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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

03.07.06


aus: Chronik des 20. Jahrhunderts, Harenberg Dortmund o. Jg.

Das Majdanek-Verfahren endete vor 25 Jahren

Nachdenklicher Richter bereute später milde Urteile für Naziverbrecher

Vor 25 Jahren, im Juni 1981 endete der Majdanek-Prozeß von Düsseldorf. Es war der letzte große NS-Prozeß in der Bundesrepublik Deutschland. Nach fünfeinhalb Jahren Prozessdauer standen von ursprünglich 17 Angeklagten am Ende noch neun vor Gericht, um für eine Viertelmillion Morde zu lächerlich geringen Strafen verurteilt zu werden. Es hat zahlreiche Freisprüche, nur eine lebenslange Strafe und einige Verurteilungen zu Haft gegeben. Die Jahre im Gerichtssaal waren geprägt von Dreistigkeiten der Verteidigung, die den Prozess verzögerte. Als „Sozialarbeiter“ sich gebende Betreuer der Angeklagten nahmen Einfluss auf Gericht und Zeugen. Heute wissen wir, dass die nazistische „Stille Hilfe“ damals eine ihrer wirkungsvollsten Kampagnen im Verborgenen durchführte.

Auf einer Protestkundgebung nach der Urteilsbegründung, die mit zitternden Händen und brüchiger Stimme vom Vorsitzenden Richter Günter Bogen vorgetragen worden war, sagte die Journalistin Peggy Parnass: „Wir werden den Richter wegen Beleidigung anzeigen. Er hat in unserem Namen gesprochen. Wir sind das Volk. Dieses Urteil wollen wir nicht.“ Das Urteil wurde auch von der in- und ausländischen Presse weitgehend abgelehnt.

Im Verlaufe der Verhandlungen hatte die VVN-BdA von Nordrhein-Westfalen immer wieder in Mahn- und Protestveranstaltungen – bis hinein in den Gerichtssaal – für ein Urteil gestritten, das vor der Geschichte Bestand haben sollte. Werner Stertzenbach, inzwischen verstorbener antifaschistischer Journalist und Prozessbeobachter von der VVN-BdA, erinnerte sich an die Proteste im Gerichtssaal bei der Urteilsverkündung und daran, dass in Diskussionsveranstaltungen später Richter Günter Bogen das Urteil stets verteidigt hatte. Allerdings klaffe zwischen dem tatsächlichen Geschehen in dem Konzentrationslager und dem, was das Gericht feststellen konnte, ein großes Missverhältnis, räumte der Richter schon in der Urteilsbegründung ein. Fünfzehn Jahre zu spät sei das Verfahren erfolgt, nun sei kein anderes Urteil mehr möglich gewesen.

In einer Schrift des Landesjustizministeriums von NRW „NS-Verbrechen und Justiz“ (Nr. 4/1996 der Reihe Juristische Zeitgeschichte) hat dann der im Jahre 2000 verstorbene Günter Bogen innere Bedenken und die Tatsache eingeräumt, dass durchaus ein anderes Urteil möglich gewesen wäre. Er war offenbar von den anderen Richtern überstimmt worden. Bogen: „Ich habe es damals sehr bedauert, dass es nicht die Möglichkeit des sogenannten ‚dissenting vote’ gab.“ Wenn es zulässig gewesen wäre, hätte er seine abweichende Meinung kundgetan. Doch auch Jahrzehnte danach gelte das „Beratungsgeheimnis“.


aus: Ulrich Schneider: Zukunftsentwurf Antifaschismus, 1997

Mit diesen vorsichtigen Formulierungen distanzierte sich der einstige Vorsitzende Richter von einigen seiner Richterkollegen in der 17. Kammer, die offenbar dem Einfluss der Ewiggestrigen erlegen waren. Bogen erinnerte sich, dass es bei der Urteilsverkündung Spruchbänder der VVN-BdA im Gericht gab, es sei laut geworden. Die Demonstranten mit ihren Spruchbändern und Sprechchören „hatten zumindest teilweise nicht so ganz Unrecht aus meiner Sicht.“

Der Vorsitzende Richter steht mit seinen Erinnerungen als Verantwortlicher der Nachkriegsjustiz leider weitgehend allein da. Das letzte große NS-Verfahren sei für ihn nie zu Ende gegangen: „Mir geht immer wieder durch den Kopf, warum musste das Verfahren so enden.“ Er rechnete mit Kollegen ab, die im Rahmen der Justiz des Kalten Krieges Milde für die Nazitäter walten ließen. Er nannte Richter, die in der SA und NSDAP gewesen waren und schon in der Nazizeit im Justizdienst standen. Sein selbstkritisches Vermächtnis: „Wirklich wichtig ist, dass das nach wie vor kaum vorstellbare Ausmaß der NS-Gewaltverbrechen nicht mit dem Mantel des ‚Vergessens’ zugedeckt wird.“

Ulrich Sander