31.05.06
Keine Grundgesetzänderungen und
kein "weiter so" zulassen
Zu den Plänen der Kriegsminister F.J. Jung und W.
Schäuble
Von Ulrich Sander
Stellungnahme von Ulrich Sander (VVN-BdA) für eine Beratung
der Fraktion der Linkspartei.PDS im Bundestag mit der
Friedensbewegung zum Thema "Erwartungen der
außerparlamentarischen Bewegungen / Friedensbewegungen an die
Arbeit der Fraktion - Möglichkeiten der Zusammenarbeit",
Bundestag, Berlin, 19. Mai 2006
Linke Kritik an dem, was über das neue "Weißbuch zur
Bundeswehr" bekannt wurde, hat bisher weitgehend ausgespart,
dass es auch eins zur Ausbreitung des Militarismus im Innern werden
soll. Eine völlig neue Militärdoktrin ist allerdings nicht
geplant. Die Umdefinition der Landesverteidigung in
"Verteidigung deutscher Interessen", mit der die letzten
Barrieren für Auslandseinsätze weggeräumt werden sollen, ist
nicht neu. "Verteidigung deutscher Interessen", das ist
ein Begriff aus den beiden Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR)
von 1992 und 2003 und wurde unzählige Male in "Information
für die Truppe" propagiert.
Verteidigungsminister Jung will sich mit dem Weißbuch einer
Armee vergewissern, die mehr kann als im Grundgesetz steht:
Truppenstärke 252 000, darunter eine Eingreiftruppe von 35.000
Mann, Festhalten an der Wehrpflicht. Umstrittene Rüstungsprojekte
wie der Eurofighter, das Transportflugzeug A 400 M werden
festgeschrieben. Die Marine soll nicht mehr nur vor der eigenen
Küste, sondern auch in großer Entfernung vor fremden Küsten
operieren. Ein "angemessenes Fähigkeitspotenzial" soll
"Schutz im Inland" vor "Terrorismus" gewähren.
Für die Truppe soll als neuer Auftrag die Sicherung deutscher
Rohstoff- und Energieversorgung festgezurrt werden. Letztere
Aufgaben gehörten bereits zur Militärdoktrin der VPR. Sicherung
der Handelswege und Rohstoffe - das ist steht schon in den VPR seit
1992, und der Polizeiauftrag für die Truppe ist seit der unter
Struck geschaffenen Konzeption der VPR von 2003 vorgesehen.
Beobachter stellten fest: Es war ein rhetorischer Kniff, mit der
der heutige SPD-Fraktionschef vor dem Hintergrund des
Bundeswehreinsatzes in Afghanistan neben dem Nato-Bündnisfall auch
den Verteidigungsfall für Deutschland ausrief, um dem Grundgesetz
gerecht zu werden. Die SPD will bei diesem "Kniff" auch
bleiben: Das Grundgesetz ändern, ohne seinen Text zu ändern. Der
neuerliche Vorstoß Franz Josef Jungs verärgert den
Koalitionspartner. "Deutschland braucht keine
verfassungsrechtliche Neudefinition von Verteidigung,"
behauptete SPD-Fraktionsvize Walter Kolbow, bis 2005 Strucks
Stellvertreter und Staatssekretär. Die verfassungsrechtlichen
Grundlagen für die Auslandseinsätze der Bundeswehr seien bereits
gegeben, so Kolbow. Und er sagte die Unwahrheit. "Da muss die
Bundeswehr ran," forderte - zunächst mit Blick auf die
Fußball-WM und dann für alle "Großschadensereignisse"
im Innern - der neue Minister Franz Josef Jung am 5. April 2006 in
der Frankfurter Rundschau. Für die Zukunft, so sagte Jung, brauchen
wir grundsätzlich eine "Anpassung der verfassungsrechtlichen
an die tatsächliche Lage". Das bedeutet: Die tatsächliche
Lage, die Kriege der Deutschen von heute und die geplanten
Bundeswehreinsätze im Innern sind verfassungswidrig. Das haben die
Sprecher der Friedensbewegung immer gesagt.
SPD durchaus für
Inlandseinsätze
In den Medien hieß es, Kolbow, habe die "ablehnende Haltung
der SPD gegenüber einem Bundeswehreinsatz im Inland"
bekräftigt. Jung hatte gesagt, der Auftrag der Bundeswehr habe sich
seit dem letzten "Weißbuch" von 1994 vom reinen
Verteidigungsauftrag zur Armee im Einsatz - wo auch immer -
gewandelt. Die "Bild"-Zeitung zitierte aus dem
Weißbuch-Entwurf: "Infolge der neuartigen Qualität des
internationalen Terrorismus sind heute Anschläge Realität
geworden, die sich nach Art, Zielsetzung und Intensität mit dem
herkömmlichen Begriff des Verteidigungsfalls gleichsetzen
lassen." Die Bundeswehr müsse "immer dann eingesetzt
werden können, wenn nur sie über die erforderlichen Fähigkeiten
verfügt, um den Schutz der Bevölkerung (...) zu
gewährleisten". Genau so stand es schon in den Struck'schen
VPR: "Zum Schutz der Bevölkerung und der lebenswichtigen
Infrastruktur des Landes vor terroristischen und asymmetrischen
Bedrohungen wird die Bundeswehr Kräfte und Mittel entsprechend dem
Risiko bereithalten. Auch wenn dies vorrangig eine Aufgabe für
Kräfte der inneren Sicherheit ist, werden die Streitkräfte im
Rahmen der geltenden Gesetze immer dann zur Verfügung stehen, wenn
nur sie über die erforderlichen Fähigkeiten verfügen oder wenn
der Schutz der Bürgerinnen und Bürger sowie kritischer
Infrastruktur nur durch die Bundeswehr gewährleistet werden kann.
Grundwehrdienstleistende und Reservisten kommen dabei in ihrer
klassischen Rolle, dem Schutz ihres Landes und ihrer Mitbürgerinnen
und Mitbürger, zum Einsatz."
CDU/CSU-Sprecher kommentierten erfreut: Das sei Heimatschutz,
Verteidigung nicht nur am Hindukusch im fernen Gebirge, sondern auch
bei Hindelang in den deutschen Alpen. Der Einsatz gegen Terroristen
und andere Gefahren im Innern wird so zur Sache der Verteidigung des
Landes mittels der Massen von Wehrpflichtigen und Reservisten
gemacht. Zudem können Reservisten nach einem SPD-Grünen-Gesetz bis
ins hohe Alter gezogen werden. Das bedeutet die Einziehung der
männlichen Massen, um sie gegen "Terroristen" einzusetzen
und sie selbst als Streikende oder Demonstrierende auszuschalten.
Schon die bisherige
Bundeswehrkonzeption war verfassungswidrig
Es gibt nichts in dem, was wir bisher über das neue
"Weißbuch" lasen, was nicht bereits zur
Bundeswehr-Konzeption seit der Wende gehörte. Der September-Ausgabe
1998 der "IfdT" lag ein "Reader
Sicherheitspolitik" bei, in dem hinsichtlich des
"ölreichsten Gebiets der Erde" die Strategie der
Bundeswehr und der NATO verdeutlicht wurde: "In der kaspischen
Region treffen die wirtschaftlichen und politischen Interessen"
des Westens wie des Ostens und der Transitländer aufeinander.
"Im allgemeinen ist dabei eine Tendenz zur Emanzipation von
russischem Einfluß und Hinwendung zum Westen festzustellen."
Wenn jetzt von SPD-Seite äußerst scheinheilig kritisiert wird, die
CDU wolle den Zugriff zu Rohstoffen und Energieträgern mit
militärischer Gewalt erreichen, so sei an zahlreiche ähnliche
Aussagen aus SPD-Grünen Zeiten erinnert.
Auch die Kritik, die Union wolle nationale deutsche Interessen
zur Richtschnur militärischen Handelns machen, klingt aus
SPD-Quellen sehr fragwürdig. Erinnert sei an zahlreiche
Bundeswehrveröffentlichungen, worin diese sich für "einen
möglichen Militärschlag der Allianz" aussprachen, und zwar
vor dem Hintergrund, "deutsche Interessen in der
internationalen Politik" durchzusetzen. Die allgemeine
Definition "deutscher Interessen" durch die führenden
Politiker wurde von der Bundeswehr immer wieder eingefordert (z.B.
"Reader Sicherheitspolitik" in IfdT 2/99).
In "Information für die Truppe" (IfdT, März 1999)
wird das Feindbild der Bundeswehr so definiert: "Proliferation
(A-Waffen-Weiterverbreitung - U.S.) , politischer Fundamentalismus
und Terrorismus stellen eine Bedrohung für alle dar. Darüber
hinaus wirken sich Verknappung von Ressourcen und Migrations- und
Flüchtlingsbewegungen auch auf die europäische Sicherheitslage
aus." In der Ausgabe zu "50 Jahre NATO" wirbt IfdT
unverhohlen für die Selbstmandatierung unter dem Vorwand,
"humanitäre Katastrophen" zu bekämpfen. Unter der
Überschrift "Eine globale Rolle für die NATO?" wird dem
"Krisenmanagement jenseits der Bündnisgrenzen", also dem
Krieg in aller Welt, das Wort geredet.
Antiterrorkampf - Mit Kanonen auf
Spatzen schießen
"Wir müssen mit Terrorangriffen rechnen, die vergleichbar
sind mit kriegerischen Angriffen früherer Art", sagte
Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU). Doch
Terroristenbekämpfung ist Sache der Polizei und Justiz, sie zu
"Angriffe von außen" zu stilisieren, ist gegen die
Verfassung, auch gegen die Grundgesetzauslegung des
Bundesverfassungsgerichtes gerichtet. Doch sowohl CDU-Sprecher wie
auch SPD-Experten wie Dieter Wiefelspütz fordern: Bei einem
Terrorangriff solle es möglich sein, den Verteidigungsfall
auszurufen. In Deutschland könne nicht mehr strikt zwischen innerer
und äußerer Sicherheit getrennt werden. Diese Pläne gehen aus dem
Entwurf des neuen Weißbuchs zur Sicherheitspolitik hervor,
bestätigte Jung entsprechende Medien-Berichte. "Wir müssen
uns darauf einstellen, dass asymmetrische terroristische Bedrohungen
auch einen Fall der Verteidigung darstellen,", begründete Jung
seinen Vorstoß. Asymmetrische Bedrohungen symmetrisch zu
beantworten - so was nannte man früher: Mit Kanonen auf Spatzen
schießen. Oder: Mit Raketen Verbrecherbanden beschießen. 99
Prozent der Opfer wären Unbeteiligte.
Während sich SPD-Abgeordnete in Pressemitteilungen gegen die
Ausweitung der Definition des Verteidigungsfalls auf terroristische
Bedrohungen - "falsch, gefährlich und nicht sachgemäß"
- verbreiten, signalisiert die SPD-Fraktionssitze dem Minister Jung
Rückendeckung: Die vom Bundesverfassungsgericht gesetzten Vorgaben
für den Abschuss eines Flugzeugs stellten eine offene Flanke dar;
Terroristen bräuchten nur zu behaupten, sie hätten Unschuldige an
Bord - "schon darf nicht mehr geschossen werden." So
Dieter Wiefelspütz, der so tat, als hätten wir es mit UFOs, mit
Unbekannten Flugobjekten zu tun. Doch kein Flugzeug kommt aus dem
Nichts.
"Ich bin mir mit Bundesinnenminister Schäuble darin einig,
dass die Bundeswehr im Bedarfsfall bis zu 7.000 Soldaten zum Schutz
unserer Bevölkerung und der Gäste der Fußball-Weltmeisterschaft
bereit hält", sagte Jung im März der "Bild am
Sonntag". Insgesamt lägen Jung mehr als 100 Anträge auf
Bundeswehr-Hilfe aus Ländern und Gemeinden vor. Wer hat diese
Anträge je gesehen? Jung ließ verbreiten, "neben
Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen können
Großschadensereignisse" nicht ausgeschlossen werden. Was aber
ist das? In Artikel 35 GG kommt das Wort nicht vor; dort ist nur von
realen Katastrophen, nicht von möglichen "Ereignissen"
die Rede. Hier sollen Vorratsbeschlüsse ermöglicht werden, die
nicht mal dem Schadenskatalog des Grundgesetzes entsprechen.
Das Vorgehen der Großen Koalition, mittels "Bild am
Sonntag" zu verkünden, dass ohne Änderung des Grundgesetzes
7000 Soldaten zur Fußballweltmeisterschaft abkommandiert werden
sollen, weist auf ein erneutes Unterlaufen der Verfassung in
Militärdingen hin - wie so oft seit 1990. Ist erst mal der
Präzedenzfall geschaffen, dann werden weitere Schritte zum
"Heimatschutz" folgen, ohne dass noch nach dem Text des
Grundgesetzes groß gefragt wird. In einem Papier der CDU/CSU,
abgefasst vom heutigen Parlamentarischen Staatssekretär im
Bundeswehrministerium und ultrarechten Gebirgsjäger Christian
Schmidt nach den Anschlägen in Madrid im März 2004, wird die
Schaffung eines neuen "Organisationsbereichs im
Verteidigungsministerium mit dem Titel ‚Landesverteidigung und
Heimatschutz'" verlangt, dessen Aufgabe der Aufbau von bis zu
50 vernetzten "Regionalbasen Heimatschutz" mit einer
Stärke von bis zu 500 Soldatinnen und Soldaten in allen größeren
Städten Deutschlands sein soll. Bei einem Einsatz sollen die
betreffenden Regionalbasen durch Reservisten auf eine Stärke von
bis zu 5.000 Soldaten aufgestockt werden können. Die
"Heimatschutztruppe" soll zu 80 Prozent aus
Wehrpflichtigen und zu 20 Prozent aus Berufs- und Zeitsoldaten als
deren Führungspersonal bestehen.
Militär im Innern als
Normalität
"Der Innenminister macht sich zu Recht um die Sicherheit bei
der WM Sorgen. Dabei sind weniger die Stadien das Problem als
vielmehr die Großleinwände mit Tausenden Zuschauern in den
Innenstädten. Deshalb werden wir beispielsweise neben vielen
anderen Unterstützungsleistungen auch AWACS-Flugzeuge zur
Überwachung einsetzen." ("Welt am Sonntag" am
12.02.2006). Der Linkspartei.PDS-Europaabgeordnete Tobias Pflüger
kommentierte so diese Meldung: "AWACS-Aufklärungsflugzeuge
seien wegen den Großleinwänden bei der Fußball-Weltmeisterschaft
notwendig. Wenn das nicht ein Minister gesagt hätte, hätte man
diese Person ganz einfach für verrückt erklärt. Wobei ja
Franz-Josef Jung offiziell noch den Zurückhaltenden spielt.
Antreiber eines Einsatzes der Bundeswehr im Innern ist der
Innenminister Wolfgang Schäuble. Der ließ keine passende und vor
allem unpassende Gelegenheit aus, immer wieder genau das zu
fordern." Schäuble weiß, dass die gegenwärtige Sozialpolitik
nicht auf Dauer ohne Widerstand der Betroffenen hingenommen wird.
Schon demonstrieren Polizisten außer Dienst gegen Polizisten im
Dienst. Da muß dann die Bundeswehr ran, sagen Jung und Schäuble.
Die Debatte über den Bundeswehr-Einsatz produziert eine
Atmosphäre der Angst. Die ist gewollt. Die Innenminister haben, so
hieß es in der "tagesschau" in einer Stellungnahme von
Fußball-Fan-Clubs, in den vergangenen Jahren immer Großereignisse
genutzt, "um ihre Begehrlichkeiten voranzubringen und sich auch
in anderen Gebieten etwas weiter vorzuwagen. Das sieht man auch
jetzt bei der Diskussion um den Einsatz der Bundeswehr." Die
Verfassung soll ausgehöhlt werden. "Der deutsche Militarismus
und Nazismus werden ausgerottet," hatte es im Abschlussdokument
der Potsdamer Konferenz im Sommer 1945 geheißen. 61 Jahre danach
soll Militär auch im Inneren wieder zu Normalität werden.
Das Grundgesetz und damit den
Frieden verteidigen
Der Einsatz der AWACS-Maschinen ermöglicht es, Flugbewegungen,
Fußballstadien und Großleinwände aus großer Höhe zu erfassen.
AWACS-Maschinen können zu Feuerleitständen werden für den Einsatz
weiterer Flugzeuge - und für den Einsatz von Unmengen an Polizisten
und von 7000 Soldaten. Pflüger: "Dies wäre dann ein
wesentlicher Schritt zur Militarisierung der Innenpolitik, bei dem
die Fußballstadien im wahrsten Sinne des Wortes zu Schlachtfeldern
zu werden drohen."
Fazit: Nachdem Minister Jung eingeräumt hat, die gegenwärtige
Praxis der Bundeswehr entspreche nicht der Verfassung - und die
geplanten Einsätze im Innern schon überhaupt nicht, da sollten
sich die Gewerkschaften und die Friedensbewegung aufgerufen fühlen,
das gesamte verfassungswidrige Militärkonzept entschieden zu
bekämpfen und das Grundgesetz zu verteidigen. Nachdem die
EU-Verfassung gekippt ist, die die antimilitaristischen Elemente des
Grundgesetzes infrage gestellt hätte, ist mit dem Vorstoß von
Franz Josef Jung ein neuer Angriff auf die Verfassung geplant. Schon
bei den letzen beiden Ostermärschen hatte es vielfach die Losung
gegeben: Endlich das Grundgesetz einhalten.
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