10.06.06
Totenliste zeugt von Widerstand
Im Wuppertaler Archiv des VVN
Landesverbandes schlummerte historisch bedeutsames Material über
das Geschehen in Wattenscheid während der Nazi- Diktatur
Von Ferdi Dick
Eine Liste mit den Namen von 35 Wattenscheider
Widerstandskämpfern, zum großen Teil durch Hitlers Schergen
gefoltert und ermordet, wirft auf kommunaler Ebene ein neues
Schlaglicht auf das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte.
Im Archiv Keller des Wuppertaler Landesverbandes der Vereinigung
der Verfolgten des Naziregimes (VVN) stießen der Bochumer
Kreisvorsitzende Klaus Kunold und der Wattenscheider Stadtverordnete
Günter Gleising (Soziale Liste) auf bisher völlig unbekannte
Fakten. Die beiden hatten in Wuppertal nach Material für eine
Broschüre gesucht, die anlässlich des 60 jährigen Bestehens der
VVN erscheinen soll.
"Als uns die Totenliste der Wattenscheider
Widerstandskämpfer in die Hände fie1, mochten wir zuerst unseren
Augen nicht trauen", sagt Gleising. 1972 trat der 56-jährige
der VVN bei, "um die Erinnerung an die Greueltaten der
Vergangenheit wach zu halten", wie er sagt. "Denn in
relativ naher Zukunft werden wir keine Zeitzeugen mehr haben, die
aus eigenem Erleben die Schrecken der Nazi Diktatur schildern
können."
Klaus Kunold (74) zählt noch zu jenen Zeitzeugen. Als Kind sah
er mit an, wie die Bochumer Synagoge brannte, jüdische Mitbürger
diskriminiert und deportiert wurden. "Nie wieder Krieg, nie
wieder Faschismus. Dafür werde ich, solange ich lebe, die Stimme
erheben", sagt Kunold. "Aber wie lange werde ich das noch
können?" Gleising sieht sich in der Rolle eines
"Erben", der die leidvollen Erinnerungen der Väter in der
heutigen Gesellschaft weiterhin wach halten will. "Ich bin sehr
froh, dass wir nun Daten und Fakten über Wattenscheider
Widerstandskämpfer in den Händen halten. Das wird uns helfen,
gemeinsam mit dem Stadtarchiv Geschichte weiter aufzuarbeiten",
sagt der Politiker.
Nach einer ersten Sichtung des umfangreichen Materials hat
Günter Gleising heraus gefunden, dass es vier nennenswerte
Widerstandsgruppen in Wattenscheid gegeben hat. Die Rifkabylen, die
sich nach einem für Unabhängigkeit und Freiheit kämpfenden
Berberstamm benannt hatten, und in Höntrop zuhause waren. Unter
anderem versuchten sie mit Hilfe von Flugblättern, der Nazi
Propaganda Paroli zu bieten. Oder der Rote Kämpfer Kreis unter
Leitung von Fritz Riwotzki, der nach 1945 Polizeipräsident in
Dortmund wurde. Dann gab es noch die Frebel Gruppe, benannt nach
ihrem Gründer, dem KPD-Fraktionsvorsitzenden im Wattenscheider
Rathaus, Karl Frebel. 1936 wurde er von der Gestapo verhaftet, 1944
starb er an den Folgen von Folter und Haft. Aus der Totenliste der
VVN geht auch hervor, dass sich Wattenscheider am spanischen
Freiheitskampf (1936 bis 1939) beteiligt haben. Beispielsweise
Richard Hoffmann, der an der Graf Adolf Straße gewohnt hatte, oder
die Antifaschisten Salenga und Repping, die bei den Kämpfen gegen
die Franco-Truppen ihr Leben ließen.
» Info/Kontakt: Tel. und Fax 0234/ 34603.
Blutkeller In Hordel
Die Nazis brachten ihre politischen Gegner zur SA Wache nach
Hordel oder zur SS-Standarte in der Kanalstraße. In der Hordeler
Schule an der Fichtestraße hatten NSDAP und SA Räume requiriert in
denen drangsaliert, geschlagen und gequält wurde. Aus der VVN
Totenliste geht unter anderem hervor, dass 1933 fünf WAT
Antifaschisten in den Blutkeller nach Hordel verschleppt und dort
gefoltert wurden.
Dokumentiert aus: WAZ vom 11. Mai 2006
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