05.11.06
Über Obszönitäten in der Bundeswehr
Zur Berichterstattung in den
Medien über Leichenschändungen aus Bundeswehrkreisen in
Afghanistan
Von Ulrich Sander
Es hat gewiss obszönere Vorfälle gegeben in der Bundeswehr. So
als der Begründer der „neuen Bundeswehr“, der Generalinspekteur
und Gebirgsjäger Klaus Naumann im „Spiegel“ 3/93 nur noch „zwei
Währungen in der Welt“ ausmachte: „Wirtschaftliche Macht und
die militärischen Mittel, sie durchzusetzen“. Und dann wurden
wieder deutsche Bomben auf Belgrad abgeworfen.
Wann wird einmal untersucht, warum an Obszönitäten und
Skandalen in der Bundeswehr vor allem Gebirgsjäger beteiligt sind?
Beispielsweise an antisemitischen Sprüchen seitens des
KSK-Kommandanten Reinhard Günzel, ehemals Gebirgsjägeroberst in
Schneeberg, von wo im Frühjahr 1996 die Videos mit
Schändungsszenen ihren Ausgang nahmen.
Die Gebirgsjäger sind ein Teil der Bundeswehr mit besonders
ausgeprägter Kontinuität von der Wehrmacht gestern zur Truppe von
heute. Jahr für Jahr wird sich dieser Kontinuität mit dem Segen
der Führung versichert: Beim Gebirgsjägertreffen zu Pfingsten auf
dem Hohen Brendten bei Mittenwald. Dort wird den Kriegsverbrechen
der Kameraden unterm Edelweiß Absolution erteilt, ja sie werden den
heutigen Gebirgsjägern als Vorbild angeboten. Höchste
Bundeswehrgeneräle wie Dr. Klaus Reinhardt, Gebirgsjäger und
Ex-Nato-Kommandeur auf dem Balkan, halten dort Reden wie diese: „Was
zeichnet ihn denn so besonders aus, diesen Gebirgsjäger, nach dem
heute alle rufen, wenn es um Standfestigkeit und Zuverlässigkeit in
schwierigen Lagen geht? Warum waren bei den Auslandseinsätzen des
Deutschen Heeres immer wieder Gebirgsjäger dabei?“ Das liege an
den Männern aus der Kriegsgeneration. „Sie haben die Uniform
wieder angezogen, um uns, der nachfolgenden Generation, das
Koordinatensystem ihrer Werteordnung“ weiterzugeben. Sie seien es
gewesen, „die uns die zeitlosen militärischen Werte wie Pflicht,
Treue, Tapferkeit und Kameradschaft vorgelebt haben.“ (Brendten-Rede
Reinhardts von Pfingsten 2000, aus: Gebirgstruppe)
Die heute ins Gerede gekommenen und 2003 an Leichenschändungen
beteiligten Gebirgssoldaten wurden immer wieder als Elitetruppen
hochgelobt. Ihre Wehrmachtsvorbilder wurden immer wieder von der
Regierung und der Justiz vor Anklagen in Schutz genommen, obwohl
Antifaschisten allein 198 von ihnen gut begründet wegen
Kriegsverbrechen anzeigten. Von den rund eintausend
Bundeswehrsoldaten, die als Wehrmachtsangehörige mutmaßlich an
Kriegsverbrechen beteiligt und deshalb Untersuchungen ausgesetzt
waren, wurde nicht einer rechtskräftig verurteilt. Die Verfahren
gegen diese Killer wurden mangels „Mordmerkmalen“ eingestellt.
Erst im Juli wurde in München der letzte am Massenmord der
Gebirgstruppe vom September 1943 auf Kephalonia Beteiligte außer
Strafverfolgung gesetzt. Darüber stand nichts in der „Bild“-Zeitung
und auch nicht in den meisten anderen Medien.
Ulrich Sander, Dortmund, Bundessprecher der VVN-BdA
Dieser Presseerklärung folgte am
27.10.2006 eine aufgeregte Reaktion aus Mittenwald: aus: Garmisch
Partenkirchner Tagblatt (Mittenwald-Ausgabe):
Berlin schickt Sonderermittler:
Heute Auftritt der Kommandeure Wechsel an Winterkampfschule im
Schatten des Skandals
Mittenwald - Die Mittenwalder Edelweißkaserne ist seit gestern
im Belagerungszustand: Kamerateams und Medienvertreter aus ganz
Deutschland umzingeln regelrecht die Heimat des
Gebirgsjägerbataillons 233. Jene Truppen-Gattung, die nach
Veröffentlichung der Skandalfotos von Afghanistan (wir berichteten)
in die Schlagzeilen geriet. Denkbar schlechte Voraussetzung also
für den heutigen Kommandowechsel in der benachbarten
Winterkampfschule.
von christof schnürer
Zum Zeremoniell in der Karwendelkaserne, bei dem Jürgen
Radermacher die Nachfolge von Oberstleutnant Rainer Stähler
antreten wird, kommt auch 233er-Chef Michael Warter – und zwar auf
Krücken. Was allerdings weniger mit den unerfreulichen Ereignissen
vom Hindukusch als vielmehr mit einer Verletzung zu tun hat. Der
Schaden für die Truppe sei unwahrscheinlich groß und ein „Nackenschlag.
Ich kann so etwas nicht nachvollziehen“. Zumal der 43-jährige
Offizier, der heuer am 1. Februar das Kommando des 800 Mann starken
Bataillons 233 übernommen hat, selbst von November 2003 bis Februar
2004 in Kabul beim internationalen Stab der NATO in Kabul
stationiert war. „Die Menschen dort haben sich gefreut, wenn sie
Deutsche gesehen haben“, betont Warter. „Wir haben uns Vertrauen
erworben.“ Und nun Bilder von Mittenwalder Soldaten aus dem Jahr
2003, die auf obszöne Art Leichen schänden.
„Nicht mal Besoffene machen so was“, erregt sich
Bürgermeister Hermann Salminger. Der Rathauschef musste am
Donnerstag ein Interview nach dem anderen geben. Immer wieder
beteuerte er, dass sich Mittenwald entschieden von derlei makabren
Handlungen distanziere. Gleichzeitig graut Salminger schon jetzt vor
den Pfingstdemos 2007. „Da werden uns die Linken zusetzen, dass
die Fetzen fliegen.“ Erstes Indiz dafür ist ein Schreiben der
Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), das gestern dem
Tagblatt zugespielt wurde. Darin stellt man unter anderem folgende
Frage: „Wann wird einmal untersucht, warum an Obszönitäten und
Skandalen in der Bundeswehr vor allem Gebirgsjäger beteiligt sind?“
Antworten auf derlei Provokationen wird heute der Kommandeur der
Infantrieschule, Brigadegeneral Johann Berger, beim Appell in der
Karwendelkaserne sicherlich nicht geben.
Bürgermeister Salminger indes berichtet, dass inzwischen ein
Sonderermittler von Berlin ins Obere Isartal gesandt wurde, um die
Aktionen der sechs mutmaßlichen Leichenschänder des Bataillons 233
zu untersuchen. Wie inzwischen durchsickerte, hat die
Staatsanwaltschaft Potsdam den Fall an die Kollegen von München II
abgegeben. „Ich erwarte die Unterlagen, habe sie aber noch nicht“,
teilt Oberstaatsanwalt Dr. Rüdiger Hödl mit. Überdies bestätigt
er, „dass ein Beschuldigter wohnhaft in unserem Bezirk ist“. In
der Edelweißkaserne will man zu den Ermittlungen nichts sagen. Es
herrscht Nachrichtensperre. In den Fluren und Stuben sind die
Skandalfotos trotzdem Gesprächsthema Nummer eins.
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