Logo VVN/BdA NRW

Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

02.06.06

Wolfgang Schäuble an der Spitze des Bundesinnenministeriums

Ein strammer Nationalist ruft nach "Führung"

Eine Art geheimer Vizekanzler und Superminister für "Sicherheitsfragen" ist heute Wolfgang Schäuble. Er war dies schon mal zu Zeiten des Anschlusses der DDR. Zur Fußball-WM wird er sich zusätzlich 7000 Bundeswehrwehrsoldaten unterordnen. Wer ist dieser leise Mann im Rollstuhl? Ein Geistesgestörter hat im Oktober 1990 auf ihn ein Attentat verübt. Dass ein un-politischer kranker Deutscher schoss, hat den heute 63jährigen Schäuble nicht daran gehindert darauf hinzuweisen, dass auch blonde und blauäugige Deutsche, und auch er sei so einer, von Ausländern gewalttätig attackiert würden.

Es ist ratsam, wieder in sein Buch "Und der Zukunft zugewandt" (Berlin 1995) zu schauen und zu sehen, was er mit uns vorhat: Er will uns "nationale Zusammengehörigkeit" und den Staat, die Nation, als "integrierende und emotionale Bindekraft" verordnen; "Bürgersinn, Pflichtgefühl und Dienst an der Gemeinschaft" sollen die "rüde Konsumentenhaltung gegenüber Staat und Politik" ablösen. "Gemeinschaft, Familie, auch das Vaterland" sollen "gestärkt" und "zu positiven Begriffen" gemacht werden. Der Deutsche müsse harte Einschnitte in seinen "Besitzstand" hinnehmen. Ferner führt Schäuble aus:

  • Das "Grundübel" in Deutschland sei "nicht ein Demokratiemangel, sondern ein Führungsmangel". Der Politiker müsse öffentlichem Druck widerstehen und "Bewusstsein" entwickeln, "zur Elite zu zählen."
  • Im Innern Deutschlands müsse "das Gewaltmonopol des Staates" ebenso gelten wie nach außen die "Wehrhaftigkeit", weshalb die Deutschen bei Kriegen nicht abseits stehen sollten.
  • Deutschland brauche "wieder ein historisch ungebrochenes Verhältnis zu ihrer Nation als Schutz- und Schicksalsgemeinschaft" und "deren internationale Verantwortung". Den "Umgang mit unserer Vergangenheit" versteht Schäuble so, dass man einfach wieder vor 1933 ansetzen solle.
  • Im Umgang mit Ausländern hat Schäuble viel Verständnis dafür, dass der Deutsche nicht viel an "humanitärem Engagement" aufbringe. "Man darf bei den Menschen nicht die Sorge und Angst wachsen lassen, der Staat schütze sie nicht mehr ausreichend vor Überwanderung oder Überfremdung." (Zitiert nach Sander/Rieger/Deumlich "SchwarzBraunBuch - Ein alternativer Verfassungsschutzbericht, Bonn 1995)

In Schäubles Buch finden wir die Grundlagen für die derzeit grassierenden fremdenfeindlichen Fragebogenaktionen und Wissenstests der CDU und CSU, mit denen mit offenkundig rassistischen Motiven Mitmenschen aus dem Ausland ausgegrenzt werden sollen.

Seit dem Anschluss der DDR: Anti-Antifa der Bundesregierung

Bereits im Oktober 1990 machte Schäuble in einer massenhaft verbreiteten Broschüre seines Ministeriums ("Bedeutung und Funktion des Antifaschismus - Texte zur Inneren Sicherheit" Bonn 1990) klar, dass er nicht nur - wie wir sahen - ausländerfeindlich, militaristisch und nationalistisch ist, - er hasst auch den Antifaschismus und die Antifaschisten. Den Antifaschismus will er beseitigen. Denn er sei eine Hervorbringung des SED-Regimes. Die SED habe damit den Sozialismus begründen und legitimieren wollen. "Die Linksextremisten sehen in ihm ein neues Schwerpunktaktionsfeld für sich." Dem Linksextremismus wie dem Antifaschismus will Schäuble den Kampf ansagen, denn die Linke missbrauche und instrumentalisiere die Absage an den Faschismus. Die Bundesrepublik habe nicht antifaschistisch, sondern antitotalitär zu sein.

In der Broschüre darf der rechtsextreme Ideologe, der ehemalige Bonner Professor und Doktorvater vieler Behördenmitarbeiter und Hochschullehrer für "Antitotalitarismus", das CDU-Mitglied Hans-Helmuth Knütter anregen, "die Auseinandersetzung um die ‚Einmaligkeit nationalsozialistischer Verbrechen' wieder zu beleben." Wörtlich: "Die Aufdeckung kommunistischer Untaten legt es nahe, nationalsozialistische Taten (keine Untaten ! - US) zu relativieren, und eben nicht als einmalig und unvergleichbar erscheinen zu lassen." (S. 109/110 der genannten vom Bundesinnenministerium verbreiteten Broschüre zur politischen Bildung.)

Der DDR wird zugestanden, ein konsequent antifaschistischer Staat gewesen zu sein - und genau das sei ihr Fehler gewesen: "Der Antifaschismus in der DDR hat", so klagt Hans-Helmuth Knütter weiter in einer anderen Ministeriumsbroschüre, "in sozio-struktureller, strafrechtlicher und pädagogischer Hinsicht alles getan, um den ‚Faschismus' im marxistischen Verständnis zu bekämpfen und ihm die Grundlagen zu entziehen. Auch das leiseste Anzeichen ‚faschistischer' Propaganda wurde unterdrückt. Genau das wollen und wollten aber auch die westdeutschen Linken, wenn sie für Verbote ‚faschistischer' Organisationen eintreten." ("Texte zur Inneren Sicherheit", "Extremismus und Gewalt", Bd 1, Bonn, Juli 1993)

Diese Formulierungen finden wir noch heute in den Verfassungsschutzberichten von Bund und Ländern, in denen z.B. der VVN-BdA vorgeworfen wird, sie wolle keine Meinungsfreiheit sondern Diktatur, was man an ihrer Forderung nach Propaganda- und Organisationsverbot für Nazis und Neonazis erkennen könne.

Der rassistische Volksaufstand in der Vorstellung von Konservativen und Faschisten

Bereits 1993 wurde im "Spiegel" eine "originelle Idee" der Christdemokraten dargestellt: "Sie wollen die Bundeswehr einsetzen, um bürgerkriegsähnliche Situationen wie in Rostock zu bewältigen" - obwohl Artikel 87a des Grundgesetzes genau dies verbiete. "'Den Artikel,' meint der damalige CSU-Landesgruppenleiter im Bundestag Wolfgang Bötsch, ‚müssen wir notfalls auch ändern.'" Ein führender CDU-Politiker, wieder mal Wolfgang Schäuble, setzte nach: "Im Zeitalter weltweiter Wanderbewegungen und internationalen Terrorismus'" verwischten zunehmend die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit. Schäuble fordert daher, dass die Bundeswehr auch bei größeren Sicherheitsbedrohungen im Innern "notfalls zur Verfügung stehen sollte" (lt. "Spiegel" vom 3.1.94).

In der bürgerkriegsähnlichen Situation von Rostock war im August 1992 beinahe das Konzept der Neonazis aufgegangen, die schon lange anstrebten, in Großstädten Aufstände der Deutschen gegen Ausländer herbeizuführen, um Deutschland von der "Überfremdung zu befreien". Dieses Konzept sieht vor, die Polizeikräfte - die in Rostock tagelang untätig der Gewalt zusahen - als nicht ausreichend darzustellen, das "deutsche Volk" zu schützen. Eine militärische Zentralgewalt soll nach diesen Plänen die Ordnung wiederherstellen. Theoretiker dieses Konzepts ist u.a. Hans-Dietrich Sander, Herausgeber der Zeitschrift "Staatsbriefe". Im Mittelpunkt seiner Überlegungen steht für ihn die Freund-Feind-Frage (Carl Schmitt) und die Souveränität im Ausnahmezustand. Den Rostocker Pogrom wertet er als "nationale Erhebung", und er verbreitet ein "100-Tagesprogramm der nationalen Notstandsregierung".

Die "Junge Freiheit" malt den Bürgerkrieg an die Wand ... 

In der rechtsextremistischen Wochenzeitung "Junge Freiheit" schrieb Chefredakteur Dieter Stein am 12. November 2004 einen Leitartikel, in dem er den rassistischen Bürgerkrieg ankündigte: "Verantwortungslose Politiker haben den europäischen Gesellschaften das illusionäre multikulturelle Projekt übergestülpt, in der blauäugigen Annahme, die Liberalität und Toleranz unserer Nationen gründeten auf unerschütterlichen Fundamenten." (...) "Es ist allerhöchste Eisenbahn, dass die Regierungen Europas die Notbremse ziehen. Schluss mit der multikulturellen Gefühlsduselei! Die Zeichen des Bürgerkrieges stehen an der Wand!"

...und Wolfgang Schäuble predigt die Volksgemeinschaft

Nach der vorgezogenen Bundestagswahl am 18. September 2005 flammte die "Leitkultur"-Debatte erneut auf. Norbert Lammert (CDU) erklärte unmittelbar nach seiner Wahl zum Parlamentspräsidenten gegenüber der "Zeit" (v. 20.10.2005), dieser Begriff sei "reflexartig" abgelehnt worden, verdiene es aber, wieder aufgegriffen zu werden. Kurz darauf meldete sich Wolfgang Schäuble in der Bild-Zeitung (v. 27.10.2005) zu Wort: "Für mich bedeutet Leitkultur, dass wir uns immer wieder fragen müssen: Was hält unsere freiheitliche Gesellschaft im Innersten zusammen? Welche Werte verbinden uns? Wo wollen wir als Volk hin?" 

Notfalls Einsatz des Militärs gegen soziale Unruhen 

Will das Volk mal nicht dahin, wohin Schäuble und seine Leute es haben möchten, so hält er ein ganz anderes Sicherheitskonzept bereit, das auch den Einsatz von Militär im Innern der Republik vorsieht. Die Innen-, Rüstungs- und Kanzleramtsminister (alle CDU) schmieden an dem "Bundessicherheitsamt", das die CDU - angeblich zum Schutz vor Terrorismus - vorschlug. Sie planen eine Heimatschutztruppe von 50.000 Mann. Und Schäuble spielt den Superminister, der an dem verfassungswidrigen Plan der Besetzung unseres Landes mit Bundeswehrtruppen und am Abschuss von Flugzeugen über dichtbesiedeltem deutschen Gebiet festhält, wenn sie von der Regierung als terrorismusverdächtig angesehen werden. 

In der "Reform"-Politik - muss heißen "Beseitigung des Sozialstaates" - bekommen wir es jetzt knüppeldick: Rentenkürzungen, Verschärfungen von Hartz IV, Mehrwertsteuererhöhungen, Demontage des Gesundheitssystems. Das kann soziale Unruhen auslösen, denen die Union nicht mehr ohne Truppeneinsatz Herr zu werden glaubt. Probeweise wird die Fußballweltmeisterschaft im Juni/Juli zur militärischen Aufmarschübung gemacht. Danach soll der Militäreinsatz zur Regel werden.

Gleichzeitig werden die Bürgerrechte von Demokraten eingeschränkt, indem die Kriminalisierung von Antifaschisten verstärkt wird. Sie werden bezichtigt, nach Paragraph 21 des Versammlungsgesetzes die Nazis zu "stören". In den gegenwärtigen Auseinandersetzungen um die Ausbreitung des gewalttätigen Neofaschismus behilft sich der oberste Sicherheitsminister Wolfgang Schäuble mit einem alten Trick, der besagt, das eigentliche Problem sei die Linke und die SED-Vergangenheit Ostdeutschlands. Er lässt die zahlreichen antifaschistischen Akteure in Verbrechensstatistiken mitzählen, die von einer gegenüber den Rechten freundlichen Justiz als Störer der Naziaktionen verfolgt werden. Und deren Zahl wächst natürlich, wenn die Zahl der Naziaufmärsche wächst. Zudem setzt das Innenministerium im Verfassungsschutzbericht rechte Mörder mit linken Sachbeschädigern gleich. 

Schäuble knüpft an sein Anti-Antifakonzept von 1990 an. Während man die gewalttätige Anti-Antifa der Neonazis gewähren ließ, die - aus dem Westen angereist - besonders in Ostdeutschland agierte und zur Lynchjustiz an Andersdenkenden und Andersaussehenden aufrief, so wird die ideologische Anti-Antifa der Konservativen um Schäuble, Knütter und das Professorenpaar Jesse und Backe unter dem Motto des "Antitotalitarismus" wiederbelebt. Diese Anti-Antifa von Rechts und der rechten Mitte ist die Ursache für die besondere rechtsextremistische "Anfälligkeit" im Osten. Es wurde der Faschismus zum Totalitarismus verharmlost, gleichzusetzen mit dem Totalitarismus des Ostens. Doch Kommunisten werden verfolgt, Nazis bleiben vielfach ungestört. 

Offizielle Gedenktafeln für Mörder der Antifaschisten 

Die Gedenkstätten- und Erinnerungsarbeit wird immer mehr zur Dämonisierung des Kommunismus und zur Entschuldung des Faschismus genutzt. Hier werden in Ostdeutschland besondere Akzente gesetzt, nachdem dort vor 15 Jahren die Straßenbenennungen nach Antifaschisten rückgängig gemacht wurden und die Kasernen wieder "Rommel"-Kaserne o.ä. heißen. Während es in Nordrhein-Westfalen selbstverständlich ist, dass die betroffenen Städte alljährlich Gedenkveranstaltungen für die 1945 noch kurz vor Kriegsende ermordeten Antifaschisten und Ausländer veranstalten, befassen sich Kommunalpolitiker in Sachsen und Sachen-Anhalt damit, den Mördern der Opfer der Kriegsendphasenverbrechen - z.B. jenen aus Gardelegen und Torgau - Ehrengräber zu verschaffen. Diese Mörder seien Opfer des Stalinismus geworden und daher zu ehren, heißt es. Der VVN-BdA-Landesvorsitzende Josef Gerats (Halle) protestierte kürzlich gegen die Ehrung für Naziverbrecher auf dem städtischen Hallenser Friedhof; die dort angebrachten Tafeln suggerierten die Unschuld der nach 1945 dort Inhaftierten. 

Schäubles erster Verfassungsschutzbericht zu Zeiten der großen Koalition beschuldigt die VVN-BdA des "orthodox-kommunistischen Antifaschismus", der eine "sozialitisch/kommunistische Diktatur" als Antwort auf "faschistische" Gefahren anstrebe. (Faschistisch natürlich nur in Anführungszeichen.) Die Vorstellung, dass der Kapitalismus für Faschismus und Krieg hauptverantwortlich sei, wird vom Verfassungsschutz unter "verfassungsfeindlich" einsortiert, womit Kapitalismuskritik kriminalisiert wird.

Ulrich Sander