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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

27.07.06

 

Das neue ABC des deutschen Krieges

Über Verdrehungen und Verballhornungen unserer Sprache

Von Ulrich Sander

"Nach Ende der Ost-West-Konfrontation ist Europa in eine Phase eingetreten, in der sich der Frieden in geringerem Maße als früher durch Kriegsverhütung gewähren läßt." Denn: "Der Krieg behauptet sich nach wie vor als Instrument im Arsenal der Politik." Krieg ist Frieden. So lasen es Anfang der 90er Jahre die Soldaten der Bundeswehr. Jahrelang war ihnen eingeredet worden, sie leisteten Dienst in der größten Friedensbewegung des Landes, die mittels "Abschreckung" Krieg abwende und Frieden stifte. (Zitiert nach "Information für die Truppe", Januar 1992 und Mai 1991). 

Das neue ABC der Bundeswehr hat zu ungeahnten Verdrehungen und Verballhornungen unserer Sprache geführt. Um die wirklichen Absichten und Handlungen zu vertuschen, werden ständig neue Begriffe erfunden, alte werden stillschweigend abgeschafft, uminterpretiert. Aus Krieg wird Friedenschaffung, aus Friedenssicherung militärische Krisenbewältigung. Die ZgK stellt das Kriegs-ABC der Militärs vor, das weitgehend Eingang in die Medien fand:

Auschwitz - als Kriegsgrund für Aggressionen. Es begann vor dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der Deutschen und der Nato von 1999 gegen Jugoslawien. Der damalige Verteidigungsminister Scharping ließ sich mit Soldaten in der Gedenkstätte Auschwitz fotografieren und sagte: Um ein neues Auschwitz zu verhindern, "ist die Bundeswehr in Bosnien", und daß sie darum "wohl auch in das Kosovo gehen" wird. "Nie wieder Krieg - nie wieder Faschismus" wurde verkürzt zu "Nie wieder Auschwitz". Ganz so, als wäre Auschwitz - der Mord an sechs Millionen Juden und Millionen von Roma, Sinti und Slawen - kein Resultat des Krieges gewesen. Menschenrechtsverletzungen werden zu einem drohenden "neuen Auschwitz" umgedeutet, feindliche Politiker zum "neuen Hitler" erklärt, wenn man einen Kriegsgrund sucht. Verbunden ist damit eine Verharmlosung sowohl des Vernichtungskrieges der Nazis und des Holocausts als auch der Person Hitlers. Verbunden ist damit ferner der Schlußstrich unter der Geschichtsbewältigung Deutschlands.

Battlegroups - Eingreiftruppen: Sie sind Kern der "Transformation der Bundeswehr", der Umwandlung von einer Armee des Grundgesetzes in eine Armee der Interventionen und Angriffskriege. "NRF (Nato Response Force) und BG (Battle Groups) sind mehr als eine nationale Eingreiftruppe. Sie dienen gleichzeitig als Katalysator für den Transformationsprozeß und als Motor der Modernisierung." (Verteidigungspolitische Richtlinien 2003)

Chaosgruppen - So nennt die Bundeswehr die Globalisierungsgegner und jene, die für ihre Rechte auf die Straße gehen. Sie werden zu Feinden der Bundeswehr, sogar bei den Terroristen eingeordnet. Denn "unterhöhlt" werden die "klassischen Unterscheidungen zwischen innerer und äußerer Sicherheit sowie Krieg und Frieden," heißt es in einem Gutachten des Zentrums für Transformation der Bundeswehr (lt. "Informationen für die Truppe" 2/2002). Einsätze der Bundeswehr gegen Demonstranten und Streikende werden also geplant.

Duellsituation - In dieser Situation schießt der Bundeswehrsoldat alles über den Haufen, was sich ihm in den Weg stellt, und seien es Kinder. "Ich kann meinen Soldaten nur raten, beim Selbstschutz keinen Unterschied zu machen zwischen Kindersoldaten und normalen Soldaten." (Bundeswehrkommandeur im Kongo, Generalmajor Karlheinz Viereck, lt. Westf. Rundschau 15.06.06)

Einsatz - Umschreibung für Kriegführen als Hauptbeschäftigung der Bundeswehr. Der höchste General sagt, "der Einsatz", er meint den Krieg, "bestimmt den Alltag der Bundeswehr". (Generalinspekteur W. Schneiderhan in "Y.", Magazin der Bundeswehr, April 2006). Laut Entwurf für ein neues Weißbuch sollen künftig alle Ressourcen der Bundeswehr abgeschafft werden, die nicht dem Auslandseinsatz dienen und noch an ihren ursprünglichen und tatsächlich verfassungsmäßigen Auftrag erinnern, die Landesverteidigung.

Friedenschaffende und friedenerzwingende Maßnahmen - heutiger Begriff für Angriff. 1939 hieß es "ab Fünfuhrfünfundvierzig wird zurückgeschossen", heute würde es heißen: "Ab jetzt wird per Angriff der Frieden erzwungen." Der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Wolfgang Schneiderhan propagiert in der FAZ den Präventivkrieg: Statt "abzuwarten, ob man von einem anderen angegriffen wird" sich "gegen diese mögliche Gefahr vorauseilend zu schützen und selbst die Initiative zu ergreifen." In der Bundeswehr gilt: Die Souveränität anderer Länder und das Nichteinmischungsprinzip müßten "in Frage gestellt" werden; grundlegende Prinzipien des Völkerrechts und der UN-Satzung "wie das Souveränitätsprinzip, Nichteinmischungsgebot und das Selbstbestimmungsrecht bedürfen einer Fortentwicklung." (Information für die Truppe 11/91).

Gender-Mainstreaming - Gleichbehandlung beider Geschlechter "in allen militärischen Laufbahnen" (lt. Bundeswehr-Internetpräsentation). Gleichberechtigung der Frau durch Gleichberechtigung beim Töten und getötet werden als Bundeswehrsoldatin, vorerst noch auf freiwilliger Basis.

Humanitärer Einsatz - Vorwand für den Einmarsch in andere Länder; früher nannte man es "Rettung der Zivilisation", Umschreibung für Kolonialkriege.

Interessen - "Um seine Interessen und seinen internationalen Einfluß zu wahren", heißt es in den Verteidigungspolitischen Richtlinien von 2003, "stellt Deutschland ... Streitkräfte bereit, die schnell und wirksam eingesetzt werden können." Die Richtlinien definieren als "deutsche vitale Sicherheitsinteressen" unter anderem "die Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt". (VPR 1992). Es geht um "Einflußnahme auf die internationalen Institutionen und Prozesse im Sinne unserer Interessen und gegründet auf unserer Wirtschaftskraft".

Jugendoffiziere - Anwerber fürs Militär. Gibt es schon seit Jahrhunderten, früher zahlten die Anwerber oder Ausheber Handgeld. Heute winkt eine erhebliche Summe bei völkerrechtswidrigen Auslandseinsätzen. Wer als "freiwillig länger dienender Grundwehrdienstleistender" weitermacht, bekommt zusätzlich zum Sold zwischen 20,45 Euro und 24,54 Euro für jeden Tag des zusätzlichen Wehrdienstes. Bei einem Auslandseinsatz werden pro Tag noch einmal zusätzlich zum Sold 92,03 Euro gezahlt.

Krisen - der ganz große Kriegsgrund. Krisen werden genutzt, um bei Bedarf Kriege zu begründen. In der Leitlinie "für die operative Führung von Kräften des Heeres" vom 8.2.1994 wird erklärt: Es "können selbst lang andauernde Krisen, die zunächst keine direkten Auswirkungen auf die eigene Interessenlage hatten", bei veränderter Wahrnehmung in Politik und Öffentlichkeit "im weiteren Verlauf zu einer Neubeurteilung mit entsprechenden Reaktionen führen." Die "deutschen Interessen" und die öffentliche Meinung spielen dabei eine Rolle, so auch bei Menschenrechtsverstößen: "Es mag nützlich sein, einem anderen Staat nach Ort und Stunde den Spiegel seiner Verstöße gegen Menschenrechte vorzuhalten, es mag ein andermal klüger sein, so zu handeln, als gäbe es diese Verstöße nicht." (Wehrkunde 3/1980). Um die öffentliche Meinung zu manipulieren, werden Wörter einfach abgeschafft: "Gefahr, das Wort gefällt mir nicht; ich spreche lieber von einer möglichen kritischen Phase." Admiral Henning Bess, Kommandeur der BW-Truppe im Kongo.

Landesverteidigung - abgeschaffter Begriff; heute heißt es "Verteidigung am Hindukusch", Einsätze in aller Welt. So werden Angriffskriege als Verteidigung dargestellt.

Migranten - Flüchtlinge können ein Kriegsgrund sein, sie gehören zum Feindbild der Bundeswehr: "Proliferation (A-Waffen-Weiterverbreitung - d. V.), politischer Fundamentalismus und Terrorismus stellen eine Bedrohung für alle dar. Darüber hinaus wirken sich Verknappung von Ressourcen und Migrations- und Flüchtlingsbewegungen auch auf die europäische Sicherheitslage aus." (IfdT, März 1999) "Wenn wir", so 1998 Minister Volker Rühe, "im Kosovo nicht richtig reagieren, haben wir noch mehr Flüchtlinge im Land." Die EU-Regierungen erörtern ständig Maßnahmen, um Flüchtlingsströme über das Meer auch mit militärischen Mitteln abzuwehren- vorerst durch Polizeikräfte angewandt, die militärisch ausgerüstet werden.

Nukleare Enthaltsamkeit - verlogene Behauptung von der Rolle Deutschlands ohne Atomwaffen. Über 200 Atombomben lagern in Deutschland. Die Bundeswehr übt ihren Einsatz. Die Bundeswehrführung strebt mehr Mitverfügungsrechte über den atomaren Einsatz an. Sie will die "Erhaltung des nuklearen Schutzes und Einflußnahme auf die Entscheidungen der Nuklearmächte." (VPR-Entwurf 1992 und 2006)

Operative Führung - Ein wiedererstandener deutscher Generalstab, genannt Einsatzführungskommando (Sitz: Potsdam), sorgt für operative Führung und auch für strategisches Handeln, faßt für Einsätze alle Teilstreitkräfte zusammen. Hilfe erfährt der Generalstab durch das Kommando Spezialkräfte (KSK). Nach Angaben eines KSK-Sprechers ist diese Truppe zuständig für "Aufklären und Überwachen wichtiger militärischer Ziele in Krisen- und Konfliktgebieten zum Gewinnen von Schlüsselinformationen; Kampf gegen Ziele mit hoher Priorität auf gegnerischem Territorium; Schutz eigener Kräfte und Einrichtungen in Krisen- und Konfliktgebieten, unter anderem durch Terrorabwehr." (lt. Zeitschrift "Gebirgstruppe")

Polizeiähnlich - soll die Bundeswehr im Ausland arbeiten, während die Polizei im Innern gemeinsam mit der Bundeswehr mehr militärisch operieren soll. So steht es in den Planungen für den militärischen Einsatz für die "Innere Sicherheit". Die EU plant militarisierte Polizeieinsätze auf See gegen Flüchtlingsbewegungen.

Quantität und Qualität der Bundeswehr - davon hängt nach Meinung der Militärs das Wohl und Wehe Deutschlands ab. "Quantität und Qualität" deutscher militärischer Einsätze "bestimmen den politischen Handlungsspielraum Deutschlands und das Gewicht, mit dem die deutschen Interessen international zur Geltung gebracht werden können." (VPR 1992) Der Begründer der neuen aggressiven Bundeswehr, Generalinspekteur Klaus Naumann, sagte im Januar 1993 dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel", es gäbe nur noch "zwei Währungen in der Welt: wirtschaftliche Macht und die militärischen Mittel, sie durchzusetzen."

Reservisten - Millionen von ehemaligen Bundeswehrsoldaten sollen ständig einsatzbereit sein. Im Februar 2005 beschloß der Bundestag auf Initiative von "Rot-Grün" eine Neuordnung der Reserve der Bundeswehr. Darin wird das Alter, in dem Wehrpflichtige auch Reservisten sind, von 45 auf 60 Jahre angehoben. Sie sollen auch im Spannungs- und Notstandsfall herangezogen werden; es wird eine neue Wehrdienstform "Hilfeleistung im Inland" eingeführt. Rund eine Million Reservisten sind im Deutschen Reservistenverband organisiert, darunter zahlreiche Rechtsextremisten und Neonazis.

Stabilisierungskräfte - davon stehen ständig 70.000 Mann und Frau bereit, um die Bundeswehrtruppen im Ausland zu verstärken. Früher nannte man es Besatzungstruppen. Stabilität ist zudem ein Allzweckbegriff in der Bundeswehr. Gemeint ist damit, daß Ordnungen und Regimes, die sich den Weisungen der NATO, der EU, des großen Kapitals entziehen und sich Eigenmächtigkeiten und Abweichungen von der neoliberalen Norm erlauben, zu bekämpfen und auf Linie zu bringen sind.

Tradition - Tradition der Bundeswehr ist die Bundeswehr selbst, heißt es neuerdings. Doch diese Armee ging über ihre Gründungsgenerale - Kriegsverbrecher wie Heusinger - faktisch aus der NS-Wehrmacht hervor. Laut "Ministerialblatt des Bundesministers für Verteidigung" vom 1.9.1956 wurde in der Bundeswehr nicht nur die Übernahme von Personal und das Überspringen von Dienstgraden von Soldaten und Offizieren aus der Wehrmacht und der Waffen-SS ermöglicht, es wurde auch z.B. festgelegt, daß SS-Obersturmbannführer den Rang des Oberstleutnants bei der Bundeswehr erhalten sollten. Somit ist die Tradition der Bundeswehr die Tradition des deutschen und preußischen Militarismus überhaupt, was z.B. durch Kasernennamen und bei der Ehrung von NS-Kriegsverbrechern durch die Bundeswehr an Gebirgsjäger- und Falschirmjägerehrenmalen demonstriert wird.

Umrüstung - Wort für verstärkte Aufrüstung, während das Wort Abrüstung faktisch aus dem Wortschatz der Bundeswehr beseitigt wurde. Weniger Waffen und weniger Soldaten, aber die einzelnen Waffen werden teurer und effektiver, und die Soldaten müssen immer öfter und effektiver in den Einsatz gehen. Aus Abrüstung wurde Umrüstung und das steht für immer mehr Kriegseinsätze. Derzeit sind ständig bis zu 10.000 Soldaten im Einsatz.

Verteidigung - nach dem Grundgesetzartikel 26 und 87a einzig zulässige Betätigung der Bundeswehr. Der Begriff wird mehr und mehr aus dem Militärwörterbuch gestrichen.

Weltbürger in Uniform - Laut "Information für die Truppe" die Weiterentwicklung des Begriffs vom Staatsbürger in Uniform. Dem Bundeswehrsoldaten wird es zu Hause zu eng, er strebt nach Beute und Macht in aller Welt.

X - Einst war der Fall X der Verteidigungsfall. Da uns niemand angreift, gibt es nichts mehr militärisch zu verteidigen. Die Bundeswehr könnte abgeschafft werden. Doch die Militärs machten aus dem Fall X den "ständigen Einsatz".

Y - Zeitschrift der Bundeswehr in hoher Auflage zur Propagierung von deutschen Kriegen in aller Welt

Zivildienst - der auch der Unterstützung der Bundeswehr dient, indem Haushaltsmittel eingespart werden, die dem Militär zugute kommen. Es gibt immer wieder Versuche, Zivildienstleistende zur Unterstützung des Militärs zu mißbrauchen, so mittels Einsatz für Nichtregierungs-Organisationen in Ländern, in denen Deutschland Krieg führt. Der Zivildienst als Zwangsdienst soll laut Koalitionsvertrag der großen Koalition bestehen bleiben, ebenso die Wehrpflicht.

Ulrich Sander ist Journalist und Buchautor sowie Bundessprecher der VVN-BdA

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