30.01.07
"Und die Gegenwehr [...] wäre nicht mehr mit dem fatalen Argument
belastet, als legale Partei dürfe die NPD auch frei und legal
agieren"
Der Holocaust und die NPD
Von Jürgen Reents, Chefredakteur
von »Neues Deutschland«
»Unter den unerhörten Greueltaten der Hitleristen nehmen ihre
blutigen Gewalttaten gegen die slawischen Völker und das jüdische
Volk einen Sonderplatz ein.« Als der sowjetische Hauptankläger
dies beim Nürnberger Prozess ausführte, war die Erinnerung vor
allem auf die größte und teuflischste Todesfabrik der Nazis
gerichtet: Auschwitz. Über eine Million Menschen wurden allein dort
vernichtet, Zehntausende bei der Evakuierung auf Todesmärsche
getrieben. Nur wenige Tausend fand die Rote Armee noch lebend vor,
als sie das Lager am 27. Januar 1945 erreichte. Erst 1996 wurde der
27. Januar in Deutschland zum »Tag des Gedenkens an die Opfer des
Nationalsozialismus« erklärt. Seit 2005 ist er dies durch
UNO-Beschluss auch weltweit.
Damit sich in Deutschland nie wieder ein Faschismus organisieren
kann, verfügte die Anti-Hitler-Koalition im Potsdamer Abkommen das
Verbot der Nazi-Partei mit all ihren Gliederungen. Und fügte an:
»Es sind Sicherheiten zu schaffen, dass sie in keiner Form wieder
auferstehen können; jeder nazistischen und militaristischen
Betätigung und Propaganda ist vorzubeugen.«
In keiner Form wieder auferstehen, jeder nazistischen Betätigung
vorbeugen! Diese Lehre wurde in der Bundesrepublik Deutschland schon
vor über 40 Jahren aufgegeben. 1964 konnte die NPD damit beginnen,
den deutschen Rechtsextremismus legal zu reorganisieren. Seit 16
Jahren darf sie das auch im Osten dieses Landes, da alle Regelungen
aufgehoben sind, die als »verordneter Antifaschismus« der DDR
denunziert wurden. Mit dem Einzug der NPD in einige Landtage gehört
es nun zum Parlamentsalltag, die Opfer des Nazi-Regimes öffentlich
zu verhöhnen. Provokativ marschieren ihre Abgeordneten bei
Schweigeminuten aus dem Saal, attackieren ihre Funktionäre das
Gedenken als »Schuld-Kult der Blockparteien«, bekundete NPD-Chef
Udo Voigt vor Gefolgsleuten seinen perfiden Wahn, das
Holocaust-Mahnmal in Berlin als »Fundament einer neuen
Reichskanzlei« zu nutzen.
Wie lange noch soll gezögert werden, die größte Organisation
des deutschen Rechtsextremismus, die sich unverhohlen in die
finstere Tradition der Nazi-Zeit stellt, zu verbieten? Die
Bundesregierung hat dem Verfassungsgericht 2003 einen Verbotsantrag
auf den Tisch gelegt, ihn aber mit Fallstricken verschnürt. Es
wäre leicht, sie zu entfernen. Der Berliner Innensenator Ehrhart
Körting hat dies in einem Interview mit dieser Zeitung zu Recht
erklärt: »Wenn man sich vor Augen führt, was die NPD permanent
publiziert und sagt, benötigt man nicht, was unter vier Augen
beredet wird.« Der Verfassungsschutz kann seine Informanten ja
reaktivieren, wenn es nach einem NPD-Verbot darum geht, jeden
Versuch einer Ersatzgründung so zu unterbinden, wie es die Lehren
aus der Nazi-Zeit auferlegen.
Dass die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Rassismus und
Rechtsextremismus auch nach einem NPD-Verbot nicht zu Ende sein
würde, ist eine Binsenweisheit. Aber diese könnte endlich in der
Gewissheit erfolgen, dass der Staat das Seinige dazu beiträgt. Und
die Gegenwehr aus der Gesellschaft heraus wäre nicht mehr mit dem
fatalen Argument belastet, als legale Partei dürfe die NPD auch
frei und legal agieren.
Bedarf es in diesem Land erst der Stimme der Opfer, der
Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes, um das anzumahnen, was
die eigene Einsicht aller, auch des Staates, sein sollte? Wie viel
wohler könnte man sich fühlen, wenn die Opfer gehört werden, ohne
dass sie laut werden müssen.
Original erschienen in: Neues
Deutschland vom 27. Januar 2007
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