03.06.06
"Wir müssen heute hier gegen Rechts antreten,
weil die Politiker es nicht tun"
Rede gegen den Nazi-Aufmarsch am
3.6.2006 in Düsseldorf von Ulrich Sander, Bundessprecher der
VVN-BdA
Eigentlich, liebe Freundinnen und Freunde, müssten wir heute in
Berlin sein, um gegen den Sozialabbau zu protestieren. Die
Demonstration hat das Motto »Schluß mit den ‚Reformen’ gegen
uns! Gemeinsam gegen Massenentlassungen, Sozialabbau, innere
Aufrüstung und Krieg!« Doch Woche für Woche binden die Nazis uns
und unsere Kampfkraft an die Orte ihrer Provokationen. Auch so
helfen sie dem konservativen Mainstream. Diejenigen, die uns in
Sonntagsreden zum Aufstand der Anständigen aufrufen, sie halten
sich selber nicht daran. Wir grüßen daher von hier aus die große
Manifestation, die jetzt in Berlin gegen den Sozialkahlschlag
stattfindet. Wir müssen heute hier gegen Rechts antreten, weil die
Politiker es nicht tun.
Wenn alle diese mächtigen Menschen in den noch mächtigeren
Institutionen wirklich gegen Nazis handeln würden, wäre der Spuk
sehr schnell vorbei. Doch weil die Nazis den herrschenden Politikern
im Grund genommen nützlich sind, dürfen sie sich entfalten. Sie
sind nützlich für die, die ihre Privilegien verteidigen wollen. Es
sind die Nazis, die die unterschiedlichen Chancen in unserer
Gesellschaft zum Naturgesetz erklären. Dass die Reichen immer
reicher werden und die Armen immer ärmer – das ist im Weltbild
der Nazis Ergebnis des Kampfes Jeder gegen Jeden, bei dem sich der
Stärkere durchsetzt. Die Ungerechtigkeit der Verteilung von
Einkommen und Reichtum gilt den Nazis als die natürliche Ordnung.
Die soziale und demokratische Gleichheit von Menschen ist den Nazis
fremd. Damit sind sie Teil der neoliberalen Ideologie, ihr
Stoßtrupp.
Doch den Nazis muss der Boden entzogen werden. Juristisch, indem
ihre Illegalität festgestellt wird. Insbesondere die NPD als
organisatorisches Rückgrat des Neofaschismus muss endlich
aufgelöst werden. Politisch muss der Boden für Nazis ausgetrocknet
werden, indem eine der Naziideologie entgegen gesetzte Politik
betrieben wird.
Darum sind wir hier. Wir werden keine Ruhe geben.
Ich spreche für die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes,
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten. Unsere
Landesorganisation wurde vor ziemlich genau 60 Jahren hier in
Düsseldorf von den 500 Delegierten der rund 50.000 überlebenden
politischen Gefangenen des NS-Regimes und der anderen Opfer des
Faschismus aus NRW gegründet. Heute haben die Kinder und Enkel und
die Freunde der damaligen Gründer den Stafettenstab übernommen.
Sie fühlen sich dem Schwur von Buchenwald verpflichtet, in dem die
Häftlinge des Konzentrationslagers nach der Befreiung versicherten:
"Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere
Losung. Der Aufbau einer Welt des Friedens und der Freiheit ist
unser Ziel. Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte
Schuldige vor den Richtern der Völker steht."
Das ist ein großes Vermächtnis, das wir erfüllen müssen: Denn
der Nazismus wurde noch nicht mit seinen Wurzeln vernichtet. Die
Welt des Friedens und der Freiheit harrt noch ihrer Verwirklichung.
Und unzählige Schuldige haben nie vor ihren Richtern gestanden.
Noch vor einer Woche haben wir in Mittenwald, in Bayern, dagegen
protestiert, dass die Kriegsverbrecher der Gebirgstruppe sich mit
Hilfe der Bundeswehr und Bundesregierung versammeln und ihrer
mörderischen Helden gedenken konnten. Wir fordern die
Entschädigung der Opfer und die Bestrafung der Täter.
Was die Richter anbetrifft, so stellen wir fest, daß sie sich
sehr unterschiedlich gegenüber den Neonazis verhalten. Wir halten
es mit den obersten Richtern von NRW, die erklärten: „Eine
rechtsextremistische Ideologie lässt sich auch nicht mit den
Mitteln des Demonstrationsrechts legitimieren.“ Damit wird zur
Wiederherstellung des Verfassungsprinzips des Artikels 139 GG
beigetragen, das die 1945/46 geschaffenen Bestimmungen zur
Zerschlagung von NS-Organisationen auch für das Heute verbindlich
regelt.
Auf der Gründungskonferenz unserer VVN, über die ich sprach,
sagte der Ministerpräsident unseres Landes, der christliche
Politiker Dr. Rudolf Amelunxen: „Unduldsamkeit; Verhetzung und
Hass haben Völker und Staaten vernichtet. In der Ausübung der
Toleranz darf und muss nur eine einzige Ausnahme gemacht werden,
nämlich die, dass es keine Freiheit gibt für die Mörder der
Freiheit. Wir kennen diese und werden alles tun, um sie nicht noch
einmal zum Zuge kommen zu lassen.“
Diese Haltung, die vor 60 Jahren allgemeingültig war, hatte
kürzlich auch die Kommunalpolitiker von Gelsenkirchen eingenommen,
als sie den Aufmarsch der NPD zur Fußballweltmeisterschaft
untersagten und erklärten, man wolle verhindern, dass vor den Augen
der Weltöffentlichkeit während der WM 2006 Rechtsextremisten durch
die Straßen ziehen, um ihre rassistischen und ausländerfeindlichen
Parolen zu verbreiten.“ Doch ein Gericht erklärte dazu, „diese
Begründung sei unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht
tragfähig. Das Ansehen Deutschlands beruhe besonders auf der
freiheitlich-demokratischen Grundordnung, für die auch die
Meinungs- und Versammlungsfreiheit bestimmend sei.“ (FR 2.6.06)
Man muss sich das mal vorstellen: Das Ansehen unseres Landes
beruht auf der Errungenschaft der freien Entfaltung des Faschismus!
In welchem Tollhaus leben wir eigentlich, in dem solche
Gerichtsurteile möglich sind? Nein, es gilt das Wort des ersten
Ministerpräsidenten unseres Bundeslandes: Keine Freiheit für die
Mörder, keine Freiheit für die Faschisten, die Mörder der
Freiheit.
Ihre Blutspur zieht sich schon wieder durch Deutschland. Über
120 Todesopfer der Nazis sind seit 1990 zu beklagen.
Doch wie manche Richter, so handeln auch viele hohe Beamte. Die
Innenministerien sind voll von Leuten, die im Amt für
Verfassungsschutz ein Amt für den Schutz von Nazis sehen. Das
V-Leute-System auch unseres Landes NRW hat dafür gesorgt, dass die
NPD vom Bundesverfassungsgericht nicht verboten werden konnte. Das
ist der eigentliche große Geheimdienstskandal des Landes. Wir
fragen: Wann wird auch dieser größte Geheimdienstskandal vom
Parlament untersucht, der darin besteht, dass das V-Leute-System der
Verfassungsschutzämter die neonazistische NPD vor einem
Verbotsverfahren bewahrte?
Auch unser Land könnte etwas gegen die Neonazis tun. Es gilt die
nazistischen „freien Kameradschaften“ endlich als
Nachfolgeorganisationen zu verbieten und aufzulösen. Den Faschisten
keinen Fußbreit Boden. Das sind wir den Millionen Opfern des
Faschismus schuldig, wie es im Schwur von Buchenwald abschließend
heißt.
Pressemitteilung der VVN/BdA
Düsseldorf am Tag vor dem Düsseldorfer Naziaufmarsch
02.06.2006: Morgen: Aktiv gegen Nazi-Aufmarsch
Mit einem Grußwort der WiderstandskämpferInnen Hermann Laupsien
und Maria Wachter wird morgen um 10 Uhr die Demonstration „Kein
Nazi-Aufmarsch in Düsseldorf“ am Oberbilker Mark starten.
Auf der Auftaktkundgebung sprechen zudem der Leiter des
Forschungsschwerpunktes Neonazismus an der Fachhochschule
Düsseldorf, Prof. Dr. Wolfgang Dreßen, sowie Ulrich Sander,
BundessprecherInnenrat u. Landessprecher der Vereinigung der
Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA).
Die Veranstalter rechnen mittlerweile mit deutlich mehr als 500
TeilnehmerInnen und wollen den ersten Teil ihres Demonstrationsweges
durch die Ellerstraße dazu nutzen, weitere Menschen gegen den
Naziaufmarsch zu mobilisieren.
Die Demonstration wird sich am Mintropplatz mit der dort
stattfindenden Kundgebung der WASG verbinden, um dann in
unmittelbare Nähe der Nazis zu gelangen.
Die WiderstandskämpferInnen Maria Wachter und Hermann Laupsien,
beide mittlerweile 96 Jahre alt, betonen in ihrem Grußwort erneut,
dass es „ kein Recht auf Naziaufmärsche, Naziorganisationen und
Nazipropaganda“ gibt. Deshalb sei es „geradezu eine Pflicht,
Neonaziaufmärsche zu verhindern.“ Dazu müsse man sich „den
Neonazis im wahrsten Sinne des Wortes entgegenstellen“.
Das Bündnis „Kein Nazi-Aufmarsch in Düsseldorf“ rechnet
damit, dass es bis in den späten Nachmittag zu Aktivitäten und
Aktionen gegen den Nazi-Aufmarsch kommen wird.
Über den Verlauf der Demonstration und der Aktionen wird das
Bündnis „Kein Nazi-Aufmarsch in Düsseldorf“ morgen auch auf
der CSD-Aktionsbühne informieren: um 17.50 Uhr auf dem
Schadowplatz.
Im Anschluss, um 18.00 Uhr, laden wir zu einem Pressegespräch
mit dem Anmelder der Demonstration, Frank Laubenburg, und weiteren
VertreterInnen des Bündnisses am Rande des CSD ein. Treffpunkt:
CSD-Infostraße (vor dem Stand der Linkspartei). Wir werden dort
über den Verlauf der Aktionen aus unserer Sicht berichten.
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