31.12.06
Nie wieder „Gott mit uns“
Völlige Freiheit der Religion
mit einer Einschränkung
von Ulrich Sander
Der Rat für Menschenrechte der Vereinten Nationen behandelt
derzeit einen Antrag islamischer Staaten gegen die Islamophobie.
Zugleich beraten Vertreter großer Weltreligionen über eine
Erklärung gegen den Terrorismus. Und der Papst sprach auf seiner
Türkei-Reise wieder über Gewalt und Religion. All diese und
weitere Deklarationen sind mit einem Mangel behaftet: Sie
problematisieren nicht die Tatsache des religiösen „Märtyrertums“
der Selbstmordattentäter. Dieses Thema darf aber nicht aus der
Debatte über die Religionsfreiheit und den Schutz der Religionen
vor Verleumdung ausgeklammert werden.
Sogar die deutschen Neonazis bemühen religiöse Vorstellungen,
um Verbrechen zu heiligen. Im Jahre 2000 erschoß ein Dortmunder
Neonazi drei Polizistinnen und Polizisten und sich selbst. „Er war
einer von uns“, schrieben Neonazis später in anonymen
Flugblättern und bemühten den Germanen-Kult: „Zeigt kein
Erbarmen und keine Reue. Sieg oder Walhalla.“ Dem Mörder und
Selbstmörder wurde der Einzug ins Paradies verheißen – ähnlich
wie bei vielen Selbstmordattentaten im Nahen Osten.
Im angeblich von Gott erlaubten, „heiligen“ oder „gerechten“
Kriegen gilt der Kämpfer, der tötet und getötet wird, als
Märtyrer, der ins Paradies einzieht. So wird die Hemmschwelle zum
Mord gesenkt, auch zum Massenmord.
In vielen Religionen gibt es solche Strömungen. Dazu gehört das
fundamentalistische Sendungsbewußtsein des US-Präsidenten Bush,
der glaubt in Gottes Auftrag sogar mit atomaren Mitteln den „Krieg
gegen den Terror“ gegen einen hoffnungslos unterlegenen Gegner
führen zu können. Dazu gehört die These israelischer Politiker
vom gerechten Krieg für das göttliche „ewige und unanfechtbare
Recht“ auf Gebiete weit über Israel hinaus. Und auch führende
Vertreter des Christentums in Deutschland verbreiten eine solche
Lehre vom Krieg, zum Beispiel wenn ein hoher Bischof einmal im Jahr
im Kölner Dom die Bundeswehr-Soldaten um sich sammelt, um ihnen zu
versichern: „Einem Gott lobenden Soldaten kann man guten Gewissens
Verantwortung über Leben und Tod anderer übertragen.“ In der
betenden Hand sei das Gewehr vor Mißbrauch sicher. Nie
zurückgenommen wurde jenes Gebetbuch für Soldaten, in dem die
deutsche katholische Kirche im Sommer 1939 dem Soldaten
einschärfte: „An der Front ist mein Platz, und wenn es mir noch
so schwer fällt. Falle ich dort, was macht das! Sterben müssen wir
alle einmal, und einen Tod, der ehrenvoller wäre als der auf dem
Schlachtfelde in treuer Pflichterfüllung, gibt es nicht.“
Der Terror der Islamisten wird allgemein verurteilt. Aber niemand
von Seiten sämtlicher Religionsgemeinschaften geht daran, die
verbrecherische Anstiftung zum Märtyrertum der
Selbstmordattentäter völkerrechtlich in Frage zu stellen und auch
die eigene Geschichte in dieser Hinsicht kritisch zu durchleuchten.
Liegt es daran, daß es in allen großen Religionen derartige
Konzeptionen gab oder gibt? Warum wird nicht offen ausgesprochen: Es
gibt keinen Lohn im Jenseits für „heilige“ Krieger und
Selbstmordattentate. In keiner Religion. Sollten wir nicht von den
Religionsführern verlangen, eine Konvention zu erarbeiten, die
religiöses Märtyrertum als Mittel der Kriegsführung ächtet?
Fällig ist eine Erklärung der UNO, die besagt: Religiös
verbrämte Kriegshetze wird nicht länger von der Religionsfreiheit
gedeckt. Bert Brecht schrieb 1951 an die deutschen Schriftsteller
und Künstler: „Völlige Freiheit des Buches, des Theaters, der
bildenden Kunst, der Musik, des Films – mit einer Einschränkung.
Die Einschränkung: Keine Freiheit für Schriften und Kunstwerke,
welche den Krieg verherrlichen oder als unvermeidbar hinstellen, und
für solche, welche den Völkerhaß fördern.“ Ich erlaube mir
hinzuzufügen: Völlige Freiheit der Religion – mit einer
Einschränkung. Keine Freiheit der Religion, wenn sie zum Mord
aufruft, Krieg verherrlicht oder als unvermeidbar hinstellt und den
Völkerhaß fördert. Vielleicht wären Weihnachts- und
Neujahrsbotschaften eine gute Gelegenheit zu solchen Erklärungen?
Darin müsste auch ausgesagt werden: Entscheidender Beitrag zur
Verhinderung religiös angestachelter und überhöhter
Wahnsinnstaten wäre die Respektierung der Souveränität anderer
Staaten, Rückzug aller Truppen in ihre Heimatländer, Schluss mit
Unterdrückung, Demütigung und Ausbeutung anderer Völker.
aus: Ossietzky Nr. 25/06
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