01.05.06
NRW-Koalition sagt: "Freiheit vor
Gleichheit"
Aber: "Die Absage an die Gleichheit ist das einigende Kennzeichen aller
Rechten"
Referat von Ulrich Sander, Landessprecher der VVN-BdA NRW, auf der Konferenz von WASG und Linkspartei.PDS NRW mit Vertreterinnen und Vertretern von Initiativen, Verbänden und Gewerkschaften zur Politik der
nordrhein-westfälischen Landesregierung in Essen am 8.April 2006 in
der Arbeitsgruppe 9: "Demokratieabbau und Neonazismus"
Seit fast einem Jahr haben wir in NRW eine Mitte-Rechts-Regierung. Sie besteht aus einer CDU, die noch beim Wahlkampf zuvor mit der rassistischen Losung „Kinder statt Inder“ auf Stimmenfang ging und den Reps zu einem gern aufgegriffenen Motto verhalf. Und ferner aus der FDP, die ihre rechtskonservative Pro-NS-Geschichte nie aufgearbeitet hat und noch Mitte der 90er Jahre die gesamte Landesverfassung mit allen ihren Elementen eines antifaschistischen Konsenses über Bord gehen lassen wollte. Es erstaunt nicht, dass der
Koalitionsvertrag von CDU und FDP auf die Kurzform gebracht wurde: “Freiheit vor Gleichheit“. Die Absage an die Gleichheit ist das einigende Kennzeichen aller Rechten. Die Grundformel für alle Menschen- und Bürgerrechte „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit/Schwesterlichkeit“ in ihrer Gleichrangigkeit wird aufgehoben. Wer aber die Freiheit vor die Gleichheit setzt, der nimmt denen, die auf Brüderlichkeit/Schwesterlichkeit angewiesen sind, die Freiheitsrechte.
1. Demokratieabbau durch Rassismus
Demokratieabbau bedeutet auch hierzulande die weitere Entrechtung der ohnehin schon Entrechteten. Jener nämlich, die auf das Asylrecht angewiesen sind, das auch hierzulande immer mehr beseitigt wird und in Abschiebeknästen erstirbt. Schon regen sich auch in NRW jene, die Ghettobildung beklagen, aber mit der sozialen Benachteiligung der Menschen ohne Deutsch als muttersprachlichen Hintergrund alles zur Verfestigung von Ghettos tun. Hauptschulen sollen nun besser ausgestattet werden, damit sie ihre Aufgabe als Restschule für Ausländerkinder behalten können. Doch es gibt nicht nur an Hauptschulen die ungelösten Probleme; Gesamtschulen in Herne, Duisburg und Dortmund z.B. gehören zu denjenigen Schulen, in denen Jugendliche aus ausländischen Familien, die ohne Chance auf Berufsausbildung sind, „verwahrt“ werden. Jede schlechte Note, die es infolge Bildungsmängeln im Kleinkindalter zwangsläufig gibt – werden zu Katastrophen, weil der Schulverweis und damit Kindergeldverlust und Arbeitslosigkeit drohen. Es schreiten die Verschlechterungen der Rechte von nicht in Deutschland geborenen Bürgern voran, die nach dem 11. September vielen Ungerechtigkeiten ausgesetzt sind, ja unter Terrorismus-Generalverdacht geraten. In einem Briefwechsel mit der Landesregierung wurde uns seinerzeit bestätigt, dass das Ziel der „abschreckenden Unterkünfte“ für Asylbewerber in den Kommunen nicht mehr in den Verordnungen der Landesregierung enthalten ist. So war es lange Zeit. Die Verordnungen wurden geändert, die Praxis nicht.
2. Demokratieabbau durch Neonazismus
Neonazismus ist nicht nur eine langfristige Gefahr für die Demokratie. Er vernichtet auch Demokratie und unsere Bürgerrechte ganz unmittelbar. Da wird der Paragraph 21 des Versammlungsgesetzes zugunsten der Neonazis ausgelegt und antifaschistische Protest als verbotene "Störung" der Nazis verurteilt. Da werden Computer beschlagnahmt, nachdem Nazis und Neonazis Anzeige gegen die Besitzer - VVN-Leute, Gewerkschafter, Journalisten usw. - erstattet haben. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Inhalt den Nazis zugänglich gemacht wird per Akteneinsichtsrecht. Da werden Kranzniederlegungen einer fünfköpfigen Gruppe von Kommunisten, VVN-Leuten und Juden in Bochum-Wattenscheid zu verbotenen, weil nicht angemeldeten Versammlungen erklärt, was Bestrafung nach sich zieht.
Die Justizpolitik in NRW hat eine Rechtswende vollzogen. Das Weisungsrecht des Justizministers wurde im Zuge einer sog. Entbürokratisierung verringert, so daß sich reaktionäre Staatsanwälte zugunsten der rechtesten Kräfte entfalten können. Innenministerium und Justizministerium teilten der VVN-BdA mit, dass sie nichts gegen die gewalttätigen faschistischen Kameradschaften zu unternehmen gedenken. Der Petitionsausschuss des nordrhein-westfälischen Landtages gab der VVN-BdA den Bescheid, Verbote rechtsextremer Gruppierungen und ihrer Veranstaltungen seien nur auf der Grundlage des geltenden Rechts möglich, - das heißt: Sie bleiben legal. Ohne selbst Stellung zu nehmen, etwa zu der Anregung der VVN-BdA und der PDS-Kommunalpolitiker in ihrer Erklärung gegen die „Kameradschaften“, doch die Strafbarkeit der Schaffung von Nachfolgeorganisationen zu beachten, sandte der Landtagsausschuss der VVN-BdA die Stellungnahme des Innenministeriums zu der Petition zu. In dieser Stellungnahme wird behauptet, man könne gegen die die Aufmärsche veranstaltenden „Kameradschaften“ nichts unternehmen, weil diese „neue, lose strukturierte Organisationsformen“ seien, deren „neonazistische Grundhaltung“ nicht zu übersehen sei; „jedoch sind sie nicht körperschaftlich organisiert“. Die Möglichkeit für Vereinsverbote würden regelmäßig geprüft – und verneint.
Zudem droht das Innenministerium antifaschistische Demonstranten indirekt Bestrafung an. Wer die verfassungsmäßige Ordnung schützen und verteidigen wolle, müsse sich an diese Ordnung auch bei Protesten im Rahmen des „Aufstands der Anständigen“ halten. Wer „grobe Störungen“ von nicht verbotenen Versammlungen vornehme, müsse mit Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe rechnen.
Nicht genutzt wird von Landtag und Landesregierung die Errungenschaft, die wir auch im Lande haben, die Spruchpraxis des höchsten Landesgerichts von NRW zum Neofaschismus. Sie lautet: "Eine rechtsextremistische Ideologie lässt sich auch nicht mit den Mitteln des Demonstrationsrechts legitimieren" (Beschluss des OVG NRW, Az 5 B B 585/01) Es ist zu fordern, dieses Prinzip durchzusetzen, das von höchsten Richtern unseres Bundeslandes formuliert wurde. Damit würde zur Wiederherstellung des Verfassungsprinzips des Artikel 139 GG beigetragen, das die 1945/46 geschaffenen Bestimmungen zur Zerschlagung von NS-Organisationen und des Militarismus auch für das Heute verbindlich regelt.
Unter Berufung auf den Fall Brandenburger Tor hat jetzt die SPD im Landtag ein gesetzliches Verbot von Versammlungen und Aufzügen von Rechtsextremen an Gedenkstätten in Nordrhein-Westfalen gefordert. "Die SPD will verhindern, dass Gedenkstätten von historischer und überregionaler Bedeutung, die an die nationalsozialistische Barbarei erinnern, zu Pilgerstätten alter und neuer Nazis werden. Nazi-Aufmärsche an Gedenkstätten müssen auch in NRW gesetzlich verboten werden." So richtig derartiges sein mag – es löst das Problem nicht. Wir wollen keine Nazis am Brandenburger Tor und auch nicht an den Toren und auf Straßen und Plätzen in NRW. Wenn durch ein Verbot der Kameradschaften die Infrastruktur des Neonazismus beeinträchtigt wird, dann wird der Neonazismus damit nicht beseitigt, aber in seine Schranken verwiesen. Doch leider ist damit zu rechnen, dass NRW weiterhin nichts unternimmt, nachdem es mit dem Festhalten an dem V-Leute–System schon der NPD über die Runden half. NRW hatte das dichteste Netz von V-Leuten, das dem Bundesverfassungsgericht half, den Prozess gegen die NPD nicht führen zu müssen, weil man ja nicht wissen könne, welche Tatbestände von „normalen“ Nazis und welche von V-Leuten stammen. Vierzig Jahre lang hat der NRW-Verfassungsschutz die V-Leute an höchster Stelle in der NPD platziert – zum Segen des Neofaschismus.
3. Demokratieabbau durch Militarismus
Wir stehen vor einem tiefen Einschnitt im unserem Bundesland NRW. Die Fußball-WM soll genutzt werden, um den Präzedenzfall des Vorgehens von militärischer Macht gegen größere Bevölkerungsgruppen herbeizuführen. An den drei nordrhein-westfälischen Spielstätten Köln, Dortmund und Gelsenkirchen werden ca. 1.500 Feldjäger, Pioniere, AWACS-Piloten und Sanitätssoldaten – mit ihren Waffen und Gerät - zusätzlich zu einem gewaltigen Polizeiaufgebot bereitgehalten, um die „Sicherheit“ zu gewährleisten, wie es heißt. Die CDU geht noch weiter: Vor zwei Jahren beschloß sie ein Papier zur "Terrorismusbekämpfung", das vorsieht, allein auf dem Territorium von NRW rund ein Dutzend Regionalstützpunkte einer neu zu schaffenden
Heimatschutztruppe anzulegen mit im "Ernstfall" rund 50.000 Soldaten und Wehrpflichtigen, die
dann an Rhein und Ruhr agieren. (Siehe die Veröffentlichungen von
IMI@IMI.de) Doch gerade unser Bundesland, auf dessen Territorium so viele Beispiele des Missbrauchs von Soldaten gegen Demokraten – ich weise nur auf März 1920 hin – zu verzeichnen waren, sollte gewarnt sein. Leider ist die Wachsamkeit unserer Bürgerinnen und Bürger, auch der Gewerkschaften auf diesem Gebiet völlig unterentwickelt. Nicht behoben ist der Folter-Skandal von Coesfeld, wo Rekruten in der Grundausbildung bei einer »Gefangennahme« gefesselt, mit Wasser übergossen und ihnen Stromstöße zugefügt wurden. Sie übten „Geiselnahme“ und fügten sich gegenseitig furchtbare Schmerzen zu, die sie ertrugen, weil sie ihren Job machen wollten, weil außerhalb der Truppe die Arbeitslosigkeit droht.
4. Demokratieabbau durch Verweigerung der Verfassungsrechte aus GG und Landesverfassung
Ohne Arbeit hat der Mensch auch weit weniger Freiheitsrechte. Als Lehre aus den Erfahrungen der Weimarer Zeit und des Faschismus erschien es allen Demokraten 1945 als notwendig, für die sozialen Menschenrechte zu wirken. Deshalb gibt es den Artikel 14 zur Sozialpflichtigkeit des Eigentums im Grundgesetz, und deshalb heißt es in der NRW-Landesverfassung von Nordrhein-Westfalen im Artikel 24: „... Im Mittelpunkt des Wirtschaftslebens steht das Wohl des Menschen. Der Schutz seiner Arbeitskraft hat den Vorrang vor dem Schutz materiellen Besitzes. Jedermann hat ein Recht auf Arbeit. ...“ Recht auf Arbeit und Schutz der Arbeitskraft sind demnach höchste Verfassungsaufgaben – und nicht das Recht auf Profit, das die Politiker und Wirtschaftsführer zur obersten Maxime gemacht haben. Der herrschende Neoliberalismus widerspricht dem Grundgesetz und der Landesverfassung. Tag für Tag wird gegen Grundgesetz und Landesverfassung verstoßen. Doch diese Tatsache taucht in keinem Verfassungsschutzbericht auf.
Im Interessenkonflikt Profit oder Arbeiterrechte und Arbeitsplätze bleiben letztere immer auf der Strecke. Opel in Bochum und Siemens in Bocholt und Karstadt in Essen sind der Beleg dafür: Es werden um der höchsten Profite Willen die kleinen Leute um ihren Lohn und ihre Arbeitsplätze betrogen. Weitere zig Tausende Arbeitsplätze werden beseitigt, obgleich die Verfassung den Menschen ein Recht auf Arbeit und gerechten Lohn gibt.
5. Demokratieabbau durch
Bildungsverweigerung
Erst in diesen Tagen hat die Landesregierung alle Forderungen nach Verbesserungen in der Bildung durch Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems, durch mehr Mittel für die Bildung zurückgewiesen. Von den Tausenden neuen Lehrern, die im Wahlkampf versprochen wurden, ist nichts mehr zu hören. Junge Leute werden in Ein-Euro-Jobs gesteckt, aber eine Berufsausbildung wird vielen von ihnen verweigert. Wer sich nicht in das Ein-Euro-Zwangssystem fügt, bekommt Leistungen gestrichen. Es ist zu begrüßen, dass sich an vielen Orten Jugendgruppen dagegen wehren, dass sie fordern: Ausbildung statt Rüstung. Ausbildung ohne Druck, in die Bundeswehr ausweichen zu müssen.
Liebe Freundinnen und Freunde von Linkspartei.PDS und WASG.
Uns hat erheblich irritiert, dass diese Konferenz – die ursprünglich als Treffen der sich formierenden Linkspartei mit sozialen und außerparlamentarischen Bewegungen angekündigt wurde - nun als Beitrag zum Parteiaufbauprozess angesehen wird. An einem solchen Prozeß können wir uns als überparteiliche antifaschistische Organisation nicht beteiligen. Beteiligen können wir uns an außerparlamentarischen Bewegungen, die die Lehren aus der Geschichte gezogen haben: Gemeinsam gegen rechts! Und wir würden uns freuen, wenn sich die Linkspartei sowohl als parlamentarische wie auch außerparlamentarische Kraft verstünde.
Nicht verhehlen möchte ich meine tiefe Beunruhigung über einen schlimmen Tabubruch, der innerhalb der PDS vollzogen wurde, indem der außerparlamentarischen antifaschistischen Bewegung ein Schlag versetzt wurde. Ohne dass die Bundesführung der Linkspartei.PDS sich dazu positionierte, geschah dies: Der Thüringer Landtag hat mit den Stimmen des ganzen Hauses - von CDU bis PDS - beschlossen, gegen den "Extremismus" vorzugehen, um "unser Gemeinwesen" zu schützen. Rechte und Linke, gewalttätige Faschisten und gegen sie kämpfende Antifaschisten wurden - gewollt oder nicht - auf eine Stufe gestellt. Es sollen anti-extremistische Gewaltpräventionen stattfinden. "Einige Antifa-Gruppen sind nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems," sagte diffamierend die CDU-Landtagsfraktionsvorsitzende. Dem Verfassungsschutz, der auch die PDS beobachtet, wurde dickes Lob gespendet, weil er "etliches" gegen den Extremismus leistete. Die PDS-Fraktion sah ein "wichtiges" Zeichen gesetzt.
Jupp Angenfort und ich schrieben den PDS-Leuten: „Erich Kästner sagte: Niemals sollst Du so tief sinken, den Kakao, durch den man Dich zieht, auch noch zu trinken.“ Wir erinnerten daran:
„In unserer Landesorganisation gab es bis vor kurzem noch einige ältere kommunistische Antifaschisten, die in KZs wie jenes in Buchenwald (Thüringen) eingesperrt waren und denen die CDU-Mehrheit des Bundestages nach Paragraph 6 des Bundesentschädigungsgesetzes die Entschädigungsrente entzog, weil sie sowohl vor als auch nach 1945 für die KPD politisch tätig waren. Als "Extremisten" hätten sie gegen die "freiheitlich-demokratische" Grundordnung verstoßen, wurde ihnen von den "gegen jeden Extremismus" wirkenden Kräften gesagt, die keine Probleme damit hatten, Nazigrößen in Legionsstärke in ihren Reihen zu dulden. Was hätten sie wohl zu der Initiative des Landtages von Thüringen von heute gesagt? Wurde mit der Thüringer "Initiative gegen Extremismus" diesen Antifaschisten nicht erneut ihre Ehre als Antifaschisten genommen?“ Weiter führten wir aus:
„Kürzlich forderten Neonazis auf einem Marsch durch Gütersloh: "Gegen linken Mainstream - für nationale Jugendzentren". Sie wollten die Autonomen, die SDAJ, die Linken raus haben aus den Jugendheimen. Die Bürgermeisterin, die Rednerinnen und Redner auf einer großen Anti-Nazi-Kundgebung wiesen das Ansinnen der Neonazis einmütig zurück. Gut, dass Gütersloh nicht in Thüringen liegt.“
Sage niemand, das sei doch ein Thüringer Provinzproblem. Hier trennt sich die parlamentarische Linke von den antifaschistischen Linkskräften. In Hessen und Baden-Württemberg wird gegenwärtig die Berufsverbotspolitik gegen Antifaschisten wiederbelebt. Die Landesregierungen in Wiesbaden und Stuttgart werden mit Behagen die Steilvorlage aus Erfurt aufgreifen, um die antifaschistischen Kräfte anzugreifen und in ihrer Arbeit zu behindern.
Wir rufen die Linkspartei auf, diesen Weg von Thüringen nicht weiterzugehen. Sie sollte sich mit der Linken außerhalb des Parlaments verbünden, nicht aber sich von ihnen abnabeln (wie es die „Junge Welt“ nannte).
Kurzfristig schlagen wir vor:
- Fortsetzung der Aktionen auf der Grundlage der nordrhein-westfälischen PDS-Kommunalpolitiker von 2005 gegen die Nazi-Kameradschaften.
- Beratungen über das weitere Vorgehen mit dem Ziel des NPD-Verbots.
- Beratungen der Linken über das Vorgehen gegen die Aufmärsche der Kameradschaften in unseren Städten - Überwindung des Zustandes, dass jede Stadt für sich allein kämpft; Meinungsaustausch über die Frage, wie dies Thema auf die Tagesordnung im Landesmaßstab gestellt werden kann.
- Beratungen über Präventionen gegen Rechts. Hierzu haben wir unsere Ausstellung „Neofaschismus in Deutschland“ anzubieten, die von VVN-BdA gemeinsam mit der IG Metall erstellt wurde.
Beratungen über diese Schritte könnten stattfinden anlässlich der nächsten Konferenz antifaschistischer Initiativen und Organisationen am 7. Mai in Duisburg. Bitte ruft mit auf zu dieser Konferenz.
Bericht von der AG 9 "Demokratieabbau und Neonazismus"
der Konferenz von WASG und Linkspartei.PDS NRW mit Vertreterinnen und Vertretern von Initiativen, Verbänden und Gewerkschaften zur Politik der
nordrhein-westfälischen Landesregierung – Berichterstatter: Helmut Manz, (Linkspartei.PDS) Dortmund
Das Land NRW wird mittlerweile von einem Ministerpräsidenten regiert,
der sich als Oppositionsführer mit dem rassistischen Slogan: "Kinder
statt Inder!" einschlägig profiliert hat. Im Landtagswahlkampf 2000
diente er den Republikanern als Wahlmotto. Die Republikaner wurden damals noch als "verfassungsfeindlich" bzw. "rechtsextrem" eingestuft.
Nicht sie, sondern diese offizielle Einschätzung hat sich mittlerweile
geändert. Kein Wunder: Ihr Stichwortgeber repräsentiert heute "die
Mitte". Wie können seine Kopisten "rechtsextrem" sein?
Auch Rüttgers' gelber Koalitionspartner ist nicht gerade als verfassungsfreundlich einzustufen. Mitte der 90er Jahre versuchte sich
die FDP mit einen Neuentwurf der Landesverfassung zu profilieren. In
diesem Entwurf fehlte das (soziale Menschen-)Recht auf Arbeit, die betriebliche Mitbestimmung sowie das Sozialisierungsgebot.
Formulierungen der Landesverfassung wie: "der Schutz der menschlichen
Arbeitskraft steht über dem Schutz materiellen Besitzes", sind der FDP
schon lange ein Dorn im Auge. Ansätze innerbetrieblicher Demokratie wie
die Mitbestimmung werden von der FDP offen als "Fremdbestimmung" diffamiert. Die - zumindest für eine soziale Demokratie im Sinne des
Grundgesetzes- essentielle Bedeutung starker Gewerkschaften wird von der
FDP nicht anerkannt. Bezeichnend für dieses "Demokratie"-Verständnis ist
die auf Gewerkschaften und Betriebsräte bezogene Äußerung des Bundesvorsitzenden Westerwelle: "Wer den Sumpf trocken legen will, darf
die Frösche nicht fragen."
Die Elemente des Grundgesetzes, die den demokratisch-antifaschistischen
Konsens der Nachkriegszeit zum Ausdruck bringen (z.B. das Asylrecht, die
Sozialbindung des Eigentums, das Verbot von Angriffskriegen usw.), werden insbesondere von Schwarz-gelb links liegen gelassen. Eben diese
"Mitte" versucht via "Verfassungsschutz" Organisationen und Parteien, die den demokratisch-antifaschistischen Auftrag des
Grundgesetzes offensiv vertreten, als "verfassungsfeindlich" bzw. "linksextrem" zu stigmatisieren und zu kriminalisieren. Diesem Verdacht
ausgesetzt werden u.a. Antifa-Gruppen, Flüchtlingsinitiativen, Migrantenvereine, die VVN-BdA, die DKP, die Linkspartei.PDS sowie
neuerdings auch die WASG.
Unter diesen Vorzeichen erscheint aktiver Antifaschismus nicht als
demokratische Selbstverständlichkeit, sondern als generell verdächtiges
und tendenziell kriminelles Verhalten. Wo der Antifaschismus nicht selbstverständlich, sondern verdächtig ist, entsteht ein politisches
Klima, in dem neonazistische Gruppierungen und Parteien immer unverhohlener in der Öffentlichkeit auftreten können. Allein deren
Ausbreitung bedeutet bereits einen Demokratieabbau (im umfassenden Sinne
von Verdrängung aus dem öffentlichen Raum) für nicht wenige Menschen.
Das neonazistische Konzept der "befreiten Zonen" bzw. der "No-go-areas"
zielt von vornherein auf die gewaltsame Vertreibung Andersdenkender und
Andersfarbiger.
Die Stigmatisierung der "Mitte" und der Terror von rechts betreffen - nicht zufällig - dieselben
Zielgruppen. (Nazis morden, der Staat schiebt ab!) Opfer neonazistischer Gewalt sind fast
ausschließlich Angehörige gesellschaftlich oder politisch diskriminierter Gesellschaftsgruppen wie Ausländer, Obdachlose, Punker,
Linke, Schwule etc. Die offizielle, "ordentliche" Diskriminierung wird
von der "Mitte" toleriert: Ihre neonazistische Fortsetzung mit "unordentlichen" Mitteln wird offiziell lediglich unter ordnungspolitischen
Gesichtspunkten bzw. als Imageproblem (Gefährdung des deutschen Ansehens im Ausland) thematisiert.
Aus dem so verkürzten Verständnis des sogenannten "Rechtsextremismus"
folgt dessen verkehrte "Bekämpfung" mit Totschweigen, genereller Einschränkung von Bürgerrechten sowie der "Integration des rechten
Rands". Um einen "Imageschaden" für den jeweiligen "Standort" zu vermeiden, wird rechter Terror von "Verantwortungsträgern" auf allen
Ebenen (Bund, Länder und Gemeinden) verschwiegen bzw. als "unpolitisch"
verharmlost. Wenn das Totschweigen nicht mehr "hilft", wird nach mehr
Polizei und schärferen Gesetzen gerufen. Wird eine Ausbreitung des "rechten Rands" befürchtet, dann wird "rechtsextremes Gedankengut" zu
"Recht". Neonazi-Hetzparolen werden als "Ängste der Menschen"
hofiert und "ernst genommen" d.h. legalisiert. Die Morde von Solingen und die
Pogrome von Rostock und Hoyerswerda führten zur Abschaffung des Asylrechts, die NPD-Parole "Arbeitsplätze
- zuerst für Deutsche" erlangte mit dem rot-grünen "Zuwanderungsgesetz" Gesetzeskraft.
Ziel echt antifaschistischer Politik muss sein, den ebenso perversen wie
"normalen" Teufelskreis von "ordentlicher" und "unordentlicher" Diskriminierung, von "Rechtsextremismus" und Rechtsverschiebung der
"Mitte", zu durchbrechen. Anknüpfungspunkt hierfür ist die in weiten
Teilen der Bevölkerung nach wie vor verankerte Abscheu vor Faschismus
und Neofaschismus. Die Betroffenheit über den erstarkenden Neonazismus
gilt es zu radikalisieren. Die öffentliche Aufmerksamkeit muss über das
akute Symptom auf die Wurzeln, die gesellschaftlichen Ursachen, gelenkt
werden. Auch für die neofaschistischen Wiedergänger gilt der "alte"
Horkheimer-Satz: "Wer über den Kapitalismus nicht reden will, soll vom
Faschismus schweigen!" Das heutige Reden über den "Rechtsextremismus"
darf nicht beim selbstgefälligen Beschweigen und Beschwichtigen seiner
kapitalistischen Ursachen belassen bleiben. Die offiziellen Beschwörungsformeln eigener "Toleranz" und "Weltoffenheit" gilt es beim
Wort zu nehmen. Die 'antifaschistischen' Sonntagsredner sind mit ihrer
alltäglichen Abschiebe-Praxis zu konfrontieren.
Gelingt diese Radikalisierung, diese Vertiefung der öffentlichen Debatte
über den "Rechtsextremismus" nicht, dann droht die "Bekämpfung des
Rechtsextremismus" nach hinten bzw. nach links loszugehen. Auf einmal
ist dann nur noch von "Extremismus"-Bekämpfung die Rede. Opfer und Gegner neonazistischer Gewalt werden als Ursache des ganzen
Image-schädigenden öffentlichen Aufsehens ausgemacht und müssen auch
dafür büßen. Aus einer stets unbeanstandeten Kranzniederlegung für Opfer
des Faschismus wird ein "Verstoß gegen das Versammlungsgesetz". Die
Verwendung eines durchgestrichenen Hakenkreuzes wird der Verwendung eines nicht durchgestrichenen gleichgesetzt. Das rechts-links blinde
Auge des Gesetztes duldet keine Verwendung verbotener Symbole. Auch von
offenkundigem Irrsinn lässt sich der "Rechts"-Staat in seiner dogmatischen Gleichsetzung von "Rechts-" und "Linksextremismus" nicht
beirren.
Wie die Zustimmung der Thüringer Landtagsfraktion zu einer Resolution
gegen "Extremismus" zeigt, ist auch die Linkspartei nicht immer davor gefeit, in die Extremismusfalle zu tappen. Der fatale Wunsch "dazu
zu gehören" lässt offenbar auch manche Linke vergessen, dass die Extremismus-Keule der klassische Bumerang für Linke in der BRD war, ist
und sein wird. Auch die Thüringer Genossinnen und Genossen müssten das
wissen. Sie hatten jetzt immerhin 16 Jahre Zeit, um die BRD nicht bloß
aus dem Westfernsehen kennen zu lernen! Das rechts-links-blinde Extremismus-Gerede ist herrschende Ideologie ohne politisch-inhaltlichen
Sinn. Unkritisch verherrlicht wird eine "Mitte", die in Wahrheit nichts
anderes als die Normalitätsnorm der herrschenden Verhältnisse ist. Wer
diese "Mitte" als Maß aller politischen Einstellungen akzeptiert, unterwirft sich unkritisch der normativen Kraft des Faktischen. Das ist
bequem, weil es das eigene Denken ersetzt. Man braucht sich stattdessen
nur der (ver)öffentlich(t)en Meinung anzupassen. Mit dieser Denkfaulheit
verbunden ist der Komfort, abweichende Ansichten je nach Abweichungsgrad pauschal als "extrem" oder "extremistisch"
abzuqualifizieren. Das erspart die politisch-inhaltliche Auseinandersetzung. Gegen "Extremismus" zu sein, heißt nichts anderes
als gegen abweichende Meinungen zu sein. Der konformistische Anti-Extremismus ist alles andere als eine demokratischen Einstellung,
die sich an der Freiheit des Andersdenkenden orientiert.
Ohne politisch-inhaltliche Auseinandersetzung lässt sich nicht erkennen, ob es sich bei einer bestimmten Meinung um eine Meinung oder
um ein Verbrechen handelt. Faschismus ist nicht deshalb ein Verbrechen,
weil er nur von wenigen vertreten wird. Solange er noch "extremistisches
Gedankengut" ist, ist er sogar noch relativ ungefährlich, d.h. nur für
dreistellige "Einzelfälle" tödlich . Sein verbrecherisches Potential
entfaltet der Faschismus bekanntlich nicht als "extremistischer", sondern als salonfähiger. Erst wenn faschistische Verbände als
Hilfspolizei für "Ordnung" sorgen, geht der braune Terror richtig los.
Aus der Geschichte kann man lernen.
Damit sich die juristische Bekämpfung des Neonazismus nicht in Demokratieabbau verkehrt, dürfen sich die seiner Bekämpfung dienenden
Verbote auch nur ausdrücklich auf ihn beziehen. Beispielhaft ist in
diesem Zusammenhang das Verbot der sogenannten "freien Kameradschaften"
im Bundesland Berlin. Das Vorbild ist auch auf NRW übertragbar. Ein
entsprechender Aufruf kommunaler Mandatsträger der Linkspartei.PDS in
NRW ist erfolgt. Der Erfolg blieb bislang aus. Auch bei Kameradschaften,
die offenkundig Neugründungen verbotener Organisationen sind, wird offiziell kein Handlungsbedarf gesehen.
Basis einer antifaschistischen Verbotsdiskussion sollte die Rückbesinnung auf den offiziell stillschweigend entsorgten Artikel 139
des Grundgesetzes sein, demzufolge die Bestimmungen der Alliierten gegen
Militarismus und Neonazismus auch für die Bundesrepublik bindend sind.
Vereinigungen wie die freien Kameradschaften oder Parteien wie die NPD
sind mit Artikel 139 eindeutig unvereinbar. Gegenstand von Verbotsverfahren wäre lediglich die Frage, ob es sich um eine
neonazistische Vereinigung handelt. Als Präzedenzfälle für Verbote
anderer sogenannter "extremistischer" Organisationen wären sie nicht zu
mißbrauchen.
Das Scheitern des NPD-Verbotsantrags wirft ein bezeichnendes Licht auf
die zwielichtige Rolle des Verfassungsschutzes. Offenkundig ist die NPD
so massiv von V-Leuten durchsetzt, dass diese als quasi-hauptamtliches
Rückgrat der Partei betrachtet werden können, die sich mittlerweile als
die führende Kraft im neonazistischen Spektrum etablieren konnte. Der
Aufstieg der NPD, der mit dem alarmierenden Wahlerfolg in Sachsen seinen
vorläufigen Höhepunkt gefunden hat, wurde von den Verfassungsschutz-Leuten offenbar nicht nur nicht bekämpft, sondern in
nicht unerheblichem Umfang "mitgestaltet". Der dubiose Beitrag des Verfassungsschutzes an der Professionalisierung und Profilierung der NPD
bedarf dringend öffentlicher Aufklärung, die wiederum vom Verfassungsschutz verhindert wird. Falls die "Bekämpfung des
Rechtsextremismus" jemals Ziel der Verfassungsschützer gewesen sein
sollte, läßt sich ihr Wirken hinsichtlich der NPD nur als hochgradig
kontraproduktiv bewerten. Allein die Sabotage des Verbotsantrags durch
die Weigerung des Verfassungsschutzes, dem Bundesverfassungsgericht den
Eigenanteil an den der NPD vorgeworfenen Straftaten offen zu legen, hat
der NPD eine PR-Kampagne ohne Gleichen beschert. Sie erschien in der
Öffentlichkeit als legale und wählbare Partei, obwohl der Verbotsantrag
in der Sache niemals verhandelt wurde. Das Wirken des Verfassungsschutzes bei der "Bekämpfung des
Rechtsextremismus" zeichnet sich bestenfalls durch Unfähigkeit aus. Sie
steht in keinem Verhältnis zu der hervorragenden und professionellen
Arbeit, die von ehrenamtlichen Antifa-Gruppen und engagierten Journalisten bei der Aufdeckung neonazistischer Aktivitäten und
Strukturen geleistet wird. Im Kampf gegen rechts sind die Verfassungsschutzbehörden nicht nur nutzlos und teuer, sondern
kontraproduktiv. Ihre "Aufklärung" über den "Linksextremismus" zeugt
inhaltlich von mangelnder Verfassungskenntnis. Statt "Aufklärung" wird
Feindbildpflege betrieben. Es geht um die quasi-offizielle, "überparteiliche" Stigmatisierung der politischen Konkurrenz. Eine
mündige demokratische Öffentlichkeit kann auf den Beitrag des Verfassungsschutzes problemlos verzichten. Aus antifaschistischer Sicht
ist die Auflösung der Verfassungsschutzes ein gewinnbringender Sparvorschlag.
Die Gefahr des Demokratieabbaus geht derzeit nicht in erster Linie von
von Rechtsaußen, sondern von der nach rechts rückenden "Mitte", d.h. von
oben aus. Ausgangspunkt ist die mittlerweile schon un-heimliche Entmachtung demokratisch gewählter Institutionen, durch die massive
Akkumulation privater Kapitalmacht in den Händen international agierender "global player". Die dazu angestimmte neoliberale
Begleitmusik vom "schlanken Staat" lässt leicht vergessen, dass damit
nur der Staat als Sozialstaat gemeint ist. Die Kehrseite des neoliberalen Staatskonzepts ist "mehr Staat" im Sinne von Staatsgewalt.
Der Rückzug des Staates auf sein repressives "Kerngeschäft" bedeutet
Aufrüstung nach innen und außen. Der Sozialstaat geht, der Polizeistaat
kommt. Deutschland ist Abhörweltmeister. Datenschutz können "wir" uns
nicht mehr leisten. "Präventive Sicherheit" ist die Parole des vorangetriebenen Demokratieabbaus. Auch hier steht der
demokratisch-antifaschistische Charakter des Grundgesetzes im Weg. Die
dort gebotene Trennung von Polizei und Geheimdiensten (nie wieder Gestapo!) war eine solche Barriere, die jüngst erschreckend geräuschlos
beseitigt werden konnte. Derzeit gearbeitet wird an der Relativierung
des Folterverbots (Schäuble) und der Aufweichung des Tötungsverbots
durch das - vom Bundesverfassungsgericht vorerst kassierte - "Luftsicherheitsgesetz".
Als Haupthindernis der inneren Aufrüstung erscheint derzeit das Verbot
des Bundeswehreinsatzes im Innern. Beim Luftsicherheitsgesetz wurde es
schon vorsorglich "vergessen". Anders als von den Verfassern geglaubt
lässt sich mit dem 11.September und dem "internationalen Terrorismus"
offenbar nicht mehr alles begründen. Es herrscht Begründungsnotstand für
den Notstand, der Bundeswehreinsätze nicht nur "am Hindukusch", sondern
auch "in Hindelang" legitimieren soll. Erster Notstandsnotnagel war "die
Vogelgrippe".
Tornados "bewährten" sich im Einsatz gegen sterbende Schwäne. Nächster Salamitaktikschritt ist der "Ausnahmezustand"
Fußballweltmeisterschaft. Die Welt - angeblich zu Gast bei Freunden -
wird als gigantisches Sicherheitsrisiko an die Wand gemalt. Auch an den
drei Spielorten in NRW "muss" die Bundeswehr mit von der Partie sein.
Es fehlt nur noch die Beteiligung der Bundeswehr an der internationalen
Imagekampagne - am besten unter dem Motto: "Kommen Sie zu uns, bevor wir
zu Ihnen Kommen!"
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