rechtspolitik, die Minderheitenpolitik, die Sozialgeschichte, das Wirtschaftssystem, den Alltag, die Kultur der beiden Diktaturen untersucht, desto mehr treten ihre tiefgreifenden und vielfältigen Unterschiede hervor." (Materialien 1995, 592)

Auf Betreiben der Thüringer CDU unter Bernhard Vogel wurde Ende der neunziger Jahre nach dem Beispiel des Hannah-Arendt-Instituts in Dresden die Stiftung Ettersberg für Totalitarismusforschung gegründet und wird seither üppig mit Steuergeldern gefördert, darunter bei mehreren internationalen Tagungen. Das 3. Internationale Symposium wird von ihr gemeinsam mit der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur vom 21. bis 23. Oktober 2004 in Weimar zum Thema "Der Kommunismus im Museum" durchgeführt.

Die Selbstverständlichkeit, mit der inzwischen die Formel von den "zwei Diktaturen in Deutschland" um sich gegriffen hat und ebenso unablässig wie leichtfertig fragwürdige Parallelisierungen der DDR mit der Nazibarbarei verbreitet werden, gehört zu den auffälligsten Äußerungen der geschichtsideologischen und politischen Grundtendenzen seit den neunziger Jahren. In der Gedenk- und Erinnerungspolitik wurde dies inzwischen in die Formel von den "zwei Diktaturen und ihren Opfern" übersetzt. Wie die Praxis der offiziellen Gedenkkultur in Sachsen, Sachsen-Anhalt und anderswo zeigt, geht die faktische Entlastung der NS-Diktatur und ihrer Täter noch über die ungeheuerliche Parallelisierung in der genannten Formel hinaus.

Abschließend sei vermerkt, dass bisher das Problem totalitärer Tendenzen oder Gefährdungen in den westlichen Demokratien - beispielsweise im neoliberal gesteuerten Globalisierungsprozess - noch nicht einmal angesprochen wurde. Aber dieser Problemkreis könnte heute und in Zukunft eine weitaus größere Bedeutung gewinnen; möglicherweise auch unter der global gemeinten Überschrift, dass nichts mehr so ist, wie es vor dem 11. September 2001 war. Auch wenn die weitere Aufarbeitung der weltgeschichtlichen Phänomene von Extremismus und Barbarei im vergangenen Jahrhundert andauert und noch der Bemühungen nachwachsender Generationen bedarf, sollte bedacht werden, dass künftige totalitäre Gefährdungen wahrscheinlich mit anderen Rechtfertigungen und Erscheinungsformen auftreten werden als die der Vergangenheit.

Literatur

Baer, Ulrich 2001: Mordeten Stalins Schergen menschlicher? Eine New Yorker Konferenz über den Holocaust und das "kleinere Übel". In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18. April 2001

Hobsbawm, Eric: Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft o. J.

Jaspers, Karl: Die geistige Situation der Zeit (1931). Zweiter unveränderter Abdruck der im Sommer 1932 bearbeiteten 5. Auflage, Berlin 1949

Kershaw, Jan 1999: Nationalsozialistische und stalinistische Herrschaft. In: E. Jesse (Hrsg.): Totalitarismus im 20. Jahrhundert. Eine Bilanz der internationalen Forschung. 2., erweit. Aufl. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung (Schriftenreihe, Bd. 336), 213-222

Lewis, Sinclair: Das ist bei uns nicht möglich. Roman. Leipzig und Weimar: Kiepenheuer 1992 

Linz, Juan José: Totalitäre und autoritäre Regime. Hrsg. von Raimund Krämer. Berlin 2000, (Potsdamer Textbücher PTB. Bd. 4)

Lukács, Georg: Die Zerstörung der Vernunft. Berlin 1954 

Materialien der Enquete-Kommission "Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland" (12. Wahlperiode des Deutschen Bundestages). Hrsg. vom Deutschen Bundestag. Neun Bände in 18 Teilbänden. Baden-Baden/Frankfurt a. M.: Nomos Verlag/Suhrkamp Verlag 1995. Bd. IX, 574-777

Neubert, Ehrhart 1998: Politische Verbrechen in der DDR. In: Stéphane Courtois, Nicolas Werth u. a.: Das Schwarzbuch des Kommunismus. Unterdrückung, Verbrechen und Terror. München: Piper, 829-884

Wippermann, Wolfgang 1997: Totalitarismustheorien. Die Entwicklung der Diskussion von den Anfängen bis heute. Darmstadt: Primus Verlag