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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

11.12.06

Von VVN wiederentdeckte Bildberichte aus fünf Konzentrationslagern

Bildreportagen von der KZ-Besetzung durch Briten und US-Amerikaner erstmals im WWW

Britische Abgeordnete besichtigen in Buchenwald das KZ - Aus dem Bildband.
Britische Abgeordnete besichtigen in Buchenwald das KZ - Aus dem Bildband.

Von Ulrich Sander

Im Frühjahr 1945 gab es eine späte Erkenntnis unter den deutschen Soldaten, die lautete: Wenn unsere Gegner so mit uns umgehen, wie wir mit ihnen, dann gnade uns Gott. Nachdem die alliierten Truppen dann Deutschland besetzt hatten, trafen sie auf Zivilisten und Uniformierte, die „von allem nichts gewusst“ hatten. Amerikanische Truppen beorderten daher Deutsche in die besetzten Konzentrationslager, um ihnen zu zeigen, was viele von ihnen angerichtet hatten. Nazis wurden herangezogen, um die Leichenberge in Massengräbern zu beerdigen.

Solche Szenen aus Buchenwald, Bergen-Belsen, Gardelegen, Nordhausen und Ohrdruf sind in einer Broschüre „KZ – Bildbericht aus fünf Konzentrationslagern“ enthalten, die unlängst im Archiv des verstorbenen Antifaschisten Heinz Junge aus Dortmund wieder aufgetaucht ist. „Herausgegeben vom Amerikanischen Kriegsinformationsamt im Auftrag des Oberbefehlshaber der Alliierten Streitkräfte“, so lautet das karge Impressum der in Kupfertiefdruck in einer der eroberten Großdruckereien produzierten und vermutlich im April 1945 erstellten Schrift. „Dieses Heft enthält vor allem Photographien, denn das gedruckte Wort kann keine Vorstellung davon geben, welche Verbrechen dort in ihrem Namen begangen worden sind,“ wendet sich das Vorwort an die deutsche Bevölkerung, und zwar an jene vielen Deutschen, denen es „nicht möglich ist, ein KZ zu besichtigen“.

Während der Bericht gedruckt wurde, trafen die Alliierten fast täglich auf neue Konzentrationslager. Während Auschwitz – hierzu sind die Angaben ungenau – schon am 27. Januar 1945 von der sowjetischen Armee befreit worden war, standen im April noch die Besetzung Dachaus und Oranienburgs, d.h. Ravensbrücks und Sachsenhausens, bevor. „Aber,“ so heißt es weiter in der Vorbemerkung, „in all ihrer Unvollständigkeit spricht diese Bildersammlung bereits eine nur allzu deutliche Sprache. Sie zeigt, wie in den Konzentrationslagern ungezählte Männer, Frauen und Kinder – Deutsche und Nichtdeutsche – planmäßig und kaltblütig hingemordet wurden.“ Die Mörder von der SS und Gestapo sollen, so wird angekündigt, für ihre Schuld büßen und alle Deutschen die Wahrheit erfahren. Beides – weder die Bestrafung noch die Aufklärung - ist bekanntlich bei weitem nicht vollständig erreicht worden.

Deshalb hat die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA) jetzt die nahezu verschollene Schrift wieder der Allgemeinheit zugänglich gemacht. Sie wurde unter www.nrw.vvn-bda.de ins Internet gestellt. Aus dem World Wide Web ist nun zu erfahren, dass nur noch in wenigen Bibliotheken Exemplare der Schrift vorhanden waren; vollständig reproduziert steht sie erst seit Dezember – Dank der VVN-BdA – erstmals im Netz. Die Fotos sind mindestens so eindringlich wie die Filmszenen, die bisher bereits gelegentlich vom Eintreffen der deutschen Bevölkerung und der Konfrontation mit deutschen Verbrechen im KZ Buchenwald oder in den Filmberichten aus Bergen-Belsen und Nordhausen zu sehen waren.

Die geschilderten Geschichten aus Gardelegen und Ohrdruf sind heute noch weniger bekannt als die aus Belsen, Buchenwald und Nordhausen (KZ Dora-Mittelbau), und besonders die Darstellungen des Geschehens in diesen ostdeutschen Orten verdienen die Rückbesinnung. Hier geschahen furchtbare Kriegsendphasenverbrechen, das heißt, dass hier wie an vielen anderen Orten ungezählte Opfer „beseitigt“ wurden, damit sie nicht Zeugnis von den Naziverbrechen ablegen oder dem demokratischen Nachkriegseuropa zur Verfügung stehen könnten. Während derzeit in Gardelegen und anderen Gedenkorten „Forschungsprogramme“, aus öffentlichen Mitteln bezahlt, ablaufen, um die „Zahlen zu korrigieren“ und so zu verharmlosen, lohnt der Blick in die Schrift der US-Army, um besonders an Hand der Fotos zu erkennen, was geschah.

In einer Feldscheune in Isenschnibben bei Gardelegen im heutigen Sachsen-Anhalt wurden in der zweiten Aprilwoche 1945 etwas über eintausend Zwangsarbeiter von örtlichen Nazis verbrannt. Sie kamen aus einer 3000 Gefangene umfassenden Gruppe, die von ihren Bewachern durchs Land getrieben wurde, um sie vor den herannahenden US-Panzertruppen zu verbergen. Jene tausend nicht mehr gehfähigen Männer, Frauen und Kinder wurden aus der Kolonne herausgeholt, viele wurden totgeprügelt. Sodann begann das weitere Massaker. Später war zu erfahren: Die KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter, darunter 63 jüdische Häftlinge, wurden von NSDAP-Aktivisten wie Walter Biermann und Arno Brake ermordet, indem sie in einer Scheune verbrannt oder auf der Flucht erschossen wurden. Nur einen Tag später rückten die US-Truppen an. Unter der amerikanischen Besatzung mussten die Einwohner von Gardelegen die Opfer des Massenmordes in Einzelgräbern bestatten. Der Haupttäter, NSDAP-Kreisleiter Gerhard Thiele, konnte fliehen und lebte unter falschem Namen in der Bundesrepublik. Erst nach seinem Tod gelang es einem Kriminalbeamten, Thieles Identität aufzudecken. Zwei der Mörder, Biermann und Brake, starben in sowjetischer Haft und wurden kürzlich als „Opfer des Stalinismus“ auf einem Ehrenfriedhof in Halle bestattet.

Aus Ohrdruf/Thüringen waren von Januar bis April 1945 viele tausend Häftlinge nach Buchenwald und Bergen-Belsen getrieben worden, wo viele von ihnen starben. Als die Amerikaner am 4. April 1945 Ohrdruf erreichten, fanden sie eine nicht bezifferte Zahl von verbrannten Leichen und einige Überlende. Ohrdruf war ein Außenkommando von Buchenwald. Hier sollte ein unterirdisches Hauptquartier Adolf Hitlers von den gefangenen Sklavenarbeitern gebaut werden. Wenige Tage später besuchte der damalige Oberbefehlshaber General Dwight D. Eisenhower das Ohrdrufer KZ. Er schrieb später in einer anderen Veröffentlichung: „Die Dinge, die ich sah, spotteten jeder Beschreibung. Die sichtbaren Beweise und Zeugenaussagen über Hunger, Grausamkeit und Bestialität waren überwältigend. Ich habe diesen Besuch in der Absicht gemacht, als Augenzeuge berichten zu können, wenn es in Zukunft einen Versuch geben sollte, diese Dinge als Propaganda abzutun.“ In der jetzt wieder entdeckten Schrift wird geschildert, dass Oberst Searst in einer Ansprache vor einer Gruppe Deutscher hinzufügte: „Hier sehen Sie, warum wir nicht Ihre Freunde sein können.“

Siehe http://www.nrw.vvn-bda.de/bilder/kz.pdf.

Dauerhaft ist die Schrift über unsere Archivseite zu erreichen: http://www.nrw.vvn-bda.de/brosch.htm